KunstGeschichten

KunstGeschichte: Bikinimädchen

Louis Bruckberger liebt Rekorde. Er hat sich in den Kopf gesetzt, das längste Gemälde der Welt zu malen – oder besser: zu sprayen. Denn als Malgrund soll ihm eine Wagenhalle in der neuen Seestadt Aspern dienen. Leider wird sein Werk jedoch immer wieder durch irgendwelche Lümmel gestört, die seine expressionistischen Bikinimädchen übermalen. Erich Wurth über Urban Art, Halbstarke und Spitzenleistungen.

Aspern ist nicht nur ein Ortsteil von Wien, sondern hat auch einen guten Klang bei Historikern. Der kleine Ort im westlichen Marchfeld war 1805 der Schauplatz einer der größten Schlachten des beginnenden 19. Jahrhunderts. Denn am 21. und 22. Mai 1809 besiegte eine österreichische Armee unter Erzherzog Karl erstmals Napoleon I. nach dessen Machtergreifung. Nach diesen beiden Tagen waren 24.000 Österreicher und etwa 30.000 Franzosen tot, was klar macht, dass auch damals schon Kriege eine recht blutige Angelegenheit waren.

Allerdings verfolgte Erzherzog Karl damals die Franzosen nicht. Die konnten sich deshalb neu formieren und dann kriegte Österreich in der Schlacht bei Deutsch-Wagram, bei der die Artillerie eine wichtige Rolle spielte, eine Furchtbare aufs Haupt! Auf beiden Seiten fielen 80.000 Soldaten.

Am 23. Juni 1912 wurde in Aspern der Flughafen Wien mit einem internationalen Flugtag eröffnet. Der mit 6 Start- und Landebahnen ausgestattete Platz war der modernste Flughafen der Welt, wurde aber ab dem Kriegsausbruch 1914 nur mehr militärisch genutzt. 1918 wurde die erste Frachtfluglinie von Aspern nach Kiev und Odessa eröffnet, aber nach dem Weltkrieg war für Österreich die Luftfahrt verboten. Erst ab 1925, mit dem ersten Linienflug der polnischen Fluglinie LOT (mit einer Junkers F 13) gab es wieder zivilen Luftverkehr.

Die dichter werdende Besiedlung der Gebiete im Nordosten Wiens und letztlich die Eröffnung der Piste 16/34 am Flughafen Wien Schwechat (mit ihrem Anflug fast direkt über den Flugplatz Aspern) führten schließlich am 30. April 1977 zur Auflassung des Flughafens LOWA, wie Aspern von der ICAO (International Civil Aviation Organization; deutsch: Internationale Zivilluftfahrt-Organisation) benannt worden war.

Louis Bruckberger wurde ebenfalls 1977 geboren. Seine Karriere war unauffällig, er machte mehrere Versuche, einen Beruf zu erlernen und dabei brachte er es am Baugewerbe am weitesten. Aber als er seinen Meisterbrief als Maurer erlangt hatte, ging er zur Stadt Wien und übernahm im Rathaus ein Planungsbüro. Schließlich wurde die Abteilung Bruckberger mit der Planung der „Seestadt Aspern“ betraut.

Dabei handelt es sich um ein völlig neues Stadtentwicklungsgebiet rund um einen künstlich angelegten See, das hauptsächlich den Bereich des ehemaligen Flugplatzes umfasst. Es soll jedoch kein reines Wohngebiet werden, sondern ein durchmischtes Gebiet mit Arbeitsplätzen und der nötigen Infrastruktur wie Einkaufsstraßen, Bildungseinrichtungen, Parkanlagen und Ähnlichem. Insgesamt etwa 20.000 Bewohnern soll es Platz bietenl.

