Ausstellungsbesprechungen

Johannes Grützke - Die Retrospektive, Germanisches Nationalmuseum Nürnberg, bis 1. April 2012

Kaum ein deutscher Künstler hat ein vielfältigeres Œuvre geschafften als der Berliner Maler, Schauspieler, Autor und Musikgaukler Johannes Grützke. Voller grenzüberschreitender Kreativität steckt auch die Retrospektive in Nürnberg. Günter Baumann hat es sich angeschaut.

Trotz der Fülle an Politikerporträts und nahezu barocken Frauenakten von rubensschem Zuschnitt bleibt im Werk von Johannes Grützke die Männerclique im Gedächtnis – mal bündisch verschworen (im chiffrierten Umraum), mal fies hintergründig (angesichts etwa eines Frauenkörpers). Zudem stellt sich ein faszinierendes Unbehagen ein, wenn sich die dargestellten Herren als multiple Einzelfiguren entpuppen, die mal betont und mal unbestimmt an Selbstporträts des Malers erinnern. Das darf man jedoch kaum persönlich nehmen, denn allzu schelmisch grinst einen der tatsächliche Urheber auf normalen Fotoporträts an. Hier spielt jemand mit der Realität, der die Klaviatur der verschiedensten Wahrnehmungsebenen beherrscht wie kaum ein anderer.

Grützkes Stil ist so unverwechselbar, dass man ihn noch schlafwandlerisch zuordnen könnte. Doch nie entlässt er diesen Stil in eintöniger Weise auf die Leinwand – seit über 40 Jahren wird man nicht müde, seine unheldisch und eventversessen in Szene gesetzten Protagonisten anzuschauen, zu bestaunen, als würden sie uns etwas Geheimnisvolles mitteilen. Natürlich wissen wir genau, dass sie uns nichts zu sagen haben oder sagen wollen, vielmehr machen sie – hämisch feixend – deutlich: ›Du glaubst doch nicht wirklich, dass wir echt sind?‹ Zu sagen haben also nicht die Figuren etwas, sondern deren Darstellung, die die (Männer-)Gesellschaft als Haufen überemotionalisierter und sich selbst überschätzender Akteure entlarvt.

Doch lässt der Künstler nicht allein seine Kunst-Grützkes über das Ewig- oder auch sich temporär gymnastisch abarbeitende Weibliche nachdenken, womit er sich einst der »Schule der Neuen Prächtigkeit« empfahl. Johannes Grützke ist nicht nur ein Maler, der außerdem markante Porträts zwischen Karikatur und Charakterkopf erstellt: viele ältere Herren wie Ernst Jandl, Martin Walser und Richard von Weizsäcker. Hinreißend erfrischend dagegen das »Bildnis Prinzessin Hohenlohe«, und kaum ernst zu nehmen die Grins-Quadriga der »Spitzenkandidaten« (Künast, Westerwelle, Merkel, Steinmeier). Er ist ebenso Buch-, Plakat- und Bühnenkünstler wie Autor und Schauspieler, nicht zuletzt Musiker.

Verschweigen darf man auch nicht die Arbeiten im öffentlichen Raum wie etwa an das Revolutionsbild zu Friedrich Hecker am Konstanzer Stephansplatz oder die Ausgestaltung der Wandelhalle der Paulskirche (»Der Zug der Volksvertreter« – in Nürnberg durch eine Linolschnitt-Serie vertreten), jenem Gegenstück des berühmten Bad Frankenhausener Panoramabildes von Werner Tübke. Als figurativer und obendrein realistischer Künstler war Grützke lange der Kritik ausgesetzt, an der er wacker vorbeimalte, bis Uwe M. Schneede ihn als einen, »nein: den Maler des integralen Realismus« entdeckte, der in den Fußstapfen von Courbet und Menzel den weiteren Weg vom 19. ins 20. Jahrhundert spurte.

Dass ausgerechnet das Germanische Nationalmuseum in Nürnberg ihm 2011/12 eine Retrospektive widmet, ist Ausdruck der gewandelten Wahrnehmung der künstlerisch interpretierten Wirklichkeit. Diese nahm im Anschluss an die Pop Art in den 1970er Jahren Gestalt an und ist spätestens mit der jüngsten Leipziger Schule in unserer Gegenwart angekommen und hat die Oberhand gewonnen. Wesentliche Stücke der Ausstellung, insbesondere Arbeiten außerhalb des bekannten malerischen Werks, steuerte das Deutsche Kunstarchiv bei, das zum Nationalmuseum gehört, und dem Grützke einen Teil seines Vorlasses vermachte. Man sagt dem Maler das launige Bonmot nach: »Ich bin ein Klassiker. Ich stehe wie ein Denkmal auf dem Podest und warte nur auf den Avantgardisten, der mich von dort hinunterwirft.« Heute können wir getrost den Gedanken weiterspinnen: »Als die Zeit reif war, erhob er sich, bestieg unter Beifall erneut das Podest und wurde – ohne dies nun von sich zu behaupten – als Neuklassiker und Postgardist gefeiert.« Johannes Grützke ist ein brillanter, vielleicht einer der ganz wenigen zeitgenössischen Historienmaler von inzwischen internationalem Ruf, der seine politische Botschaft unterdrückt – und sich gerade dadurch als engagierter Beobachter der deutschen Geschichte erweist.

Die Nürnberger Schau widmet sich thematisch dem Atelier (mit Grafiken anderer Künstler in Grützkes Besitz, darunter Ludwig Meidner, Max Klinger u.a.), dem Künstler und Allegoriker, dem Männer- und Frauenbildner, dem malenden Erzähler, dem Theatermann, dem Selbstdarsteller und »Erlebnisgeiger« sowie dem Bildnismaler. Johannes Grützke ist heute mehr denn je ein Volksmaler im besten Sinne, und er ist nach eigenem Ermessen ein hochgradig ironischer »Surrealist, Manierist, Idealist oder Naturalist«. In der Tat wird man in seinem Werk alles finden, an einem Etikett lässt er sich jedoch an keiner Stelle festmachen.

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