KunstGeschichten

KunstGeschichte: Gemäldegenossenschaft

Das Schlimmste, was einem Künstler passieren kann, ist wohl, dass ihm Ideen für eigene Werke fehlen. Um eben dieses zu verhüten, wollen seine Stammtischkollegen dem Künstler Karl Bichlmoser mit einer Künstlergenossenschaft helfen und gemeinsam Bilder schaffen. Was dieser davon hält, erfahren sie nachfolgend.

Das „Kellerberg“ war eine kleine Berühmtheit in Hietzing. Das Café hatte sich nämlich seinerzeit erfolgreich einer Übernahme durch die italienische „Uni Credit“ widersetzt, die hier eine Filiale der Bank Austria hatte aufmachen wollen.

Wo doch überall in Wien die Cafés schlossen und die Banken aufmachten, kriegte hier in Hietzing die Uni Credit eine auf die Nase! Bis nach Lainz und Ober Sankt Veit verbreitete sich die Nachricht und der ganze Bezirk war voller Freude. Die Gästezahl im „Kellerberg“ stieg erfreulich an und der Kaffeesieder, Herr Maximilian Schön, beschloss noch einiges zu investieren. Die Marmortische im Gastraum erhielten ein neues Holzgestell, die Stühle wurden renoviert und die altersschwache Espressomaschine wurde erneuert. Und außerdem wurde eine neue Speisekarte erstellt.

Das „Triumvirat“, das sich jeden Donnerstagabend im kleinen Extrazimmer traf, war voller Freude und die Konsumationen erreichten sagenhafte Höhen.
Das war in erster Linie auf die Bestellungen des Herrn Karl Bichlmoser zurückzuführen. Die neu auf der Karte stehenden „Hühnerschnitzel a la Holstein“ wurden vom Bichlmoser regelmäßig geordert und die Köchin, Frau Franek, variierte die Gemüsebeilagen jedes Mal, nur das Spiegelei blieb immer unverändert.

Bichlmoser war der älteste Teilnehmer am Triumvirat. Er war bereits über 60 und als Eisenbahner schon im wohlverdienten Ruhestand. Im Alter der nächste war Otto Kamitz, ein Glasermeister, der noch seinen Betrieb innehatte und der jüngste war Eberhard Katzer, ein kleiner Angestellter bei einer Computerbude, dessen größter Berufswunsch es war, ein anerkannter Maler zu werden.
Alle drei befassten sich intensiv mit der Malerei und ihr Triumvirat hatte die Kunst als einziges Motiv. Sie wollten alle nur einen Bereich haben, in dem sie ihre Werke vorstellen und sich mit Gleichgesinnten darüber unterhalten konnten.

Daneben wollten sie auch ihrer Leidenschaft für den Wein frönen und das „Kellerberg“ war eben nicht nur für seinen Kaffee bekannt, sondern auch für die Rotweine aus dem mittleren Burgenland, genauer gesagt aus der Gegend um Neckenmarkt und Horitschon, in der ein vorzüglicher Blaufränkisch gekeltert wird.

Cafetier Schön hatte auch einen vorzüglichen Geschmack in Bezug auf Rotweine und die Karte des „Kellerberg“ wies ein paar erlesene, aber sehr preiswerte Tropfen auf. Überdies war das Café in der inneren Lainzer Straße auch geografisch gut gelegen und alle drei Künstler hatten nur einige Haltestellen mit den Straßenbahnlinien 58 oder 60 zu fahren, um das Lokal zu erreichen. Das bewirkte, dass sich keiner sonderlich wegen der 0,5 Promille-Grenze zurückhalten musste, was den Blaufränkischen betraf und manchmal war der Abschied der drei Männer an der Straßenbahnhaltestelle von lautem Gelächter und teilweise auch von etwas misstönendem Gesang geprägt.

Der Benjamin der drei, Eberhard Katzer, war überdies von Fräulein Else fasziniert, der Kellnerin im „Kellerberg“ und er hatte auch schon vier Porträts des Mädchens gemalt, von dem er eines seinem Modell verehrt hatte. Die Treffen der drei kunstbegeisterten Männer fanden immer in einer sehr harmonischen Atmosphäre statt und die drei genossen ihre regelmäßigen Zusammenkünfte.
Und dann gelang dem Karl Bichlmoser ein unerwarteter Durchbruch. Ein Kaffeehausgast stellte sich als Besitzer einer Kunstgalerie heraus und der nahm eine von Bichlmosers Traumlandschaften in Kommission.

