Ausstellungsbesprechungen

Henri Cartier-Bresson: Die Europäer. Fotografien. Kunsthalle Erfurt, noch bis bis 29.11.2009

Die Erfurter Kunsthalle zeigt derzeit über 163 Fotografien des französischen Künstlers Henri Cartier-Bresson, dessen Arbeiten es geschafft haben, sich in das kollektive Bildgedächtnis der Menschen einzuschreiben und zu Ikonen der Fotografie des 20. Jahrhundert zu avancieren. Cartier-Bresson, seit 1947 Mitglied der weltbekannten Fotoagentur Magnum Photos, schuf zeitlose Bilder, die durch ihre klar strukturierten und detaillierten Überlegungen überzeugen. Die Erfurter Ausstellung vermittelt mit den ausgestellten Werkbeispielen einen Einblick in das umfassende Œuvre des Franzosen. Unsere Praktikantin Aileen Wolff ist noch immer tief beeindruckt von dieser vielversprechenden Ausstellung.

Henri Cartier-Bresson: Frankreich, Sonntag am Ufer des Flusses Marne, 1938, Silbergelatine-Abzug, © Henri Cartier-Bresson/ Magnum Photos
Henri Cartier-Bresson: Frankreich, Sonntag am Ufer des Flusses Marne, 1938, Silbergelatine-Abzug, © Henri Cartier-Bresson/ Magnum Photos

Der Titel der Ausstellung lehnt sich an den von Henri Cartier-Bresson 1955 veröffentlichten Fotoband „Les Européens“ an. Die aktuelle Erfurter Ausstellung nun würdigt einen großen Teil seines Lebenswerkes, das in den Jahren von 1929 bis 1989 entstand. Als junger Mann studierte Cartier-Bresson zunächst Malerei in Paris, bevor er in den 1930er Jahren die Fotografie als Medium für sich und seine Kunst entdeckte. Stimuliert durch die ersten praktischen Erfahrungen mit einer Leica-Kamera, reiste er von dort an mal mit Freunden, mal im Alleingang durch ganz Europa oder auch Indien, Mexiko, China und Kuba. Die Aufnahmen, die während seiner Europareisen entstanden, geben in der Ausstellung ein wechselvolles Gesamtbild des Kontinents. Es ist ein Blick auf die Welt, wie er sie uns mittels des Kameraobjektivs versucht näher zu bringen. Geteilt und wiedervereint, stets von Ambivalenzen geprägt und von zahlreichen Umbrüchen und Wandlungsmomenten in Friedens- und Kriegszeiten gekennzeichnet.

