KunstGeschichten

KunstGeschichte: Auf der Glasscherbeninsel

René Pistorius ist Gärtner. Doch fühlt er sich zu Höherem berufen: Landschaftsgestalter will er sein. Und so mäht er bei seinem ersten Auftrag vor lauter Begeisterung für seine neue Chefin auch gleich ihr Gesicht in den Rasen vor dem Donauturm. Diese ist natürlich wenig begeistert. Wer wem daraufhin gehörig einheizt, erfahren Sie nachfolgend.

Die Ortsbezeichnung „Glasscherbeninsel“ gibt es in Wien mehrfach.
Erstens ist damit der zweite Bezirk gemeint, genauer das Gebiet mit dem ehemaligen Ghetto, das auch Mazzesinsel genannt wird. Der Begriff „Glasscherbeninsel“ soll auf die Reichskristallnacht vom 9. auf den 10. November 1938 zurückgehen, in der viele jüdische Geschäfte zerstört und geplündert worden waren. Zweitens wird auch vom zwanzigsten Bezirk als „Glasscherbeninsel“ gesprochen, wahrscheinlich, weil sich die Bezirke zwei und zwanzig die Insel teilen, die von der Donau und dem Donaukanal gebildet wird und der zwanzigste außerdem, vielleicht abgesehen vom Millenium-Tower, architektonisch nicht besonders viel hergibt. Und drittens wurde damit vor Jahren einmal das Gebiet im einundzwanzigsten Bezirk gemeint, das zwischen der Donau und der Alten Donau liegt und heutzutage das UNO-Zentrum beherbergt, sowie das Gelände des WIG-Parks.

Die WIG war die „Wiener Internationale Gartenschau“ im Jahre 1964 und damals verwandelte sich die alte Glasscherbeninsel in den heute so gepflegten Donaupark . 1964 wurde auch der 252 Meter hohe Donauturm eröffnet, denn Wien hatte die glorreiche Idee, einen Aussichtsturm auf einem der niedrigsten Punkte des Stadtgebietes zu bauen. Man mag darüber spotten, aber im Allgemeinen ist das alles recht schön geworden. Allerdings auch gleichzeitig sehr modern! Von der in 164 Metern Höhe gelegenen drehbaren Aussichtsterrasse mit Kaffeehausbetrieb kann man eine Ansammlung von Hochhäusern überblicken, die in Wien kein Pendant hat – und die neue Reichsbrücke mit der U-Bahnlinie 1 macht die Gegend überaus attraktiv, sofern man Wien nicht mit Barockarchitektur gleichsetzt.

René Pistorius hatte keinerlei Einwände gegen die moderne Architektur hier am Nordende des Gebietes, das man auch Kaisermühlen nennt. Er war ein etwa fünfundzwanzigjähriger, ganz hübscher Bursche, immer glatt rasiert, und er hatte für die moderne Jugendkultur nicht viel übrig. Im Allgemeinen war er ein Spätzünder, der noch immer bei seiner Mutter wohnte und keine echte Freundin besaß. Nur eine einzige Erfahrung hatte er gehabt, mit der Melanie Schneider aus der Schödelbergergasse, die er im Gänsehäufel in ihrer Kabine rangenommen hatte. Übrigens unter der exakten Anweisung der Melanie! Diese Erfahrung war eines der tollsten Erlebnisse, an die René sich erinnern konnte. Und seither versuchte er immer wieder, ein Mädel kennen zu lernen, mit dem er sie ein zweites Mal machen konnte. Da er aber recht unbeholfen war, gelang es ihm nicht.

René Pistorius war Gärtner. Er hatte seine Ausbildung bei einer Gärtnerei auf dem Stammersdorfer Friedhof absolviert, seine Leidenschaft aber war die Landschaftsgestaltung. Seine Mutter, Rosemarie Pistorius, arbeitete bei der Stadt Wien und zwar bei der Wohnungsvergabe für die Gemeindebauten. Sein Vater lebte nicht mehr.