Bichlmoser war später dann gar nicht so sehr begeistert von seinem Erfolg. Das Bild hing keine drei Tage in der Galerie, da wurde es schon verkauft. Und Herr Kaufmann, der Galerist, bestellte weitere „Traumlandschaften“.

Karl malte nämlich die Landschaften, die er in seinen Träumen sah.
Er träumte oft und immer sehr intensiv. In seinem Beruf hatte er ziemlich häufig diverse Triebfahrzeugführer auf deren Fahrten begleitet und die Landschaften der ÖBB-Strecken waren in seinem Gedächtnis offenbar haften geblieben. In der Nacht rief nun sein Gehirn die befahrenen Strecken ab und seine Fantasie fügte diverse Einzelheiten hinzu, die gar nicht zur Landschaft passten. Das Gemälde, dass Herr Kaufmann als erstes übernommen hatte, stellte die eingleisige Westrampe der Arlbergbahn aus der Sicht des Lokführers dar, an der entlang südliche Palmen wuchsen, aber in der üblichen Vegetation des österreichischen Hochgebirges. Das Gemälde hatte sehr fremdartig gewirkt, aber die Pflanzen übten eine gewisse Faszination auf den Betrachter aus. Es war ein sehr eigenartiges, aber ansprechendes Gemälde.
Davon wollte Herr Kaufmann nun mehr!

Worauf die Träume bei Karl prompt aufhörten.
Karl lag jetzt schlaflos in seinem Bett und beschwor die Träume, doch wieder zu kommen. Aber die Träume husteten ihm was! Einmal, nach so einer Beschwörung schlief er ein und träumte von einem kleinen Mädchen auf einer Kinderschaukel. Und am Morgen hatte er immer noch das quietschende Geräusch im Ohr, das die Schaukel gemacht hatte.

Am nächsten Donnerstag brachte er sein Problem im Café Kellerberg zur Sprache und fluchte gehörig. Diese verfluchten Träume! Es war, als ob ein Kobold plötzlich seine Erinnerungen eliminiert hatte. Es wollte nichts mehr kommen!

Otto und Eberhard sparten nicht mit gut gemeinten Ratschlägen. Karl solle doch versuchen, wieder einmal einen Lokführer auf seiner Fahrt zu begleiten, schlug Eberhard vor. Otto erklärte, Karl möge sich doch am Handelskai auf die Schienen der vom Winterhafen kommenden Donauuferbahn setzen und den Blick in Richtung Nordwesten malen, da hätte er den buddhistischen Stupa an der Donau mit im Bild! Das würde ihn sicher beflügeln!
Karl war aber skeptisch und lehnte ab.

Da versuchte Eberhard es selbst. Er stellte zwar nicht die Bahnlinien aus der Lokführerperspektive dar, sondern legte sein erstes Bahngemälde an wie die Ansicht einer Modellbahn, aus der schrägen Vogelperspektive, aber mit einer Fülle von Einzelheiten.

So wurde zum Beispiel am linken Rand des Gemäldes neben einem Einfamilienhaus eine Garage gebaut – und auch die sexuelle Komponente kam nicht zu kurz, denn im Zentrum deckte soeben ein brauner Hengst eine weiße Stute. Kurz, das Gemälde war ein nicht zu übersehender Glanzpunkt in Eberhards künstlerischer Karriere.

Karl war aber gar nicht davon angetan! Er fasste die Sache irgendwie als Plagiat auf, da ja die Traumlandschaften seine ureigenste Idee waren und Eberhard hatte das Motiv zu seinem gemacht. Karl war deshalb etwas sauer auf seinen Kollegen.

Als die drei Künstler in ihrem Extrazimmer saßen und Eberhards Malerei diskutierten, die auf einer Staffelei an der Wand stand, kam plötzlich der Herr Kaufmann herein. Er wollte fragen, ob Karl bereits ein neues Bild gemalt hatte. Aber er traf die drei Maler in hitziger Diskussion an. Er hörte soeben den Karl noch sagen: „... das ist Diebstahl meiner Idee, lieber Freund!“
Eberhard hatte soeben den Mund aufgemacht um zu sagen: “Aber du hast ja gar keine Ideen mehr!“, da platzte Kaufmann dazwischen: „Das ist ja eine großartige Ansicht! Kann ich die haben?“
„Aber die ist vom Eberhard“, sagte Otto.
„Mir wurscht“, meinte Kaufmann. „Die bring' ich garantiert an!“
„Aber das ist in meiner Manier gemalt“, meinte Karl. „Nur nicht aus der Sicht des Lokführers, sondern halt von oben!“
„Ist aber gut“, beharrte Kaufmann. „Das ist in längstens einer Woche weg!“
„Ich hab's noch nicht signiert“, sagte Eberhard. „Signier du das und gib's ihm. Hast ja recht, ist ursprünglich deine Idee!“
„Ja glaubst, ich hab so was nötig?“, ereiferte sich Karl. „Ich hab a schöne Pension! Ich bestell' mir da immer Holsteinhendl und unter drei Viertel Blaufränkisch mach ich's auch net. Aber du bist a noticher[1] Hund, Eberhard! Gib ihm den Schinken und zahl mir halt, in Gott's Nam' a Viertel!“

