Ausstellungsbesprechungen

Kosmos Rudolf Steiner, Kunstmuseum Stuttgart, bis 22. Mai 2011

Rudolf Steiner ist einer der einflussreichsten und zugleich umstrittensten Reformer des 20. Jahrhunderts. In der großen Sonderausstellung »Kosmos Rudolf Steiner« stellt das Kunstmuseum Stuttgart umfassend die kultur- und kunstgeschichtliche Bedeutung Steiners dar. Günter Baumann hat sich ebenfalls damit befasst.

Man kann ihn mögen oder nicht: vorbei kommt man an Rudolf Steiner kaum. In einem großen Kraftakt stellen verschiedene Museen in diesem Jahr die kunst-volle Weltanschauung des Reformers vor. Während das Vitra Design Museum in Weil am Rhein der »Alchemie des Alltags« im Schaffen Steiners und den Wurzeln des Künstlerphilosophen im Jugendstil und Expressionismus mit Seitenblicken auf Architektur, Design und Gesellschaft nachspürt, haben sich das Kunstmuseum Wolfsburg und das Kunstmuseum Stuttgart zusammengetan, um das Werk Steiners aus dem Blickwinkel der gegenwärtigen Kunst zu betrachten – nach Wolfsburg ist Stuttgart die zweite Station dieser Ausstellung.

Neben den Bildern, Entwürfen, Möbeln usw., die – man denke an die ›Show‹-Wand mit den optisch inszenierten Bänden des nahezu allumfassenden literarisch-philosophischen Werks – wie Devotionalien in die Ausstellungsarchitektur eingebunden sind, zeigt das Museum Arbeiten von Jan Albers, Joseph Beuys, Tony Cragg, Olafur Eliasson, Helmut Federle, Manuel Graf, Katharina Grosse, Anish Kapoor, Kalin Lindena, Simon Dybbroe Møller, Carsten Nicolai, Giuseppe Penone, Bernd Ribbeck und Claudia Wieser.

Es wundert angesichts des Guru-Status Rudolf Steiners, dass es noch keine größere Schau zu seinem Werk gegeben hat als diese aktuellen Ausstellungen zwischen Wolfsburg respektive Stuttgart und Weil bei Basel. Kurzum: Ein Universum wird besichtigt. Dass ein solches Projekt nicht ohne die Kunstsammlung Goetheanum in Dornach zustande gekommen wäre, wird schnell spürbar im Pathos der Präsentation. Dabei müsste das gar nicht sein, sind doch die Vertreter der Gegenwartskunst eher beiläufig auf Steiner zu beziehen Bekanntlich hatte Joseph Beuys eine Schwäche für den Anthroposophen, doch ansonsten kommen die meisten Zeitgenossen durchaus ohne den steinerschen Tiefenbau aus.

Und doch schafft es die Ausstellung allein durch die Gegenüberstellung, Korrespondenzen wachzurufen, die etwa Steiners Aversion gegen den rechten Winkel und damit seine Absage gegenüber einer allzu kantigen Gedankenwelt in das Schaffen eines Eliasson oder Kapoor einfließen lassen. Gerne nimmt man da die Relevanz des Geistigen in der Kunst als gemeinsamen Nenner, fühlt sich auch gefangen genommen von der Macht des Übersinnlichen, das Steiner hochhielt und das insbesondere in der abstrakten und der konzeptionellen Kunst herumgeistert.

Mit einer letztlich doch erfreulich nüchternen Distanz knüpfen die Ausstellungsmacher ein Netzwerk, das den Denker, aber eben auch Künstler, Architekten (der als Dilettant wegweisende Pfade in die Moderne gewiesen hat, man denke nur an Bauten von Erich Mendelsohn), Pädagogen, ›Medizinmann‹ u.a.m. nicht erschöpfend, aber dafür in spannungsreichen Facetten vorstellt. Vielleicht hilft sogar der Umgang heutiger Künstler mit Steiner, ihn aus dem ideologischen Griff seiner Anhängerschaft zu befreien. Wie immer Grosse, Penone & Co. zum Werk Steiners stehen, sie vermitteln den Eindruck eines freien Denkens, das Steiner wohl im Sinn hatte, aber in seiner zeitgebundenen, auch rassistischen Verblendung gar nicht wirklich umsetzte.

Um dem Anspruch auf das Gesamtkunstwerk gerecht zu werden, das in der Ausstellung nur ansatzweise vermittelt werden kann, sind drei Publikationen erschienen – den Katalog zur integralen Ausstellung in Weil am Rhein eingerechnet (von einer neuen Biografie im Beck-Verlag zu schweigen) – , die diesen Kosmos abrunden und die alles beleuchten, was man dazu wissen muss. Mit einem solchen Rüstzeug erschließt sich das halbe Tausend an Exponaten der Stuttgarter Ausstellung, und einmal mehr bestätigt sich, was wir schon wussten: Welch große Kunst schuf Joseph Beuys etwa mit der asketischen Installation von 1972, die er nach dem lapidaren Wort auf einer ansonsten unbeschriebenen Tafel benannte: »Mensch«. Ein besseres Thema kann man sich für eine Steiner-Schau doch auch nicht vorstellen.

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