Ausstellungsbesprechungen

Honoré Daumier – Michelangelo der Karikatur, Kunsthaus Apolda Avantgarde, bis 17. Juni 2012

Honoré Daumier war der vielleicht schärfste Beobachter seiner Zeit. Mit spitzer Feder kommentierte der Karikaturist für die satirischen Pariser Zeitschriften La Caricature und Le Charivari Ereignisse der französischen und europäischen Geschichte des 19. Jahrhunderts, aber auch die Unwegsamkeiten des bürgerlichen Alltags. Rowena Fuß hat sich die stimmige Schau in Apolda angesehen.

Ob die Litfaßsäule im ersten Stock, die bereits einen Rundumschlag zu Daumiers politischen Karikaturen und Gesellschaftssatiren zeigt oder das einladende Café-Tisch-Ensemble im Untergeschoss — die Diskussionsforen seiner Zeit laden auch den aktuellen Besucher zur Reflexion ein. In der Ausstellung ist die Verknüpfung von Karikatur und Zeitgeschehen großartig nachgezeichnet worden. Die Mehrzahl der ausgestellten Werke ist mit erläuternden Kommentaren versehen, so dass der Besucher die Hintergründe zu den einzelnen Blättern erfahren kann. Zusätzlich dienen auch Wandtafeln mit Informationen zu den beiden satirischen Zeitschriften oder konkreten historischen Ereignissen der Orientierung.

Ein Bild von Paris kann er sich bereits durch einen riesigen Stadtplan machen, der die Ausmaße der französischen Hauptstadt 1867 zeigt. Gleich rechts daneben befindet sich die Abbildung einer vollgestopften Pariser Straße, die Daumier mit dem Titel »Das neue Paris. Was für ein Glück für die, die es eilig haben, dass die Straßen endlich erweitert wurden« versehen hat. Einen bissigen Kommentar zu den damaligen Fortbewegungsmöglichkeiten bietet auch wenige Schritte weiter »Reisende dritter Klasse — zu Eis gefroren«: Hier müssen drei Schaffner die zu Brettern erstarrten Reisenden aus dem Waggon heben.

Vor Daumiers Spott war niemand gefeit. Weder der berühmte Tänzer und Choreograf Gaétano Apollino Baldassare Vestri, noch die um Emanzipation bemühte Schriftstellerin George Sand oder der Fotograf Nadar. Seine über den Tod hinausreichende Berühmtheit nimmt Daumier bei Erstem aufs Korn, indem er ihn als ausgemergelte Ballerina im Vestalinnenkostüm auf einer Bühne darstellt. Sand hingegen zeigt er als alte Schachtel mit Haube auf dem Kopf, die am Lesetisch einer Bibliothek große Autoren der Vergangenheit für ihren neuen Roman nachschlägt und mit ihrem Geraschel die Mitleser stört. Die Darstellung Nadars in einem Heißluftballon erhebt andererseits das noch junge Medium der Fotografie »auf die Höhe der Kunst«.

Von den Theaterblättern geht es direkt zur Politik. »Die letzte Kabinettsitzung der Ex-Minister« zeigt etwa einen Haufen Staatsdiener, die sich aus dem Fenster stürzen wollen als der strahlende Morgen der Revolution in Gestalt einer Frau das Zimmer betritt. Konkret nimmt das Blatt Bezug auf die Februarrevolution von 1848. Diese hatte die Herrschaft des ursprünglich eher liberalen Bürgerkönigs Louis-Philippe von Orleans beendet und führte zur Ausrufung der 2. französischen Republik.

Im nächsten Schritt verspottet Daumier auch die Kolonialisierungs- und Machtbestrebungen der europäischen Staaten und der USA: Ein amerikanischer Botschafter — durch eine Augenbinde blind — tastet sich in einem Blatt aus einem verschlossenen Wagen in die chinesische Hauptstadt Peking. In einer anderen Arbeit wird der russischen Zar Nikolaus verhöhnt. Die mit »Zar Nikolaus bei der Arbeit in seinem Büro« betitelte Karikatur zeigt denselben auf einer Europakarte stehend, die er mit dem Säbel zerteilen möchte.

Frappierend ist bei den meisten Karikaturen ihr Bezug zu unserer Gegenwart. Dies wird im Raum, der den Umgang mit der Presse behandelt, deutlich. Noch witzig ist die Zeichnung eines Bürgers von 1868: Dem Ansturm aus Nachrichtenblättern verschiedener Gazetten entflieht er mit erhobenen Händen. Heutzutage würde man sagen: Er wird von den Massenmedien erschlagen.

Ernst wird es hingegen in »Ah! Du möchtest dich mit der Presse anlegen«. Hier wird die Person des Königs von einer Druckerpresse zerquetscht, die ein Drucker der Zeitung Le National bedient. Der heutige Betrachter dürfte sich an dieser Stelle an das Debakel um unseren ehemaligen Bundespräsidenten und unseren ehemaligen Verteidigungsminister erinnert fühlen. Gleichsam als Warnung hängt nebenan »Legt euch ja nicht damit an«. Das Blatt zeigt einen durchtrainierten Kämpfer aus dem Volk, der die Pressefreiheit vor der käuflichen Justiz und Staatsmännern der Krone verteidigt.

Zuletzt finden sich im letzten Raum des Untergeschosses eine Reihe von kleinen bronzenen Porträtbüsten verschiedener Persönlichkeiten. Genau wie der große Renaissancekünstler Michelangelo hat Daumier die menschliche Erscheinung in ihrer Essenz erfasst. Als Beispiel die Büste des Bankiers und Abgeordneten Jacques Lefévre. Dieser hat eine derart spitze Nase, dass er sie vorzüglich in Angelegenheiten stecken kann, die ihn nichts angehen. Das Bildnis des obersten Staatsanwaltes am Kassationsgerichtshof André Dupins gleicht hingegen einem Schimpansen. Er ist der äffische Nachahmer seines Herrn.

Alles in allem überzeugt das didaktische Konzept der Schau genauso wie die Werkauswahl und -zusammenstellung. Da es erst 2013 in Berlin wieder eine große Daumier-Ausstellung geben wird, sollten Sie die Gelegenheit nutzen, um sich den außergewöhnlich begabten Zeichner und Lithografen in Apolda anzusehen!

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