Ausstellungsbesprechungen

Incontri – Zeitgenössische italienische Kunst, Schauwerk Sindelfingen, bis 21. September 2014

Die Sonderausstellung bietet mit mehr als 100 Werken einen Überblick über 60 Jahre italienische Kunst und ein »who is who« der internationalen Avantgarde. Aufgepeppt wird das stimmungsvoll-legere Thema durch eine effektvolle Positionierung der Arbeiten. Gudrun Latten berichtet.

Die Incontri erinnern an das »zufällige Aufeinandertreffen einer Nähmaschine und eines Regenschirms auf dem Seziertisch« von Comte Lautréamont. Gleich hinter der Eingangstür ein sanftes Zusammentreffen von Schmetterlingen auf verspiegelter Oberfläche. Sieht der Japaner die »Farfalle« hinter sich im Spiegel? Der ganze Eingangsbereich wird von Pistoletto eingenommen. Auf seinen Spiegeln nähern sich verschiedene Menschen und die Besuchenden der Ausstellung an, überschneiden und berühren sich, gehen aneinander und in Parallelen auf der Fläche vorbei. Die Spiegel kommunizieren, sind Raum und Fläche zugleich. Auf ihnen spielt sich die Ausstellung seitenverkehrt, in modifizierter Reihenfolge und leicht verzerrt ein weiteres Mal ab. Der Spiegel im Ausstellungsraum – stets up to date! Rechts hinten kann man bereits eine Mona Lisa lächeln sehen. Ein kleines Fahrrad vor dem Empfang – es kommt Bewegung ins Spiel. Internationale Aufeinandertreffen sorgen für Aufsehen. Dabei kommt es durchaus zu Kontroversen. In einem etwas abseits gelegenen Raum ein beeindruckendes »Incontro« zwischen großen Bekanntheiten Italiens: das Auge des Pantheons von Klaus Heider, das Opaion, blickt auf die Innenräume der Bibliotheca Hertziana von Candida Höfer. Gegenüber ein üppiges Abendmahl von Vanessa Beecroft, arrangiert und aufgenommen in Turin, und eine Außenwand von Vincenzo Castella. Eine Raumkorrespondenz entfaltet sich über den ganzen Saal.

Im großen Ausstellungsraum kommt es zu einer »Sacra Conversazione« unter den Farben von Christian Eckart. Die Farbvierklänge verbreiten eine andächtige Stille. Hält die bildende Kunst nur schweigende Zusammentreffen für Besuchende bereit? Lautstark widerspricht diesem Eindruck Monica Bonvicinis »Stonewall«. Ein gewaltiger Geräuschpegel klingt in den zertrümmerten Scheiben der Installation an. Ein weiteres Highlight, welches für Aufsehen sorgt: Interferenzen zwischen den Glühbirnen von Lawrence Carroll und Heinz Mack. Die Glühbirnen leuchten sich gegenseitig zu, ergänzen sich und strahlen lautlos ihre Signale aus. Heinz Mack löst die deutsch-italienische Kontroverse mit Leichtigkeit: »Uecker und Fontana begegnen Mack«, heißt diese Komposition. Aufeinandertreffen spielen sich auch im Bereich der Farbe ab: die Ausstellung wird von Farbverläufen durchzogen, die Farben werden in Reihen, Zickzacklinien und Parallelen gestaffelt einander gegenübergestellt. Eine Konversation ergibt sich zwischen der »Yellow Rose« von Jannis Kounellis und der durch und durch gelben »Clairol Wall« von Robert Smith. Geht es um die Frisur? Verschiedene Drähte korrespondieren miteinander über eine Ecke und auf geheimnisvolle Weise mit dem Obelisk von Mimmo Paladino.

Scheinbar rein zufällige Koinzidenzen, Konjunktionen und regelrechte Versammlungen sind in der Halle arrangiert. Die Pop Art sorgt auf der rechten Seite des Ausstellungsraumes für Furore. Sie datet die gedeckten Farbtöne italienischer Konvente. Ein Zusammenstoßen, Aufeinanderprallen, regelrechte Kollisionen zwischen amerikanischer Pop Art und dem zurückhaltenden Modus italienischer Kunst im optischen Bereich. Scheinbar unvereinbar stehen sich diese Antipoden gegenüber. Ähnlich bei Giulio Paolinis »L’altra figura«: ein lauter Zusammenprall muss dem nun einvernehmlich stummen Rendezvous der beiden Gipsköpfe vorausgegangen sein. Die Scherben dieses Gerichtes sind auf dem Boden angeordnet. Trotz der italienischen Leichtigkeit der »Incontri« scheint sich hier jemand Kopfzerbrechen bereitet zu haben.

