Buchrezensionen

Jenny Condie: Die Gärten Venedigs und des Veneto, DVA 2013

Lange Nächte, verregnete und verschneite Tage - im Winter träumen wir vom Sommer mit seinen langen Sonnentagen und üppig blühenden und grünenden Gärten. Also genau die richtige Zeit, sich in Gartenlektüre zu vertiefen und ein wenig zu träumen. Walter Kayser hat das getan und sich von Jenny Condies Buch nach Venedig und Umgebung entführen lassen.

Wasser, Licht und Marmor. Fassaden, die wie zwischen Himmel und spiegelnde See gehängt scheinen – das ist Venedig. Tauben, verwitterndes Ziegel- und gotisches Maßwerk, schiefbauchige Gondeln, die wie Särge in trüber Brühe dahin treiben. Aber Grün, lebendiges Grün? Kaum ein Besucher verbindet mit der Lagunenstadt, die wie ein schwimmendes Seeräubernest sich seit den Tagen des Attila entwickelte, so etwas wie Bäume, Rasenflächen und Rabatten. Natürlich, die Giardini- aber wann, wenn nicht gerade Biennale ist, kommt man mal dahin?

Dennoch, oder besser gesagt: Gerade weil Venedig der Inbegriff der steinernen Exklave ist, eine potenzierte Abgegrenztheit unter all den Fremdkörpern, die Städte in der mittelalterlichen Feudalgesellschaft generell darstellten, eine Insel im Unbewohnbaren, gerade deshalb verlangt diese Stadt nach dem Garten als Gegenpol. Denn jeder Garten ist das abgegrenzte Idyll hinter Mauern und Zäunen. Das kleine Paradies, welches jedem Garten als Urbild innewohnt, lebt davon, eine gezähmte Natur zu sein, welche der Wildnis trotzt. Jeder »locus amoenus« ist dies nur innerhalb der feindlichen Natur. Das Wort »Garten« kommt von »gard«, welches als gotischer Stamm so viel bezeichnet wie das sorgfältig und liebevoll »Gehegte«, also das »das (mit Gerten) umzäunte Gelände«, während die von einem lebenden Zaun umstandenen Fläche im Wortfeld »Hag /Hecke« noch zu finden ist.

Für Venedig ist nichts so konstitutiv wie die Opposition von Land und Wasser, steinerner Urbanität und jedem Krümel Erde: hier die launenhaften Strömungen und bedrohlichen Unberechenbarkeiten der Gezeiten, dort der Lockruf der weiten »terraferma«. Menschliches Leben schien anfangs mitten im Meer ja nur auf Zeit möglich. Musste man doch jeden Quadratzentimeter Bodens mit in den Schlick gerammten Pfählen der See abgewinnen, jeden Tropfen Süßwassers in einem komplexen Regenwasserauffangsystem sammeln und filtern. Spätestens im 15. Jahrhunderts war das Verlassen der engen Stadt zum Programm der reichen Familien der Seerepublik geworden. Die villa rustica entsprach der altrömischen Tradition. Und das fruchtbare Schwemmland zwischen Etsch, Agna, Brenta und Piave und der adriatischen Küste wurde zum Gegenentwurf eines Handelsimperiums, welches sich als Braut des Meeres verstand.

Die Zahl der »ville venete«, die man im Laufe der Zeit als ausgesiedelte Landhäuser errichtete, wird auf 4000 geschätzt. Sie alle hatten Gärten. Aber die meisten lagen nicht im heutigen Stadtgebiet, auch wenn die historischen Quellen sie immer noch auf der Giudecca (der weitläufige Garten des Franziskanerklosters »Redentore«) nachweisen können.

Der Aufbau des Buches folgt dem Zug seiner aristokratischen Besitzer vom Wasser aufs Land. Zunächst werden die herausragenden Gärten des inneren Stadtgebiets vorgestellt: Da ist das mit Rosenblüten überbordende Carré des Palazzo Capello Malipiero Barnabò, welches jeder Tourist kennt, der jemals mit der berühmten Linea uno den Canale Grande hochgefahren ist. Oder der kleine, mutig umgestaltete Garten der Fondazione Querini Stampala, der zwischen 1961 und 1963 den Raum des portego, des traditionellen Durchgangssalons zwischen der Kanalseite und der Landseite verbindet: kompromisslos, klein, klar, kruder Waschbeton.

