Ausstellungsbesprechungen

Karl-Heinz Bogner. Zeichnungen und Objekte

Gemeinhin treffen sich in den Architektenkammern die Herren und seltener – deshalb die umgedrehte Reihenfolge – die Damen der Zunft. Dass sich die Kammer, wie hier unter dem Dach des Stuttgarter Hauses der Architektur, den freien Künsten öffnet, ist ein glücklicher Umstand, den es zu bewahren gilt. Leider steht seit einiger Zeit die Debatte im Raum, ob das Stuttgarter Haus auch weiterhin Kunst innerhalb seiner Mauern zeigen wird.

In Anbetracht der nun eröffneten Ausstellung mit Werken Karl-Heinz Bogners (geb. 1966) wäre dieser Schritt sehr bedauerlich, lässt sich der studierte Architekt und seit 1995 freie Künstler in seinen Arbeiten doch spürbar mit der Architektur ein.

Es ist verwunderlich, dass die bildenden Künste im engeren Sinn – die Malerei und die Plastik – erst verhältnismäßig spät in ihrer Beziehung zur Architektur untersucht worden sind, obwohl die Verknüpfungspunkte offen zutage liegen. Vielleicht liegt das ja gerade daran. Wie auch immer – spätestens mit der erst vor kurzem eröffneten Baseler Ausstellung zur sogenannten ARCHISKULPTUR sind nun die Verbindungslinien enger geschnürt. Dessen beide Enden sind sogar von zwei respektablen Gewährsmännern markiert – einerseits behauptete der geniale Bildhauer Constantin Brancusi: »Wirkliche Architektur ist Skulptur«; für die andere Position lasse ich den renommierten Architekten Hans Hollein zu Wort kommen, der sagt: »Der Mensch schafft Raum – tektonischen und nichttektonischen ... Alles ist Architektur«.

 

Es geht hier aber auch darum, darüber hinaus das erfahrbar zu machen, was sich im Werk Karl-Heinz Bogners von der architekturbezogenen Skizze, einem Entwurf oder Modell gar nachdrücklich unterscheidet. Letztlich lässt sich der Gedanke einer gegenseitigen Lesbarkeit, die Architektur skulptural aufzufassen bzw. die Plastik und sogar die zweidimensionalen Gattungen architektonisch zu begreifen, rein spielerisch entwickeln. Doch eines bleibt unverrückbar, wenn man von zweckfreien bzw. ihrer Funktion enthobenen Bauten einmal absieht: Die technischen, funktionalen, ortsbezogenen, wirtschaftlichen und sozialen Aspekte haben für die Architektur eine ungleich höhere Relevanz als für die freien Künste. Und auch dies steht fest: Der Reiz des »interesselosen Wohlgefallens« wie der Stimmungen und sinnlichen Begegnung trifft eher die Malerei und die Plastik als die kosten- und nutzenorientierte Architektur. Etwas salopp kann man dem Züricher Professor für Kunst- und Architekturgeschichte Andreas Tönnesmann folgen, der anlässlich der erwähnten Basler Ausstellung meinte: »Skulptur und Architektur sind wie Nachbarn, die sich über den Gartenzaun hinweg mit Interesse beäugen.« Die weitere Nachbarschaft zur Zeichnung und Malerei sei dabei nicht vergessen.

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Für die transdisziplinäre Wahlverwandtschaft steht schon die Vita des Künstlers: Karl-Heinz Bogner, der als freischaffender Künstler arbeitet, ist diplomierter Architekt. Da liegt es natürlich nahe sich vor seinen Bildern zurückzulehnen und kennerhaft zu nicken – »ach ja, hier malt, zeichnet, gestaltet ein Baumeister«. Aber so einfach ist es nicht. Der innere Kern der Brücke-Maler kam aus der Architektur, was man den Werken überhaupt nicht anmerkt; auf jeden Fall ist die gattungsspezifische Beziehung nicht zwingend. Karl-Heinz Bogner verwendet den architektonischen Hintergrund als eine Art Negativmaske im besten Sinne. Die expressive Geste, die Bogner nicht fremd ist, steht sogar jeglichem architektonischen Planen eher entgegen. Es geht vielmehr um die kreative Lust an der Verwandlung von Körper, von Farbe in Raum; es geht um eine Poesie des Raumes im gattungsübergreifenden Sinne Antonio Gaudis oder um die Schaffung einer Architektur der Leere im freikünstlerischen Sinne Eduardo Chillidas. Bogner präsentiert keine Architektur mit anderen Mitteln. Er reagiert zeichnerisch, malerisch und skulptural auf architektonische Fragen. Seine theoretische Kompetenz macht sein Anliegen so klar und seine Kunst so begeisterungsfähig.

