Ausstellungsbesprechungen

Holmead, Von der Heydt-Kunsthalle, Wuppertal-Barmen, bis 7. Mai 2017

Dass das in unmittelbarer Nähe des Wuppertaler Hauptbahnhofs gelegene Von der Heydt-Museum eine Dependance im Stadtteil Barmen besitzt, nämlich die Von der Heydt-Kunsthalle, hat sich bei auswärtigen Kunstfreunden bisher noch kaum herumgesprochen. Die dort stattfindende aktuelle Retrospektive des amerikanischen Expressionisten Clifford Holmead Phillips (1889-1975) kommt der Entdeckung eines außergewöhnlichen, hierzulande aber nur Insidern bekannten Künstlers gleich. Rainer K. Wick hat die Ausstellung besucht.

Die Ausstellung mit knapp neunzig Arbeiten erinnert an einen Künstler, der als Vertreter der »Verlorenen Generation« und des »Expressiven Realismus« gelten kann, um zwei Begriffe aufzunehmen, die 1980 von Rainer Zimmermann eingeführt wurden. Die im letzten Jahr in ähnlicher Form schon in der Kunsthalle Schweinfurt gezeigte Retrospektive, die anschließend noch in Bernried am Starnberger See im »Buchheim Museum der Phantasie« zu sehen sein wird, spannt den Bogen von frühen, vom Impressionismus beeinflussten Landschaften aus den 1920er Jahren über expressiv gesteigerte Natur- und Stadtansichten bis hin zu Bildern mit literarischen und religiösen Inhalten und den eindrucksvollen späten »Köpfen«, die quantitativ und in ihrer Intensität zweifellos den Höhepunkt der Wuppertaler Präsentation darstellen.

Das künstlerische Œuvre von Clifford Holmead Phillips (1889-1975), eines »self-taught artist«, ist ebenso eigenwillig, wie seine Biografie außergewöhnlich ist. Geboren in Shippensburg/Pennsylvania, war der Künstler, der seinen Namen zunächst in Holmead Phillips und schließlich in Holmead änderte, Zeit seines Lebens ein Wanderer zwischen den Welten. Fast dreißig Mal pendelte er mit dem Schiff zwischen den USA, seiner ersten, und Europa, seiner zweiten Heimat, hin und her. Insofern lässt sich das in Wuppertal ausgestellte, 1967 entstandene kleinformatige Bild eines Dampfers, der wie eine Nussschale auf den mächtigen Wellen des Ozeans tanzt, geradezu als Chiffre einer extrem mobilen, ja unsteten Künstlerexistenz lesen, die im Schnittpunkt »sehr unterschiedlicher, stets interkultureller Diskurse« anzusiedeln ist (Alexia Pooth in ihrer Dissertation über den Künstler, transcript Verlag, 2014).