Kaufmann hatte das Bild schon von der Staffelei genommen und legte Eberhard fünf Hunderter auf den Tisch. Der schob die Scheine hinüber zu Karl.
„Lass des liegen, Eberhard! Kauf deiner Alten a paar Blumen!“
„Ja, der Else vielleicht. Hab ka Alte, das weißt ja!“
„Na, wirst schon wen finden! Lass den Dreck da liegen!“ Und Karl schob die Scheine wieder zurück.

Kaufmann zog mit seiner Beute ab und Else steckte den Kopf durch die Tür ins Extrazimmer hinein. „No a Viertel Blaufränkisch für'n Karl“, rief Eberhard.
Else nickte und machte die Tür zu.
„Glaubst, i lass mir was zahlen für was, das i gar net g'malt hab? Na, du schätz mi aber ein!“ Karl war immer noch sauer. Aber da kam schon die Else mit dem gefüllten Weinglas und stellte es vor Karl hin.
„Sei net so ang'rührt, Karl“, sagte Eberhard und hob seinen Römer. „Pfüat di Gott, Lackerl!“

Karl leerte sein Glas zur Hälfte, Eberhard trank seinen Rest aus. Dann erhob er sich: „Muss für Nachschub sorgen“, sagte er und verließ das Extrazimmer.
Draußen sah er Else, die gerade an einem Ecktisch abkassierte und wandte sich ihr zu: „Fräulein Else, kann ich nachher mit Ihnen noch sprechen? Da geht’s auch um den Karl.“
„Wenn's net nach Mitternacht is, dann gern“, meinte Else. „Um zwölf mach' ma zu!“
„Und wir werd'n heut' net lang bleiben. Bei uns is a bissl dicke Luft“, sagte Eberhard.
„A geh“, meinte Else. „Sonst seids ihr doch immer so harmonisch.“
„Soll aa wieder so werden“, sagte Eberhard. „Sei'n S' so gut und schenken S' mir no a Viertel ein. I nehm's gleich mit.“

Als Eberhard ins Extrazimmer zurückkehrte, saß Karl missmutig da und starrte die leere Staffelei an. „Eigentlich könnt' ma den Stammtisch schon aufgeben“, murmelte er. „Wenn mir nix mehr einfallt, brauch' ma den ja nimmer.“
„Ah, i hab mir 'dacht, das is unser Stammtisch – net nur deiner!“ beschwerte sich Otto. „Du tust ja so, als ob des dei' Privateigentum wär'!“
Karl sah auf. „Blödsinn!“
„Na, dann kommst halt nimmer“, meinte Eberhard. „Der Otto und i, mir machen weiter! Und du, lass dir halt was anderes einfallen! Mal' schwarze Katzen oder nackerte Weiber!“
„Oder aufg'lassene Bahnhöfe“, ergänzte Otto. „Da brauchst nur hinfahren und kannst alles abpinseln!“
Karl seufzte. „Ihr verstehts das net! Wenn mir nix mehr einfallt, is das so, wie wenn i des Malen aufg'geben hätt'. Muss i mir was anderes suchen, vielleicht Bierdeckel sammeln.“

„Na, malst halt Bierdeckelentwürfe“, schlug Otto vor.
Karl sah in böse an und machte ganz langsam: „Ha, ha, ha.“ Dann stand er plötzlich auf. „I geh schlafen. Vielleicht träum i ja heute was, a Strecken auf der Südbahn mit ein' Urwald...“
„Wir wünschen's dir!“, sagte Eberhard. „Bis nächste Wochen?“
„Weiß no net...“
„Na, wir überlegen uns was“, versprach Otto. „Komm du nur nächste Wochen!“
Karl seufzte noch einmal und dann verließ er schwermütig das Extrazimmer.

