KunstGeschichten

KunstGeschichte: Krakelüren

15 Millionen Euro für Gemälde von Picasso und Max Ernst sind nicht zu verachten, denkt sich der Maler Thomas Hofbauer und fängt an zu schaffen. Für eine Expertise der Bilder soll seine slowakische "Lebensgefährtin" sorgen. Alles geht soweit gut, bis ihm ein dummer Fehler unterläuft: die Krakelüren auf den angeblich 100 Jahre alten Werken fehlen! Schnell kann dieses Problem jedoch gelöst werden. Aber dann taucht gleich das nächste auf: Sie werden gestohlen! Eine rasante Verfolgungsjagd beginnt.

Thomas Hofbauer war ein distinguierter, eleganter älterer Herr, der in seiner Umgebung sehr angesehen war. Er bewohnte eine geräumige Altbauwohnung im achten Bezirk, nahe dem Theater in der Josefstadt und er war auch Besitzer eines Abonnements in diesem Theater. Die Josefstadt-Aufführungen genossen einen vorzüglichen Ruf in Wien und Thomas konnte sich eigentlich nicht daran erinnern, jemals eine missglückte Aufführung dort gesehen zu haben.

Er war gerade zweiundsechzig, immer noch Junggeselle aber mit ausgiebigen Erfahrungen in Sachen Liebe – und außerdem hatte er eine spezielle Art von „Lebensgefährtin“, die allerdings in ihrer eigenen Wohnung hauste und nur mehrmals pro Woche bei Thomas zu übernachten pflegte.

Als Berufsbezeichnung verwendete Thomas das Wort „Privatier“, obwohl er einer intensiven Handelstätigkeit nachging. Thomas Hofbauer war Kunsthändler. Allerdings besaß er keine Galerie, die Gemälde, die er verscherbelte, hingen in seiner Privatwohnung. Zudem hatte er alle selbst gemalt – nach Art mehrerer unterschiedlicher Meister der Malerei. Er malte genau in der Manier eines Pablo Picasso, eines Max Ernst und eines Franz Marc. Freilich signierte er seine Gemälde nie und mitunter gelang es ihm, eines seiner Werke als das einer der drei Genannten zu verkaufen. Und das brachte so viel Geld, dass er sich einen anständigen Lebenswandel leisten konnte!

Seine Lebensgefährtin war eine etwa fünfzigjährige Slowakin aus der Gegend um Kosice und sie war an der Kunstakademie angestellt. Nur als Verwaltungsbeamtin, die nichts mit dem künstlerischen Unterricht zu schaffen hatte, aber für Thomas trotzdem eine wertvolle Hilfe darstellte. Marika Papp, so ihr Name (sie entstammte dem ungarischen Bevölkerungsanteil der Slowakei) war eine ebenso elegante Erscheinung wie Thomas selbst, fuhr einen dicken Mercedes und engagierte sich in Thomas’ kommerziellen Aktionen zur Verwertungen seiner Bilder.

Momentan standen drei Ölbilder an, die zu verkaufen waren: Zwei Gemälde von Max Ernst und eines von Pablo Picasso. Der Picasso stammte aus der frühen Phase des großen Spaniers und mochte eventuell die Vorarbeit zum Gemälde „Gauklerfamilie“ aus dem Jahr 1905 darstellen. Links saß die junge Frau und rechts standen die männlichen Mitglieder der Familie und das junge Mädchen, also genau seitenverkehrt zum Gemälde. Aber sonst war die Ansicht fast die gleiche.

Die beiden Gemälde von Max Ernst ähnelten den Werken „The Joy of living“ und „The Eye of silence“, waren jedoch noch detaillierter ausgeführt. So waren die Pflanzenstengel mit wesentlich mehr Köpfen von Amphibien ausgestattet.

Besonders Max Ernst hatte es dem Thomas angetan. War doch der Maler in Brühl im Rheinland geboren. Und Thomas hatte seine Kindheit im Kinderdorf Hinterbrühl verbracht. Diese, in der Nähe von Mödling im Tal des Mödlingbaches (der „Brühl“) gelegene Erziehungseinrichtung sorgte bereits seit Jahrzehnten für Waisen oder unerwünschte Kinder und ließ diesen eine erstklassige Ausbildung angedeihen. Thomas Hofbauer war das Kind eines Flüchtlingspaares und das SOS-Kinderdorf war das Beste gewesen, was ihm in den frühen Fünfzigerjahren des letzten Jahrhunderts passieren konnte. Wie er wirklich hieß, wusste er nicht. Der Name Hofbauer wurde ihm seinerzeit „zugewiesen“ und er war ganz zufrieden damit.

