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Kleine Serien - große Folgen. Horst Janssen zum Achtzigsten

Anlässlich des 80. Geburtstages des verstorbenen Künstlers zeigt das MKG mit über 130 Werken einen Querschnitt aus Janssens Schaffen und offenbart einmal mehr die erstaunliche Vielfalt des Künstlers, seinen Blick für Details und seinen ungehemmten Griff auf Freunde und Feinde, so sie nur seiner Kunst dienten und anregten.

Als Janssen nach dem Krieg aus Oldenburg nach Hamburg zu seiner Adoptivmutter Anna Janssen - \'Tantchen\' - kam, gab es hier nur eine notdürftig wieder eingerichtete Kunsthochschule. Lehrer für Freies Zeichnen war Alfred Mahlau, ein begnadeter Zeichner, von dem Janssen das genaue Schauen und den präzisen und kontrollierten Umgang mit dem Arbeitsgerät lernte. Die Mahlau-Klasse von 1949 ist bis heute berühmt - zu ihr gehörten neben Janssen und vielen anderen Vicco von Bülow alias Loriot oder auch der als Lehrer in Hamburg sehr einflussreiche Lothar Walter. Mahlau war es, der Janssen erste Aufträge verschaffte, so den Entwurf eines Neujahrsgrußes für Bürgermeister Brauer oder die Gestaltung eines großen Glasfensters der Bundesbahn-Verwaltung in Altona.

Mitte der fünfziger Jahre fand Janssen zu ersten eigenen Ausdrucksformen; er wählte den Holzschnitt und die Lithographie, mit denen er zwar durchaus zeitgemäß aber nicht - dem Mainstream der Kunst folgend - gegenstandslos arbeitete. Seine Kunst ging vom Sehen aus und im Gesehenen suchte er das Skurrile, das Beson-dere, darüber warf er eine graphische Struktur, die beim Holzschnitt im Material und bei der Lithographie häufig in dicht geschriebenen Texten ihren Ursprung hat. Seine Eigenständigkeit als Künstler ist spätestens seit 1957 nicht zu übersehen.

In den sechziger Jahren kam der Erfolg: 1964 erhielt er den Kunstpreis der Stadt Darmstadt, gefolgt von der Hamburger Edwin Scharff Medaille und einer großen Ausstellungstour, die 1965 in der Kestner-Gesellschaft in Hannover begann. Höhepunkt war der Große Preis auf der Biennale in Venedig 1968. Künstlerisch waren die sechziger Jahre zunächst von sehr dichten Blei- und Buntstiftzeichnungen bestimmt, die nach 1965/66 von festeren Linien und härteren Kontrasten abgelöst wurden.

1965 entdeckte Janssen das Plakat als neues, ausdrucksstarkes und vor allem auch öffentliches Medium. Schon vorher hatte er kaum eine Gelegenheit ausgelassen und jede Möglichkeit für einen Plakatentwurf genutzt. Nun jedoch entwickelte er einen eigenen unverwechselbaren Stil für diese Gestaltungsaufgabe. Er entschied sich für die Strichätzung als Drucktechnik, die keinerlei Grautöne zuließ und die gestochen scharfe Linie betonte. So erreichte er eine große plakative Wirkung, die auch innerhalb des damals sehr verbreiteten Künstlerplakates als etwas Besonderes auffiel. Zu den Plakaten kamen die so genannten Bilderbögen für den Hamburger Buchhändler Hermann Laatzen. Diese in vergleichsweise hoher Auflage veröffentlichten Graphiken standen am Beginn von Janssens Suche nach dem großen Publikum. Er brilliert in originellen Einfällen, fügt Bild und Wort zu frechen Anspielungen und Rätseln zusammen und beginnt sich eine Fan-Gemeinde jenseits des Freundeskreises aufzubauen. Abschließender Höhepunkt der Strichätzungen ist eine siebenteilige Serie über Die Trauer und die Hoffnung - zum Abschied von Verena, seiner dritten Frau.

