Meldungen zum Kunstgeschehen

Kunst im Saarland im Oktober/November 2011

Der Herbst malt den Blättern die herrlichsten Farben auf die Wangen und die Sonne strahlt uns in ihrer angenehmen Milde entgegen. Da kann es doch nichts Schöneres geben, als nach einem ausgedehnten Spaziergang eine der wunderbaren Ausstellungen zu besuchen, die in den saarländischen Galerien und Museen derzeit präsentiert werden. Eine kleine Auswahl hat Ihnen unsere Autorin Verena Paul zusammengestellt.

Kunst im Saarland
Kunst im Saarland

Im Westen viel Neues

Peter Köcher führt in der Produzentengalerie Köcher in Bexbach sein Projekt der Kunststoffbildobjekte weiter und zeigt bis zum 19. November 2011 seine „Kunstbevölkerung“, die den Innen- und Außenraum der Galerie bewohnt. Die Ausstellung »Irrtum eingeschlossen« ist – wie bei Köcher nicht anders zu erwarten – ein überraschungsreiches Projekt, das nicht nur durch formale Ästhetik, sondern auch und vor allem durch Aussagekraft zu überzeugen versteht. Seine Kunstbevölkerung gibt kritische Impulse für eine medial überfütterte Gesellschaft, die sich im Internet verliert und langsam aber sicher seelisch vereinsamt. Kreativ, impulsiv und doch sehr nachdenklich ist Peter Köcher einer der ganz großen saarländischen Künstler, dessen Werke – wie der Ausstellungstitel besagt – den Irrtum einschließen und gerade dadurch ehrlich, vielleicht sogar schockierend ehrlich sind. Eine Präsentation, die ich sehr gerne empfehlen möchte!

Vom 6. Oktober bis 30. Dezember 2011 zeigt das Martin-Niemöller-Haus in Frankenholz die Aquarell- und Acrylmalerei der 1942 geborenen Künstlerin Elke Biehl. »Farbe und Wasser« ist in der Titelgebung schlicht und doch wird damit das Zentrum von Biehls Malerei getroffen. Denn ihre Werke sind sowohl von kraftvollen Farben als auch Formfreiheit geprägt, so dass der Betrachter auf Feuerwerke des Couleurs sowie sanft verschwimmende Farbläufe trifft.

Noch bis 16. Oktober 2011 zeigt das Museum Schloss Fellenberg in Merzig mit »Den Sommer im Kopf« die monumentalen Werke des luxemburgischen Malers Gust Grass. In den vergangenen zwei Jahrzehnten lebte und arbeitete der Künstler auf der spanischen Insel Mallorca, wo er die mediterranen Farben, das Insellicht und die gleißende Sonne auf dem Meer vor Augen hatte. Das artikuliert sich nun in seinem lebendigen Farbenvokabular. Dabei folgt Graas seiner Maxime: »Bleibe in der Natur, sei sie offen oder verdeckt, und auf der Suche nach dem lebensspendenden Geist«. Dieser Satz ist der Schlüssel zu seinem umfangreichen Werk und zu dessen inneren poetischen Kraft, die es zu entdecken lohnt.

In Neunkirchen zeigt die Städtische Galerie bis 13. November 2011 unter dem Titel »IndustrieZEIT. Fotografien 1854-2010« rund 100 Originalaufnahmen aus mehr als 150 Jahren. Darunter Arbeiten etwa von Franz Hanfstaengel, Herbert List, August Sander, Peter Keetmann, Otto Steinert sowie von zahlreichen weiteren bekannten und anonymen Fotografen. Die Ausstellung zeichnet die Geschichte der Industriefotografie von ihren Anfängen bis zur Gegenwart nach. Vorgestellt werden unter anderem legendäre Aufnahmen vom Bau des Eiffelturms oder der ersten Wolkenkratzer in New York, Fotografien von industriellen Arbeitsprozessen und Werksarchitekten aus ganz Europa sowie einige seltene Ansichten saarländischer Industrieanlagen. Bereits früh war man sich der visuellen Attraktivität industriellen Errungenschaften bewusst. So rückte beispielsweise die neusachliche Fotografie die nüchterne Schönheit industrieller Bauten in den Vordergrund. Mit der systematischen dokumentarischen Erfassung von Industriebauten des 19. und 20. Jahrhunderts fand dieser Ansatz ab 1959 durch Bernd und Hilla Becher eine konsequente Weiterentwicklung. Demgegenüber betonten Vertreter der von Otto Steinert begründeten experimentellen „subjektiven Fotografie“ die künstlerische Ästhetik industrieller Motive. Ausgewählte zeitgenössische Positionen schließlich richten den Blick kritisch auf die Auswirkungen der Industrialisierung sowie deren scheinbar unbemerktes Eindringen in die Natur und die Lebenswelt des Menschen. Eine vielseitige und absolut sehenswerte Präsentation!

