Ausstellungsbesprechungen

Katharina Fritsch im Museum Folkwang in Essen, bis 30. Oktober 2016

Katharina Fritsch ist weltweit ein Name, den man kennt, vor allem wenn es um Skulpturen geht. Im Folkwang Museum sind derzeit zwar auch Skulpturen Fritschs zu sehen, aber daneben zeigt das Haus vor allem zahlreiche Siebdrucke, in denen sie sich mit ihrem Geburtsort Essen auseinandersetzt. Susanne Braun hat eine schöne Schau entdeckt.

Gleich am Eingang zu den beiden Ausstellungsräumen, in denen die Arbeiten von Katharina Fritsch zu sehen sind, steht die lebensgroße Skulptur eines Mannes mit Lendenschurz und hüfthoher Keule, auf die er sich stützt. Im ersten Moment wirkt der Urzeitmensch groß und bedrohlich, aber bei genauerer Betrachtung auch alt, gebrechlich und unbeweglich. Obwohl er mit Lendenschurz und Keule klischeehafte Attribute des berühmten in dieser Gegend gefundenen Urzeit-Menschen Neandertaler aufweist, legen die vollkommen alltäglichen Gesichtszüge nahe, dass man ihm prinzipiell auch heute noch überall begegnen könnte. Die für die Skulpturen von Katharina Fritsch typisch matte Farbe verleiht der Skulptur »Riese« mit den erstaunlich durchschnittlichen Gesichtszügen einen regelrecht überirdischen Schimmer. »Dieses Virtuelle, das ist schon wichtig«, erklärt Katharina Fritsch, »Wie eine Erscheinung oder ein Gaukelbild, das vielleicht zerfällt, wenn man es anfasst. Ich verstehe das Bild als Erscheinung, etwas, das aufscheint und dann wieder verschwindet«.

In dieser ersten Ausstellung der vorwiegend als Bildhauerin bekannten Katharina Frisch in Essen stehen ihre Skulpturen allerdings nicht im Mittelpunkt, sondern großformatige Bilder, die an alte Fotografien erinnern, deren Farben sich im Laufe der Zeit verändert haben. Im Siebdruckverfahren hergestellt, setzen sie sich aus einer, zwei oder drei geometrisch exakt voneinander getrennten Flächen zusammen, die jeweils in einer einzigen Farbe gehalten sind. Da die Farben oft ohne erkennbaren Grund innerhalb desselben Motivs wechseln, wirkt die Farbgebung aufgesetzt und unnatürlich. Manche Bilder sind in hellen Farben gehalten, die wie verblichen erscheinen, andere lassen mit ihren kräftigen Farben an die Pop-Art denken und erzeugen durch ihre Kontraste einen sehr ambivalenten Eindruck. »Für mich sind das verschiedene Erinnerungsbilder, die sich überlagern und nicht mehr voneinander zu trennen sind«, beschreibt Katharina Fritsch, »Es ist ganz wichtig, den genauen Farbton zu treffen. Es geht dabei wirklich um Nuancen und ist manchmal eine sehr langwierige Arbeit«.

An vielen Stellen sind die Abbilder, denen hellere und dunklere Schattierungen derselben Farbe Gestalt geben, nicht ganz klar erkennbar, wirken aber dennoch auf eine fast unheimliche Weise fremd und vertraut zugleich. Die Motive sind nach Postkarten aus den siebziger und achtziger Jahren gestaltet, die der Großvater seiner in Düsseldorf studierenden Enkelin Katharina Fritsch regelmäßig geschickt hat. Sie zeigen allgemein bekannte Freizeit-Motive in Essen wie den Baldeneysee oder den Grugapark, die auch die Künstlerin in ihrer »zweiten Heimat« Essen oft besucht hat. Der für den damaligen Massengeschmack ganz typische Bildaufbau lässt die Fotografien über Essen und das konkrete Motiv hinaus auf Bilder verweisen, die wahrscheinlich jeder in irgendeiner Form mit der eigenen Kindheit in Verbindung bringt. Die Gestaltung mit Hilfe der oft sehr unnatürlichen Farbgebung hinterlässt in vielen Fällen ein irgendwie ungutes Gefühl. „Das ist schon die Sonntags-Stimmung, die schön sein soll und wo alles unter den Teppich gekehrt wird“, meint Katharina Fritsch, „Ich habe das auch als melancholisch und bedrückend empfunden“.

Die in dieser Ausstellung umgekehrte Gewichtung scheint auch die Farbgebung widerzuspiegeln: Hier sind es die Bilder, die in leuchtenden Farben strahlen, wohingegen die Skulpturen in einem unauffälligen hellen Grau gehalten sind. Neben der Skulptur »Riese« werden die Bilder durch einen weiblichen Torso mit nicht ganz idealen Proportionen und eine vollkommen makellose Vase ergänzt. Wieder verleiht die matte Farbgebung den Skulpturen eine transzendentale Aura, die hinzukommend ideale und urtypische Formen verkörpern, die dem Menschsein, der Kunst und dem Design von Alltagsgegenständen generell zu Grunde liegen. Sie appellieren insofern ebenso wie die Bilder an das kollektive Gedächtnis. Darüber hinaus spielt etwa »Gartenskulptur (Torso)« eine besondere Rolle in der Erinnerung der Künstlerin, das einem Kunstwerk von Ernst Conze nachempfunden ist, das Katharina Fritsch aus dem Garten der Nachbarn kannte. »Der Ausgangspunkt der Arbeiten ist immer der Zufall«, beschreibt die Künstlerin ihre Vorgehensweise, »Ich arbeite sehr genau und sehr präzise, aber nicht, weil ich so ein Präzisionsfreak bin, sondern weil ich es auf den Punkt bringen möchte«.

Abbilder wilder Natur gibt es nur in der Villa Hügel zu sehen, dem berühmten von Alfred Krupp Ende des 19. Jahrhunderts erbauten Stammsitz der Industriellen-Familie Krupp von Bohlen und Halbach in Essen. Hinter dem Konzertsaal befindet sich der kleine Raum, der Platz für drei Bilder auf Grundlage von Fotografien des Gartens der Familie Fritsch bietet. Ergänzt werden die wieder farbig gestalteten, großformatigen Bilder des Gartens durch das Fragment eines menschlichen Skeletts. Wieder verweisen die Abbilder auf gestalterische Grundprinzipien, die sich in den allermeisten Gärten finden lassen, auch in dem der heute unbewohnten Villa der Familie Krupp von Bohlen und Halbach. Hier wird allerdings darüber hinaus auf wesentliche ästhetische Muster der unberührten Natur hingewiesen, die bei Katharina Fritsch allerdings in ein ungesund kaltes violett getaucht ist. Nirgendwo wird der ewige Kreislauf von Werden und Vergehen, der von je her so viele Künstler beschäftigt hat, so greifbar wie hier.

Parallel zur Ausstellung von Katharina Fritsch zeigt das Museum Folkwang die Postkartensammlung von Herbert Westphalen, die Essener Motive aus dem 19. Jahrhundert bis in die 1970er Jahre präsentiert und in der sich auch zwei der von Katharina Fritsch verwendeten Motive finden lassen.

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