Buchrezensionen

Jacek Dehnel: Saturn. Schwarze Bilder der Familie Goya, Carl Hanser Verlag 2013

Der junge polnische Autor Jacek Dehnel gibt dem geheimnisvollen Sohn des großen spanischen Malers Francisco Goya eine Stimme – und was für eine! Denn dieser Roman ist nicht nur ein sprachliches Meisterwerk über eine komplizierte Vater-Sohn-Beziehung, sondern auch eine literarische Annäherung an den monumentalen, rätselhaften Freskenzyklus der »Schwarzen Bilder«, die »höchstwahrscheinlich von jemand anderem gemalt wurden« als Francisco Goya. Eine fesselnde Lektüre, so Verena Paul.

Jacek Dehnel wandelt mit seinem Roman »Saturn« auf den Pfaden der Kunstgeschichte und doch werden die Leser und Leserinnen nicht nur in eine Welt aus sprachlich kraftvollen Bildbeschreibungen geführt, sondern sie erfahren gleichermaßen vom Generationenkampf in der Familie Goya. Schließlich sind zwischen dem ebenso genialen wie cholerischen Maler Francisco, der ungehemmt libidinösen Ausschweifungen frönt, und dem melancholischen Javier, der vom Vater in wegwerfender Geste als »Trantüte« bezeichnet wird, die Spannungen förmlich greifbar. Als Javier zudem befürchten muss, dass Francisco seine Ehefrau verführt und sein Sohn Mariano die Nähe des Großvaters der seinen vorzieht, scheint ihm der Stempel des absoluten Verlierers auf die Stirn gedrückt zu sein.

Doch in einem rauschartigen Zustand wächst Javier über sich hinaus und spürt erstmals, dass er wirklich malt. »Javier Goya, das Gespött aller, der Maler, der kein einziges Bild gemalt hat, steht im Kittel an der Staffelei, vor einer etwa vier mal vier Fuß großen Leinwand, und malt nicht nur, nein, er erschafft ein riesiges Denkmal«. Mit diesen Worten kehrt die Figur des Javier ihr Inneres nach außen und entleert es auf einer riesigen Leinwand. Es ist der Beginn eines langen Prozesses, in dem sich der introvertierte und stets unterschätzte Sohn vom Übervater löst und mit jedem Pinselzug ein Stückchen mehr zu sich selbst findet. Der von Dehnel zitierte Pascal Quignard bündelt dieses Aufbegehren in dem Satz: »Wenn uns die Gegenwart nicht froh macht und die kommenden Monate nichts außer Wiederholung zu bringen scheinen, überlisten wir die Monotonie, indem wir die Vergangenheit stürmen.«

Obgleich das Ende der künstlerischen Ausdrucksfähigkeit noch immer in weiter Ferne liegt, scheint Javier sich ihm malend anzunähern. Und es ist genau diese Annäherung, dieses »bei-sich-selbst-Ankommen«, das Javier später folgendermaßen beschreibt: »Ich malte vielleicht zwei Stunden, vielleicht auch vier, fünf – es war immer noch Nacht, und durch die Fenster zu beiden Seiten des Saturn sah ich die gleiche Dunkelheit wie die, die sich hinter ihm erstreckte; […] und sah mir jedes dieser Bilder an, jeden einzelnen Teil der großen Finsternis, die Männer, Frauen, Kinder und Dämonen umschließt, die Welt, in der wir nisten, durch die wir uns wie Maulwürfe und interirdische Larven wühlen – so weit das Auge reicht Schwarz, Schwarz, Schwarz.« Diese Passage ist nicht nur beeindruckend was den Sprachduktus anbelangt, sondern sie ist zugleich essentiell für das Handlungsgefüge sowie die psychologische Figurenentwicklung des geheimnisvollen Freskenmalers, »über den wir fast nichts wissen.«

Was aber war der eigentliche Anlass für den Autor, sich mit dieser Materie zu beschäftigen und dem im Schatten des übermächtigen Vaters stehenden Javier eine zunächst leise und dann immer wirkungsmächtiger werdende Stimme zu verleihen? In seinem kurzen, aber erhellenden Nachwort erklärt Dehnel dies vor allem mit der Inspiration durch die Arbeit von Professor Juan José Junquera, der im Auftrag des Museo del Prado ein Buch über den berühmten Freskenzyklus der ›Schwarzen Bilder‹ geschrieben hat und dabei zu dem Ergebnis gelangte, dass die monumentale Werkreihe mit größter Wahrscheinlichkeit nicht der Hand Francisco Goyas entstammt. Da Junqueras Thesen nicht nur mit Misstrauen, sondern mit »einer gewissen Feindseligkeit« aufgenommen wurden, hat Dehnel mit spitzer Feder die Möglichkeitsform der Geschichte in einen fesselnden, psychologisch absolut überzeugenden Roman gegossen, der gerade durch die pointierten Beschreibungen der »Schwarzen Bilder« den mutmaßliche Schöpfer Javier Goya lebendig werden lässt.

Fazit: Nein, von diesem Roman konnte ich meine Finger einfach nicht lassen und möchte aus diesem Grund auch Ihnen die Lektüre gerne empfehlen. Denn es lohnt sich in die von Jacek Dehnel psychologisch einfühlsam ausgeleuchteten Nischen des komplexen Vater-Sohn-Verhältnisses vorzudringen, die wunderbaren Bildbeschreibungen mit ihrer atmosphärischen Dichte aufzusaugen und dabei der Malerei im Allgemeinen und den berühmten »Schwarzen Bildern« im Besonderen näherzukommen.

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