Kunst macht Politik

Kunst steht aber nicht nur im Dienste der Politik, sie beteiligt sich auch aktiv am Tagesdiskurs und natürlich an den politischen Entwicklungen ihrer Zeit. Das Spektrum reicht dabei von (Bild-)Kommentaren über kritische bis ironische Inszenierungen bis hin zu Interventionen.

Wenn man an politische und politisch-kritische Kunst denkt, stehen einem zunächst einmal die zahlreichen Karikaturen vor Augen, die durch die Jahrhunderte das gesellschaftliche und politische Leben stets begleiteten. Irgendwo zwischen Journalismus und Kunst bewegen sich diese oft äußerst detailreich ausgearbeiteten, oft aber auch sehr minimalistischen Zeichnungen, Stiche oder Grafiken. Sie kommentieren das aktuelle Weltgeschehen, die Politik eines Landes, nehmen Politiker oder gesellschaftliche Debatten aufs Korn. Dabei stellen sie sich durchaus nicht immer in den Dienst einer Opposition, sondern dienen auch einer Regierung. So lieferten sich die katholischen und protestantischen Fürsten der Reformationszeit eine Propagandaschlacht mittels Karikaturen und Flugblättern, die bis dahin ihresgleichen suchte. Überhaupt waren Karikaturen schnell das Mittel der der Wahl, um Gegner zu verunglimpfen. Ihre Blütezeit erlebten diese kleinen Zeichnungen im 19. Jahrhundert, als Zeitschriften die der Simplicissimus oder The Punch an der Spitze einer Satirelandschaft standen, die vor allem ihre Vielfalt auszeichnete, und als die Karikatur zum Standardprogramm der Tageszeitung wurde wie wir es heute erleben. Selbst online ist sie Zeichnung inzwischen kaum wegzudenken.

Natürlich gibt es aber auch noch andere Formen der Kommentierung und Begleitung von Weltgeschehen und Politik durch die Kunst. Eines der bekanntesten Bilder, wenn nicht das bekannteste ist dabei Picassos »Guernica« (1937), das zugleich die gewandelte Rolle des Künstlers widerspiegelt: Bis zu den gesellschaftlichen Umbrüchen seit Ende des 18. Jahrhunderts waren Künstler vor allem im Auftrag der politischen und gesellschaftlichen Eliten tätig: Adel und Klerus, in Städten oft auch das herrschende Bürgertum, bestimmten das Bildprogramm. Nun hatten die Künstler ihre klassischen Auftraggeber verloren, waren aber zugleich freier in der Wahl ihrer Thematik und der Darstellungsform. »Guernica« zeugt von dieser Freiheit, die sich ein Künstler spätestens im 20. Jahrhundert nehmen konnte – selbst wenn er ein Auftragswerk schuf: 1937 arbeitete Picasso an einem gewaltigen Bild, das den Spanischen Pavillon auf der kommenden Weltausstellung zieren sollte. Mit der Nachricht vom Angriff auf Guernica verwarf er seinen aktuellen Entwurf und schuf stattdessen dieses Symbolbild gegen die Gräuel des Krieges. Diese sind im Bild allgegenwärtig: den Menschen und Tieren in »Guernica« hat Picasso die Todesangst ins Gesichte geschrieben, über allem liegt ein Schleier des Terrors. Einzelne Szenen sind aneinandergereiht und bilden gemeinsam ein Panorama des Luftangriffs mit all seinen Schrecken. Picasso selbst ergreift hier zwar Partei gegen den Krieg und seine Auswüchse, stellt sich aber nicht in den Dienst irgendeiner politischen Bewegung, gleichwohl er Kontakt zu linksliberalen Kreisen hatte. Sein Anliegen war nicht Propaganda, sondern eine Anklage gegen den Krieg an sich. Bis heute ist »Guernica« eines der großen Bilder, die Politik kommentierten, und wird immer wieder zitiert und als Vorbild und Mahnung verwendet. So hängt im Hauptgebäude der UNO eine Kopie des Werkes, die verhängt werden musste, als der UN-Sicherheitsrat seine Zustimmung zum Irakkrieg geben sollte.