Bei der geplanten Aktion mit den Gemälden, die als Werke von Picasso und Max Ernst ausgegeben werden sollten, hatte Marika Papp die Hauptrolle zu spielen. Gelang es ihr, die Gemälde an der ukrainischen Grenze als echt deklarieren zu lassen, konnte Thomas die Dinger für insgesamt 15 Millionen Euro verkaufen. Erst vor Kurzem hatte Thomas seinen Freund Wolfgang Petracchi angerufen, der in Köln im Zusammenhang mit einem gefälschten Campendonk-Gemälde im offenen Vollzug zu sechs Jahren Haft verurteilt worden war und mit ihm die Sache abgesprochen. Petracchi war der Meinung, da könne gar nichts schieflaufen. Den Trick mit der Anerkennung der Echtheit von Gemälden war schon von dem Ungarn …. angewendet worden und hatte ein wahres Vermögen gebracht. Nur werde sich Marika an der ukrainischen Grenze einige Zeit gedulden müssen.

Thomas sah sich die Bilder nochmals an. Die beiden „Max Ernst“ waren beinahe perfekt. Beim Picasso war er sich nicht ganz so sicher. Aber eine Zollbehörde würde sie wohl kaum einer genauen Analyse unterziehen!

Am 18. Juni war es dann so weit.
Marika kam am Abend zu ihm. Gemeinsam verluden sie die Gemälde in Marikas Mercedes. Und dann kam ein gepflegtes Souper mit Beluga-Kaviar und mehreren Flaschen Champagner. Und danach folgte eine sehr gepflegte, sehr zärtliche Nacht.

Um acht Uhr morgens fuhr Marika los. Die Strecke in die Ukraine ist zwar relativ gut ausgebaut, die Autobahnverbindung allerdings noch nicht komplett. Immer wieder gibt es Abschnitte, die über zweispurige Landstraßen führen und Marika brauchte eine gewisse Zeit. Vor allem für die Strecke von Tornala bis Saca, die sie über die Landstraße 50 fuhr. Dann erst ging die Autobahn R2 weiter bis Kaschau, das heute Kosice heißt. Dort hielt Marika an und gönnte sich ein spätes Mittagessen in einem Restaurant nahe dem Elisabethdom, das sie noch aus ihrer Kindheit kannte.

Nach dem Mokka kam sie zu ihrem Mercedes zurück und öffnete den Kofferraum. Ganz oben lag das größte Bild, der Picasso. Das Gemälde war zwar etwas kleiner als das Original, das heute in Washington hängt, aber immer noch beinahe einen Meter im Quadrat.

Nachdenklich sah Marika das Gemälde an. Es sollte um 1905 gemalt worden sein. Da fiel ihr plötzlich auf, dass weder die Farben noch der Firnis Krakelüren aufwiesen. Konnte das überhaupt sein? Ein hundert Jahre altes Gemälde ohneRisse? Hatte das Thomas vergessen?
Von ihrem Handy rief sie ihn sofort an. „Thomas, was ist mit den Krakelüren? Kann der Picasso tatsächlich keine haben? Über hundert Jahre alt, das Ding!“
„Hab ich die vergessen? Gibt's doch nicht!“
„Jedenfalls sind da keine!“
„Dann bitte, mach welche rein! Aber nicht zu viele! In hundert Jahren gibt’s da keine Massen davon! Nur einmal leicht um einen Besenstiel wickeln, dann bricht die Farbe schon passend. Kannst du dir einen Besenstiel besorgen?“
„Da gibt’s genauso Baumärkte wie in Wien!“
„Na, dann mach mal! Fährst du noch heute zur Grenze?“
„Klar! Sobald die Krakelüren drin sind!“

