Ausstellungsbesprechungen

Kunst zum Anfassen und Erleben: Die Ruhrtriennale 2017

Die Ruhrtriennale bietet Veranstaltungen aus den Bereichen Musiktheater, Schauspiel, Tanz, Musik und Installation einen Rahmen. 14 verschiedene Industriedenkmäler aus dem gesamten Ruhrgebiet dienen dabei als Spielstätten und verleihen den rund 135 Veranstaltungen eine einzigartige Atmosphäre. In diesem prägen die drei Begriffe »Freude«, »schöner« und »Götterfunken« das Festival, die auch für das Wiederentdecken Europas stehen sollen. Susanne Braun hat sich alle Installationen angesehen.

Die Installation »The Good, the Bad & the Ugly« dient der Ruhrtrienale bereits im dritten Jahr als eine Art Basislager. Aus Kunstwerken hat das Atelier van Lieshout wieder vor der Jahrhunderthalle in Bochum ein kleines autarkes Dorf errichtet, das Raum für Diskussionsrunden, Lesungen, Konzerte, Workshops, Audiowalks und Partys für alle Altersgruppen bietet. Die Skulptur eines überdimensionalen menschlichen Darms etwa ist begehbar und fungiert als Bar. Auch die aus rostigem Stahl gestalteten »Sanitary-Silos« sind voll funktionsfähig und als Toiletten, Waschbecken und Duschen im Einsatz.

Im dritten und letzten Jahr der Intendanz von Johan Simons hat das Atelier van Lieshout weitere Aktionsbereiche und Kunstwerke hinzugefügt, die sinnbildlich für das Motto »The End of Everything« stehen. Dazu gehört ein Bereich, in dem sich mit Hilfe eines Krans sowie riesiger Hammer und Pressen ausrangiertes Mobiliar und Elektroschrott in kleinste Teile zerlegen lassen. »Wir zerstören, aber dann erschaffen wir daraus etwas Neues«, erklärt der Künstler Joep van Lieshout, »Zum Beispiel können wir neue Skulpturen herstellen. Unser Ziel ist eine Stadt, die nur vom Recycling lebt. Das ist einerseits destruktiv, aber es macht auch Spaß«. Inmitten des Sperrmüll-Wirrwarrs befinden sich mehrere Monitore, auf denen sich der Zerstörungsprozess in Endlosschleife wieder und wieder verfolgen lässt.

Die grüne Skulptur eines »Lebensbaumes« etwa ist das Ergebnis eines solchen Recyclingprozesses im Atelier van Lieshout. An dem großen baumartigen Gebilde hängen mehrere menschenartige Körper. Manchen scheint der Baum Leben zu schenken, andere eher zu strangulieren. Damit verkörpert die Skulptur besonders offensichtlich etwas von der Dialektik von Konstruktion und Destruktion, die den meisten Kunstwerken der Installation »The Good, the Bad & the Ugly« in diesem Jahr innewohnt. Eher etwas von Readymades haben etwa der Industrie-Hammer oder die zerstörten Feuerlöscher, die in der Vorhalle der Jahrhunderthalle ausgestellt sind. Den passenden Sound dazu liefert das »End of Everything-Orchetra«, das mit Hilfe von industriellen Schiffshörnern durchdringende Geräusche erzeugt, die sogar zu spüren sind.

»Wir leben in einer Zeit, in der vieles Neu ist und wir mit vielem aus der Vergangenheit brechen wollen«, beschreibt Joep van Lieshout seine Eindrücke. Er hofft, dass seine Kunst zum Nachdenken und Diskutieren anregt: »Sicherheit ist gut, aber wir sollten auch den Mut haben, Dinge zu zerstören, die unsere Freiheit einschränken. Aber wir müssen uns auch daran erinnern, dass es so etwas schon früher gegeben hat. Auch die Futuristen zum Beispiel wollten schon etwas ähnliches. Sie waren letztlich bereit, ihre Vorstellungen auch mit Gewalt durchzusetzen und haben später mit den Faschisten paktiert. Deswegen ist bei uns die ethische Frage sehr präsent«.