Eines Abends griff sich René nach der Arbeit noch die Zeitung der Gemeinde Wien, die seine Mutter regelmäßig als Bedienstete des Magistrates erhielt.Zufällig fiel sein Blick auf die Stellenanzeigen.
Das Stadtgartenamt suchte einen Gärtner, in erster Linie für den Donaupark.
„Das wär' was für mich!“, verkündete René. Seine Mutter sah sich die Annonce an. „Das ist bei der Treichel. Soll a harter Hund sein, die Dame! Ziemliche Leut'schinderin! Bei der wird so schnell keiner glücklich!“
„Kennst sie persönlich?“
„Nein. Eh ein Glück! Hab nur was g'hört von der!“
„Was denn?“
„Soll ihre Leut' ziemlich treten, sagen die meisten.“
„Das macht nix. Bin i g'wohnt. Anschauen, die Dame. I bewerb mi!“
Das tat René tatsächlich. Er verfasste ein Bewerbungsschreiben, das alle seine beruflichen Erfolge auflistete und er hob sein spezielles Interesse für die Landschaftsgestaltung hervor. Und tatsächlich erhielt er ein paar Tage später ein Schreiben von der Doris Treichel, das ihn ins Stadtgartenamt vorlud.

Am Tage seines Vorstellungsgespräches war es ziemlich heiß. Mit U1 und U4 fuhr René zum Stadtpark. In der Johannesgasse, bereits auf dem Gebiet des Stadtparks, steht das villenähnliche Gebäude, das viele Büros des Stadtgartenamtes beherbergt.
René trat ein. Der erste, der ihm entgegenkam, war ein etwa fünfzigjähriger Ärmelschoner mit dem Aussehen eines Griesgrams. „Sie wünschen?“
„Zur Frau Treichel.“
„Aha, a neuer Sklave! Erster Stock, gleich die erste Tür.“
René stieg die Treppe hinauf. Die erste Tür war knapp seitlich der Stiege. Als er anklopfen wollte, trat eine junge Frau heraus. Sie war etwa 23 Jahre alt und René traf fast der Schlag, als er sie sah. Mit reichlich naivem Gesichtsausdruck sah er sie an.

Nicht, dass diese Frau besonders sexy aussah, es war ihr Gesicht, das René faszinierte. Unter einem braunen Lockenkopf sahen ihn zwei Augen an, die unterschiedlich gefärbt waren, eines graublau, das andere grünlich. Die Gesichtszüge waren zugleich sanft und beherrschend, eine faszinierende Mischung. Und gleichzeitig sah René, dass sich dieses Gesicht besonders einfach zeichnen ließ. Da konnte man gar nichts falsch machen!

Sofort hatte sich René in dieses Gesicht verliebt! Nun sah er aber doch noch an der Frau herunter. Sie trug enge dunkelblaue Jeans und eine hellgelbe Bluse, die die darunter befindlichen Formen recht vorteilhaft betonte.
„Entschuldigung. Ich möchte zu Frau Treichel.“
„Das bin ich. Gehen Sie nur rein, ich komme gleich“, sagte ebendiese und ging an den Stiegen vorüber in den anderen Trakt des Gebäudes.
René trat ein und sah sich in einem nüchternen Büro um. Ein recht großer, moderner Schreibtisch stand vor den Fenstern des Raumes und darauf ein Computer, dessen Bildschirm lief. Daneben lagen ein paar weiße Blätter Papier.

René trat hinter den Schreibtisch und stibitzte ein Blatt. Aus einem bunten Becher, in dem Schreibgerät gelagert war, nahm er sich einen weichen Bleistift und begann zu zeichnen. In erstaunlich kurzer Zeit hatte er das Bild fertig. Rasch kam er wieder hinter dem Schreibtisch hervor und stellte sich in der Mitte des Raumes auf. Die Zeichnung faltete er ordentlich zusammen und steckte sie in die Hosentasche.