Marika verabschiedete sich und suchte einen Baumarkt. An der Stadtausfahrt in Richtung Ukraine fand sie einen. Sie stieg aus und betrat das Verkaufslokal. Dort kaufte sie einen vollständigen Besen, einen Hammer und Nägel, mit denen die Leinwand am Rahmen befestigt wurde. Nachdem sie bezahlt hatte, begann die Bastelei. Auf dem Parkplatz vor dem Baumarkt löste sie die Nägel und rollte das Gemälde über den Besenstiel. Dann befestigte sie die Leinwand wieder und verwendete dabei die Nägel, die ursprünglich im Rahmen gesteckt hatten. Die neuen brauchte sie gar nicht. Dann fuhr sie sofort auf der Landstraße 50 weiter, über Michalovce und Sobrance zum Grenzübergang Vysne Nemecke / Ushhorod.

Gegen 15 Uhr kam sie an der Grenze an. Am slowakischen Posten machte ein junge Dame Dienst und sie sah sich den Pass Marikas nur ganz flüchtig an.
„Ich hab ein paar Bilder mit“, sagte Marika. „Vielleicht wollen Sie sich die ansehen.“ Sie stieg aus und öffnete den Kofferraum.
Ganz oben lag wiederum der Picasso. „Erinnert das Bild Sie an irgend etwas?“, fragte Marika. Die Zollbeamtin zuckte nur die Schultern.
„Das sieht einem berühmten Bild ähnlich“, erklärte Marika. „Die Gauklerfamilie von Pablo Picasso. Aus dem Jahr 1905. Ist aber nicht echt. Nur so in der Art gemalt.“

Die Beamtin meinte, das solle sich der Postenkommandant einmal ansehen und verschwand im Bürogebäude. Zwei Minuten später war sie wieder da und hatte einen älteren Beamten dabei, der sich als Gyula Okopenko vorstellte und den Picasso einer genauen Prüfung unterzog.

„Wohin wollen Sie die Bilder bringen?“, fragte er.
„Zur Galerie Cholub in Tscherniwzi“, sagte Marika. „Der Herr Cholub möchte sie kaufen.“
„Die müssen wir aber vorher überprüfen lassen“, meinte Inspektor Okopenko. „Wenn das echte Bilder sind, dürfen sie nicht so ohne Weiteres aus der EU hinaus!“
„Und wie lange wird das dauern?“
„Ein, zwei Tage. Wir schicken die zu Professor Wankat ans Ostslowakische Museum. Sie kriegen die Bilder natürlich auf jeden Fall wieder! Nur, wenn sie echt sind, dürfen sie nicht in die Ukraine.“
„Gut“, sagte Marika. „Kann ich inzwischen in Ushhorod drauf warten? Ich kenne da die Betreiberin einer kleinen Frühstückspension.“
„Natürlich! Kommen Sie in zwei oder drei Tagen wieder hierher!“
„Sehr lieb, dass Sie mich nicht zurück nach Kosice schicken!“
„Warum sollten wir das tun? Auch der Zoll macht Dienst am Kunden!“

Marika lächelte und sie war gerade dabei, zu sagen: „Ja, an den Fälschern“, sie hielt sich aber noch rechtzeitig zurück. Dann bekam sie von Inspektor Okopenko noch die Übernahmebestätigung für die Gemälde und seine Telefonnummer. Anschließend öffnete sich für sie der Schlagbaum.

Marika fuhr ihren Mercedes die Landstraße weiter, die jetzt eingesäumt war von kleinen Häusern. Der Charakter der Straße hatte sich von einer freien Landstraße zu einem Vorortgebiet verändert. Die Stadt Ushhorod liegt fast unmittelbar an der Grenze zur Slowakei und ist mit etwa 115.000 Einwohnern immerhin eine Großstadt.

Nach etwa zehn Minuten kam Marika ins Zentrum. Die Stadt hatte eindeutig einen österreichischen Charakter, liegt sie doch in Transkarpatien, das bis 1918 nahe am Kronland Bukowina lag. Das kann eine Stadt auch nach hundert Jahren nicht verleugnen!

Etwas abseits der Innenstadt lag die Pension der Svetlana Brunnerova. Marika und Svetlana hatten seinerzeit gemeinsam die Schulbank in Kosice gedrückt und sprachen miteinander Ungarisch.

