Meldungen zum Kunstgeschehen

Krise – Welche Krise? Ein Bericht von der Frieze Art Fair in London 2010

Vor fünf Jahren hieß es noch, dass London eigentlich keine Kunstmesse brauche. Vor zwei Jahren, inmitten der Finanzkrise, wurde vom Platzen der »Big Art Bubble« gesprochen - glücklicherweise hat sich der Kunstmarkt wieder gefangen. Die Frieze Art Fair hat es geschafft, dem Down-Trend der Finanzmärkte zu trotzen. Anett Göthe hat sich für Sie dort einmal umgeschaut.

Vom 14. bis 17.Oktober 2010 zeigten über 1000 zeitgenössische Künstler aus 173 ausgewählten Galerien aus 29 Ländern auf 21.000qm im gewohnten Art Pavillon im Regent‘s Park, dass London keineswegs hinter den großen Konkurrenten Art Basel in Basel und Miami zurücksteht. Die Frieze Art Fair, die von den Verlegern des Magazins Frieze Magazine Amanda Sharp und Matthew Slotover ins Leben gerufen wurde, hat seit ihrer ersten Messe im Jahr 2003 geschafft, wovon andere Kunstmesseinitiatoren nur träumen können: ein Ort der supercoolen Society-Events mit Rekordverkäufen, wobei die Frieze sich vor allem einen Namen durch die hohe Qualität und Frische der gezeigten Kunst, den hohen Standard der Frieze Talks und anderer messebegleitender Events schaffte. Es wäre zu vermuten gewesen, dass nach der Finanzkrise eine gedämpftere Kaufbereitschaft und eine weniger schillernde Atmosphäre vorherrschen würden. Doch stattdessen erstrahlt die Messe gewohnt frisch mit starken Positionen und hervorragender Qualität und die Käufer, Kunstliebhaber und Sammler waren interessierter und kaufbereiter denn je. So wurde bereits am ersten Tag der Messe eine Damien Hirst Fisch-in-Formaldehyd-Skulptur bei White Cube für 3,5 Mio. Pfund an einen asiatischen Sammler verkauft. Dies zeigt, dass die Kunstwelt wieder risikobereiter und gieriger nach guter Kunst geworden ist. Ein qualitativer Mix aus zeitgenössischen Positionen, der wieder mehr Malerei aber auch Druckgrafik und Zeichnungen neben Fotografie und Installationen beinhaltet, wurde in den Kunstkojen, die durch die menschenvollen Gänge getrennt waren, präsentiert. Deutschland war mit 25 Galerien nach Amerika und Großbritannien am drittstärksten vertreten. Zu den Händlern mit Sitz in Deutschland zählten neben den Berliner Galerien Contemporary Fine Arts, Isabella Bortolozzi, Eigen+Art, Kamm, Johann König, Peres Projects, Giti Nourbakhsch, Gregor Podnar und Sprüth Magers, die Kölner Gisela Capitain und Daniel Buchholz sowie Rüdiger Schöttle aus München. Neben dem großen Anteil an europäischen und amerikanischen Galerien ließen sich auch zahlreiche Händler aus Asien und Lateinamerika die wichtigste Kunstmesse Englands nicht entgehen. Die Liste der Londoner Galerien, die auf der Frieze ihre Kojen öffneten, liest sich wie ein Who is Who des britischen Kunstmarktes: Hauser & Wirth, Gagosian, Sadie Coles, White Cube, Lisson, Timothy Taylor und Victoria Miro.

Bei der dänischen Galerie Nikolei Wallner war eine Skulptur eines Jungen von Elmgreen und Dragsets zu sehen, der sich nicht traut, vom 3-Meter-Brett ins imaginäre Wasser (hier: das Messegetümmel) zu springen. Imagination spielte auch bei anderen Galerien eine große Rolle. Die Zitronen, welche bei Presenhuber, die ihren Stand Ugo Rondinone überlassen hatten, auf den Boden lagen, waren aus bemalter Bronze. Ebenso die unglaublich echt und fruchtig wirkenden Mangos, die Subodh Gupta bei der Galerie Hauser und Wirth in eine Kiste packte, waren aus bemalter Bronze. Das wohl meistfotografierte und womöglich beliebteste Werk der diesjährigen Messe war der farbenprächtige Neonröhrenbogen »Butterfly« von Daniel Firman am Stand der französischen Galerie Emmanuel Perrotin. Wirklich außergewöhnlich war der Stand der Londoner Galerie von Stephen Friedmann, der von dem Künstler David Shrigley mit hohen Gittern umzäunt wurde und die gußeisernen Lettern »We’re in Prison« enthielt. Auf der gegenüberliegenden Seite des Käfigs wurde die Aufschrift sogar noch direkter: »We're dying, please join us«. Der Kunstkäfig konnte nur durch die Tore mit den Worten »Words« und »Death« betreten werden und erzeugte durchaus beklemmende Gefühle.

Neben den Präsentationen der Galerien bot das Rahmenprogramm mit einem täglichen Talk-Forum sowie Filmen der Künstler Jess Flood-Paddock, Linder, Elizabeth Price und Stephen Sutcliffe Möglichkeiten der Auseinandersetzung mit ausgewählten Positionen junger Künstler, Kuratoren und Kritikern. Der Bereich Frame stellte auf der Messe einen Spezialsektor mit Solo-Auftritten einzelner Künstler dar, die von jungen Galerien vertreten werden. Ein Herzstück der Frieze seit ihrer Einweihung im Jahre 2003 sind die Frieze Projects, für die 9 Künstler beauftragt wurden, standortbezogene Arbeiten für die Frieze zu schaffen. Die Arbeiten dieses Projektes, die diesjährig von Sarah McCrory kuratiert wurden und sich vor allem auf dem Gebiet der Performance bewegten, zeigten, dass es bei dieser erfolgreichen Messe nicht nur um Verkäufe, sondern auch um Inhalte ging. In diesem Rahmen veranstaltete der britische Künstler Spartacus Chetwynd eine bizarre Game Show und der amerikanische Künstler Jeffrey Vallance lud zu einer Podiumsdiskussion mit ausgewählten Idolen der Kunstgeschichte ein, bei der Marcel Duchamp, Vincent van Gogh, Frida Kahlo, Jackson Pollock und Leonardo da Vinci von übersinnlichen »Medien« kontaktiert und zu aktuellen Entwicklungen auf dem Kunstmarkt befragt wurden. Die Arbeit des japanisch-britischen Künstlers Simon Fujiwara mit dem Titel »Frozen«, für die er den diesjährigen Cartier Award erhielt, stellte ein ironisches Gegengewicht zum kommerzgetriebenen Messebetrieb dar. »Frozen« ist eine Installation, die auf der Fiktion einer verlorengegangenen antiken Stadt beruht, die unter dem Frieze-Zelt entdeckt und ausgegraben wird. Überall stößt man auf in den Boden eingelassene Glasscheiben, unter denen ausgegrabene Räume sichtbar werden: ein Künstleratelier, eine Grabstätte, ein Bordell, ein Café für Fleischfresser. Fujiwaras Fantasiewelt spielt in ironisierender Art mit der Verehrung von Objekten und spielt auf das seit Urzeiten bestehende Bedürfnis des Menschen, Kunstobjekte zu erschaffen, zu sammeln und zu fetischisieren an. Ein Bedürfnis, das uns Menschen ausmacht und immer existent sein wird – mit und ohne Krise.

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