Die siebziger Jahre zeigen den reifen Janssen und gelten vielen Freunden als Höhepunkt seiner Kunst. Er hat nicht mehr die Skurrilität der fünfziger und die Bissigkeit der sechziger Jahre, dafür entwickelt er eine Sicherheit und Virtuosität im Umgang mit dem Zeichenstift, die es ihm erlaubt, alles Gesehene und Gedachte mühelos, fast mitunter zu mühelos, auf das Papier zu bringen. Er wohnte jetzt in Blankenese, war als Künstler arriviert und von einem Freundeskreis umgeben, der für ihn sorgte, seine Kunst sammelte und publizierte. Diese wird nun zunehmend von seinen wechselnden Beziehungen dominiert, aus denen er Anregungen für Themen und sogar für stilistische Wandlungen schöpft.

Die siebziger Jahre sind die Zeit der großen Serien und Buchprojekte, aus denen einige hervorstechen, so die Radierfolgen "Hanno`s Tod" von 1972, der "Totentanz" von 1974 sowie die Ernst Jünger gewidmete Folge "Nigromontanus" von 1980. Einen besonderen Stellenwert nimmt auch das Buch "Nocturno" ein, das gemeinsam mit der Freundin und Geliebten Birgit Jacobsen entstand und das so unterschiedliche Genre wie Fotografie, Materialcollage, realistische Zeichnungen und dicht beschriebene Seiten vereint. Die Vorarbeiten für dieses Werk gehören zu den interessantesten Serien des Künstlers.

1979 wurde Janssen fünfzig und er suchte sein Leben noch einmal neu zu ordnen, enthaltsam zu werden ? in mehr als einer Hinsicht - diszipliniert zu arbeiten und sich in seiner Kunst weiter zu entwickeln. Im folgenden Jahr tat er seine guten Vorsätze in zwei entblößenden großen Zeichnungen kund, die er als Offsetdrucke veröffentlichen ließ: "Ich kann nicht mehr". Zur gleichen Zeit entstanden weitere, an die Bilderbögen der sechziger Jahre anschließende, nun aber als farbige Offsetdrucke veröffentlichte, bekenntnishafte Arbeiten, die das Spätwerk des Künstlers einleiten.

Die achtziger Jahre bringen wunderbare Einzelwerke - gerade auch bei den Plakatentwürfen - jedoch nicht grundsätzlich Neues. Die Farbe, die in den siebziger Jahren zunehmend wichtiger wurde, wird nun in fließenden, oft großformatigen Aquarellen zum ständigen Ausdrucksmittel. 1990 kam es zu dem berüchtigten Balkonsturz, bei dem Janssen vorübergehend durch die Ätzflüssigkeit, die für Radierungen benötigt wird, sein Augenlicht verlor. Janssen dokumentierte das allmählich wiederkommende Sehen mit Zeichnungen, die oft großflächig und nicht mehr von der früheren Feinheit sind. Dennoch bilden sie einen abschließenden Höhepunkt der Kunst von Horst Janssen, der am 31. August 1995 an einem Schlaganfall stirbt.

Die Sammlung des MKG, seit den frühen sechziger Jahren aufgebaut, umfasst über achthundert Blatt von sehr unterschiedlichem Charakter. Im Zentrum stehen sicher die großen Plakatentwürfe aus den fünfziger bis neunziger Jahren; darunter ragen beispielsweise eine großes Porträt des Protestsängers Franz Josef Degenhart von 1968 oder ein erstaunlich weiches Selbstporträt von 1979 hervor. Bemerkenswert sind auch der große Totentanz von 1974 oder umfangreichen Folgen von Zeichnungen, Collagen und Fotos, die für Buchprojekte in den siebziger Jahren entstanden.

Durch diese Schwerpunkte der Sammlung, aber auch durch die große Zeitspanne, die die Ausstellung umfasst, erscheint zum 80. Geburtstag ein Horst Janssen, wie man ihn so nicht auf den ersten Blick erwarten würde: großformatiger und abwechslungsreicher in jeder Hinsicht.

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