Meldungen zum Kunstgeschehen

Kunst in Stuttgart Spezial: Art Alarm

Mit einem bunten Programm startet die Initiative Stuttgarter Galerien zeitgenössischer Kunst in die neue Ausstellungssaison. Alle Galerien bieten Ihnen auch dieses Mal wieder reizvolle Begleitveranstaltungen und ausgedehnte Öffnungszeiten. Günter Baumann erzählt, was alles los ist.

Kunst in Stuttgart
Kunst in Stuttgart

Der diesjährige Art Alarm, welcher die Sommerpause der Stuttgarter Galerien symbolisch beendet, findet am 26. und 27. September statt. 24 Galerien präsentieren die Kunst von rund 80 Künstlerinnen und Künstlern. Unter den Galerien sind vier Neuzugänge – kein Grund allerdings für Fanfaren, denn einer davon, von Braunbehrens, ist eine Umfirmierung, die anderen – Stöckle Hauser, Uno Art Space und Galerie Z – müssen den schmerzhaften Wegfall anderer Galerien erst einmal ausgleichen. Die Galerien Dorn, Friese, Harthan und Rumig sind aus unterschiedlichen Gründen (Aufgabe, Wegzug, Generationswechsel) nicht mehr vertreten. Wie das gelingt, entscheiden letztlich die Besucher.

Und die sollten sich auf Entdeckungstour machen. Zwar werden sie nicht mehr mit einem Shuttle-Bus durch die Stadt kutschiert, aber das Angebot ist famos: zwischen der radikalen »Mondrianisierung« von Zeitungsanzeigen, die der souverän aufsteigende Markus Merkle (nomen est omen, aber nicht verwandt: bei Merkle) bietet, und dem hyperrealistischen Treiben, in das uns etwa Werner Fohrer (Keim) hineintreibt, liegen Welten. Sage niemand, es sei nichts für sie oder ihn dabei gewesen! Beim Blättern des Programms ist festzustellen, dass nur ein Künstler zweimal auftritt: Thomas Putze (Schlichtenmaier und Galerie Z), der mit viel Witz und durchaus gewitzt ein Panoptikum wurzelartiger Zeitgenossen hier und Zeichnungen dort zeigt. Sonst heißt es: so viele Namen wie Stile. Die Besucher sollten allerdings mit Karl Valentin eins beherzigen: Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit. Sie freut sich darauf, betrachtet und beherzt auch gekauft zu werden.

Ein kleiner Parforceritt:

AbtArt bekennt Farbe mit dem in der Region gut bekannten und als – auch privat – wunderbar eingespieltes Team Isa Dahl und Daniel Wagenblast. Die Malerin zieht den Betrachter mittels dynamischer Pinselschwungstrudel in einen Sog aus Faszination und Rausch und schafft überzeugende Raumillusionen. Der Bildhauer geht handgreiflich in die Ausstellung: aus holzgeschnitzten Pranken bietet er alles an, was man sich so oder auch nicht vorstellen kann – Glühbirnen, Panzer u.Ä. Daneben zeigt der Fan grellbunt-poppiger Skulptur große Formate.

Klaus Braun wagt sich an die erste deutsche Ausstellung der bezaubernden Farbfeldmalerin Erin Lawler. Die Engländerin präsentiert offensive Farben, mischt mutig Grün, Purpur und Rosa, versieht die Ölfarbe allerdings mit einer matten Zurückhaltung, um der grellen Präsenz eine beeindruckende Intimität zu verleihen.
Frank Molliné zeigt unter dem neuen Dach von Braunbehrens und unter neuer Adresse eine Megagruppenschau mit etablierten und neuen Namen: Peter Anton, Volker Blumkowski, Stefan Bräuniger, Daniel Cherbuin, José Cobo, Joan Fontcuberta, Verena Guther, Helle Jetzig, Georg Küttinger, Jens Lorenzen, Sami Lukkarinen, Patrick Lo Giudice, Antonio Marra, Marck, Kai Savelsberg, Harald Schmitz-Schmelzer, Willi Siber, Jaime Súnico. Die Galerie arbeitete von 1978 bis 2014 erfolgreich in München und wurde dann von dem Stuttgarter Galeristen Frank Molliné übernommen (bisher Galerie Molliné im Galerienhaus Stuttgart).