Da erschien plötzlich Frau Treichel in der Tür. „Herr Pistorius, nehme ich an?“
„Richtig. René Pistorius, Gärtner.“
„Und Sie wollen bei uns mitmachen?“
„Wenn das möglich wäre. Ich wohne ganz in der Nähe, in Kaisermühlen.“
„Na ja, Sie sollen nicht ausschließlich am WIG-Gelände arbeiten! Wien hat eine ganze Menge Parks!“
„Ich weiß.“
„Da müssen Sie auch manchmal in den Burggarten oder nach Schönbrunn!“
„Das macht doch nichts!“
„Und im Sommer können Sie nicht immer schon um vier oder fünf Schluss machen!“
„Das hab ich angenommen.“
„Sehr schön. Dafür haben Sie im Winter kaum was zu tun.“
„Außer in den Blumengärten Hirschstetten“, wandte René ein.
„Das sind aber Ausnahmen“, sagte Frau Treichel. „Wie würden Sie eine große Grasfläche vor dem Donauturm gestalten?“
„Die große Fläche zwischen der Autobahn und dem Turm? Gar net! So lassen, wie s' jetzt is!“
„Hab ich mir auch gedacht. Aber das Gras g'hört gemäht!“
„Könnt' ich noch heut machen. Rasenmäher wird’s ja geben?“
„Ein' Traktor mit Mähmaschin' könnten S' haben.“
„Super! Na, mach ich gleich, wenn ich zurück bin.“
„Herr Pistorius, sie tun fast so, als ob Sie den Job schon hätten!“
„Na ja, mit so einer Chefin, da wünscht man sich halt den Job besonders!“
Frau Treichel lächelte. „Was is an mir schon dran?“
„Ihr Aussehen! Für so eine Chefin hackelt man gern!“ René war reichlich enthusiastisch geworden. „Und ich meine wirklich 'hackeln', net nur arbeiten!“
„Na gut“, sagte Frau Treichel und blätterte in den Papieren, die René mitgebracht hatte. „Dann haben Sie den Job!“
„Und wo krieg ich den Rasenmäher?“
„Sie wollen wirklich noch heute?“
„Na sicher! Was g'macht werden muss, muss g'macht werden! Möglichst gleich!“

Frau Treichel suchte in ihrer Schreibtischschublade und zog einen Schlüsselbund hervor. „Da haben S' die Schlüssel. Der Mähtraktor steht im Schuppen vom Donauturm.“
„I mach mi sofort auf die Socken!“, versprach René. „Sie können ja heut' noch nachschauen kommen.“
„Vielleicht mach ich das auch...“

Als René das Gebäude verließ, ging er gar nicht erst zur U-Bahnstation Stadtpark zurück, sondern lief über die Johannesgasse hinüber zum Hotel Intercontinental und von dort die Zweierlinie entlang bis zur U-Bahnstation Karlsplatz. Jetzt, nach der Begegnung mit Doris Treichel, brauchte er ein wenig Bewegung. Und während er flotten Schrittes am Eislaufverein, am Konzerthaus und am Akademietheater vorbeilief, dachte er an einen gemütlichen Abend beim Heurigen in Stammersdorf oder Strebersdorf mit seiner neuen Chefin und immer hatte er ihr Gesicht vor sich.

Die wenigen Stationen vom Karlsplatz nach Kaisermühlen legte er auf der Plattform stehend, aber in einer Art Halbschlaf zurück und von der U-Bahn lief er direkt zum Donauturm. An der Kasse fragte er die Dame, die dort Karten verkaufte, nach der Hütte und wies ihr den Schlüssel für die Mähmaschine vor. Er wurde um den Turm herum geschickt. Dort stand ein hölzerner Schuppen, gerade einmal so groß wie etwa zwei der Traktoren sein mochten.

Es waren tatsächlich zwei in dem Schuppen. René überprüfte den Schlüssel. Er passte zum ersten und René holte das Ding heraus.
Das Gras auf der großen Wiese stand bereits recht hoch. René stellte die Schnitthöhe auf sechs Zentimeter ein und fuhr auf die Rasenfläche. Und dann stand der Traktor am Beginn der Wiese, René dachte an Frau Treichel und daran, dass sie möglicherweise heute noch herkommen würde, sein Werk bewundern. Er gab Gas, senkte das Mähwerk ab und fuhr los. Und auf ein Mal hatte er die Zeichnung der Frau Treichel vor Augen. Und ganz instinktiv fuhr er mit dem Rasenmäher eine weite Linkskurve.