 

Ganz offensichtlich ist der Raum das vordringliche Thema Karl-Heinz Bogners, doch eröffnet er in seinen Bildwerken nicht einfach geometrisch verankerte Räumlichkeiten, sondern Gedankenräume. Wer in einen solchen verinnerlichten Bildraum eintreten will, findet sich schnell wieder in die Fläche zurückgewiesen, und doch wird er sich gebannt vom schwer durchdringbaren Strukturgeflecht festhalten lassen. Als Faszinosum erfährt man diesen sublimen Schwebezustand zwischen Eintauchenkönnen und Steckenbleiben, diesem Moment des Zögerns und Verharrens auf einer fiktiven Schwelle.

 

Dies ist vorerst festzuhalten, wenn man vom Raumbezug in Bogners Malerei und in seinem zeichnerischen Werk spricht: Der Maler markiert die Schwelle zwischen der Außenwelt, die er mit dem Betrachter teilt, und einer Innenwelt, die Bogner zwar freigibt, die er aber gleichwohl vage lässt – wenn er sich nicht sogar darin verbirgt. Tatsächlich interessiert ihn nicht der voyeuristische Blick ins konkrete Ich, sondern die formal-ästhetische Spannung, die zwischen dem potenziellen Einblick und dem verwehrten Eintritt entsteht. Der Künstler übernimmt dabei die Rolle des Türwächters, der Betrachter hat nur – oder immerhin – die Chance, sich der Schwelle gedanklich zu nähern. Dennoch sprechen die Bilder uns unmittelbar an.

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Wie schafft es Bogner, den Betrachter derart »bei der Stange« zu halten? Mit einem untrüglichen Gespür für Farbe und Form und einem hochsensiblen Bewusstsein für deren Zusammenspiel – das hier ganz gegenläufige Traditionen verschmelzen lässt. Bogners Umgang mit der kaum sichtbaren Farbe entspringt der lyrischen Spielart eines gestischen Expressionismus; in der Form bezieht der Künstler wichtige Anregungen aus dem Konstruktivismus – zumal in den jüngsten Arbeiten wird dies immer deutlicher. Der gestische Impuls in den Werken Karl-Heinz Bogners trifft auf ein sich selbst tragendes Kompositionsgerüst: Wir begegnen keiner lauten Malerei, keinem pastosen Pinselschlag, wie man ihn auf den ersten Blick erwartet. Tatsächlich ist die Spur der Linienkontur gänzlich unaufgeregt, und das bestimmende Schwarz legt sich wohldurchdacht über die Bildfläche. Wir werden Zeugen eines fein abgestimmten farblichen Klangkörpers.

 

In heutzutage schon irritierender Schönheit spiegelt sich die malerische Qualität, die bei aller Tendenz zur schwarzweißen Monochromie einmal Spuren von Rot zum Glimmen bringt, einmal zu einem eisigen Blau verführt, und nicht zuletzt im hintergründigen Gelb von halb warmer, halb kühler Tönung genau jene dritte Dimension erzeugt, gegen die sich das tiefe, aber ungründige Schwarz stellt.

 

Bogner gleicht aus, ohne in harmonische Spannungslosigkeit zu verfallen. Er hält sich beim Malen etliche Wege offen, legt sich nicht fest. Angelegt sind seine Bilder häufig mehrteilig, vorwiegend als Diptychen oder Triptychen. Was aber später wie ein vorweg gefügtes Ensemble aussieht, ist das Ergebnis einer kreativen Entwicklung: Die Einzelteile dreht Bogner während des Malens auch zuweilen gegeneinander, drängt dadurch die Laufrichtung der Farbe von ihrer vermeintlich zielgerichteten Bahn ab, oder er sabotiert bewusst die anfangs in Zeichnungen vorbereitete Komposition. Bogner tastet sich an sein Thema heran; sensibel versucht er den Moment auszuloten, sozusagen den »erhabenen Augenblick« zu fassen, in dem das Bild die größtmögliche Spannung hält. 