Nach einer recht stürmischen Begrüßung, wobei Svetlana Marikas Mercedes sehr bewunderte, wurde diese zuerst einmal zu einem Kaffee eingeladen.
„Wie lange kannst du bleiben?“, wollte Svetlana wissen.
„Zwei bis drei Tage. Solang dauert's, bis meine Gemälde vom Ostslowakischen Museum überprüft sind.“
„Gemälde hast du mit?“
„Ja. Für den Cholub in Tschernowitz. Aber der Zoll hat den Verdacht, dass die echt sein könnten. Zwei von Max Ernst und eins von Pablo Picasso.“
„Und wenn die wirklich echt sind?“
„Dann nehm' ich sie zurück nach Wien. Da kann man für die zwei Ernst und den einen Picasso einiges bei einer Versteigerung rausholen!“
„Na, ich wünsch' es dir! Gehn wir ein bisschen zur Lindenallee?“

Ushhorod verfügt am Ufer des Flusses Ush über die längste Lindenallee Mitteleuropas, eine beliebte Flaniermeile für Jung und Alt. Dorthin begaben sich Marika und Svetlana, wobei Marika Svetlana sogar das Steuer ihres Mercedes überließ. Ja, alte Freundschaft rostet nicht...

Beim Abendessen lernte Marika Frantisek Holub kennen, ein junger Mann mit Glatze, einer Militärhose und Springerstiefeln, der sich etwas martialisch gab. Er saß am Nebentisch und hatte Marika einfach angesprochen. Und zwar in Bezug auf die Suppe.

Es handelte sich um eine ukrainische Fischsuppe, die etwas Ähnlichkeit mit russischem Borschtsch hatte und deren Hauptbestandteil offensichtlich „rote Rüben“ waren. Frantisek Holub hatte sich über diese Suppe beschwert und sich nicht mit negativen Bemerkungen zurückgehalten. Marika hingegen schmeckte das Gericht ganz gut. Schließlich waren vor allem frische Fische aus dem Ush hier verarbeitet worden. Sie gab Herrn Holub ganz frei Kontra.

Daraus entwickelte sich eine Diskussion über feines Essen und Marika hatte ihre helle Freude an den etwas verklemmten Ansichten des Tschechen. Sie sprachen übrigens Slowakisch miteinander, das Herr Holub ganz gut beherrschte.

Beim Mokka hatte Svetlana Frantisek Holub bereits von Marikas Gemälden erzählt, was derselben nicht ganz so recht war. Es ging schließlich keinem Fremden etwas an, dass es da möglicherweise um sehr wertvolle Bilder ging. Aber dann stellte sich der Tscheche als ein ganz netter Bursche heraus und Marika trank zum Abschluss noch ein Glas Wein mit ihm.

Nachts schlief Marika ausgezeichnet. Die Luft war erfüllt vom Duft von Kirschblüten, die überall in der Stadt aufgeblüht waren und das Fenster blieb die ganze Nacht lang weit offen.
Am nächsten Tag machte Marika einen Ausflug nach Kosice. Sie wollte mit dem Professor Wankat über die Gemälde sprechen. Beim Frühstück sagte sie das auch Svetlana. (Und Frantisek Holub hörte es mit.)

Um etwa halb zehn brach sie auf, um nach Kosice zu fahren. Sie bemerkte aber nicht, dass ihr der Tscheche in einem hellblauen VW Golf folgte. Am Grenzposten zur Slowakei traf sie wiederum auf Inspektor Okopenko. Sie erklärte ihm, dass sie den Professor Wankat sprechen wolle und vereinbarte mit dem Zollbeamten, dass der Professor die Bilder direkt an Marika Papp zurückgeben sollte. Sie würde ihm das schriftlich bestätigen. So hoffte Marika, die Sache etwas abkürzen zu können. Dann fuhr sie über die Grenze in die EU. Hinter ihr passierte ein hellblauer VW Golf mit tschechischem Kennzeichen die Grenze.

