Meldungen zum Kunstgeschehen

Kunst in Stuttgart im August/September 2010

Die Sommermonate geben den Galerien etwas Luft zum Verschnaufen: Hier und da steht man vor verschlossenen Türen oder die Öffnungszeiten sind eingeschränkt. Dennoch ruht die Szene keineswegs. Günter Baumann traf eine Auswahl, die über die Aktivitäten in der Stuttgarter Galerienlandschaft Auskunft gibt. Vormerken sollte man sich jetzt schon die elfte Auflage des »art alarm«, dem Saisonstart der Stuttgarter Galerien am 18./19. September 2010.

Kunst in Stuttgart
Kunst in Stuttgart

Alles fließt – Fluxus auf balinesisch: Mit Fotografien, Grafiken und Objekten folgt Joachim Peter in der Galerie Oberwelt der Spur der »Distant Friends« – einen balinesischen Mythos im Sinn, demzufolge jedes Kind auf der indonesischen Insel als Gruppe zur Welt kommt: mit jenen fernen Geisterfreunden eben. Nicht ohne Ironie legt Peter (»In Bali ist jeder Reisbauer Bildhauer, Schnitzer, Maler, Musiker oder Tänzer«), der auch eine Handvoll südostasiatische Künstlerfreunde mitgebracht hat, die »tiefer liegenden, älteren Schichten und Vorläufer unserer Sprache, Mythen und Religionen in Indien und der hinduistischen Götterwelt« frei: In jeder Hinsicht gibt es hier fließende Übergänge, und so ist es bis zu Fluxus auch nicht mehr weit.

Eile in der Weile: Es gibt auch ein Leben, sprich: Kunst außerhalb des Fotosommers – wie in der Galerie Dorn, die mit figurativer Plastik aufwartet. Karl-Henning Seemanns Bronzefiguren sind laufend im öffentlichen Raum unterwegs: kein Wunder, ihr Schöpfer will sie im Strudel des Alltags erfassen, am liebsten simultan in verschiedenen Bewegungsmomenten und doch eingebunden in den umliegenden Architekturraum, in dem sie schließlich dauerhaft Position beziehen sollen. So weit ist dabei der Gekreuzigte nicht von der Marktfrau entfernt, denen Seemanns Augenmerk gleichermaßen gilt – die Stress-Ursachen mögen jedoch unterschiedlich sein. Ergänzend zu den Modellen und Kleinplastiken zeigt die Galerie Dorn auch großformatige Zeichnungen.

Die Schönheit der Bewegung: Anlässlich von Erich Hausers 80. Geburtstag zeigt die Galerie Schlichtenmaier eine Auswahl seiner dynamischen Stahlskulpturen und Wandarbeiten, begleitet von Arbeiten auf Papier, die durch ihre perfekte Linienführung fasziniert und das plastische Werk Hausers eindrucksvoll ergänzt. Erich Hausers geradliniger und sicher nicht immer gleichermaßen wohlwollend beäugter Weg, der von gut und gern tausend stählernen Marken gesäumt war, führte rasch zu einer abstrakten Bildersprache, die sich über Nebenwege eben auch in zahlreichen Zeichnungen niederschlug. Spätestens 1969, als Hauser den Großen Preis der San-Paulo-Biennale mit nach Hause nahm, war der Bildhauer ganz oben: Die städtischen Gemeinden und andere Institutionen schmückten sich mit Kunst im öffentlichen Raum aus der Hand des Edelstahlplastikers, dessen polierte Metallarbeiten unter der Sonne (auch des Erfolgs) ein faszinierendes Licht- und Schattenspiel aufführten und noch immer brillieren: wuchtig-monumental, aber nie allzu mächtig, schwergewichtig, aber meist von einem fast schwebendem Geist getragen. Der gewollten Abstraktion steht die Verweigerung der reinen Geometrie gegenüber – rechte Winkel oder gefällige Körper waren nicht sein Fall, da hielt er es lieber mit der »Knautsch«- und Knitterzone, manche Arbeiten wirken wie zerquetscht, zuweilen erahnt man sogar eine menschliche Statur. Dabei bleiben die Arbeiten immer ausgewogen, von Jahr zu Jahr wurden sie perfekter, was die Übergänge und Behandlung der Schweißnähte angeht. Mit grandiosem Gespür für die materiellen und immateriellen Anteile einer Plastik machte Hauser die balancierende Instabilität zum Prinzip. Vielen jüngeren Künstlern hat der Bildhauer so den Weg gewiesen, aber keiner von ihnen hat seine Dynamik erreicht.

An der Fotografie vorbei – ich bin dann mal weg: Über das Fotopapier Heiko Hellwigs huschen die Menschen, als würden sie sich gerade entmaterialisieren: die einen entheben sich dem Stuttgarter Straßenbild, das man freilich genauso wenig ausmachen kann wie die marokkanische Landschaft, in der die anderen Protagonisten das Räumliche segnen. Das Atmosphärische der Einzelbilder überzeugt durch die nur noch zu ahnende Echtheit der dargestellten Szenen, deren Verfremdung keiner computergesteuerten Manipulation bedarf. Hellwigs flüchtige Fotografie ist da ganz bodenständig.

Die Sinnlichkeit der Distanz: Den Bildern von Heiko Hellwig wesensverwandt sind die Arbeiten von Dierk Maass, die in der Galerie Harthan zu sehen sind. Der studierte Mediziner und Chirurg verknüpft nicht selten seine Hobbys Fotografie und Bergsteigerei miteinander und hat sich mittlerweile einen guten Namen gemacht als Schöpfer einfühlsamer Kinderbilder, die er »aus der Prosa ihres alltäglichen Lebensraumes (erlöst)« und in »eine zarte Poesie aus Lichtern, Farben und Formen« eintauchen lässt (S. Dathe).

Unendliche Weiten – Wim Starkenburgs Raumerfindungen: Bis letztes Jahr, als Jan Hoet ihn in die Eröffnungsausstellung des neuen Galeriegebäudes von Abtart holte, war Wim Starkenburg hierzulande eher ein Geheimtipp – dabei konnte nicht übersehen werden, dass das Werk des Fotografen, Zeichners und Installationskünstlers zum spannendsten gehört, was die Zunft zu bieten hat. Jetzt ist der Niederländer zurückgekehrt mit einer ganzen Reihe von Arbeiten, die seine Faszination für unter- wie hintergründige Räume genauso erhellen wie sie genau diese architektonische Welt ins Bodenlose der Fiktion senken: Entgrenzt und funktionslos schafft er neue, in der philosophischen Bedeutung des Wortes absolut räumliche Erfahrungen und die Illusion, wir träten wahrhaftiger Architektur gegenüber.

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