Amorphe Tuschgespinste von Hans-Christian Brix gibt es bei Dengler und Dengler zu sehen. Der Graphiker reagiert damit auf unsere vernetzte Welt, die chiffrenhaft im Kugelthema aufscheint.

Thomas Fuchs hält es lieber mit intensiven Meerbildern des Hamburger Malers Jochen Hein. Dabei ist das Motiv nur die Kulisse für eine grundsätzliche Auseinandersetzung der Malerei. Denn wer glaubt, einer fotorealistischen Seestimmung gegenüberzustehen, wird beim Nähertreten eines Besseren gelehrt: pure Abstraktion, zahlreiche Malschichten übereinander – gestenreiche Pinselführung, die unser gegenstandsgieriges Auge in die Irre (ver)führt.

Reinhard Hauff wartet wiederum mit einer vielseitigen Gruppenschau auf, die sich unter dem Slogan »I don’t care« trifft. Die teilnehmenden Künstler sind Frank Ahlgrimm, Marc Bijl, Anne-Lise Coste, Wolfgang Flad, Thomas Locher, Josephine Meckseper, Julika Rudelius und Lasse Schmidt Hansen. Zur Schau zitiert der Galerist aus der UNIVERSAL DECLARATION OF HUMAN RIGHTS, Artikel 22: »Everyone, as a member of society, has the right to social security and is entitled to realization, through national effort and international co-operation and in accordance with the organization and resources of each State, of the economic, social and cultural rights indispensable for his dignity and the free development of his personality.« – Artikel 23: »Everyone has the right to work, to free choice of employment, to just and favourable conditions of work and to protection against unemployment. 2. Everyone, without any discrimination, has the right to equal pay for equal work. 3. Everyone who works has the right to just and favourable remuneration ensuring for himself and his family an existence worthy of human dignity, and supplemented, if necessary, by other means of social protection. 4. Everyone has the right to form and to join trade unions for the protection of his interests.«

Skurriles von Günter Reichenbach präsentiert Andreas Henn. Ob die bunten Kunststoffplastiken an Trompetentierchen oder freigelegte Darmverschlingungen erinnern, bleibt dem Betrachter überlassen – mit einigem Witz präsentiert wirken die Arbeiten allemal sympathisch.

Fotografierte und gemalte Zeichen der Zeit hat die quirlige Galeristin Amrei Heyne auf Lager – Alvar Beyer, Andrea Eitel, Klaus Frahm Holger, Kurt Jäger, Anna Meyer, Felix Müller, Werner Pawlok, die unter dem Langzeitprojekt »WANDERLUST« stehen, das 2012 an den Start ging. Dass es nicht nur um das Zufußgehen geht, zeigen die Fernziele des Stuttgarter Fotografen Werner Pawlok. Verortet werden die vorgestellten Arbeiten in Berlin, Düsseldorf, Hamburg, Stuttgart und sonstwo und ist geprägt von fernweh- und sehnsuchtsgesteuerten Emotionen.

Bei Hollenbach laden zum siebten Mal die verwirrend strengen Farbklänge von Herbert Hamak zum Schauen ein, diesmal aus der jüngsten Serie »mille fiori«, angereichert durch eine Freiplastik des Künstlers im Garten der Galerie. Zwischen Miniaturmalerei und Großinstallation siedelt Hamk seine monochrome, konzeptionelle Bildsprache an, die die Farbe zum visuellen, aber auch haptischen Erlebnis macht.

Eine neorealistische Bildgebung bieten Werner Fohrer und Britta Schmierer im Hause Keim an.