In flottem Tempo ging es über die Landstrasse 50 in Richtung Kosice. Einmal behinderte ein Holztransporter Marika und sie musste einige Zeit hinter dem langen, schwach motorisierten, russischen LKW bleiben, ehe sie überholen konnte. Dann ging es in beachtlichem Tempo weiter. Schließlich erreichte sie Kosice. Sie fuhr im Stadtzentrum nach Norden und erreichte das Ostslowakische Museum gegenüber dem alten militärischen Gebäude, das jetzt die Verwaltungszentrale des Oblast Kosice beherbergt und vor dem sie einen Parkplatz fand.

Marika hielt sich gar nicht damit auf, die Exponate zu besichtigen. Auch den Goldschatz von Kosice mit seinen knapp 3000 Goldmünzen ließ sie links liegen. Stattdessen erkundigte sie sich nach Professor Wankat. Das war ein sehr alter Herr in einem hellgrauen Arbeitsmantel und mit sehr dicken Brillen. Allerdings war er ausgesprochen nett.

„Ich habe eine Nachricht für Sie. Ob gut oder schlecht, das mögen Sie selber entscheiden. Die Gemälde sind echt!“, dozierte der Professor.
„Was? Wie ist das denn möglich?“
„Na ja, der Picasso wurde offenbar 1904 gemalt. Das beweisen die Krakelüren. Ein über hundert Jahre altes Bild hat normalerweise nicht so viele davon, aber das Bild war offenbar ein einem Klima mit vielen Temperaturschwankungen aufbewahrt worden. Im Gegensatz dazu haben die Bilder von Max Ernst fast gar keine Krakelüren. Ich schätze die Entstehungszeit der Ernst–Gemälde auf ungefähr 1923 bis 1925. Und sie waren wesentlich besser gelagert!“
„Aber das würde ja bedeuten...“
„Jawohl! Sie haben da einen wahren Schatz! Der darf natürlich nicht so ohne Weiteres aus der EU hinaus! Aber den können Sie in auch der EU um ein Vermögen verkaufen!“
„Dann fahr' ich sofort nach Wien zurück! Und den Cholub in Tschernowitz ruf' ich an.“
„Machen Sie das!“
„Krieg ich dann auch eine Expertise von Ihnen?“
„Natürlich. Wenn Sie einen Augenblick warten wollen, ich diktiere sie gleich.“
„Recht herzlichen Dank, Herr Professor!“

Marika verließ das Besprechungszimmer und setzte sich auf eine Bank, die im Gang stand. Von dort aus rief sie mit ihrem Handy zunächst den Thomas in Wien an.
„Thomas, bingo! Der Professor Wankat diktiert soeben die Expertise, dass die drei Bilder echt sind!“
„Gratuliere, Liebes! Voller Erfolg! Kommst du jetzt wieder zurück?“
„Ja. Ich komme heute noch in Wien an. Mit den Bildern und der Expertise!“
„Wunderbar! Dann wird heute Abend gefeiert...“

Marika wusste schon, was sie sich unter einer „Feier“ vorzustellen hatte. Nun gut, ihr war es recht. Anschließend rief sie Svetlana in Ushhorod an. Sie würde noch heute nach Wien zurückfahren, die Gemälde wären echt! Aber in etwa drei Wochen würde sie nochmals kommen. Wieder Bilder nach Tschernowitz bringen. Svetlana möge doch die Gegenstände, die Marika jetzt zurücklasse, bis dahin in Verwahrung nehmen. Für die Übernachtung bezahle sie bei ihrem nächsten Besuch. Svetlana gratulierte Marika zu den drei Gemälden und versprach ihr, ihre Habe bis zum nächsten Mal in Aufsicht zu nehmen. Und dann rief sie noch den Inspektor Okopenko an der Grenze an. Sie werde die Gemälde von Professor Wankat übernehmen und damit nach Wien zurückkehren. Die Bilder wären echt! Die Übernahme werde sie natürlich dem Professor schriftlich bestätigen. Ob denn diese Vorgangsweise in Ordnung wäre?
Jawohl, das wäre sie, bestätigte Okopenko. Und dann wünschte er noch viel Glück und eine gute Heimfahrt!

Jetzt hatte Marika Zeit. Alle Telefonate waren erledigt und sie sah sich etwas in dem Museum um. Da bemerkte sie den Tschechen aus ihrer Pension. Er schlich sich an der Stiege herum und schien Marika zu beobachten. Bei der schrillten sofort die Alarmglocken im Hirn! Der hatte doch von Svetlana erfahren, dass da etwas mit Gemälden im Gange wäre! Was, wenn er jetzt wissen wollte, ob die Dinger als echt deklariert worden waren?!