Schon seit 1980 besteht in Aspern das Opel-Werk, das hauptsächlich Motoren und Getriebe fertigt und somit die Grundlage für die künftige Industrie in der Seestadt bietet. Und erstmals in Wien wird die Seestadt gleich von Beginn an über eine leistungsfähige U-Bahnlinie in die Innenstadt verfügen. Die Endstation der Linie U2 steht kurz vor der Eröffnung. Und auf diese hatte es Louis Bruckberger abgesehen. Schon seit der Kindheit hatte Louis eine besondere Vorliebe für Rekorde aller Art. Jedes Jahr besorgte er sich das „Guinnes Buch der Rekorde“ und schwelgte in den größten und kleinsten Dingen, den schnellsten Fahrzeugen und Spaßrekorden aller Art. Und da Louis malte (und zwar gar nicht so schlecht), kam ihm eines Tages die Idee, das „größte Gemälde“ der Welt zu schaffen. Dazu brauchte er natürlich eine entsprechende Unterlage, möglicherweise eine Mauer, die aber keine Fenster beinhalten durfte. Denn Fenster würden sein Gemälde empfindlich stören!

Ideal wären die Gebäude des Wohnparks Alt-Erlaa gewesen, wenn sie keine Fenster gehabt hätten! Denn die drei Bauten sind jeweils etwa 85 Meter hoch, etwa 400 Meter lang und weisen ungefähr die Form einer Staumauer auf. Wenn da nicht die vielen Balkongärten gewesen wären, hätte Louis ein 400 mal 85 Meter großes Gemälde da drauf gepinselt.

Da das aber nicht möglich war, hatte Louis die Wagenhalle am U-Bahnhof Seestadt Aspern ins Auge gefasst. Die Wand der Halle war zwar nicht hoch, aber dafür ziemlich lang. Ob es das „größte Gemälde der Welt“ werden würde, bezweifelte Louis zwar, aber immerhin war es ein ziemlich großes Ding! Die Aufmerksamkeit der Welt würde ihm damit sicher sein!

Diese Überlegungen stellte Louis an, als er eines Tages in seinem Büro saß und den letzten Plan der Verkehrsbetriebe für die U-Bahnstation Seestadt vor sich liegen hatte.
Sofort begann er mit einem Entwurf. Klar, er musste schon wissen, was er da auf die Wand pinseln sollte.

Er klebte mehrere Zeichenblätter zusammen und machte sich auf diese Art ein „Modell“ der Hallenwand. Und dann begann er, halbnackte junge Damen drauf zu malen. Die U-Bahnstation liegt nahe am „See“ der Seestadt, was sollte es also anderes sein, als Bikinimädchen auf die Wand zu pinseln! Ganz links begann er mit einer Schönheit in gelb-grüner Farbe. Er hatte vor, Spraydosen anstelle von Pinseln zu verwenden und mit diesen Dingern kann man keine natürlichen, fleischfarbenen Flächen gestalten. Also die Damen alle schön bunt ausgestalten, hier am See konnte das nicht schaden. Es sollte ja ein fröhliches Gemälde werden. Nur, wie das Gesicht der Bikinidame gestalten? Schließlich entschied sich Louis für die Frau Petra Kohlmesser, einer Buchhalterin im Rathaus, die er zwar noch nie im Bikini gesehen hatte, aber der er die Formen, die er da gestaltet hatte, zutraute.

Louis hatte die erste Figur auf seiner Vorausskizze im Büro gezeichnet. Jetzt saß er da, hinter seinem Computer und hatte den langen weißen Karton zu einer Rolle geformt. Die Rolle stand neben seinem Bildschirm und die soeben gezeichnete junge Dame war auf dem Teil des Kartons sichtbar, der, nur halb aufgewickelt, aus der Rolle ragte.