Für Puristen ist eine der besten Adressen Brigitte March, die eine Installation von Daniel Schörnig zeigt. Zwar reagiert der Künstler auf die Räume, nimmt aber betont wenige Eingriffe in die vorgefundenen Situationen vor. Durch ihre Unscheinbarkeit entfalten sie eine subtile Ästhetik.

Merkle meets Merkle: Ohne verwandt zu sein, holt der Galerist Horst Merkle den Jungkünstler Markus Merkle ins Haus, der sich zum vielversprechenden Aktivisten der Kunstszene emporgearbeitet hat. Im Grenzbereich von Innen- und Außenraum, Konzept und zeichnerischer oder installativer Ausformulierung nimmt sich Merkle viel Zeit für philosophische Überlegungen. In der Ausstellung nimmt die Linie eine wichtige Rolle ein, sei es auf dem Papier oder in der dritten Dimension.

Vegetatives von Konrad Mühe ist bei Parotta Contemporary Art zu besichtigen. Darüber hinaus zeigen Stefan Guggisberg und Gabriel Rossell Santillán Arbeiten auf Papier.

Marko Schacher schickt Johanna Jakowlev, Sergei Moser und Martin Leuze mit ausdrücklichen, wenn auch meist ort- und zeitlosen Freiräumen ins Rennen, welche die urbane Umgebung ins Visier nehmen. Der Leonberger Wahlberliner Martin Leuze durchstreifte mit dem Fotoapparat internationale Metropolen wie Tokio, Seoul, Dubai, Budapest, Riga, Malaga, Lissabon und Berlin und fand Blickfänge der Architektur zwischen abstraktem Raster und realer Straßenszenerie. Johanna Jakowlev hat auch Architektur im Blick, allerdings mutieren ihre fotografischen Bildvorlagen auf der Leinwand zu Darstellungen skulpturaler Werke. Sergei Moser, der wie Jakowlew in Heilbronn lebt, erweitert die Schau im Projektraum der Galerie.

Schlichtenmaier zeigt in einer spektakulären Privatsammlung, dass Kleinplastik nicht nur kleine Plastik ist. Nicht ohne Grund gehören Kleinplastiken zu den frühesten künstlerischen Aussagen der Menschheit: ob nun als gestaltetes Werkzeug oder als kultisches Objekt. Den Idolcharakter hat die Kleinplastik bis heute nicht eingebüßt. Hinzu kam noch die Verwendung im öffentlichen und öfters sogar privaten Kabinettbereich und als Modelle für größere Arbeiten; gemeint sind die sogenannten Bozzetti. Eine wesentliche Rolle kommt in allen Fällen dem Sammler zu, denn selten genug finden sich Kleinplastiken in Museen oder gar im Öffentlichen Raum. Kleinplastik ist mehr als alle andere Kunst, auch mehr als das, was man Großplastik nennt, auf den privaten, ja intimen Raum bezogen, der viel über den Besitzer aussagt. Die Galerie präsentiert einen erlesenen Ausschnitt aus einer Privatsammlung, die viele Entdeckungen bereithält – für Kenner der Bildhauerei, aber auch für die der Galerie. Die Künstler sind: Hiromi Akiyama, Franz Bernhard, Emil Cimiotti, Michael Croissant, Madeleine Dietz, Lothar Fischer, Horst Egon Kalinowski, Wilhelm Loth, Thomas Putze, Ingo Ronkholz, Robert Schad, Michael Schoenholtz, Reiner Seliger und Rudolf Wachter.

Bei Stöckle/Hauser entstehen installativ-virtuelle Welten von Ana Maria Tavares zwischen Kunst, Architektur, Technik und Design. Das Spektrum ihres Schaffens liegt im Beziehungsfeld zwischen Kunst, Architektur, Design – mit den Schnittstellen von Technik und Handwerk, Bewegung und Ruhe, artifiziellen und organischen Materialien Analytischen Hintergrund bilden die Werke von Sir Joseph Paxton, des brasilianischen Architekten Oscar Niemeyer sowie des brasilianischen Landschaftsarchitekten und Künstlers Roberto Burle Marx.