Seine Arbeit mit dem Rasenmäher wurde begleitet von recht anschaulichen Tagträumen. Er sah die Frau Treichel in einer Kabine des Gänsehäufels, wie sie ihr Bikinitop ablegte und ihn, den René, in den Arm nahm. Und gleichzeitig lenkte er den Rasenmäher weiterhin so, dass die Konturen ihres Gesichts abgebildet wurden.

Es ist vielleicht schwer verständlich, dass René beinahe unbewusst das Gesicht der geliebten Frau per Rasenmäher in die Wiese „zeichnete“. Er hatte soeben in einer Form des Wachtraumes eine Mischung aus zwei Bildern im Kopf: Erstens das Gesicht der Frau Treichel und zweitens die karikaturhafte Zeichnung, die er im Büro des Stadtgartenamtes von ihr angefertigt hatte. Beides ließ ihn jetzt den Mäher so steuern, dass das Bild erkennbar wurde.
Als das Werk vollendet war, wachte René plötzlich auf. Was hatte er denn da gemacht? Wie das wohl vom Donauturm aussah?

Er zog das Mähwerk hoch und fuhr zurück zum Aussichtsturm. Den Traktor stellte er auf dem Besucherparkplatz ab und lief zur Kasse. Dort löste er die Karte für den Aufzug und fuhr daraufhin zur Aussichtsplattform hoch.
Der Blick hinunter war atemberaubend! Da sah die Frau Treichel geradewegs zu ihm hinauf. Er hatte ihr Gesicht perfekt getroffen!
„Wer ist das denn, da unten?“ Hinter René ertönte die Stimme der Frau Treichel.
„Erkennen S' das net?“
„Schaut ein bisserl so aus, wie ich.“
„Das sind auch Sie“, sagte René verlegen. Und setzte dazu: „Sind S' wirklich heute noch da 'raus g'fahren?“
„Sie haben mi' a bissel interessiert, ob S' tatsächlich noch was tun, heute!“
„Fein!“, lächelte René. „Nämlich, dass Sie Interesse an mir haben!“
„Jetzt mähen S' aber noch den Rest von der Wiesen! Damit die Zeichnung weg is. I interessier da nämlich überhaupt niemanden!“
„Doch! Mich!“, behauptete René.
„Na, geh'n wir vorher auf ein' Kaffee“, sagte Frau Treichel. „Es is ja noch lang hell heute.“

Und dann saßen die beiden plötzlich im unteren Drehgeschoß des Cafés und der Tisch näherte sich soeben dem Punkt, von dem aus man auf die Graszeichnung hinunter sehen konnte.
Doris schaute hinunter und fragte plötzlich: „Warum haben Sie mich da eigentlich ins Gras gezeichnet?“
„Weil Sie mich faszinieren“, gab René ohne weiteres zu.
„Ja, womit denn?“, fragte Doris.
„Ihrem Gesicht“, sagte René.
„Was ist da schon dran?“
„Der Gesamteindruck“, sagte René. „Das ist ein Gesicht, das man immer wieder sehen möchte!“
„Warum denn? Eine Nase mitten im G'sicht, zwei Augen...“
„Verschiedenfarbige“, unterbrach René. „Solchen Leuten wird Kreativität nachgesagt!“
„Aber auch zwei Seelen, die in ihrer Brust wohnen“, ergänzte Doris.
„Stimmt das bei Ihnen?“, wollte René wissen.
„Ich denke nicht“, antwortete sie.