In dem Moment betrat Olga sein Zimmer. Olga Danhauser war im Einwohnermeldeamt tätig und mit Louis locker befreundet. So ein, zweimal pro Tag kam sie herauf in sein Büro, um einen Kaffee zu trinken und ein wenig zu plaudern.
„Hallo Olga!“, sagte Louis. „Mokka oder Cappuccino?“
„Mokka“, entschied Olga. Louis stand auf und ging zur Kaffeemaschine.
„Was hast du denn da für eine Rolle?“, fragte Olga und griff nach dem aufgerollten Zeichenkarton neben Louis' Bildschirm.
„Ein Entwurf“, sagte Louis. „Ich möcht' ein Gemälde auf eine Wand vom U-Bahn Betriebswerk Seestadt malen.“
„Das ist doch die Kohlmesser!“
„Klar. Sollen auch noch jede Menge andere drauf kommen. Du ja auch! Und im Zentrum die Vassilakou . Eventuell auch der Boss, der Häupl. In der Badehose und mit sein' Backhendlfriefhof!“
„Hast du die Kohlmesser schon im Bikini g'seh'n?“
„Nein. Aber i kann mir vorstellen, wie die ausschaut!“
„Ah so?“ Olga schien etwas überrascht drein zu sehen.
„Na, jede schaut im Bikini ziemlich ähnlich aus! Und den Häupl mit seiner Wampen kannst dir ja auch selber vorstellen.“
„Hörst! Warst du mit der Kohlmesser einmal im Bad? Und warum hast die als erste g'malt?“
„Weil i mit irgendwem anfangen muss! Mir is keine andere eing'fallen. Und i war nicht im Bad mit ihr! I war no überhaupt nirgends mit der!“

Louis stellte einen Mokka auf seinen Schreibtisch und schob seinen Besuchersessel für Olga zurecht.
„Schmähtandler“, sagte die, nahm aber trotzdem Platz.
„Gar nix Schmähtandler!“, beschwerte sich Louis. „Da im Rathaus rennen so viele Hasen 'rum, na nehm i halt ein paar davon!“
„Darfst du überhaupt dort was drauf malen?“
„Im Masterplan steht nix von der Wagenhalle. Also, warum net? Da frag i gar net lang!“
„Na, wart nur, bis sich die Kronenzeitung aufregt!“
„Warum sollt' die? I mal ja keine Ausländer drauf! Nur Leut' aus'm Rathaus.“
„Na, wirst schon seh'n.“

Inzwischen hatte Louis begonnen, ein zweites Bikinimädchen zu entwerfen. Und das sah diesmal so aus wie Olga.
„So“, meinte er dann. „Jetzt bist du auch drauf! Schaut doch ganz gut aus, oder?“
Olga sah sich den Entwurf an. „Na ja“, sagte sie ein wenig skeptisch. Sie trank ihren Kaffee aus, obwohl er noch recht heiß war und verabschiedete sich.

Louis unternahm einen Spaziergang durch die Gänge des Rathauses. Es war nicht viel los in dem alten Gemäuer. Die Beamten saßen an ihren Schreibtischen und „hackelten“. Aber auf die männlichen Beamten hatte es Louis ja gar nicht abgesehen! Er suchte „Modelle“ für seine Bikinimädchen. Schließlich hatte er sich ein paar Gesichter gemerkt: eine Krankenschwester, eine Polizistin, zwei Stenotypistinnen und eine Tierärztin, wobei er allerdings keine Ahnung von den Berufen der Damen hatte. Aber die Gesichter waren alle halbwegs attraktiv. Also kehrte Louis in sein Büro zurück und erweiterte seinen Entwurf um die soeben gesehenen Gesichter.

Langsam nahm sein Gemälde Formen an. Als er gerade mit violettem Filzstift die Krankenschwester aufs Papier brachte, kam der Inspektor Burkhard Hinteregger vom Wachzimmer Rathaus in sein Büro. In Uniform war er, aber er trug seine Schirmmütze in der Hand. „Hallo, Louis, na du bist ja fleißig am Arbeiten!“ Louis legte die Zeichnung beiseite. „Du wirst lachen, das ist tatsächlich Arbeit“, sagte er. „Ich möchte das größte Gemälde von Wien auf die Wagenhalle in der U-Bahnstation Seestadt pinseln!“

Burkhard schaute ungläubig. „Auftrag vom Häupl?“, fragte er.
„Eigeninitiative“, meinte Louis.
„Dann pass auf, dass das net in die Hosen geht“, gab Burkhard zu bedenken.
„Was sollt' schon sein!“, meinte Louis. „I verlang' ja nix dafür!“
Burkhard sah sich den Entwurf an. „Na ja“, sagte er, „ganz fesch die Hasen! Da tät' die 'Grüne' noch dazu passen, die Vassilakou!“
„Schon eingeplant“, sagte Louis.
„Dann viel Glück dazu“, wünschte Burkhard und trollte sich.