Ein weiteres Schmankerl findet sich unweit der Städtischen Galerie in den Ausstellungsräumen des Neunkircher Künstlerkreises. Hier werden noch bis 29. Oktober 2011 unter dem Titel »Empfinden-Erfinden« die Papierobjekte Edda Börners sowie die Aquarelle Dieter Trosts präsentiert. Da stehen akkurat gefächerte Kreisgebilde aus Papier, die durch ihre körperliche Präsenz bereits vom Raum Besitz ergreifen dem freien Fluss der Aquarellfarben gegenüber, die sich in abstrakten Miniaturformen jedoch nicht mindert Gehör verschaffen und die Aufmerksamkeit des Betrachters bannen. Zwei Künstler, ein Ziel: durch Gespür zu neuen Ufern zu gelangen, kreativ zu werden und einen Mehrwert über das bloß „Schöne“ zu gewinnen.

Die Alte Sammlung des Saarlandmuseums in Saarbrücken präsentiert bis 30. Oktober 2011 die Ausstellung »Der Zauber der Landschaft. Zeichnungen aus dem Besitz der Alten Sammlung«. Die hier gezeigten, zum überwiegenden Teil erstmals publizierten Werke – hauptsächlich aus der Zeit der Aufklärung und der Romantik – geben zumeist natürlich belassene, teils reale Landschaften wieder, die vielfach durch architektonische Versatzstücke bestimmt werden. Häufig transportieren die Zeichnungen, wie etwa die von Jacob Philipp Hackert oder Ferdinand Kobell, ideengeschichtliche Inhalte, die die Folge glaubensspezifischer und politischer Umbrüche einer Idealisierung Arkadiens sind. Andere Werke, beispielsweise jene Carl Blechens, werden durch eine starke religiöse Mystifizierung geprägt. Ausklingen wird die Ausstellung mit Landschaftszeichnungen von Karl Friedrich Johann von Müller aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in denen das Ringen um eine gesellschaftliche oder politische Verortung abgeschlossen zu sein schien und Landschaften durchaus auch reine Reiseerinnerungen sein durften.

Bis 27. November 2011 präsentiert das Museum in der Schlosskirche die Ausstellung »Pilger – Unterwegs zum Seelenheil?!« Pilgerreisen gehören zu den ältesten und gleichzeitig aktuellsten Formen der menschlichen Mobilität. Millionen Menschen pilgern jährlich zu spirituellen oder sakralen Orten. Dabei werden Gräber von Heiligen, Wirkungsstätten von Propheten oder Schauplätze, an denen sich Wunder ereignet haben, zu wichtigen Zielen. Das Phänomen des Pilgerns und Wallfahrens findet sich in fast allen großen Religionen und Kulturen. Es ist verbunden mit unterschiedlichen Ritualen oder Kulten. Die Beweggründe zum Pilgern und die Bedeutung dieser Art des Reisens gestalten sich heute vielfältiger denn je – nicht nur im Hinblick auf verschiedene Religionszugehörigkeiten. Pilgern spiegelt über die Religionsgrenzen hinweg ein Grundbedürfnis des Menschen, die Besinnung auf das Wesentliche in einer schnelllebigen Zeit. Eine wirklich spannende Ausstellung!