Weiter links ein heimliches Stelldichein hinter den Ausstellungswänden zwischen einem Baumwollgewebe mit Neon von Mario Merz, dem Holzschemelchen von Mirco Marchelli und den durchsichtigen Flügelchen von Heinz Mack. Im Eingangsbereich eine Mona Lisa! Mit Nasenbluten, monumental, auf einem Vorhang aus Aluminiumketten. Eindeutig ein Philippe Bradshaw! Auch bei dieser Mona Lisa gibt es keinen Zweifel mehr über die Identität. Eine Spur der Gewalt durchzieht diesen Ausstellungsbereich: Scherben, zersprungene Scheiben und Blut an der Mona Lisa. Als hätten sich diese verabredet!

Wir können auch auf eine Schubkarre mit Limoges-Porzellan von Anne und Patrick Poirier stoßen: eine »Campagne des fouilles« wurde hier zusammengestellt. Der Barock neu entdeckt! Die heterogenen Kompositionen befremden und scheinen zugleich in einen fruchtbaren Austausch miteinander getreten zu sein. Kleine Möbel sind verschiedenen Wandarbeiten zugeordnet. Die Einrichtungsgegenstände ähneln modischen Accessoires. Dies scheint der herausragendste Aspekt der Schau zu sein. Dialoge zwischen Möbelstücken und Wandarbeiten entspinnen sich. Auch diese Ausstellung im Schauwerk thematisiert einmal wieder den Status von Museum und Kunstwerken. Die Ausstellung wird in den Bereich einer Wohnungsschau gerückt. Zeigt das Privatmuseum die Einrichtungsgegenstände der Sammlung Schaufler? Ein bisschen Deko und ein bisschen Kunst ist dabei. Stets begleitet die Frage: Welche Kunst und Künstler kaufen die Schauflers? Welche hängen sie ins Wohnzimmer, welche sind für das Museum gedacht? Die »Furniture Sculpture« von John M Armleder ohne Titel ist dafür ein glänzendes Beispiel. Der Kitsch dieser Kombination aus Leinwandbild und Möbelskulptur trieft aus allen Ecken und Enden. Laut kreischende Farben, knisternde Folie und Reflexe – was für ein Geschmack! Diesem stehen Julia Mangolds geometrische Figuren ganz schlicht und in Schwarz geradezu schweigend gegenüber, wächserne Oberflächen verbreiten eine Wirkung von Stille und Monumentalität. Von Donald Judd drei braune Stühle an der Wand. Daneben ein buntes Regal.

Sind diese Objekte bereits vor ihrem Einzug ins Museum Kunstwerke? Harry Bertoias »Diamond Chair« gibt vor mit Edelsteinen besetzt zu sein. Spiegel, Fahrrad, Stuhl, Schubkarre, Sitzquader, ein Paravent und selbstverständlich die Leinwandbilder – diese dürfen auch im Museum nicht fehlen. Ein bisschen erinnert diese Zusammenstellung an Duchamps Ready-mades. Es ist in der Tat fraglich, ob manche der Objekte im Wohnzimmer der Schauflers als Kunstwerke Bestand hätten. Von Pier Paolo Calzolari lockt die Spielzeugeisenbahn, welche auf einem hochaufragenden Stahlgestell fährt. Gegenüber die Öllampen auf Papier. Ein Kochtopf und eine Herdplatte gehören auch dazu. Für wahr: dieses Gedankenspiel fällt auch in der Wohnung aus dem Rahmen. Es scheint sich um ein einmaliges Incontro, um einen in der Geschichte ersten ernsthaften Austausch zwischen diesen Gegenständen zu handeln.

Im Zentrum der Ausstellung findet sich ein großformatiger Innenraum von Ben Willikens. Um das klassische und mysteriöse Bildzentrum wird mittels Säulen und verschiedener Innenraumaccessoires eine klassische Stimmung von stiller Größe und erhabener Einfachheit geschaffen. Ben Willikens begehbar? Am Ende der Ausstellung ein Wiedersehen mit Monica Bonvicini. »Not for you« sagen uns ihre leuchtenden monumentalen Buchstaben. Fast deutlicher als »Privat« ins Untergeschoss zu schreiben – jedenfalls wirksamer.

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