Um 16 Uhr machte Louis Schluss für heute. Er hatte ja noch etwas vor. Sein VW stand in der Tiefgarage am Friedrich-Schmidt-Platz. Mit dem nahm er die Strecke nach Aspern in Angriff und besorgte auf der Fahrt noch einige Spraydosen mit Farben.

Unglücklicherweise hatte er die Strecke über die Südosttangente gewählt – und auf der Praterbrücke steckte er im Stau. Bei der Abfahrt Kaisermühlen hatte ein PKW einen Fernlaster „abgebusselt“. Deshalb kam Louis auch recht spät in Aspern an. Der Unfall hatte ihn etwa eine halbe Stunde gekostet.

Die Baustelle war bereits ziemlich verwaist. Aber ein Vorarbeiter war noch da. Den sprach Louis an: Er möge doch bitte ein kleines Gerüst an die dem See zugekehrte Seite der Wagenhalle bereitstellen. Louis wolle demnächst damit beginnen, ein Gemälde an der Wand anzubringen.
„Mit Farben und Pinsel?“ wollte der Bauarbeiter wissen.
„Mit Spraydosen“, gab Louis Auskunft.

Man hätte eine etwa zwei Meter hohe Plattform auf Rädern. Die könne man leicht hierher stellen, meinte der Vorarbeiter. Dann solle man das möglichst sofort tun, verlangte Louis. Er wollte möglichst bald beginnen, wenn möglich noch heute.

Mit nicht geringer Mühe schob der Vorarbeiter die Plattform an die Wand. Louis kletterte hinauf und begann, sein erstes Bikinimädchen zu sprayen. In einem satten Ton von dunkelblau.
Erstaunt sah ihm der Vorarbeiter dabei zu. Dann überlegte er es sich noch einmal und er stattete die Figur mit dem Gesicht der Olga aus, was ihm ausnehmend gut gelang. Den Bikini gestaltete Louis in einem schreienden Rot und die ganze Figur machte einen sehr guten Eindruck auf der kahlen, weißen Wand.

Louis stieg von der Plattform und betrachtete sein Werk. Der Vorarbeiter sagte irgendetwas Anerkennendes. Daraufhin machte Louis Schluss für heute und fuhr heim. Das Gemälde hatte er begonnen und die Olga sah ja ganz erstaunlich gut aus! Er war sehr zufrieden mit sich selber.

Am nächsten Tag hatte er am Vormittag eine Besprechung mit dem Finanzchef seiner Abteilung und es ging um die erste Zahlung an eine Baufirma, die die ersten Wohnhäuser der Seestadt errichten sollte. Anschließend nahm sich Louis wieder frei und fuhr hinüber in die Seestadt.

Als er sich seinem Gemälde näherte, hätte ihn beinahe der Schlag getroffen: Die Olga prangte völlig nackt an der weißen Wand! Irgendjemand hatte die Figur übermalt! Und zwar mit derselben tiefblauen Farbe, die auch Louis verwendet hatte. Der nackte Busen war sogar so schattiert, dass er völlig echt wirkte, und das Bikiniunterteil hatte einem schwarzen Dreieck Platz gemacht.