Kaum war Karl entschwunden, machte sich Eberhard auf den Weg hinaus ins große Gastzimmer und entführte von dort die Else ins kleine Extrazimmer zum Stammtisch. Der Piccolo servierte ihr ein Viertel Blaufränkisch und Eberhard erzählte knapp und der Wahrheit entsprechend, was geschehen war. Karl wäre durch das Gemälde von ihm brüskiert und spiele mit dem Gedanken, den Stammtisch aufzugeben.

Was denn Else davon halte, den Stammtisch in eine Art Genossenschaft umzuwandeln. Die Bilder gemeinsam zu malen, mit einem gemeinsamen Namen zu versehen (etwa „Kellerberg“) – und die Erlöse in eine gemeinsame Kasse einzuzahlen. Eberhard würde die heute eingenommenen 500 Euro sofort als finanziellen Grundstock zur Verfügung stellen.
Die Kosten für die Konsumation würden aus der Gemeinschaftskasse beglichen werden und eventuelle Überschüsse würden einmal im Jahr aufgeteilt.

Else hatte Bedenken. Man könne doch nicht plötzlich Statuten aufstellen, die den einzelnen Stammtischmitgliedern ihre Selbständigkeit absprachen! Da hätte man vorher mit dem Karl drüber reden müssen!
Davon sei keine Rede, konterte Eberhard. Die Genossenschaft wäre natürlich auf freiwilliger Basis und jeder könne mitmachen, müsse es aber nicht!
Na, unter diesen Umständen war auch Else dafür. Und da sie vor Jahren einmal ein Verhältnis zu einem Juristen hatte, war sie auch bereit, bei der Erstellung der Statuten mitzuhelfen.
Beinahe bis Mitternacht tagte dann die Versammlung im Extrazimmer, die die Statuten erstellte, unterbrochen von jeweils kurzer Abwesenheit Elses, die draußen kassieren musste.

Währenddessen war Karl Bichlmoser missmutig zu Bett gegangen. Er hatte noch ein paar Worte mit seiner Frau gewechselt und war dann eingeschlafen, ohne noch einmal an seine fehlenden Träume zu denken.
Er träumte aber! Und zwar recht intensiv.
Er saß mit seinen Freunden Otto und Eberhard in einem Eisenbahnabteil und machte den beiden klar, dass es unfair wäre, Eisenbahnmotive zu malen. Das wäre seine ureigenste Idee! Alles andere stünde den beiden uneingeschränkt zur Verfügung, aber die Bahnmotive mögen sie doch ihm, Karl, überlassen!

Da kam plötzlich der Schaffner ins Abteil und bat Karl, ihn doch zum Lokführer zu begleiten. Natürlich kam Karl mit. Sie wanderten durch den ganzen Triebwagenzug nach vorne und schließlich sperrte der Schaffner die Tür zum Raum des Triebfahrzeugführers auf.
Karl sah mit dem ersten Blick, wo sie sich befanden: Auf der schnurgeraden Strecke zwischen Wiener Neustadt und Neunkirchen, die durch dichten Föhrenwald führt. Und zwischen den aufragenden Schwarzföhren blühten riesige, bunte Blütenkelche, offenbar einer exotischen Orchideenart.
„Das wollt' ich Ihnen net vorenthalten“, sagte der Lokführer. „Das gibt sicher ein Gemälde, das sich ganz gut verkauft!“
Auf dem Gegengleis kam ihnen ein Güterzug entgegen und der hatte lauter Zirkuswagen geladen. Karl schloss kurz die Augen – und das Bild vor ihm war bereits geistig festgehalten.
Gleich am nächsten Tag würde er mit dem Malen beginnen!

Das tat er auch. Und zwar begann er sofort nach dem Frühstück.
Seine Frau brachte ihm in den nächsten zwei Stunden mehrmals Kaffee und Karl bemühte sich sehr, die Föhren möglichst realistisch darzustellen. Und seine Frau war fröhlich, weil ihr Mann ebenfalls einen sehr zufriedenen Eindruck machte. Jetzt hatte er fast zwei Wochen lang nichts zustande gebracht, und auf einmal lief es wieder!
Viel Arbeit machten ihm die Zirkuswagen, die der Gegenzug geladen hatte. Aber Karl machte die ganze Woche weiter mit seinem Gemälde.