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Den Raum definiert Bogner nicht über die Perspektive – was freilich schon mit Cézanne endgültig aus der Mode kam. Als Parameter dienen ihm die vorwiegend schwarze Fläche und Linie, die er übereinanderlegt, die eine Körperhaftigkeit allenfalls andeuten, sich aber über abstrakte Assoziationen wie Horizontallinie oder Begrenzungsfläche zum konkret erfahrbaren Raum ausdehnen können. Die sparsam verwendeten Farben – Blau-, Rot- und Gelbtöne – oder auch nur der weiße Leerraum setzen dem als bedrohlich deutbaren Schwarz den befreienden Eindruck von Weite und Ferne entgegen. Über derartige Farb- bzw. Formkontraste legt sich die Idee von Landschaftsräumen. Darüber hinaus arbeitet Bogner mit raumgreifenden, scharfkantigen Grundformen oder mit vibrierenden Binnenzeichnungen, die das Schwarz ins Rätselhaft-Geheimnisvolle heben. Die Assoziationsbreite erweitert sich: Handelt es sich um archaische Kultstätten, urtümliche Behausungen, umgrenzte Gehege oder Gänge, labyrinthische Systeme?

 

Für die weitere Annäherung ist ein Blick auf die Linie hilfreich. Dabei wird auch deutlich, wie sehr Bogner auch in seinen Gemälden Zeichner bleibt – übrigens ein ganz vorzüglicher. Freihand-Linien von der Fragilität eine Cy-Twombley-Zeichnung treffen auf akkurat gezogene Linien, wie wir sie bei Vantongerloo oder anderen Vertretern konstruktiver Tendenzen kennen. Aus beiden Richtungen bezieht Bogner die Dynamik: Zeichnung stellt sich hier dar als Bewegung im Raum. Bogner geht der Frage nach, wie aus Licht und Dunkel – Leer- bzw. Farbflächen und Schwarz – Orte entstehen, und er findet sein konkretes Thema. Seine signifikante Raum-Chiffre ist die des Hochsitzes bzw. des »Schutzraums«, wie er es nennt: nicht die heimelige Stube, sondern der zusammengezimmerte Bau als Provisorium. Rückzugsraum – darauf legt der Künstler Wert. Und zwar ein Rückzugsraum, der nicht in erster Linie Geborgenheit vermittelt; es steckt in ihm gleichsam auch das Unbehauste, die Zwischenlösung. Hier treffen das Vertrauen in die Urhütte und die Unsicherheit des Vorläufigen, das Zur-Schau-Gestelltsein und der souveräne, versteckte Aus-Blick von oben zusammen.

 

Bogner übersetzt diesen architektonischen Raum in seine Bilder. Und er transformiert ihn auch in seine Plastiken, die gleichsam dreidimensionale Zeichnungen sind. Bogner reiht sich dabei ein in die Riege konzeptionell arbeitender Plastiker, für die er noch entdeckt werden muss. Ohne Übertreibung kann man seine Arbeiten in eine Generationenfolge mit denen des Amerikaners Donald Judd und denen des Beuys-Schülers Imi Knoebel stellen. Gemeinsam ist ihnen, dass sie Raum auch als Denkkonstruktion sichtbar machen. Man wird den Künstlern auch eher gerecht, wenn man ihre Arbeiten als Raumobjekte denn als Werke der Bildhauerei in der herkömmlichen Form bezeichnet.

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Der Schritt aus der Zweidimensionalität zur vollplastischen Gestalt, ja zur architekturbezogenen Plastik drängt sich auf und verwundert bei der akademischen Herkunft des Künstlers kaum; vielmehr überrascht die stetige Rückbindung an die Zeichnung und Malerei: Karl-Heinz Bogner betont deren Fortführung mit anderen, raumbezogenen Mitteln. Es lassen sich mehrere Werkgruppen erkennen: erstens mehrteilige, schwarz bemalte Objektarrangements sowie Gerüstobjekte, die stark an die zeichnerischen Elemente im Gemälde erinnern; zweitens Einzelobjekte, die Farbe, Körper und Linearität in Assonanzen bündeln und sich in den neuesten Arbeiten wieder betont an der Wand orientieren; drittens – und das gehört zu den jüngsten Tendenzen – sind die Plattformarbeiten zu nennen, die sich aus den wandbezogenen Quasi-Reliefs entwickelt und sich nun bühnenbildartig in Szene gesetzt haben oder imaginären Plätzen nachempfunden sind. Wichtig ist dem Maler und Architekten Bogner das Spiel mit der offenen und geschlossenen Form. Das Bauen an sich, als construction by doing, steht im Vordergrund dieser Objekte, die als Kleinplastiken ihren Entwurfscharakter nicht verbergen. Als Großplastiken wären sie durchaus im öffentlichen Raum vorstellbar, vergleichbar den Bauplastiken des Dänen Per Kirkeby. 