Eine Gruppe von Arbeitern des Gleisbautrupps stand davor und grinste. Einer davon sagte: „Sehr realistisch! Echt gut, der Has'!“
„Wer war das?“, fragte Louis aufgebracht die gaffende Gruppe.
„Wir war'n's net“, tönte es aus der Menge. „Von uns kann des keiner!“
Louis fluchte. Er nahm die Spraydose mit roter Farbe und stellte den Bikini wieder her, indem er die blaue Farbe übersprühte. „Schad'. War doch a klasser Has!“, bemerkte einer der Gleisarbeiter.
„Und dass da keiner mehr was verändert, in Zukunft! Sonst spieln's Granada!“, drohte Louis.
„Aber wir waren's ja gar net!“, protestierte einer aus der Gruppe, aber sie trollten sich hinüber zum Streckengleis der U-Bahntrasse.

Louis sprayte seine zweite Figur. Aus dunklem Gelb entstand die Frau Petra Kohlmesser. Sie trug einen karierten, grünen und weißen Bikini, dessen Muster Louis mit Akribie herstellte. Und dann kamen noch drei weitere Damen hinzu und einer malte Louis einen einteiligen schwarzen Badeanzug, was an der weißen Wand auch ganz gut aussah. Dann machte Louis wieder einmal Feierabend und hoffte, dass seine Arbeit in dieser Nacht unversehrt bleiben würde.

Das blieb das Bild natürlich nicht! Am nächsten Nachmittag prangten da insgesamt fünf Nackte an der Wand! Der Lack in den Spraydosen hatte offenbar die Eigenschaft, andere Lackschichten perfekt abzudecken und die Veränderer des Gemäldes hatten offensichtlich die gleichen Farben benutzt wie Louis. Lediglich der schwarze Badeanzug ließ einen leichten Schatten erkennen, wo er übermalt worden war. Louis fluchte wie ein Pirat! Bevor er sich an die Ausbesserung seines Bildes machte, rief er von seinem Handy den Inspektor Burkhard Hinteregger an und bat ihn, einen oder mehrere Polizisten in die Seestadt zu entsenden, die nachts ein Auge auf sein Bild haben sollten. „Da machen sich jede Nacht so Deppen dran zu schaffen“, berichtete er, „und dann sind meine Bikinidamen plötzlich alle nackert!“
„Na? Schlecht?“, sagte Burkart.
„Na, was glaubst, wie mich die Zeitungen zerreißen?“, beschwerte sich Louis. „Das is immerhin öffentlicher Raum da!“
„Schön. Deine Bikiniweiber bleiben an'zogen. I pass drauf auf“, versprach Burkhard.

Dieses Mal konnte Louis gar keine neuen Figuren mehr malen, denn die Ausbesserung seiner Nackten nahm so viel Zeit in Anspruch, dass er danach gleich wieder heim fuhr. Aber hinterher trugen seine Damen wieder alle ihre Badeanzüge.

Am nächsten Morgen bekam Louis einen Anruf von Burkhard. Zwei Sprayer waren ihm in der Nacht ins Netz gegangen. Er würde die beiden heute Mittag dem Louis vorführen.
Es handelte sich um zwei ganz junge, „moderne“ Männer namens Sven Marold und Boris Jirko. Sie stammten aus Essling, dem Nachbardorf von Aspern und waren die beiden Bosse einer lockeren Vereinigung von Halbstarken, die mit ihren Mopeds die Gegend unsicher machten.

Als Inspektor Hinteregger die beiden in Louis' Büro brachte, wirkten sie etwas unsicher. Louis hielt ihnen eine Predigt, die sich gewaschen hatte: „Ihr Pfeifensäcke! Wie könnts ihr Nackerte in einem öffentlichen Raum malen? Das is doch erstens verboten und zweitens eine Frechheit den Leuten gegenüber, die in der Seestadt wohnen! G'hört sich so was? Und i muss jeden Tag die ganze Hacken noch einmal machen und die Weiber wieder anzieh'n! Is doch eine Frechheit, so was!“

