Die Schweizer leben bekanntlich auf einer Insel der Seligen. Seit gut 500 Jahren kein Krieg – das soll erst einmal ein anderer Staat nachmachen! Und dennoch, an die Kriege davor, als sich die Eidgenossen von den Schwaben als »Kuhschweizer« beschimpfen lassen mussten und ihnen daraufhin Basel und Schaffhausen abspenstig machten, erinnern sie sich gern.
Und an 1476. »…In Grandson das Gut, in Murten den Mut, in Nancy das Blut« – ein Verslein, das bis heute jeder brave Schulbub fleißig auswendig zu lernen hat. Gemeint sind die drei Schlachten bei Grandson (2. März 1476), Murten ( 22. Juni 1476) und Nancy (5. Januar 1477), mit denen das Schicksal Karls des Kühnen tragisch besiegelt ward. Er starb, selten genug, als Herrscher auf dem Schlachtfeld, wurde nicht sogleich gefunden, da seiner kostbaren Kleider beraubt, lag mit dem Gesicht in einem zugefrorenen Teich, wurde von Wölfen angefressen und erst Tage später (wie Rilke es in seinem »Malte« eindringlich erzählt) von seinem Hofnarren identifiziert.
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Der Doppeltriumph von Grandson und Murten war so etwas wie die Geburtstunde des eidgenössischen Nationalgefühls, sicher aber der Beginn ihrer Geschichtsschreibung und des europaweiten Mythos von den schier unbesiegbaren Schweizer Reisläufern. Die Wendigkeit der ansonsten recht plumpen, vor allem mit Langspießen ausgerüsteten Fußtruppen hatte der hochgerüstete Karl hoffnungslos unterschätzt. So fiel den Eidgenossen eine Kriegsbeute in die Hände, die in der Weltgeschichte ihresgleichen sucht. – Was fasziniert aber heute, zu Beginn des 21. Jahrhunderts, an einem Mann, den erst das 19. Jahrhundert mit dem Namen »der Kühne« versah? Bei den Franzosen hieß er »Charles le Travaillant«. Ebenso gut könnte man ihn Karl »den Perfektionisten«, »den Grausamen«, zumindest »den Tolldreisten« oder, ganz zeitgemäß, »den Bürokraten« oder »Workaholic« nennen. – Vermutlich ist es seine Widersprüchlichkeit, seine moderne Unrast, sein Versuch, wie heute in der EG, aus einem heterogenem Konglomerat von unterschiedlichen Gebieten eine multikulturelle Einheit zusammenzubringen, der uns heute fasziniert.
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Die auf den Tapisserien mit Vorliebe abgebildeten Szenen aus dem Leben solch heroischer Leitfiguren wie Alexander des Gr. oder Caesar (in hochmodischen zeitgenössischen Gewändern) hatten vor allem eine ganz und gar politische Funktion: Sie waren sichtbares Indiz eines Herrscherwillens, der sich mit Preziositäten, in einem aufwendigen Hofzeremoniell, einer »Choreographie der Macht« (53) und nicht zuletzt einer zentralisierten und differenzierten Verwaltung zu legitimieren versuchte. Mehr als für jeden anderen mittelalterlichen Herrscher lautete Karls Devise: herrschen heißt auftreten, mit Prunk prangen, um sich herum eine Aura der Magnifizenz aufbauen, welche Machtansprüche sinnlich wirkungsvoll inszeniert.
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Das Besondere an dieser Ausstellung und dem großartigen Katalog liegt darin, dass das, was kunstgeschichtlich allzu häufig separat betrachtet wird, hier als Ausschnitt einer kulturgeschichtlichen Einheit verstanden werden kann. Mit anderen Worten: die van-der Paele-Madonna Jan van Eycks oder Memlings Moreel-Triptychon bedürften keines neuerlichen Hinweises; eine Entdeckung dagegen ist der übergreifende Zusammenhang, diese enge Verzahnung prunkvollster Goldschmiedearbeit, von Tapisserien, Stundenbüchern, Kleidung, Rüstungen, Geschirr und Tafelmalerei in einem kommunikativen System aus Gesten und Gegenständen, Riten und Reichtümern. Unsere Fokussierung auf die große altniederländische Tafelmalerei wird als beschränkt und zeitbedingt entlarvt. Malerei war als Medium der Repräsentation noch zu neu und nicht teuer genug im Vergleich zur textilen »Nadelmalerei und Lasurstickerei« (194). 40 Museen konnten als Leihgeber gewonnen werden, um uns dies bewusst zu machen und den historischen Kontext zu restituieren.
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Bei aller normativen Kraft, die von einem überindividuellen dynastischen Interesse zeugt, zeigt uns das bekannte Berliner Portrait Karls des Kühnen von Rogier van der Weyden (in Bern nicht zu sehen) mit erstaunlich reduzierten Mitteln einen ganz in vornehmem dunkelvioletten Samt gekleideten Machthaber von zurückhaltender Noblesse, eleganter Nüchternheit und strenger Würde. Seine Augen schauen ernst, ja melancholisch in die Weite, der Mund aber ebenso wie der Schwertknauf deuten etwas Entschiedenes, Entschlossenes und Tapferkeit an. Blickfang in der Mitte des Gemäldes ist der Orden vom Goldenen Vlies, den sein Vater Philipp der Gute am 10. Januar 1430 in Brügge gegründet hatte und der bis zum heutigen Tage so etwas wie der exklusivste Club Europas ist. Philipp hatte seinen legitimen Sohn und Nachfolger als zwanzigtägiges Baby zum Ritter geweiht. Für den ab 1467 als Ordensmeister seinen Vater beerbenden Karl war der Orden dann einerseits Kriegsrat, zugleich aber auch interner Zirkel, ein diskretes Beratergremium, in dem offen Kritik geäußert werden konnte, mit dem er aber auch die Spitzen des Adels an sich binden konnte. Hier wurden diplomatische Aktionen abgesprochen, soweit nicht auf »Kriege statt Diplomatie« (317ff.) gesetzt wurde.
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So tut sich auch beim Durchblättern des Katalogs ein wachsender Widerspruch auf zwischen dem letztlich hochgespannten Ambitionen, den grausamen und glücklosen Kriegsereignissen eines ruhelos drängenden Herzogs und den Ausdrucksformen seiner transportablen Hofkunst, die in vielem den überfeinerten, melancholischen Geist atmet, der dem »Herbst des Mittelalters« (Huizinga) zu eigen ist. Ausgesprochen erhellend ist es deshalb, dass der historische Bogen weit gespannt wird: von der Hofkultur des früh attackierten Vaters, Philipps des Guten, bis hin zu der Nachgeschichte der Erben, der Kontinente überspannenden Größe des Habsburgerreichs unter Karl V. Die eigentliche Regierungszeit Karls des Kühnen war darin nur von kurzer, aber entscheidender Dauer (1467–1477).
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http://www.karlderkuehne.org/
Historisches Museum Bern:
Öffnungszeiten
Dienstag bis Freitag 10–20 Uhr
Samstag/Sonntag 10–17 Uhr
Groeningemuseum:
Öffnungszeiten
täglich 9.30-17 Uhr
montags geschlossen