In diesem Moment kam Professor Wankat aus seinem Zimmer und übergab Marika das begehrte Echtheitszertifikat. „Gratuliere nochmals“, sagte er. „Zwei Ernst und ein Picasso werden nicht viel weniger als drei, vier Millionen einbringen!“
„Vielen, vielen Dank, Herr Professor“, sagte Marika und dann ging sie mit dem Professor mit, ihre Gemälde holen. Frantisek Holub kam hinter ihnen her. Marika verabschiedete sich – und Frantisek Holub stieg mit ihr die Haupttreppe hinunter. Er öffnete ihr sogar höflich die Eingangstür.

Marika rannte mehr als sie ging zu ihrem Mercedes. Der Tscheche blieb an ihrer Seite. Und als sie ihren Wagen erreicht hatte, griff Holub plötzlich nach den Gemälden und entriss sie ihr. „Das bleibt besser bei mir“, sagte er auf Slowakisch und wollte in der Gegenrichtung verduften, aber Marika hatte bereits so etwas geahnt und hielt die Gemälde eisern fest. „Nicht mit mir, Sie Halunke!“, rief sie. Einige Sekunden gab es ein Gerangel um die Bilder, dann aber zog der Holub die flachen Pakete ganz plötzlich zu sich heran, riss durch die abrupte Bewegung Marika von den Beinen und sie knallte mit dem Kopf an ihren Mercedes. Fazit: Eine kleine, flache Delle im Dach des Mercedes und eine blutende Platzwunde über Marikas rechtem Auge.

Marika ging zu Boden und Holub rannte mit den Gemälden weg. Aber in ihrem Hirn lief plötzlich das Programm „große Wut auf Frantisek Holub“ ab. Sie brauchte nur etwa vier Sekunden, bis sie wieder halbwegs klar denken konnte. Etwas mühsam zog sie sich hoch und sah den Holub auf der anderen Straßenseite in seinen VW springen. Sie setzte sich hinters Lenkrad und beobachtete ihn weiter. Da bemerkte sie, dass ihr das Blut ins rechte Auge rann. Sie wischte mit der Hand drüber und verteilte es damit folgerichtig auf dem Lenkrad. Mit einem Papiertaschentuch versuchte sie, die Blutung einigermaßen zu stillen. Aber das Gewebe am Kopf ist stark von Blutgefäßen durchsetzt und sie hatte keinen Erfolg damit.

Holub war mittlerweile losgefahren. Marika setzte sich hinter ihn. Der Tscheche fuhr auf der Hlinkova nach Osten, überquerte den Fluss Hornad und fuhr auf die Autobahn R4 in Fahrtrichtung Süden auf. Marika dachte, dass er auf schnellstem Wege nach Tschechien zurückwollte und folgte ihm. Dabei fingerte sie ihr Handy aus der Hosentasche und wählte den Polizeinotruf.

Die nächsten fünf Minuten waren sehr hektisch für Marika. Erstens erzählte sie auf Slowakisch dem Polizeioffizier von ihrem Missgeschick mit den Gemälden, zweitens musste sie immer wieder das Blut aus ihrem Gesicht wischen – und drittens blieb der Holub nicht auf der Autobahn! Nachdem er den Bahnhof im Osten passiert hatte, bog er an der Juzna trieda ab und fuhr auf dieser nach Süden weiter! Er wollte offenbar auf dem kürzestem Weg nach Ungarn!

Marika erwischte noch das gelbe Licht an der Ampel und folgte dem Tschechen weiter. Gleichzeitig gab sie die neue Situation dem Polizisten weiter. Der Versprach, auf der Landstraße 68 eine Sperre aufzubauen und Holub zu stoppen. Etwa zehn Minuten folgte Marika dem VW weiter, ohne den Versuch zu machen, ihn zu überholen. Holub fuhr flott, aber nicht aggresiv. Es fiel Marika relativ leicht, in einem gewissen Abstand hinter ihm zu bleiben. Wenn nur das lästige Blut auf ihrer Stirn nicht gewesen wäre!