Nach einer fast ein Jahrhundert währenden Verbannung des Ornaments aus der bildenden Kunst, Architektur und Design, die auf die vernichtende Kritik von Adolf Loos »Ornament ist Verbrechen« (1908) folgte, zeigen sich seit der Jahrtausendwende zunehmend wieder ornamentale Strukturen in den Werken zeitgenössischer Künstler und Künstlerinnen. Dies zeigt sich auch in der Ausstellung »ornamental structures«, die noch bis 30. Oktober 2011 in der Stadtgalerie Saarbrücken zu sehen ist. In der gegenwärtigen Aneignung von Ornamenten zeichnet sich eine sowohl kritische als auch ironische Rezeption der westlichen Ornamenttradition ab. Die Ausstellung stellt anhand unterschiedlicher Medien eine Auswahl der heute virulenten Ansätze einer neuen Sicht auf das Ornament vor.

Bis 13. November 2011 zeigt die Galerie des Saarländischen Künstlerhaus in einer Parallelausstellung die Werke von Jonathan Loppin, Christoph Josef Steilen sowie Beate Geissler und Oliver Sann. Der 1977 in Château-Thierry geborene Loppin richtet in seiner Installation »Proving Ground«, die in der Galerie des Künstlerhauses aufgebaut ist, das Augenmerk auf politische Gesten, die er in künstlerische übersetzt. Er konzentriert sich dabei auf die Motivation, den Hintergrund und letztendlich die Symbolkraft einer politischen Handlung. In der Strauchwüste des US-Bundesstaats Utah, auf dem Armeetestgelände Proving Ground fanden während des Zweiten Weltkrieges die Proben zur Bombardierung Berlins und Tokios statt. Grauweiß melierte Miniaturmodelle aus Acrylharz führen uns die verschiedenen Zerstörungsgrade der sogenannten „German Village“ vor Augen. Wir blicken auf das Resultat fremder Verwüstung. Schwarzweiße, auf Aluminium aufgezogene Fotografien, die im Durchgang zum zweiten Galerieraum platziert sind, zeugen von der Wirkung der im Krieg eingesetzten Biowaffen. Formale Ästhetik widersetzt sich inhaltlicher Grausamkeit. Im zweiten Galerieraum verkehrt sich das Verhältnis. Die Besucher der Ausstellung können sich zwischen raumhohen Fassadenbauten bewegen, wobei es sich bei der Rekonstruktion der japanischen Häuser ebenfalls um eine Interpretation der Interpretation handelt.

Im Studio des Saarländischen Künstlerhauses unter dem Titel »Generation X« Ölbilder aus dem Nachlass von Christoph Josef Steilen (1914-1990), der Mitglied des Saarländischen Künstlerbundes war. 1951 trat Steilen erstmals an die Saarbrücker Öffentlichkeit, zusammen mit den Kollegen der Neuen Sezession, später auch mit der Neuen Gruppe Saar und dem Künstlerbund. In den frühen siebziger Jahren bevorzugte er die Grafik, entwickelte eine besondere Grafittechnik, mit der sich lebhafte Morphologie von Pflanze und Tier niederschreiben ließ. Malerei und Zeichnung waren geprägt von der Auseinandersetzung mit dem Abstrakten Expressionismus, der informellen Kunst, bereichert durch Steilens Interesse am strukturellen Aufbau der Dinge, die er zeichnerisch sezierte und malerisch wieder verbunden hat.

In der dritten Ausstellung im Studioblau schließlich ist die Videoarbeit »fuck the war« (2006) von Beate Geissler und Oliver Sann aufgebaut. Das Kameraauge ist auf eine verschmutzte Wand im Inneren eines verlassenen Autohauses gerichtet, auf der in kindlicher Schrift »fuck the war« gesprüht ist. Davor spielen Kinder in Tarnkleidung und mit Spielzeug-Maschinenpistolen ausgerüstet Krieg. Der Graffiti-Schriftzug schwebt zwischen punkigem Trotz und politischer Aussage. Dabei stellt sich die Frage, ob es als Absage an die Kampfform der Erwachsenen zu verstehen ist, wenn die Jungen die Maschinenpistole gegen eine Eisenstange austauschen und nicht mehr gegeneinander kämpfen, sondern stattdessen auf eine Waschmaschine einschlagen. Die Lust an der Gewalt bleibt bestehen und findet im rhythmischen Schlagen der Metallstangen eine brutale akustische Komponente. Wir als Betrachter werden zum Voyeur, der das zwischen spielerischer Freude und ungehemmter Aggression oszillierende Geschehen verfolgt – bisweilen mit einem unwohligen Gefühl in der Magengrube. Drei sehr unterschiedliche, aber gleichermaßen spannende Ausstellungen unter einem Dach – was will man mehr?