In den Jahren 1908 bis 1912 erhielt der junge Clifford eine handwerkliche Ausbildung in der Möbelfabrik seines Vaters. Ein Auto, das ihm der Vater zum 21. Geburtstag geschenkt hatte, verkaufte er umgehend und bestritt von dem Geld eine erste Schiffspassage nach Europa, die ihn nach Frankreich, Italien, Deutschland und England führte. Er besuchte die großen Museen, setzte sich intensiv mit den Alten Meistern auseinander und fasste den Entschluss, nach seiner Rückkehr nach Amerika selbst Maler zu werden. Ohne sich einer akademischen Ausbildung zu unterziehen, reiste er in den folgenden Jahren durch die USA und fand im Rahmen seiner autodidaktischen Bemühungen vielfältige Anregungen in Museen und Galerien. Anfang der 1920er Jahre schloss er sich in New England diversen Künstlerkolonien an, 1922 lebte er eine Zeitlang in Provincetown, einst Zentrum des Fischfangs, dann Urlaubs- und Künstlerort an der Spitze von Cape Cod, wo er erstmals ausstellte. Es handelte sich um »traditionelle Landschaften [...] in einem spröden, silbrigen Licht«, die den Einfluss der »Hudson River School« erkennen lassen, »der ersten nationalen Kunstschule der Vereinigten Staaten« (Birgid Groscurth im Katalog). 1924 kam Clifford Holmead Phillips zum zweiten Mal nach Europa und hatte in Paris sein Offenbarungserlebnis, als er im Schaufenster einer Kunsthandlung ein Bild des französischen Fauvisten Maurice de Vlaminck sah. Dessen kraftvoller Malduktus und expressive Bildsprache beeindruckten ihn tief, und er entwickelte einen Stil, den er selbst als »crude expressionism«, als rohen Expressionismus, bezeichnete. Rückschauend schrieb er mit Blick auf seine künstlerische Sozialisation: »Ich habe nicht, wie viele andere, meine Malerei mit Cézanne angefangen, sondern mit dem Studium der romanischen Kunst und der Gotik. Dann weiter über Rembrandt zu Daumier, Vlaminck und Expressionisten wie Soutine, Kokoschka, de Staël, usw.« In der Tat lassen sich in Holmeads spontan niedergeschriebenen und expressiv hochgradig aufgeladenen Gemälden zuweilen Anklänge an die genannten Künstler finden, ferner übrigens auch an Rouault, Ensor, Nolde und andere. Dennoch gelang es dem Künstler, Bilder hervorzubringen, denen von der Kritik zu Recht Eigenständigkeit, Mut, Individualität und ein »sehr persönlicher Ausdruck« attestiert wurde. Einzel- und Gruppenausstellungen machten den Maler in der 1920er und 30er Jahren sowohl in den USA als auch in Europa bekannt. Dass für Holmead – wie für andere amerikanische Kulturschaffende zur damaligen Zeit auch – die avancierte europäische Kunstszene in besonderem Maße inspirierend, ja stimulierend war, schlug sich dahingehend nieder, dass er sich 1929 im belgischen Brügge niederließ, von wo aus er zahlreiche Reisen in andere europäische Länder unternahm. 1931 siedelte er nach München über, hier lernte er die Bremer Fotografin Elisabeth Fritze kennen, die er bald darauf heiratete. Es folgten Aufenthalte in mehreren skandinavischen Ländern, so auch in Norwegen. Angesichts der Besetzung des Landes durch deutsche Truppen wurde im Frühjahr 1940 in Oslo noch am Eröffnungstag eine Ausstellung des Künstlers mit dem Titel »Malereien zum menschlichen Drama« geschlossen. Holmead kehrte über Frankreich, Italien, Spanien und Portugal in die Staaten zurück und suchte dort den Anschluss an den amerikanischen Kunstbetrieb. Mitte der 1950er Jahre siedelt er sich erneut in Belgien an, diesmal in Brüssel, dort starb er auch im Jahr 1975, ohne noch einmal in die USA zurückgekehrt zu sein. Obwohl er in den letzten zwei Jahrzehnten seines Lebens gelegentlich in Brüsseler Galerien ausgestellt hat, wurde der Künstler kaum mehr zur Kenntnis genommen. Dies hing nicht nur damit zusammen, dass sich der finanziell unabhängige Holmead dem »Betriebssystem Kunst« mit seinen Mechanismen der Vermarktung und medialen Verbreitung tendenziell entzog, sondern auch damit, dass er als »expressiver Realist«, der beharrlich an der Figuration festhielt, nicht mehr zeitgemäß zu sein schien. Figurativ zu arbeiten galt in den 1950er Jahren, also in der Hochphase des international dominierenden Abstrakten Expressionismus, als obsolet, und die Rückkehr des Figürlichen in der Pop-Art der 1960er Jahre fand in programmatischer Abkehr von den bildsprachlichen Mitteln des Expressionismus statt. Insofern ist der Kuratorin Beate Eickhoff zuzustimmen, dass Holmead »durch alle Raster fällt«.

Dessen ungeachtet verdient gerade das Spätwerk des Künstlers, das nach einem 1961 erlittenen Schlaganfall und einer darauffolgenden längeren Schaffenspause entstand, das besondere Interesse. Holmead entwickelte eine spezifische Malweise, die er als »shorthand painting«, also als stenografisches Malen, bezeichnete. Schon früher hatte er die Farben zum Teil mit Spachteln pastos aufgetragen, nun steigerte er das Tempo und vollendete seine meist kleinformatigen Bilder mit einigen spontanen, aber sicher gesetzten Spachtelhieben, um das Typische oder Spezifische von Landschaften, Bauwerken oder Menschen möglichst unmittelbar zu erfassen: »Wenn ich mit einer Leinwand mehr als fünf oder acht Minuten herumpfusche, bekomme ich ein Postkartenbild, das man nicht gelten lassen kann.« Und mit Blick auf die eindrucksvollen, eigentümlich suggestiven, manchmal fast karikaturartigen Porträts, die für sein spätes Œuvre besonders charakteristisch sind, formulierte er die Maxime, »das menschliche Antlitz zu einem Höchstmaß an Ausdruck bei einem Mindestmaß an Aufwand zu bringen. […] Ein paar Striche mit meinem breiten Spachtel genügen.«

Holmead war ein Vollblutmaler mit hohem Qualitätsanspruch, der es verstand, unabhängig vom jeweiligen Mainstream und jenseits von Markterwartungen mit Überzeugung und Leidenschaft seine eigenen künstlerischen Vorstellungen zu verwirklichen. Mehr als vierzig Jahre nach seinem Tod trägt nun die Wuppertaler Ausstellung mit einer klugen Werkauswahl zur Wiederentdeckung dieses fast vergessenen Malers und dessen »rohen Expressionismus« bei.

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