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Was den bognerischen Objekten ihre Plastizität sichert, ist nicht zuletzt die Integration als eine Art Sockelfigur: Stehen die Plattformtopographien auf kniehohen Metallgestellen, die der Betrachter kaum wahrnimmt, so lagern die wandbezogenen Arbeiten auf weißen Sockeln, die den dazu konträren, da schwarzen Werken eine Leichtigkeit vermitteln, ohne aufdringlich zu werden und ohne die Plastik allzu stelenhaft wirken zu lassen; außerdem verwendet Bogner Stahlstützen, die die Objekte scheinbar schwebend in den Umraum entlassen. Wie sehr Karl-Heinz Bogner der Idee des homo ludens verpflichtet ist, zeigt sein spielerischer Austausch innerhalb dieser Gruppen – was nicht heißen soll, die Plastiken seien austauschbar. Koppelt man etwa die Gerüstobjekte von den verankerten Wandelementen heraus und installiert sie auf den Stahlstützen, erhält man eigenständige Werke von je anderer Qualität und Größenwirkung. Bogner erweist sich hier als Meister der Rundplastik: Genauso, wie er seine Leinwände dreht, so bewegt er die Objekte noch während des Entstehungsprozesses in allen Dimensionen hin und her – auf der Suche nach der größtmöglichen Spannung. Die Gebilde aus Stäben, Stegen und Streifen aus Pappe bzw. Holz lassen nicht nur faszinierende Ein- und Durchblicke zu, sondern sie greifen wiederum das Thema der fragmentierten Hochsitze und ruinösen Bautürme auf. Aber auch hier, wie schon in den zeichnerischen Arbeiten, zeigt sich die Ambivalenz des Rückzugsraumes: Schutz und Verschluss. Karl-Heinz Bogner will in seinem Werk keine Widersprüche auflösen, keine Harmonie erzwingen, im Gegenteil: er fordert sie geradezu heraus. Hilfreich ist ihm in der Malerei und in der Plastik die Qualität der (Nicht-)Farbe Schwarz, die machtvoll die Struktur unterstreicht und damit Ordnung schafft und zugleich mehr als alle Farben zudeckt, verbirgt und das Umfeld sogar absorbiert. Symbolisch bedient sich Bogner der Chiffre des Hochsitzes, der in sicherer Höhe Rückzugsort und Aussichtspunkt ist, in der Draufsicht der gewollten Betrachterposition aber – von oben herab – auch eine Baracke auf Stelzen, Ausdruck des Unwohnlichen, Vergänglichen und in seiner Fragilität und tatsächlichen Brüchigkeit Ausdruck des höchst Anfälligen und existenziell Bedrohten: denn so sehr Bogner auch das Sein an sich im Bild des Hochsitzes thematisiert, so bleiben seine Bilder und Objekte menschenleer, was im räumlichen Kontext nur umso bewusster wird.

 

Bogner begeht gleichzeitig einen Weg nach innen wie nach außen. Einerseits führt er vom Architektonischen weg zu Gedankenräumen, die den Blick in ein Labyrinth von Gängen, Wänden und Sackgassen öffnet – die offizielle Ankündigung zur Stuttgarter Ausstellung von Marc Hirschfell spricht sehr richtig von einer modernen Umsetzung der Carceri-Darstellungen von Piranesi. Andererseits kehrt Bogner in seinen plastischen Objekten diese Innenwelt nach außen und macht sie so der Architektur wieder zugänglich, ohne sie im Sinne eines architektonischen Auftrags nutzbar zu machen. Am nächsten kommen die Plattform-Arbeiten einem solchen Anspruch als modellhafte skulpturale Bühnen oder Plätze – diese sind aber, wie gesagt, nicht mit einem Architekturmodell zu verwechseln: ein unbeschwerter Gang über die Kulisse wäre kaum möglich –; darüber hinaus könnte man den denkmalhaften Charakter der Objekte in Erwägung ziehen, um einen assoziativen Bezug zur Architektur herzustellen. Letztlich sind die dreidimensionalen Arbeiten greifbare Spiegelbilder der grafischen Raumillusionen hinter einer schwer zugänglichen Schwelle.

 

Öffnungszeiten

Montag bis Donnerstag 8–16.30

Freitag 8–15 Uhr

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