Kataloge

Jäger, Joachim (Hrsg.): Wolfgang Tillmans. Lighter, Hatje Cantz Verlag, Ostfildern 2008.

Wolfgang Tillmans ist ein großer Künstler. Nach unzähligen Ausstellungen in der ganzen Welt erhielt er 2000 in London den begehrten Turner-Prize. Und auch die Ausstellung »Lighter« im Hamburger Bahnhof vom 21. März bis 24. August 2008, die einer Retrospektive gleicht, zeigt: Tillmans ist gefragt und das zu Recht.

Beim Hatje Cantz Verlag ist parallel zur Ausstellung der Katalog »Lighter« erschienen. Er ist wie die Ausstellung von Tillmans selbst konzipiert und zeigt in ungewohnter Manier nicht nur Einzeldarstellungen, sondern und vor allem die Ausstellungsräume, in denen die Fotografien einmal hingen – zum Großteil von Tillmans selbst dokumentiert, um, wie er sagt, »zu versuchen, diese vergänglichen Situationen abzubilden und festzuhalten«.

»Das Buch gibt keine chronologische Darstellung meiner Ausstellungen bis heute, sondern zeigt vielmehr, wie die Werke physisch in der Welt existieren und wie sie in unterschiedlichen Räumen zum Leben erweckt werden«. Wichtig ist dem Künstler also, wie das einzelne Bild im Raum wirkt und welche Assoziationen es im Zusammenspiel mit anderen auslöst. Aus diesem Grund ändert er nicht nur die Kombination der Fotos untereinander, sondern berücksichtigt auch die Raumsituation jedes einzelnen Werkes. Deshalb ist es für ihn nur konsequent, die Hängung der Bilder in seine Ausstellungen wie in Berlin selbst zu übernehmen. Dem Katalog haben wir es zu verdanken, dass wir noch im Nachhinein an diesem Entscheidungs- und Gedankenprozess des Künstlers teilnehmen können.

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Ergänzt werden die Abbildungen durch drei Aufsätze: »Und das kam zu einer Zeit …« von Daniel Birnbaum, »Das Thema lautet Ausstellen (2008), Installation als Möglichkeit in der Praxis von Wolfgang Tillmans« von Julie Ault und »Labyrinth der Wahrheiten« von Joachim Jäger. Letzterer ist Kustos des Hamburger Bahnhofs Berlin, Daniel Birnbaum Rektor der Städelschule Frankfurt und erst kürzlich zum neuen Leiter der Biennale Venedig 2009 gewählt worden, Julie Ault ist eine geschätzte Künstlerin, Kuratorin, Autorin und zugleich Mitbegründerin der Group Material, New York. Man gibt sich also Mühe mit Tillmans, weiß um seine Qualitäten und widmet ihm anerkennende Essays.

Joachim Jäger analysiert die kritische Installation »Truth Study Center«, die in 37 Tischvitrinen Bilder, Zitate, Zeitungsausschnitte und eigene Texte kombinieren. Er beschreibt sie als ein »Rechercheprojekt« und »Antwort auf die zunehmende Radikalisierung und Dogmatisierung der Gesellschaft, wie sie in Medien und Politik fassbar geworden ist«. Tillmans selbst gibt in dem 2007 erschienenen Gespräch mit Hans Ulrich Obrist (Conversation Series) an, mit dem »Center« die angeblichen politischen und religiösen Wahrheiten in Frage stellen zu wollen, die sich rund um den Irakkrieg, die Holocaustleugnungen im Nahen Osten, den 11. September 2001 und die Äußerungen der Kirche, namentlich Kardinal Meissners und des Papstes, ranken. Dabei spielt die Frage des Glaubens und der Religion eine besondere Rolle: »[…] Und solange eine Religion so wenig bescheiden ist und annimmt, dass sie in irgendeiner Form näher an Gott oder an der Wahrheit ist als Angehörige anderer Religionen und ein Nichtgläubiger, kann das keine Friedensreligion sein.« Man spürt die intensive Auseinandersetzung mit dem Thema. Dabei bleibt die Installation betont offen und vermeidet »eine Art Generalanklage«, so Jäger. »Die Zusammenstellungen auf den Tischen bleiben offen für eigene Deutungen.« Auch sieht Jäger in der Präsentation des Materials in langen neutralen Vitrinentischen eine Anlehnung an Museen und Archive, die eine wissenschaftliche Haltung und gewisse Seriosität assoziieren.

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Julie Ault beschreibt die »wirkungsvolle, intime Atmosphäre von Vertrauen und Achtsamkeit«, die die Ausstellungsräume auszeichnet. Dies sind neue, absolut zutreffende Aspekte und es ist der Verdienst dieses Katalogs, dass er eben diese Aspekte herausarbeitet. Julie Aults Analyse der Ausstellungsformen im Tillmanschen Werk entdeckt in der unkonventionellen Art der Hängung außerdem Parallelen zu »Teenagerzimmern«, »Büroräumen mit Anschlagtafeln« und »Lager- und Kopierräumen« und zeigt damit den nicht unbedeutenden Einfluss alltäglicher Milieus auf das Werk Tillmans.

Die Essays gehen auf intelligente Weise den verschiedenen Strategien des Künstlers auf den Grund und geben ausreichend Anreiz, sich intensiver mit dem faszinierenden, umfangreichen Werk Wolfgang Tillmans zu beschäftigen.

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