Stefan Wieland positioniert sich bei Stzrelski – so legt ein Titel nahe – zwischen Klecks und Feenhaar. Der Künstler nimmt die Welt, wie er sie sieht, und erfindet sie neu, um deren Karten am Ende aufs Neue zu mischen.

Michael Sturm hat den jungen Reto-Boller-Schüler Dave Bopp aus der Schweiz auf dem Programm, der besondere Aufmerksamkeit verdient, sowie den kolumbianischen Zeichner Kevin Simón Mancera. Bopps Allover-Paintings gleichen einer ungestalten Ursuppe, die weder Vorder- noch Hintergründe, noch Boden oder Horizont kennt, aber auf atemberaubende Weise zugleich zu expandieren oder zu implodieren scheint.

Im Uno Art Space warten die koreanischen Jankowski-Schüler Min Bark und Byung Chul Kim auf Besuch. Beide befassen sich mit der Motto-Schau »Heimat ist die Fremde«: Aufgrund ihrer unterschiedlichen Lebensläufe gehen sie verschieden mit den Themen Herkunft, Identität und Zugehörigkeit um. So beschäftigt sich Min Bark selbstreflexiv etwa mit dem eigenen, extrem vergrößerten Passbild, während Byung Chul Kim mit poetischen Bildern an ihren Erlebensprozess herangeht.

Surreale Aperçus präsentiert Valentien mit Anne Ingerfurth, die sich in kleinformatigen Arbeiten »weiter als nah dran« wagt an die real dargestellte, aber keineswegs realistische Welt. Es handelt sich vielmehr um Architekturphantasien mit geheimnisvollen Staffagefiguren. Stimmungsvoll setzt die so humorvolle wie nachdenkliche Künstlerin Farben ein, die die Szenerien mit Leben füllen.

Nicht versäumen darf man Katharina Hinsbergs und Beate Terfloths Grenzerfahrungen im Medium der Zeichnung bei Wahlandt, wo beide Künstlerinnen bereits mehrfach präsent waren. Zentral steht Terfloths Bildserie »Die Reise nach Osten«, doch sollte man die aktuelle Präsentation allgemein dazu nutzen, die spektakulären Höhenflüge der Zeichnung zu genießen, zu denen diese Gattung fähig ist.

Vielen Künstler begegnet man bei Wehr, der 35 Jahre Galerie feiert mit 15 Namen von Julius Kaesdorf über Peter Dreher bis hin zu Tobias Wyrzykowski und… – ja: zu Rainer Wehr selbst, der als einer der ganz wenigen Galeristen eine ›echt‹ künstlerische Vergangenheit hat, als einstiger Schüler von Joseph Beuys in Düsseldorf. In seiner Ausstellung zieht er einmal mehr Bilanz zum weiten Feld der Malerei. Dass Wehr dabei nicht nur auf Entdeckungen in seiner 35jährigen Karriere hinweist – man denke an die zauberhafte Emel Geris oder den skurrilen Sebastian Tröger - , sondern auch auf Namen, die vom Kunstmarkt drohen überrollt zu werden, macht die Schau spannend.

Am Ende des Alphabets steht die Galerie Z mit Zeichnungen von Thomas Putze, der mit seinen skizzenhaften, unbändig phantasievollen und erfrischend unkonventionellen Arbeiten zu den interessantesten Künstlern einer jüngeren Generation im Stuttgarter Raum gehört.

Wohin die Reise mit der Kunst in Stuttgart geht, bestimmt der Markt, den bitteschön nicht die Spekulanten, sondern die Besucher des Art Alarm betreten mögen: Da alle Größen und Preise anzutreffen sind, wird sich – theoretisch – jeder Kunstfan eine Arbeit leisten können. Er hat die Wahl.

Weitere Informationen zu den Veranstaltungen finden Sie hier.

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