Ausstellungsbesprechungen

Jeder Künstler ist ein Mensch! – Positionen des Selbstporträts, Staatliche Kunsthalle, Baden-Baden, verlängert bis 9. Januar 2011

Die im 15. Jahrhundert einsetzende Beschäftigung mit der Person und Rolle des Künstlers im Selbstportrait ist in der Kunstgeschichte untrennbar mit Namen wie Albrecht Dürer, Rembrandt van Rijn oder Max Beckmann verbunden. Mit Werken von der Pop Art bis in die späten 1980er Jahre wirft die Ausstellung einen Blick auf das Selbstportrait der Gegenwart. Günter Baumann hat sich die Schau angesehen.

Die Zeiten, als ein Maler wie Albrecht Dürer sich noch in Erlöserpose zeigen konnte und stolz sein Tun kommentierte, sind vorbei, oder besser gesagt: Wir sind darüber hinweg. Ob nun ein auf die Gegenwart übertragenes Selbstverständnis bzw. eine zeitgemäße Selbstbetrachtung gleich so aussehen muss wie bei Imi Knoebels »Selbstporträt mit Pappkarton« sei dahin gestellt, im Sinne des Wortes: Knoebel bringt in seiner Objektinstallation einen Holzschrank, einen Pappkarton und allerlei Fundstücke zusammen, Höhe je nach Aufbau (1983, 1984, 1987) etwa 2,6 Meter. Ein Menschenmaß sieht anders aus, und die Sperrmüllanmutung ist nicht gerade ein schmeichlerischer Blick auf die eigene Spezies. Aber dennoch ist diese Arbeit vielleicht nur die Extremposition der Ausstellung in Baden-Baden, die den aktuellen Positionen des Selbstporträts nachgeht – selbst in einer egomanischen Gesellschaft wie der unseren scheint das eigene, wirkliche Konterfei zweitrangig. Cindy Sherman multipliziert sich gleich in viele verschiedene Personen, Jeff Koons macht sich zur unnatürlichen Werbeikone, die hinter der Oberfläche gar nichts mehr aufzuweisen hat, Maria Lassnig erkundet sich hier als kubistisches Monster – ausgerechnet oder bezeichnenderweise schickt die Spezialistin für bildnerische Selbstdarstellung für die Ausstellung Bildnisse ins Rennen, die ihr Gesicht verweigern. Da mag auch Ironie im Spiel sein wie bei Franz West, der sein Alter ego in ein verspiegeltes Tischgestell schauen lässt und partout nur sich selbst sieht anstatt eines »Narziss«, den der Titel verspricht. Oder man reckt den Hals, um die monumentale Fotografie von Günther Förg zu betrachten, um festzustellen, dass der Kopf nicht mehr ins Format gepasst hat – jede Menge Mensch sozusagen, aber was macht letztlich das »Selbst« im Porträt aus?

In den vergangenen Jahren gab es etliche Ausstellungen zum Selbstporträt und großformatige Bildbände haben das Thema abgearbeitet, aber kaum eine Schau auf das eigene Bildnis war so frei, so frech und frisch wie diese in der Kunsthalle Baden-Baden. In Umkehrung an die so fragwürdige wie wünschenswerte Aussage von Joseph Beuys, jeder Mensch sei ein Künstler, tritt die Schau an, um zu zeigen, dass jeder Künstler eben auch Mensch sei. Es menschelt hier in allen Ecken. Da erscheint auch ein hinlänglich bekanntes Werk wie Martin Kippenbergers Gießharz-Metall-Schaumgummi-Stoff-Plastik (mit Zigaretten!) »Martin ab in die Ecke und schäm dich« aus dem Jahr 1989 in neuem Licht. Das heißt natürlich nicht, dass die Klassiker des Selbstporträts ausgeklammert worden wären, denn sowohl Valie Export als auch Gilbert & George sind mit dabei. Weitere Künstler(innen) sind: Bas Jan Ader, John Baldessari, Joseph Beuys, Werner Büttner, Andrea Fraser, Günter Förg, General Idea, Isa Genzken, Felix Gonzalez-Torres, Bruce Nauman, Albert Oehlen, Blinky Palermo, Katharina Sieverding und Andy Warhol. Dieses knappe Who is Who ist unter dem Vorzeichen des Selbstporträts schon fast ein Dream team, das man sich nicht entgehen lassen darf. Freilich, es würden einem weitere Künstlernamen einfallen, aber die Ausstellungsmacher haben das Thema mit ihrem offenen Umgang so um- und abgerundet, dass man nicht wirklich jemanden vermisst.

Glücklicherweise wurde die Ausstellung wegen des Zuspruchs eben verlängert.

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