Buchrezensionen

Jens Harder: Gilgamesch, Carlsen 2017

Das älteste Epos der Welt ist wohl nicht zwingend jedermanns Lieblingsliteratur. Nun aber könnten auch Muffel auf ihre Kosten kommen, wenn Jens Harder das Gilgamesch-Epos als Graphic Novel adaptiert. Stefanie Handke hat es gelesen und angeschaut.

 So manchem dürften noch »Alpha… directions« und »Beta… civilisations«, Jens Harders Blick in die Kulturgeschichte des Menschen, ein Begriff sein, dessen weitere zwei Teile noch ausstehen. Während er also nach wie vor an seiner Kulturgeschichte der Menschheit arbeitet – der dritte Teil soll 2021 erscheinen –, legt er nun ein kleines Schmankerl für die Liebhaber alter – wirklich alter – Stoffe und natürlich für alle Neugierigen vor. Denn freilich hat er sich auch mit dem ältesten Epos der Welt beschäftigt, dem Gilgamesch Epos, und daraus einen Comic gemacht.

Die Geschichte ist nicht neu, aber sie sei in der adaptierten Fassung noch einmal kurz umrissen: Gilgamesch, der König Uruks, ist ein echter Despot und so beschließen die Götter ihm einen Gegenpart und zugleich Freund zur Seite zu stellen: Sie erschaffen Enkidu. Der gelangt nach seinem Beginn als Wilder Mann unter Begleitung einer Schamkat, einer Hure, nach Uruk, wo er mit Gilgamesch ringt. Die beiden sind ebenbürtig und so schließen sie Freundschaft. Gemeinsam ziehen sie zunächst gegen das den Hüter des Zedernwalds Chumbawa, ein mächtiges riesenhaftes Wesen, das sie jedoch besiegen. Nachdem Gilgamesch die in Liebe entflammte Ischtar verhöhnt, wütet der Himmelsstier vor den Toren Uruks – auch er wird besiegt. Das sorgt nicht für Beliebtheit bei den Göttern: sie beschließen Enkidus Tod, der in der Folge krank wird. Sein Todeskampf dauert zwölf Tage und ist an Dramatik schwer zu überbieten. Sein Tod aber stürzt den König von Uruk in eine Krise und dieser begibt sich auf Wanderschaft, um den unsterblichen Utnapischtim zu suchen, damit ihm nicht das gleiche Schicksal wie seinem Freund zuteil wird. Auf dem Weg erlebt er weitere Abenteuer und muss Prüfungen seines Mutes und seiner Kraft bestehen bis er schließlich zu dem Unsterblichen gelangt, der ihm die Geschichte der Flut erzählt und danach verlangt, dass der König zunächst den kleinen Bruder des Todes, den Schlaf besiegen möge. Trotzdem dieser scheitert enthüllt Utnapischtim ihm den Standport der Pflanze der ewigen Jugend, die er erobert – und an eine Schlange verliert.

Diese älteste aller Heldengeschichte war lange Zeit verschollen ehe die ersten Tafeln mit Fragmenten Mitte des 19. Jahrhunderts entdeckt wurden. Erst 1872 aber übersetzte George Smith sie als erster und entdeckte die Ähnlichkeiten der Geschichte zum biblischen Buch Genesis. Bis heute wurden über 100 Textfragmente gefunden, die zusammen das Epos ergeben und unsere Vorstellung des geheimnisvollen Mesopotamien der Frühzeit wohl ebenso geprägt haben wie die babylonischen Kunstwerke. Bei Harder nun wird sie zur Bildergeschichte voller faszinierender Figuren und Wesen.

Er zeichnet sich in diesem kleinen »Nebenstrang« seiner Kulturgeschichte erneut als Zeichner und Erzähler mit viel Sinn für die Einheit von Bild und Erzählung aus. Ihm gelingt eine Bildsprache, die stets an die Reliefs des alten Mesopotamien erinnern – man gewinnt den Eindruck, dass die Bilder sich durchaus auch so auf einem Steinrelief der uralten Kultur finden könnte. Mit der Entscheidung für einen Beigeton hat man also beste Uruk-Optik vor sich. Zugleich aber bleibt Harder dem modernen Comic stets verhaftet, »zoomt« in das Geschehen hinein, arbeitet freilich mit Panels, usf., sodass dem modernen Comicfan die Freude natürlich nicht abhanden kommt. Der Text hingegen ist der überlieferte, zuammengestellt aus drei deutschen Übersetzungen. Die älteste Weltliteratur also mit stimmungsvollen und perfekt passenden Bildern. Dieses Buch kann Freunden antiker Texte nur Freude machen!

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