Bis Donnerstag hatte er das Bild fertig und sehr beschwingt brach er auf zu seinem Treffen mit Eberhard und Otto. Das Gemälde nahm er in Packpapier verpackt natürlich mit.
Als er das „Kellerberg“ betrat, traf er gleich beim Eingang auf Else, die soeben ein Flasche Weißwein servierte.
Sofort interessierte sich die Kellnerin für Karls Bild. „Na? Geht's wieder? Was Neues?“
„I zeig's Ihnen drin im Extrazimmer“, sagte Karl.
„I komm gleich“, kündigte Else an und verschwand mit der Weißweinflasche um die Ecke.

Karl betrat das Extrazimmer. Eberhard und Otto waren schon da – und da standen zwei Staffeleien im Raum. Auf jeder Staffelei gab es ein halbfertiges Gemälde.
„Die ersten Gemeinschaftsarbeiten“, sagte Otto. „Machst du mit, Karl?“
Karl schaute sich erst einmal die Bilder an. Das eine war ein Ölgemälde, das eine seltsame Stadtlandschaft darstellte. Hypermoderne, seltsam geformte Hochhäuser bildeten den Hintergrund und davor stand eine Häuserzeile im Stil des 19. Jahrhunderts. Aber das Bild war noch nicht fertig. Zwei der Wolkenkratzer waren nur in den Umrissen vorhanden und einige der Häuser im Vordergrund hatten noch keine Fassaden.

„Was soll das?“, fragte Karl.
„Gemeinschaftsarbeiten“, erklärte Otto. „Wir malen zu dritt ein Bild. Wenn wir's verkaufen können, geht der Erlös in eine Gemeinschaftskasse. Die benutzen wir für die Konsumation und alles, was übrig bleibt, wird aufgeteilt. Wir machen sozusagen eine Künstlergenossenschaft.“
„Perfekter Blödsinn“, meinte Karl. „Drei malen und den Ruhm hat keiner!“
„Geht's dir nur um Ruhm?“, fragte Eberhard.
„Natürlich nicht!“, sagte Karl böse. „Mir geht’s um die Erschaffung von was Neuem!“
„Das können auch mehrere gemeinsam!“
„Das ist dann aber nicht sehr sinnvoll! Wenn einer was Neues malt, weiß er, was er darstellen will. Mehrere haben verschiedene Vorstellungen. Dann passt das alles nicht zusammen!“
„Warum muss alles zusammenpassen? Wenn nicht, hat doch ein Bild mehr Inhalt!“
„Nein. Mehr Inhalte. Mehrzahl! Aber solche, die zueinander passen wie die Faust auf's Aug'!“

„Was hast denn du da? Was Neues?“, unterbrach Eberhard die Diskussion und deutete auf das Paket, das Karl mitgebracht hatte.
Karl packte das Bild aus.
„Huiii! Großartig!“, sagte Otto.
„Ja, ganz anständig“, meinte Karl. „Und ihr zwei wollt jetzt noch was dazu malen? Was denn? A Campingzelt am Waldrand? Oder a Wildschwein, das über die Gleise rennt?“
„Da is nix mehr zum Weitermachen“, meinte Otto. „Das is fertig – und es is gut! Gratuliere!“
„Aber ihr wollt ja, dass wir alles zusammen machen!“
„Wer hat dir denn den Blödsinn erzählt? Wenn jemand allein was zustande bringt, is es ja gut! Nur, wenn das nicht geht, machen wir alle was zusammen! Karl, du hast das falsch verstanden!“, erklärte Eberhard.
„Da habt's ihr aber vorhin was anderes g'sagt! I hab g'glaubt, ihr wollts euch an Karl machen[2] mit mir und i soll alle eure danebeng'gangenen Schinken ausbessern!“
„Karl, du schätzt uns ganz falsch ein. Wir haben nur was machen wollen, wenn uns nix einfallt!“

In diesem Moment kam die Kellnerin ins Extrazimmer. „Na? Wie schaut's aus?“ Karl deutete auf sein Gemälde.
„Das is ja fantastisch! I werd' gleich den Herrn Kaufmann holen!“ Und weg war sie.
Nicht ganz eine Minute später kam der Galerist herein und schwenkte fünf Hunderter in der Hand. Er hielt sich gar nicht erst damit auf, das Gemälde genauer anzusehen, sondern legte das Geld auf den Tisch und begann, das Gemälde einzupacken.
„Mindestens vier nimmt mein Kunde noch“, erklärte er. „Also schön weiter machen damit!“