Im nächsten Kapitel dann folgt die Betrachtung dem Brenta-Kanal, der im 16. Jahrhundert als Verlängerung des Canal Grande angelegt wurde, in Richtung Padua. Ungeheuer groß mit 30 Hektar und großzügig ist die Villa Pisani, ganz aus dem Geist des 18. Jahrhunderts gestaltet. Die Lieblichkeit der Euganeischen Hügel lässt an die Losung des Horaz denken »Beatus, qui procul negotiis!« (Glücklich, wer fern von den Geschäften!). Sie wurde zum Lockruf der Saturierten in der Renaissance. Ein frühes Beispiel stellte der Frühhumanist Petrarca dar, der sich aus dem Schmutz und Krach der Stadt zu seinen Büchern und Freunden in die Einsamkeit zurückzog. Bis über Vicenza hinaus und bis an den Alpenrand legte man die neuen repräsentativen Gebäude an. Häufig war es ein ganz neuer wegweisender Bautyp, wie man etwa beispielhaft an der Palladio-Villa Emo in Rivella sehen kann. Die neue Landbesitzerschicht hatte dabei ganz profane Bedürfnisse. Als schlaue Geschäftsleute wollten sie »über dem Laden« schlafen, auf jeden Fall leicht erhöht im Zentrum ihres Besitzes, mit Panoramablick über das gesamte Anwesen. Eine weitere Kernregion dieser »case de villa« liegt in und um Verona herum; etwas abseits schließlich und einzigartig Palladios Villa Barbaro bei Maser im Treviso-Gebiet.

Allein die Texte Jenny Condies würden das Buch schon lohnenswert machen: Kein beliebiger Verschnitt von Fakten, keine Reiseveranstalteranpreisungen, blumig und beliebig garniert, sondern ein Stil, der mit Herzblut garniert wurde. Nicht von ungefähr ist Condie mit ihrer Familie vor einem Jahrzehnt selbst nach Venedig gezogen. Die Art, wie sie eingangs von dem Bouquet der charakteristischen Düfte erzählt, mit dem sich unmerklich der Winter mit seinem Muff nach Brackwasser und Gullys verabschiedet, allmählich mit ersten Blüten mischt und in Düfte aus Wollmispel, dem Mandelgeruch von Clematis armandii verwandelt, bis es mit der betörenden Süße der Glyzinien und Zitronenblüten das Frühjahr ankündigt - das ist meisterhaft, wie ein Prosagedicht. So kann man nur schreiben, wenn man zu den Insidern (oder darf man sagen: Eingeweihten) gehört.

Eine Binsenweisheit, die sich beim Lesen immer wieder bestätigt: Die Geschichte jedes Gartens und jedes Landguts ist anders. Da gibt es nicht die einheitliche Konvention, über deren konversatorische Unveränderlichkeit ein Denkmalamt wacht. Häufig haben die Konzeptionen der Gärten, die heute noch in Privatbesitz (aber gleichwohl allesamt zugänglich sind), erst im 19. Jahrhundert oder später ihre besondere Prägung erfahren. Die Verfasserin ist diesen unterschiedlichen Lebensläufen offensichtlich auch in zahlreichen Gesprächen und literarischen Studien nachgegangen.

Wunderbar sind auch die Fotografien von Alex Ramsay. Er ist ein bewährter Teampartner von Gartenbüchern in der Deutschen Verlags-Anstalt und kann mehr, als gemeinhin auf Kalenderblättern oder in Gartenillustrierten zu sehen ist. In allen Bildern beweist er ein Gespür für die sorgfältige Komposition und Farbzusammenstellung. Die Jahreszeit des frühen Hochsommers, in welcher fast alle Aufnahmen gemacht sind, zeigt nicht nur den Bewuchs im besten Licht. Natürlich haben auch diese Hochglanzfotos die Tendenz alles das auszublenden, was nicht ins Bild passt: die auswuchernden Wohngebiete, die hässlichen Ebenen mit den endlosen Industriezonen, wo seinerzeit Kanäle mit Anlegeplätzen für die Barken waren. Auch wäre es wünschenswert, auf Plänen sich die genaue Lage, Anlage und Erstreckung der Gärten ansehen zu können.

Aber ist nicht jeder Garten ein Traum, der vieles ausblendet? Am Ende von Voltaires berühmtem »Candide«, in dem sich die Welt als ein grausames Schlachthaus, voller Wahnsinn, Mord und Ungerechtigkeit gezeigt hat, steht die keineswegs spießige Weisheit, dass in Ruhe »den Garten zu bestellen« das Einzige sei, was sinnvoll zu tun bleibe.

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