Die großen Verwerfungen der Politik haben Künstler immer wieder ermutigt, sich zu äußern, zu engagieren oder in Aktionen auf aktuelle Ereignisse Einfluss zu nehmen. Gerade im 20. Jahrhunderts wurde dabei immer über den Wert und die Rolle einer politischen Kunst diskutiert, ja einzelne Künstler und sogar ganze Strömungen machten sich die Einmischung in die Politik zu ihrer Aufgabe und Debatten zu ihrem Inhalt – den Avantgarden war der Wunsch nach Revolution, wenn auch nicht in erster Linie so doch im Endeffekt, das Anliegen schlechthin. Das beginnt bereits mit dem Dadaismus und seinen Protagonisten: Die Erfahrung des Weltkrieges hatte die Gesellschaft desillusioniert, ihre Folge war ein Misstrauen gegen die klassischen bürgerlichen Werte und die Forderung einer radikalen Anti-Kunst, einer nicht einzuordnenden Aktion. Allein die fast schon anarchistisch anmutende Verbindung der verschiedensten Stile, die zudem neue Techniken wie die Fotomontage hervorbrachte. Aus ihm entwickelten sich Kunstformen wie die Aktionskunst oder die Fluxus-Bewegung; auch der Wiener Aktionismus kann als politische Kunst verstanden werden. Sie leben zu einem guten Teil durch die Provokation.

So führte Valie Export Peter Weibel während der Aktion »Aus der Mappe der Hundigkeit« 1969 am Halsband durch die Wiener Innenstadt, im »Tapp- und Tastkino« durften Besucher eines Filmtreffens ihre Brüste berühren. Weibel und Export mischten sich dabei in feministische Debatten auf der Höhe der Zeit ein, führten Geschlechterrollen ad absurdum und sorgten mit ihren provokanten Aktionen für Debatten auch jenseits der Kunstszene.

Einer der Pioniere und eines der Urgesteine der Aktionskunst ist Joseph Beuys. Während seines Studiums in Düsseldorf beschäftigten er und seine Kommilitonen sich mit den anthroposophischen Lehren Rudolf Steiners. Diese bildeten die Grundlage für Beuys' Suche nach einem umfassenden Kunstbegriff, seinen »erweiterten Kunstbegriff«, der in seiner gesellschaftlichen Dimension ganz klar politisch ist, greift er doch auch in unseren Rechts- und Wirtschaftsbegriff ein. Dies ging so weit, dass er als Dozent in seine Klassen diejenige Studenten aufnahm, die bei den Kollegen abgelehnt worden waren. In einem Gespräch mit Willy Brandt schlug er 1970 außerdem vor, einmal monatlich Künstler im Fernsehen diskutieren zu lassen, sodass durch sie die wahre Opposition zu Wort käme. Höhepunkt seiner Arbeit im öffentlichen Raum war sicherlich die Aktion zur documenta 7 »7000 Eichen – Stadtverwaldung statt Stadtverwaltung«, 1982 begonnen und mithilfe freiwilliger Helfer umgesetzt. Ziel dieser Intervention war, den städtischen Lebensraum umzugestalten und nachhaltig zu verändern. Interessanterweise stieß der Künstler mit der Aktion, bei der jedem gepflanzten Baum ein Basaltstein zugeordnet wurde, auf den Widerspruch der Kasseler Bürger. Beuys selbst bezeichnete das Werk als soziale Plastik. Das Konzept der sozialen Plastik meint dabei, dass jeder Mensch durch eigenes kreatives Handeln die Gesellschaft beeinflussen und verändern könne – programmatisch wurde Beuys' Ausspruch »Jeder Mensch ist ein Künstler«. Dieses Konzept ist es auch, das Beuys zu einer Art politischem Künstler werden lässt, erweitert er den Kunstbegriff doch auf das Feld des politischen Handelns. Ja, laut Beuys könnte man selbst die Demokratie als Kunstwerk betrachten – was seine Kunst zu einer zutiefst demokratischen macht. Im Übrigen war Beuys auch abseits seiner Aktionen politisch tätig, gründete 1967 die Deutsche Studentenpartei in Reaktion auf den Tod Benno Ohnesorgs und gehörte zu den Gründern der Grünen.