Das Weltkulturerbe Völklinger Hütte präsentiert bis 1. November 2011 mit »Urban Art – Graffiti 21« 56 Werke von 36 Street Art Künstlern (darunter auch der Pariser Graffiti-Pionier Blek le Rat) in der atemberaubenden Atmosphäre der Möllerhalle mit ihren rostbraunen Staubwänden und den begehbaren Silotaschen. Ihr rauer Charme macht diese Halle zu einem passenden Ausstellungsraum für eine Kultur, die ihren Weg endlich von der Straße in die Museen und Galerien gefunden hat. Ein absolutes Muss für Liebhaber von Street Art und diejenigen, die es noch werden möchten!

Bis 30. Oktober 2011 präsentiert das Deutsche Zeitungsmuseum Wadgassen die Ausstellung »Gott grüß’ die Kunst«, die Illustrationen und Festschriften der gewerkschaftlich organisierten Drucker, Setzer und Hilfsarbeiterinnen zeigt. Die Exponate verbildlichen die Fest- und Feierkultur der gewerkschaftlich organisierten Lithographen und Steindrucker im Kaiserreich sowie der Weimarer Republik. Neben Einladungen, Programmen und Zeitungen verschiedener graphischer Gewerkschaften vor 1933 finden sich noch nicht gezeigte illustrierte Festschriften, die einst von den Nationalsozialisten geplündert und weltweit verstreut wurden.

Parallel wird bis zum 30. Dezember 2011 im Deutschen Zeitungsmuseum die Ausstellung »Der Kriegsreporter Perry Kretz« gezeigt, die in beeindruckenden Bildern diesem spannenden Reporterleben auf den Grund geht. Es sind insgesamt 110 Fotografien sowie weitere Exponate zu sehen, die die Arbeit eines Kriegsreporters veranschaulichen. Kretz, dem Motto „A dead journalist is a bad journalist“ verpflichtet, war ab 1969 über drei Jahrzehnte für das stern-Magazin tätig. 1950 wanderte er nach Amerika aus und führte dort als Mitglied einer New Yorker Gang sowie als Wettscheinbote für die Mafia ein bewegtes Leben. Auch sein weiteres berufliches Dasein fand immer an vorderster Front statt, indem er unzählige Male als Fotograf von Kriegsschauplätzen der Welt berichtete. Dabei erlebte er Armut, Leid und schaurige Verbrechen, die er mit erschütternden Fotografien für die Nachwelt dokumentierte. Des Öfteren riskierte er selbst sein Leben auf der Suche nach der Wahrheit. Während des Vietnamkrieges überlebte er in einer Bar in Saigon nur knapp ein Bombenattentat, in Monrovia besänftigte er die unberechenbaren, mit Revolvern bewaffneten Kindersoldaten, indem er von ihnen Polaroid-Aufnahmen machte.

Hans-Georg Gadamer hat in »Die Aktualität des Schönen« (1974) geschrieben, »dass im Kunstwerk nicht nur auf etwas verwiesen ist, sondern daß in ihm eigentlicher da ist, worauf verwiesen ist. Mit anderen Worten: Das Kunstwerk bedeutet einen Zuwachs an Sein«. Muss dem noch etwas hinzugefügt werden? Ich denke nicht. Deshalb wünsche ich an dieser Stelle allen Besuchern der saarländischen Museen und Galerien einen wunderschönen Herbst mit bereichernden Ausstellungserlebnissen!

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