Als sich Herr Kaufmann wieder zurückzog, kam Kellnerin Else mit drei Vierteln Rotwein und kündigte Karls Hühnerschnitzel Holstein für sehr bald an. Sie habe es bereits in der Küche bestellt. Ob Karl vielleicht mitkommen wolle, heute ausnahmsweise die Beilagen aussuchen?
Karl, der heute eine unbändige Lust auf Kohlsprossen[3] hatte, kam mit in der Absicht, seinen Wunsch in der Küche zu deponieren. Aber Else bewog ihn dazu, im großen Gastraum Platz zu nehmen.
„Herr Bichlmoser, i wollt Ihnen die G'schicht mit der Genossenschaft erklären. Aber verraten S' mi net!“

Und dann erzählte sie, dass die Herren Kamitz und Katzer sehr betroffen gewesen wären, als Bichlmoser letzte Woche so niedergeschlagen getan hätte, weil ihm nichts eingefallen war. Die „Genossenschaft“ wäre ein Versuch gewesen, Ideen beizusteuern und die Ausführung dem Bichlmoser zu überlassen. Also sozusagen eine Notlösung, um ihm, Karl, das Weiterarbeiten zu ermöglichen.

Weder dem Kamitz noch dem Katzer wäre etwas daran gelegen, die „Genossenschaft“ zu einem Erfolg zu machen. Aber sie, Else, wäre doch sehr für diese Lösung! Zeige die Sache doch, dass seine Freunde sich Gedanken über die Schwierigkeiten machten, die mangelnde Einfälle brächten.
„Das hab i net g'wusst“, gestand Karl. „Na ja, da muss i halt mitmachen!“

Das wäre schon, meinte Else. Sie wisse zwar, dass jeder Künstler, überhaupt jeder, der schöpferisch tätig sei, Anerkennung für seine Leistung fordere – und da gehöre zumindest die Nennung seines Namens dazu. Und, wenn möglich eine Bezahlung. Denn sein Schaffen unentgeltlich zur Verfügung zu stellen, sähe danach aus, die Leistung wäre nichts wert!

Aber der Herr Bichlmoser kriege doch ohnehin vom Herrn Kaufmann seine Gemälde bezahlt. Und so solle es auch bleiben! Aber zusätzlich wäre die Genossenschaft doch ein lohnendes Projekt!
Jetzt wurde aber Else in die Küche gerufen. Das Holsteinhendl war fertig.
Karl wechselte zurück an seinen Tisch im Extrazimmer.
Kohlsprossen waren natürlich nicht bei seinem Holstein-Hühnerschnitzel dabei!
Dafür hatte die Köchin aber eine schöne Menge Erbsen angerichtet und die entschädigten Karl für die fehlenden Kohlsprossen. Er genoss das Gericht denn auch bis zum letzten Bissen.

Dann wandte er sich endlich den halb fertigen Bildern von Otto und Eberhard zu.
Das Ölgemälde mit den halb fertigen Häusern einer Stadtlandschaft stellte Karl zur Seite und bemerkte dazu: „Na, die paar Fassaden mach i später.“ Das zweite Bild war ein Porträt der Kellnerin Else, aber ohne jeden Hintergrund. „Dazu is dir nix eingefallen?“, fragte Karl.
„Nur mein Schlafzimmer“, scherzte Eberhard.
„Das kenn i net. Aber irgendein Schlafzimmer wird’s schon werden“, kündigte Karl an.
„Nein. Lieber was Neutrales“, schränkte Eberhard ein.
„Na, werden schon was machen...“
„Also, du machst mit bei unserer Genossenschaft?“, fragte Otto.
„Bleibt mir ja nix anderes übrig. Obwohl i net grad viel davon halt'.“
„Warum machst dann mit?“, fragte Otto verwundert.
„Weil das wahrscheinlich von euch so was wie a Hilfsprogramm für mich is. Die Else hat so was angedeutet.“
„Hilfsprogramm für alle von uns!“, warf Eberhard ein.
„Na schön, i mach ja mit!“, versicherte Karl. „Aber ihr werdet's zugeben, dass es schöner is, wenn man was selber gemacht hat, als wenn wer mitgeholfen hat. Deshalb halt i net viel davon.“
„Das kannst ja jederzeit, was selber machen. Wichtig bei unserer Genossenschaft is nur, dass es sie überhaupt gibt!“
„Na, dann woll'n wir darauf ein schönes Viertel nehmen!“

Anmerkungen

[1] notich  = bedürftig
[2] einen Karl machen = einen Spaß machen (nach dem abgerissenen Karl-Theater in der Wiener Leopoldstadt)
[3] Rosenkohl

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