„Wir haben's aber ganz gut 'troffen, die Weiber, oder?“
„Das will i gar net bestreiten! Ihr könnts schon was mit den Spraydosen! Aber ihr dürfts halt keine Nackerten machen! Wenn das in ein' Museum hängt, is das was Anderes. Aber da gibt’s ja auch Kinder in der Gegend! Also, lassts das in Zukunft bleiben!“
„Aber Superman und Supergirl dürfen wir doch malen, oder?“
„So was Kindisches! Ja, von mir aus, aber auf der anderen Seiten von der Wagenhalle. Die Seite zum See hin is meine Fläche! Ja?“
„Auf der anderen Seite kann's ja niemand sehen!“
„Muss ja auch keiner! Eure idiotischen Comicfiguren!“
„Wenn's dort eh niemand sehen kann, machen wir's nackert.“
„Unterstehts euch! Der Inspektor Hinteregger steckt euch sonst ins Häfen! Schluss mit euren Blödheiten!“
Die beiden Halbstarken zogen maulend ab und Louis widmete sich seiner Arbeit, die er jetzt einigermaßen vernachlässigt hatte. Sein Gemälde war ihm wichtiger gewesen.

Jetzt kam er aber zwei Tage nicht mehr nach Aspern. Es gab Probleme mit den Verkehrsbetrieben. Die U2 sollte in größeren Zugabständen verkehren, da insgesamt vier Züge fehlten. Louis gelang es, eine dichtere Zugfolge bis zum Ernst-Happel-Stadion zu vereinbaren und eine weniger dichte bis zur Seestadt. Daraufhin nahm er wieder sein Projekt des Bildes vor. Als er die Wagenhalle der U-Bahnstation betrachtete, traf ihn fast noch einmal der Schlag. Auf der dem See abgewandten Seite hatten die Jugendlichen eine Collage aus den ihnen wichtigsten Dingen aufgemalt. Da waren vor allem Motorräder zu sehen. Aber auch Gitarren, Schlagzeuge und auch ein Schlagring war da abgebildet. Aber was Louis am erschreckendsten schien, waren die Pistolen, die den Schlagring umrandeten. Wenn also das die Dinge waren, die den Jugendlichen ihre Bewunderung abrangen, war es mit der heutigen Jugend nicht weit her! Aber was konnte Louis dagegen tun?

Er wandte sich zur anderen Seite der U-Bahnhalle und sah sich sein Bild an. Die fünf Damen an der Wand waren alle angezogen. Die Bikinis passten ihnen vortrefflich und sie sahen alle sehr sexy aus. Hatte der Hinteregger also nicht zu viel versprochen! Louis begann, die nächste Dame zu malen. Diesmal nahm er ein sehr helles grün für die Figur. Und dabei kam ihm der Gedanke, die hellgrüne Lady zur Frau Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou auszugestalten.

Die Spraydose zischte und das Gesicht der Frau Vassilakou entstand langsam. Die Ähnlichkeit zum Original war tatsächlich verblüffend. Nun, Louis hatte mit der Dame ja doch regelmäßig beruflich zu tun und dann hatte er im Internet auch ihr Porträt heruntergeladen.