Dann stoppte sie einer dieser schwerfälligen, ukrainischen Laster. Der VW Golf hatte natürlich bereits überholt! Aber Marika hing fest! Der Lastzug fuhr etwa mit Tempo 70 und eine ganze Kolonne von Gegenverkehr machte es ihr unmöglich, zu überholen. Es half nichts, sie musste warten. Dann, endlich, war die Gegenfahrbahn frei. Marika schaltete herunter, stieg voll aufs Gas und scherte links aus. In der Ferne sah sie, einen Wagen aus einer Kurve heraus kommen, der auf sie zuhielt. Noch stärker drückte sie das Gaspedal durch.

Der ihr entgegen kommende Wagen war sehr schnell. Marika sah, dass es ein hellblauer Wagen war und dachte einen kurzen Moment an Frantisek Holub. Wenn der nicht bald seine Geschwindigkeit reduzierte, würde es eine böse Frontalkollision geben! Der „Gegner“ dachte aber anscheinend gar nicht daran, etwas vom Gas zu gehen. Der Zusammenprall schien unvermeidlich!

Im letzten Moment lenkte Marika ihren Mercedes nach links, auf das Bankett und schoss ganz knapp an dem hellblauen VW Golf vorüber. Es gab einen kleinen Knall, als der rechte Außenspiegel des Golf abgerissen wurde, so knapp streiften die Fahrzeuge aneinander vorüber. Marikas schwerer Wagen hielt die Spur und sie bremste vorsichtig ab, ohne das Bankett zu verlassen.

Und da kam auch schon das slowakische Polizeifahrzeug! Vor dem war also der Holub ausgerissen! Marika sah im Rückspiegel, dass der Tscheche mit seinem Golf ins Schleudern gekommen war und Mühe hatte, seinen Wagen unter Kontrolle zu halten. Schließlich kam er von der Straße ab und blieb stehen. Das Polizeifahrzeug hielt genau neben ihm.

Marika wischte sich erst einmal wieder das Blut ab und fuhr ihren Mercedes langsam auf dem Bankett zurück zum Polizeiauto. Die beiden Polizisten traf fast der Schlag, als Marika voller Blut im Gesicht aus dem Wagen stieg.
„Das war nur ein kleiner Unfall“, sagte sie auf Slowakisch. „Aber über dem Auge verliert man recht viel Blut.“
„Kommen Sie, Druckverband anlegen“, sagte der eine Polizist.

Fünf Minuten später hatte Marika ein sauberes Pflaster über dem Auge und das Blut floss nicht mehr. Frantisek Holub hatte Handschellen angelegt bekommen und die drei Gemälde lagen im Kofferraum des Polizeiautos. So ging es zur nächsten Polizeiwache. Hinsichtlich der Gemälde konnte Marika die Expertise des Professor Wankat vorlegen, die an sie adressiert war und die sie in der Handtasche gehabt hatte. Daraufhin konnte sie die Gemälde wieder übernehmen. Was mit dem Frantisek Holub passierte, interessierte sie nicht. Aber er dürfte nicht so leicht davongekommen sein.

Dann machte sie sich auf den Weg nach Wien. Die Platzwunde über dem Auge schmerzte ein bisschen, aber die Fahrt ging problemlos vonstatten. Lediglich auf der Autobahn von Bratislava nach Wien herrschte dichtes Verkehrsaufkommen. Am Abend, als Marika bei Thomas erschien, hatte dieser ein „Souper“ vorbereitet, dass alle Erwartungen erfüllte. Marika konnte sich so richtig „fallenlassen“ und genoss die Muscheln, den Kaviar und den Champagner.

„Vergiss nie mehr die Krakelüren!“, schärfte Marika dem Thomas ein. „Die Schäden in der Farbe und dem Firnis haben wahrscheinlich den Professor Wankat zu seiner günstigen Expertise geführt!“
„So lang du da bist, kann ich es vergessen“, meinte Thomas. „Ohne dich würde die ganze Fälscherei nicht funktionieren!“
„Da hast du wahrscheinlich recht“, stimmte Marika zu.
Schnell waren denn auch sämtliche Ärgernisse des Tages vergessen und die Vorfreude auf den großen Gewinn regte sich.

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