„Ich kann's mir auch nicht vorstellen“, meinte René. Und dann sah er Doris intensiv an.
„Sie erinnern mich ein bissel an die Melanie Schneider“, sagte er dann. „Obwohl Sie ganz anders aussehen. Die Melanie war zum Beispiel blond.“
„Und wer war das?“
„Wir waren eine Zeit lang zusammen“, berichtete René. „Jetzt ist sie mit dem Marvin Kofler zusammen. Das war ein liebes Mädel! Da haben wir in der Kabine vom Gänsehäufel Experimente gemacht. Solche würde ich mir wieder wünschen, aber mit Ihnen!“
„Und was waren das für Experimente?“
„Na ja, anatomische würde ich sagen.
„Und das würden Sie gern versuchen.“ Doris lächelte noch immer.
„Natürlich! Das wäre die Sensation! Ich trau mich ja gar nicht, Ihnen das vorzuschlagen!“

Doris' Lächeln war plötzlich verschwunden. „Das möcht' ich Ihnen auch geraten haben, Sie Wüstling!“, sagte sie plötzlich ganz aufgebracht. „Wie kommen Sie überhaupt dazu, so was zu sagen?“
„Entschuldigen Sie, aber das ist die Wahrheit!“
„Das glaub ich Ihnen! Aber so eine Frechheit ist mir überhaupt noch nicht vorgekommen!“
„Um Himmels Willen, ich wollt' Sie net ärgern! Ich hab halt ganz einfach die Wahrheit g'sagt! Und das darf man ja!“
„Das war eindeutig ein unmoralischer Antrag!“
„Na ja, wenn andere Männer so was net sagen, denken tun sie's trotzdem! Und das is dann moralisch?“
„Werden S' net spitzfindig!“
„Das hat mit Spitzfindigkeit gar nix zu tun! I hab mir nur gedacht, das Leben geht so schnell vorbei, vor allem die Jugend. Und auf einmal is man alt. Da sollte man schon vorher noch die schönen Dinge im Leben machen. Na, und das hab i halt so g'sagt!“ René hatte sich in eine gewisse Hitze geredet. Und dann setzte er noch dazu: „Die Melanie hat mir auch sehr schön erklärt, was man machen muss, damit die Frau auch was davon hat!“

Unwillkürlich musste Doris jetzt wieder lächeln. „Na, wenigstens sind Sie kein Egoist“, sagte sie.
„War ich nie“, beteuerte René. „Das is ja auch der Grund, weshalb i g'sagt hab, die Jugend geht so schnell vorüber! Sie sollte sich so was wirklich net entgehen lassen! Das kann nämlich sehr, sehr schön sein!“
„Was Sie ja wissen, von Ihrer Melanie...“
„Ja. Stimmt. Aber mit Ihnen wär's noch viel schöner!“

Doris sah den René ganz eigenartig an. „Aus Ihnen werde ich nicht schlau. Macht da ganz eindeutige Anträge und behauptet, das auch wegen mir zu tun. Wissen Sie, dass ich Ihnen das beinahe tatsächlich glaube?“
„Ist ja auch wahr!“
„Na, wir werden ja sehen... Jetzt sollten wir aber den Rasen mähen“.
„Was? Sie auch?“
„Klar! Es sind zwei Mähtraktoren da!“
„Und so was können Sie fahren?“
„Ich fahr' alles, wenn nur ein Motor dran is!“
„Na, dann kommen Sie!“
René zahlte die beiden Tassen Kaffee und sie fuhren mit dem Aufzug hinunter.

Ohne an den Kassen vorüber zu gehen, führte Doris den René zu einer Tür, die ins Freie führte und von da zum Geräteschuppen. Flink kletterte sie auf den zweiten Rasenmäher und startete ihn. René öffnete die beiden Torflügel der Ausfahrt und Doris fuhr den Mäher ins Freie. René holte seinen Mäher vom Parkplatz und dann traf er am Beginn der Rasenfläche mit Doris zusammen. Nebeneinander fuhren sie los.