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Sujets wie jene von arbeitenden Grenzsoldaten, demonstrierenden Menschenmassen, kirchlichen und gesellschaftlichen Festlichkeiten finden sich neben Landschafts- und Architekturaufnahmen sowie neben Porträts und einfachen Alltagsszenerien wieder. Dabei verdeutlicht die Erfurter Ausstellung besonders einen Aspekt bei Cartier-Bresson: in seinen Arbeiten handelt es sich fast um eine bestimmte Art von humanistischer Fotografie. Stets bilden einzelne Personen oder Kinder, kleine Personengruppen oder auch ganze Menschenmassen das Zentrum der ausgestellten Werke. Einige der gezeigten Aufnahmen rufen Erinnerungen hervor, andere überraschen den Besucher immer wieder neu mit ihrem ungewöhnlichen Moment-Charakter. Zu diesem Aspekt in Cartier-Bressons Kunst äußerte sich zur Ausstellungseröffnung Marc Riboud als langjähriger Freund und Zeitgenosse, dass Henri Cartier-Bresson nicht zu den typischen rasenden Reportern gehörte, wie man es vielleicht durch seine Fotografien annehmen könne. Ganz im Gegenteil, so fuhr er fort, näherte sich Cartier-Bresson jeder seiner Aufnahmen mit besonderer Ruhe und Feingefühl für die Komposition. Marc Riboud beschrieb ihn als einen Menschen, der stets in Bewegung sein wollte, der gerne reiste und sich auf der Höhe seiner Zeit mit Kunst und Literatur auseinanderzusetzen versuchte. Geprägt durch das klassische Studium der Malerei äußerte sich Cartier-Bresson über die  Aufnahme ansich, dass es innerhalb der Bewegung immer einen Moment gäbe, in dem sich alle Elemente in Harmonie befänden - und in diesem drückt man den Auslöser. Das bedeutet, wenn im Augenblick der Aufnahme Auge, Geist und Herz in einem ausgewogenen Verhältnis stehen, dann sei der Zeitpunkt erreicht, indem die Komposition perfekt für das jeweilige Bild sei. Darin läge die Freude seiner Arbeit. Und wie man unschwer an den Werken der Ausstellung erkennen kann, gab es zahlreiche Momente, in denen Cartier-Bresson diese besondere Ausgewogenheit und Freude wahrnahm. Die Kamera diente ihm als Medium, den entscheidenden Augenblick zu erfassen und für die Nachwelt erlebbar zu machen. Dieser typische Ausdruck des Zufälligen, als ein Kennzeichen seiner Fotografien, zeigt sich dem Besucher der Ausstellung durchaus öfter als man es vielleicht erwarten würde. Man betrachtet ein Bild und weiß sogleich, warum er genau in diesem Moment den Auslöser betätigte. Zum Beispiel, wenn man einen Mann mit Hut über eine Pfütze auf dem Europaplatz springen sieht oder ein Kind auf einem Sandweg, das versucht, auf seinen Händen zu laufen.  An solchen Motiven wird deutlich, welche Bedeutung einem einzigen kleinen Ereignis inne wohnen kann.

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Cartier-Bressons Bilder enthalten die Würze des Alltäglichen und Einfachen, das macht sie daher für jeden Betrachter anziehend. Gleichzeitig bemerkt man bei genauerer Betrachtung, dass sich hinter den vermeintlichen „einfachen Schnappschüssen“ eine ganze Reihe an theoretischen Überlegungen zu Komposition, Technik und Sujet verbergen, bei denen es darum geht, den speziellen  Rhythmus von Fläche, Linie und Werten in Bezug zur Realität zu setzen. Diese Lebendigkeit seiner spontanen und kompositionsvollen Aufnahmen spannt den Bogen zurück zum Künstler selbst, der in der Lage war, diese Besonderheit des kleinen Moments im großen Zusammenhang zu erkennen und für das Publikum sichtbar und wertvoll werden zu lassen. Es heißt, dass er mit großer Bescheidenheit auf seine Arbeiten schaute und die Fotografien als Erinnerungsorte auf Papier begriff. Wenn dem so gewesen ist, dann kommt die Ausstellungskonzeption der Kunsthalle Erfurt diesem Charakterzug mit ihrer zurückhaltenden Präsentationsform seiner Werke würdigend entgegen. Die Fotografien werden über die gesamten vier Etagen puristisch in heller Holzrahmung auf monochromer Wandfläche mit sparsamen Informationen zum Werk selbst dargeboten. Ergänzend dazu wird im Erdgeschoss ein Film über den Künstler gezeigt, sowie fünf Schwarz-Weiß-Fotografien im Eingangsbereich von Marc Riboud, die Henri Cartier-Bresson sowohl bei der Arbeit als auch im privaten Kreis zeigen. Insofern bieten die präsentierten Fotografien einen ausführlichen Einblick in das Œuvre seiner Europareisen und lassen den Betrachter ahnen, mit welcher Leidenschaft und Konzentration Henri Cartier-Bresson dieses fotografische „Reisetagebuch“ schuf.

Weitere Informationen

Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen.

Öffnungszeiten
Dienstag - Sonntag 11 - 18 Uhr
Donnerstag 11 - 22 Uhr

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