In Sichtweite von »The Good, the Bad & the Ugly« ist die Licht-Installation »Europa« angebracht. 33 Neonröhren illuminieren am Westgiebel der Jahrhunderthalle das Wort »Europa« in kapitalen Lettern. Die Realisierung der Skulptur wurde im Herbst 2016 durch Crowdfunding ermöglicht. Nach Stationen an der Königgalerie/St. Agnes und der Komischen Oper in Berlin leuchtet dieses Bekenntnis zu Europa nun an der Jahrhunderthalle in Bochum. »Seit ich künstlerischer Leiter dieses wunderbaren Festivals geworden bin, hat sich die Welt sehr verändert, wirkte manchmal wie aus den Fugen«, sagte Intendant Johann Simons zum Auftakt der Ruhrtriennale, »Doch spüre ich nun eine positive Energie, ein Wiederentdecken Europas und seiner Kraft. Und vielleicht können wir mit künstlerischem Götterfunken unserem Publikum ein paar Hoffnungsschimmer schenken«.

Einen tiefen Einblick in das Alltagsleben des Ruhrgebiets gewährt die Installation »Truck Tracks Ruhr – The Compilation«. Das Künstlerkollektiv Rimini Protokoll hat in Zusammenarbeit mit Urbane Künste Ruhr und zahlreichen Theatern und Veranstaltungsorten in der Region Porträts von sieben Großstädten produziert. Dafür haben 49 Künstler Bild, Wort und Sound zu 49 ungewöhnlichen Perspektiven verschmolzen. Die Zuschauer wurden mit einem Truck, in dessen Querseite eine Glasscheibe eingebaut worden ist, zu den einzelnen Stationen gefahren. Dabei war die Scheibe des Trucks die meiste Zeit durch eine Leinwand verdeckt. Nur an den einzelnen Stationen wurde sie hochgefahren und gab den Blick auf etwas ganz unerwartetes frei.

Jetzt sind erstmals alle Alben aus den Städten Oberhausen, Recklinghausen, Duisburg, Dortmund, Mülheim, Bochum und Essen in der Ausstellung in der Mischanlage Kokerei Zollverein zu sehen. »Wir möchten mit unserer Arbeit an das Dokumentartheater, das im Ruhrgebiet eine lange Tradition hat, anschließen«, erklärt Kurator Stefan Kaegi von Rimini Protokoll. Dabei gerät oft gerade Alltägliches zu einem bizarren und surrealen Erlebnis wie etwa der Blick auf Menschen, die ihre Autos reinigen. Auch das Kommen und Gehen an der Bushaltestelle eines Hauptbahnhofs wirkt im Film unvermittelter und die Einsamkeit des aneinander-vorbei-Hastens ist deutlicher spürbar. Genauso wie sich durch das Einspielen von Produktionsgeräuschen aus der Zeit, als die Zechen des Ruhrgebiets noch in Betrieb waren, auf einmal eine ungeahnte Verbindung zwischen Gegenwart und Vergangenheit auftut. In einem anderen Fall verleihen erst die Bilder einer Verschrottung den Worten einer Frau, die über ihren Umgang mit dem Tod ihrer Mutter spricht, etwas brutales. Vertraute Bilder werden in einen ungewohnten Kontext gesetzt und oft muss man sich als Zuschauer erst vergewissern, wodurch genau das Gefühl entsteht, dass gerade etwas bizarres zu sehen ist.

Die Filmemacher Ulrike Franke und Michael Loeken haben alle Alben von »Truck Track Ruhr« von Anfang an begleitet und die sieben Filme produziert, die in der Ausstellung zu sehen sind. Dabei bleibt der Charakter der Fahrten im Truck weitestgehend erhalten.

Die Installation »White Circle« des raster-noton Labels bietet Anlass, der Wirkung von Licht und Musik auf den eigenen Körper nachzuspüren. In der Mitte der Installation befindet sich ein Kreis aus weiß leuchtenden Leuchtstoffröhren. Das weiße Licht des Kreises reagiert auf den durchdringenden Beat der Musik von Alva noto, Byetone, Frank Bretschneider und Kangding Ray mit hellerem und dunklerem Aufleuchten. Dabei ist die Helligkeit so durchdringend, dass sie auch bei geschlossenen Augen wahrnehmbar bleibt. Licht und Musik verschmelzen für den Zuschauer zu einer synästhetischen Erfahrung

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