Die schnurgeraden Schneisen, die die beiden Mäher im Gras hinterließen, wiederholten sich dauernd und der Rasen blieb kurz geschnitten zurück. Und dann kam René zu „seiner“ Spur, die die Zeichnung von Doris' Gesicht bildete. Instinktiv hielt er den Rasenmäher an.
„Frau Chefin, da fahr ich nicht drüber!“, klagte er.
„Und warum nicht, Herr Pistorius?“
„Das ist Ihr Gesicht! Das muss bleiben!“
„Machen Sie sich nicht lächerlich! Das muss weg! Was sollen sich denn die Leute am Donauturm denken?“
„Dass Sie schön sind!“
„Erstens ist das gar nicht wahr und zweitens gehört da in die Wiese keine Zeichnung hinein! Fahren Sie schon weiter!“
„Äußerst ungern!“
„Na, dann fahren Sie halt ungern weiter!“
„Ist schon recht“. René fuhr über die gemähte Schneise. Bald hinter dem ausgelöschten Teil der Zeichnung war die Wiese zu Ende und er wendete sein Fahrzeug. Knapp hinter ihm folgte Doris und sie wendete ebenfalls. Jetzt ging es wieder zurück und zum zweiten Mal hatte René ein unangenehmes Gefühl, als er das Gesicht auslöschte.

„Na, geht doch ganz gut“, rief seine Chefin, die wieder knapp hinter ihm fuhr.
„I komm mir immer so vor, als ob ich Ihnen weh tät' dabei“, meinte René.
„Unsinn! Einfach drüberfahren! Die Zeichnung muss weg!“
“Is ja schon gut“. Beim nächsten Mal fuhr René ohne Protest über die Zeichnung.
Bei der nächsten Wende ließ er sich etwas Zeit. Dadurch war jetzt der Mäher mit Doris vor ihm und er hatte freien Blick auf sie. Eine Zeit lang fuhr er schräg hinter ihr her und bewunderte sowohl ihre grellgelbe Bluse als auch, wie souverän sie mit dem Rasenmäher umging. Immer dringender wurde sein Verlangen, diese junge Frau einmal in seine Arme zu nehmen!

Und am nächsten Wendepunkt konnte er sich nicht mehr halten. Er sprang von seinem Rasenmäher und lief hinüber zuihr. Mit einem Sprung war er auf dem Mähgerät und dann küsste er seine Chefin. Das Ergebnis seiner Aktion war ihm völlig egal!
Erstaunlicherweise hielt die Doris still. Es schien dem René sogar, als ob sie seinen Druck ein wenig erwiderte.
Dann ließ er ab von ihr und stieg hinunter. „Ersuche um die fällige Watschen“, sagte er nur.
„Gibt's heut net“, verkündete Doris. „Kommt in die Sparbüchse. Aber irgendwann kriegen Sie die! Ganz bestimmt!“
„Warum denn?“ René war ganz verblüfft.
„Weil Sie sicher irgendwann etwas anstellen werden!“
„Hab ich ja schon heute!“
„Über das seh' ich heute hinweg. Ausnahmsweise!“

René begann, ganz breit zu grinsen. „Dann hätt ich einen Vorschlag. Gehen wir nach dem Mähen ins Gänsehäufel zum Abkühlen! Hier auf der Wiese brennt die Sonne ganz schön!“
„Ich hab keinen Badeanzug mit!“
„Wenn wir spät dran sind, brauchen Sie den nicht! Wir haben ja da noch eine Weile zu tun!“
„Wieso brauch ich keinen Badeanzug?“
„Weil das Gänsehäufel dann schon geschlossen ist! Da schwimmen wir vom Ernst-Sadil-Platz aus rüber! Nackt!“
„René, ich kann mir schon denken, was Sie da wollen!“
„Ja?“
„Natürlich! Erst reden Sie dauernd davon und jetzt wollen Sie's in der Praxis probieren!“
„Na ja, probieren wird man's ja noch dürfen...“
„Ja! Probieren! Aber Sie rechnen ja mit einem vollen Erfolg!“
„Na ja, wenn Sie das sagen! Es hängt ja von Ihnen ab!“