Joseph Beuys überschritt bei seinen Aktionen mehrfach die Grenze zur Intervention. Diese ist per definitionem bereits ein Eingriff in die öffentliche Ordnung, geht sie doch meist ohne Auftrag vonstatten und bewegt sich oft am Rande der Illegalität. Ihr ist das Aufgreifen gesellschaftlicher und (tages-)politischer Ereignisse immanent, oft versucht sie dabei, die Diskrepanz zwischen Regierung und Bürgern aufzuzeigen, gerne auch zu überwinden. So ist denn auch das Zentrum für politische Schönheit ein auf die Intervention ausgerichtetes Kollektiv, das die Folgen realer Politik erfahrbar macht und zugleich auf sie einzuwirken sucht. Mittel ist dabei vor allem das Erzeugen einer Präsenz, im aktuellsten Fall der Flüchtlinge, die im Mittelmeer ertrinken. Der öffentliche Aufschrei ist garantiert, die Auseinandersetzung mit dem Problem wird angeregt.

Die Provokation ist dabei eines der wichtigsten Stilmittel: Sie produziert zum einen medienwirksame Bilder, zum anderen überwindet sie die Distanz zum Rezipienten und holt ihn ab. Das erscheint sinnvoll, wenn doch die Ästhetik der Revolution wie sie die Avantgarden produzierten, kaum noch verfängt und der moderne Mensch mittels Konsum (zumindest wenn man die Ästhetik der Reklame heute bemüht) zum Abenteurer wird. Die Kunst begreift sich heute mehr und mehr als aufklärendes, investigatives oder kommentierendes Medium, das aktiv ins Geschehen eingreift. Interventionen sind dabei probates Mittel. Oft gleichen die Aktionen dabei einer Performance im öffentlichen Raum und zitieren die Ästhetik der von den Künstlern angeprangerten Missstände.

Im Sinne der Situationistischen Internationale holen die Künstler die Kunst auf die Straße, erschaffen Werke jenseits der Museen und Galerien und machen ihre Inhalte greifbar, fühlbar, erfahrbar. Es kommt zu einer Demokratisierung der Kunst, denn Aktionen wie die der Gruppe SPUR oder einst der Wiener Aktionisten sind auch ohne künstlerische Ausbildung realisierbar. Sogenannte City Hacks werden dabei immer beliebter, seien es winzige Blumenbeete im Pflaster, umstrickte Laternenmasten oder Fahrradständer.

Bei der Auseinandersetzung mit der politischen Wirkung von Kunst heute darf überdies die Street Art nicht in Vergessenheit geraten; Künstler wie Bansky oder JR gestalten hier den öffentlichen Raum und während des arabischen Frühlings wurden die Street Art Künstler zum Sprachrohr der politischen Opposition vor allem in Ägypten. Wie sie gesehen werden kann, hängt dabei vom Standpunkt ab. Aus dem Graffito geboren und vor allem im 20. Jahrhundert als Ausdrucksform von Subkulturen wie den Punks oder den Kindern benachteiligter Familien in den Großstädten etabliert, wurde es seit den 70er Jahren zur Kunstform erhoben. Harald Naegeli, Keith Haring oder Jean-Michel Basquiat machten es salonfähig. Nichtsdestotrotz ist es eine Form der Aneignung des öffentlichen Raums geblieben, während einzelne Künstler nunmehr auch in Galerien ausgestellt werden.

Zwischen Kunst und Politik bestehen also zahlreiche Berührungspunkte. Sie reichen von der Auftragskunst über die Rezeption tagesaktuellen Geschehens bis hin zur künstlerischen Intervention. Künstlerisches Ausdrucksmittel ist dabei mehr und mehr die Intervention, anknüpfend an einen Kunstbegriff, der jedem Bürger eine künstlerische Teilhabe möglich macht.

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