Plötzlich sah Louis am anderen Ende der weißen Wand einen jungen Burschen in Jeans und Lederweste, der etwas an die Wand sprühte. Ja, verdammt, der Inspektor Hinteregger hatte ja versprochen, dass sein Teil der Wagenhalle von den Halbstarken verschont bleiben würde! Louis steckte die Spraydose mit der hellgrünen Farbe in die Hosentasche und machte sich auf den Weg, die Halle entlang. Der junge Bursche war relativ klein und hatte doch tatsächlich eine Spraydose in Betrieb! Er sprühte einen Fußballer an die Wand, der den Ball gegen ein Tor zu schießen im Begriff war. Louis sprach den Sprayer an: „Hörst, du Verbrecher, das is mei' Seiten von der Halle! Du kannst auf der anderen Seiten dein' Kicker auffe tuan! Schleich di von da!“
„Schleich di du, Alter!“, sprach der Jugendliche. „Da is doch g'nua Platz auf der Mauer!“
„I brauch aber den ganzen Platz!“, sagte Louis.
„Zu was denn, du Wahnsinniger? Lauter Weiber? Und net einmal nackert? Hab'ns dir ins Hirn g'schissen?“
„Das geht dich nix an!“
„Geh, red' net so g'schupft daher, du Pfosten!“
„Verzupf di, du Hirngrüstl!“
Der so angesprochene zog ein Messer aus der Gesäßtasche seiner Jeans. „I mach a Golasch aus dir!“, kündigte er an.
„Da g'hören aber Leut' dazu und kane Zwergerln“, stellte Louis fest.
Der Halbstarke stieß einen Schrei aus, wie er ihn sich offenbar von Kung-Fu-Kämpfern vorstellte und ging mit dem Messer auf Louis los. Dieser zog die Spraydose aus der Tasche, wich dem Messer aus und sprühte dem Burschen eine volle Ladung ins Gesicht. Der ließ das Messer fallen, griff sich an die Augen und ließ ein Gebrüll los, das die gesamte Gegend alarmierte.

„Du Arsch! Du unfairer Knochen! I seh nix mehr!“
„Brauchst auch nimmer! Sprayen is eh aus!“, sagte Louis. „Du g'hörst ins Spital, dass man dir die Glaspatzen reinigt! Wart, i hol die Polizei und die Rettung!“
Louis zog sein Handy hervor und rief Inspektor Hinteregger an. „Kannst mir jemanden schicken, der da ein' Halbstarken abholt? Bei der Wagenhalle in der Seestadt. I hab dem Rowdy Farb' ins G'sicht g'spritzt, vielleicht braucht der a ärztliche Behandlung. Die Augen haben auch was ab'kriegt.“

Keine fünf Minuten später war ein Krankenwagen da und ein Notarzt untersuchte die Augen des Halbstarken, der im Anschluss ins SMZ Ost, das Donauspital gebracht wurde. Weitere fünfzehn Minuten später kam ein Funkwagen der Polizei an, der aus dem Rathaus kam und den Personalchef Patrick Schwed brachte. Inspektor Hinteregger fuhr den Wagen.

„Entschuldige, Louis, ich hab den Schwed nicht abwimmeln können“, flüsterte Hinteregger.
Der Chef des Personalbüros im Rathaus unterzog die Wagenhalle der U-Bahn einer eingehenden Besichtigung. „Hören S', Herr Bruckberger, Sie können doch net a Wagenhalle von der U-Bahn mit Bikinidamen anschmieren! Da g'hört a weiße Wand her! Irgendwelche Malereien haben da nix verloren! Die bunten Damen g'hören weg! Sorgen S' dafür, dass die Wand wieder weiß wird! Verstanden?“
„I wollt da das größte Gemälde von Wien drauf malen...“, versuchte Louis sich zu rechtfertigen. „Vielleicht is das sogar das größte Gemälde der Welt!“
„Das is das 800 Meter lange und 3 Meter fünfzig hohe Panorama des Mississippi von John Banvard“, sagte Hinteregger. „Das hat man auf einer Bühne abgerollt und das Publikum hat dafür bezahlt. Der Maler hat Millionen damit verdient!“
„Wo hast denn das her?“, fragte Louis.
„Internet“, sagte Burkhard Hinteregger ganz lakonisch.
„Na, sehen S', das is doch sinnlos!“, meinte Patrick Schwed. „Geben S' das auf und machen S' die Wand wieder weiß!“
„Dann schmieren das die halbstarken Esslinger wieder an! Mit Motorradln und Schlagzeugen und Waffen!“
„Putzen wir wieder weg und die Gfraster krieg'n die Rechnung!“, meinte Schwed.
Mittlerweile war die Gruppe die Wand der Wagenhalle entlang gegangen und an den Malereien am anderen Ende angekommen.
Louis sah sich die Bikinidamen noch einmal an und sagte: „Eigentlich schade. Grad die Vassilakou war so fesch...“

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