Doris sah ihn etwas beeindruckt an: „So viel Frechheit ist schon wieder bewunderungswürdig!“
„Ich bin eben was Besonderes! Sie sollten wirklich noch mit mir auf's Gänsehäufel mitkommen!“
Aber anstatt einer Antwort startete Doris wieder ihren Rasenmäher und setzte die Aktion fort. Es war nicht mehr viel übrig von der Wiese.
René fuhr in ganz kleinem Abstand hinter ihr her, seitwärts versetzt und mähte einen ebenso breiten Streifen wie sie.
„Wenn wir fertig sind, fahren wir wieder rauf auf den Turm, auf einen G'spritzten. Dann fällt Ihnen auch das Mitkommen leichter!“, sagte René.
Doris stellte den Motor ihres Mähers ab. „Wenn ich tatsächlich mitkomme, dann heiz' ich Ihnen so ein, dass Sie Kreislaufprobleme kriegen“, drohte sie.
„Das wäre schön“, kommentierte René.
„Und ich bin keine Anfängerin!“, kündigte Doris weiter an. „Wenn Sie mir in die Finger kommen, drehen Sie durch, Sie Macho!“
„Großartig!“ René war tatsächlich begeistert!
„Dann können Sie aber nicht mehr zurückschwimmen! Dann bleiben Sie auf der Insel! Die ganze Nacht lang! Und morgen wird das ohne Badehose peinlich werden!“
„Abgemacht! Das Risiko geh' ich ein.“

„Mähen wir die Wiese fertig!“ Doris ließ sich offenbar nicht abhalten, die Arbeit zu beenden und startete den Motor neuerlich. Im Westen ging die Sonne soeben unter.
Zwanzig Minuten später fuhren sie wieder ins Café hinauf und nahmen an den Aussichtsfenstern Platz. Die Wiese unten war untadelig frisch gemäht und vom Gesicht der Doris nichts mehr zu erkennen.
Diese konsumierte einen „G'spritzten“ und René ein Krügel Bier. „Also Sie kommen jetzt mit ins Gänsehaufel“, begann er wieder von vorn. Zu seiner großen Überraschung sagte Doris: „Jawohl! Sie wollen es ja nicht anders! Und dort heiz' ich Ihnen ein, dass Ihnen hören und sehen vergeht! Das wär' ja gelacht, wenn ich so einen aufgeblasenen Macho nicht klein kriege! Sie werden noch darum winseln, dass ich aufhöre! Aber Sie sind selber schuld! Mit so einem übersteigerten Selbstbewusstsein hat noch niemand mit mir geredet!“
„Na, dann wollen wir losmarschieren“, meinte René, keineswegs beunruhigt.
„Wir fahren“, sagte Doris. „Ich bin mit dem Wagen da.“

Als sie am Ernst-Sadil-Platz ankamen, war es bereits dunkel. Die Wasserfläche der Alten Donau konnte man kaum sehen, aber die Wellen plätscherten leise ans Ufer. Die PKW waren wegen der benachbarten Wohnbauten in dichter Folge geparkt und Doris fand nur mit Mühe einen Platz recht nah an der Gänsehäufelbrücke.

Im Licht der Straßenbeleuchtung zogen sich René und Doris aus. Schließlich, als kein Fußgänger zu sehen war, flitzten die beiden zum Ufer und stiegen in das doch recht erfrischende Wasser. Doris benahm sich durchaus natürlich und hatte offenbar keine Hemmungen, so ohne Textilien auf die Insel des Gänsehäufels zu schwimmen. Und René enthielt sich seiner Bemerkungen, die wahrscheinlich doch recht anzüglich ausgefallen wären...
Und dann waren sie am anderen Ufer angekommen und René suchte nach einem bequemen Platz im Gebüsch, den er sehr bald gefunden hatte.

Und hier wollen wir die beiden alleine lassen. So viel sei nur noch verraten: Doris legte sich tatsächlich gehörig ins Zeug und machte dem René die Hölle ziemlich heiß. Der wusste kaum, was ihm da geschah und am Ende war seine Erinnerung an die blonde Melanie so ziemlich verblasst. Was dort im Detail unter dem Busch passierte, möge sich der Leser jedoch selbst ausmalen.

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