Ausstellungsbesprechungen

Hereinspaziert! – Zirkus und Jahrmarkt von Macke bis Matisse, Städtische Galerie Bietigheim-Bissingen, bis 8. Juli 2012

Die Welt des Zirkus‘ lässt nicht nur Kinderaugen leuchten: Picasso, Toulouse-Lautrec, Matisse oder Calder ließen sich ebenfalls von den Clowns und Jongleuren, Balanceakten und Tierdressuren inspirieren. Günter Baumann bringt Ihnen die Magie der Manege nahe.

Dass der Zirkus die Künstler immer schon angezogen hat, ist keine Nachricht, die einen vom Trampolin wirft. Da mag es fast schon wieder kühn sein, eine Ausstellung mehr über die Clowns und Trapezkünstler, Dompteure und Dressurreiter zu machen – es scheint alles gesagt und gezeigt worden zu sein. In der Tat trifft man in der Ausstellung der Städtischen Galerie Bietigheim-Bissingen auf die üblichen Verdächtigen, allen voran Pablo Picasso und Toulouse-Lautrec. Es ist den Ausstellungsmacherinnen – Isabell Schenk-Weininger und Petra Lanfermann – zu danken, dass sie das allseits bekannte, vielschichtige Sujet in der Höhendifferenz (von himmelhoch jauchzend bis zum Tode betrübt) so erfrischend zu vermitteln verstehen, als wäre dies die erste Begegnungsschau von Kunst und Manege.

Unter den rund 120 Arbeiten hängen wie selbstverständlich Bilder aus Toulouse-Lautrecs sowie aus Chagalls Mappenwerken gleichen Titels, »Au Cirque«, Beispiele aus Picassos Frühwerk mit seinen Gauklermotiven und dem tiefgründigen Spätwerk, außerdem die infernalisch-visionären Akrobatiknummern von Ernst Ludwig Kirchner oder die jazzigen Collagen von Matisse, die man wohl zeigen muss, um dem Thema gerecht zu werden. Aber schon die frivolen Anzüglichkeiten bei Otto Dix, Reinhold Nägeles hinreißend ironischen Kosmologien en miniature oder die knallbunt plakativen Studien von Fernand Leger bereichern das vorwiegend malerisch umgesetzte Zirkusspektakel ungemein. Das spielerische Element hat hier deutlich Oberwasser, sodass sich die melancholische Note bei Beckmann, Heckel und Pechstein als interessantes Korrelativ erweist, ohne der Schau eine allzu wehmutsvolle Atmosphäre zu verleihen. Vielleicht ist da Paul Reichles »Harlekinade« von 1952 ein guter Beleg für die keineswegs oberflächliche ›Welthaltigkeit‹ des Zirkus, die im heiteren Spiel zum Tragen kommt.

Doch all das kulminiert in der filmischen Darstellung von Alexander Calders kleinteiligen Zirkusfigurinen. In den 1920er Jahren für eine Spielzeugfirma entworfen, kramte der schon betagte Bildhauer sie 1961 wieder hervor, um einen medientechnisch köstlich kunstlosen, aber in der technischen Brillanz der filigran modellierten Draht- und Stoffprotagonisten hochartifiziellen Film zu drehen. Der Schalk saß dem Kind im Manne im Nacken. Begleitet von seiner Frau als Grammophongehilfin inszenierte er mit zügelloser Freude eine Nummer nach der anderen, alles fein kommentiert, als sei er der Zirkusdirektor seiner selbst und seiner kleinen Truppe.

Der Spieltrieb hinderte Calder nicht daran, manche Messerstecher- oder Löwennummer tragisch enden zu lassen, um auch noch die Sanitäter auftreten zu lassen oder das Raubkatzenleben zu verkürzen. Wo die Clownerie ›artgerecht‹, sprich zirkustauglich abläuft, fehlt es andrerseits nicht einmal am ausgerollten roten Teppich – zudem ziehen die Detailfreudigkeit in der Gestaltung der uhrmacherwürdigen Mechanismen und die raffinierte Beherrschung der physikalischen Kräfte (etwa beim Hochseilakt) den Zuschauer in den Bann. Lebendiger, ja spannender kann Zirkus außerhalb der Manege kaum vorgeführt werden. Seit 1970 befindet sich der Mininaturzirkus im Whitney Museum of American Art in New York. Einmal noch, 1976, gruppierte Calder die zur Vitrinenschau verdonnerte Gruppe während eines öffentlichen Auftritts neu – kurz darauf verstarb er. So schön die Ausstellung insgesamt ist – die rund 20 Minuten, die der Film dauert, darf man auf keinen Fall verpassen.

Die Bietigheimer Ausstellung scheint sich zum Ziel gesetzt zu haben, das Zirkusleben recht kunstvoll nicht nur für Kinderaugen zu öffnen, die auch im Begleitprogramm einiges zu sehen bekommen, sondern auch für Erwachsenenaugen attraktiv zu machen. Die Moderne in Deutschland und Frankreich (will sagen: Paris, wo sich bekanntermaßen auch Picasso & Co. trafen) bietet hierfür genügend Vorlagen, die Manege als Chiffre für das Leben zu nehmen: Es ist, zumindest sind sich die meisten Künstler einig, ein Drahtseilakt – und doch auch eine schöne Gaukelei.

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