Ausstellungsbesprechungen

Karl Hartung, Figur im Wandel

»Es war nicht leicht, meinen Lehrer Karl Hartung von meiner Fixierung aufs Gegenständliche zu überzeugen, obgleich sein oft wiederholter Lehrsatz ›Natur, und doch bewusst!‹ bei mir Gehör fand.« So manchen wird es wundern, wenn er in Günter Grass’ »Vorzügen der Windhühner« (1991) blättert, doch der bedeutendste gegenwärtige Autor Deutschlands und Literaturpreisträger macht hier keinen Exkurs in die Fiktion:

Tatsächlich studierte Grass bei Hartung Bildhauerei – nebenbei ist der Literat auch ein grandioser Grafiker und sehr ordentlicher Aquarellist. Es dürfte kaum einen lebenden Kreativen geben, dessen Mehrfachbegabungen derart entwickelt sind. Doch dürfte der Romancier, Lyriker und Dramatiker seinen mächtigen Schatten längst über den bildenden Künstler ausgebreitet haben – und so führt selten ein Weg vom Meisterschüler Grass zurück zu seinem Lehrer Karl Hartung.

 

Wer war dieser Karl Hartung, für den das Schloss Gottorf in Schleswig-Holstein eine Retrospektiv-Ausstellung entwickelt und auf den Weg einer Wanderausstellung geschickt hat? Nun macht sich das Edwin Scharff Museum in Neu-Ulm an die Beantwortung der Frage. Mit rund 70 Plastiken und Zeichnungen wird eine wichtige Künstlerpersönlichkeit und einer der Wegbereiter abstrakter Kunst gezeigt, der freilich die Verbindungen zum Gegenständlichen nie abgebrochen hat. Bemerkenswerterweise führte der Sohn eines Tischlers und gelernte Steinmetz Hartung (1908–1967) seine formale Reduktion bereits vor 1945 durch. Allerdings gab es die Initialzündung nicht in Deutschland, sondern in Paris – Verwandtes entdeckte der junge Künstler bei Arp, Brancusi, Laurens (ihm vor allen anderen), Maillol und Moore.

 

Nach 1945 konnte Hartung mit dieser Vorprägung nicht nur an die europäische Kunst anschließen, sondern er feilte auch unermüdlich an seinem eigenen Stil, der sich besonders in der Oberflächenbehandlung zeigte: die glatte Form wich einer schroff-schrundigen Escheinung, die in der Monumentalität einen mahnenden Zug einnahm. Im Zentrum seines Schaffens stand fortan das schöpferische Prinzip, dem der Künstler im harmonischen Ausgleich zwischen abstraktem und gegenständlichem Ausdruck folgte nach dem Motto »Natur, und doch bewusst«: die kreatürlichen Urkräfte sollten immer am Verstandesdenken gekoppelt bleiben. 1951 übernimmt der Bildhauer eine Professur in Berlin, wird zur ersten dokumenta nach Kassel und 1958 zur Biennale nach Venedig eingeladen – im selben Jahr entwirft er eine Plastik zur Brüsseler Weltausstellung.


Neu-Ulm führt mit Karl Hartung eine Linie fort, die mit Ausstellungen des Werks von Bernhard Heiliger und Ewald Mataré bereits zwei Höhepunkte hatte. Neben den 40 Arbeiten, die bereits im hohen Norden der Republik zu sehen waren, konnte die Neu-Ulmer Museumschefin Helga Gutbrod noch 30 Werke aus Privatbesitz für die Schau gewinnen, die bisher noch nicht öffentlich gezeigt wurden.

 

 

 

Öffnungszeiten

Dienstag – Freitag 13–17 Uhr

Donnerstag 13–19 Uhr

Sonntag 10–18 Uhr

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