KunstGeschichten

KunstGeschichte: Performances

Unser Wiener Autor stellt spannende Fragen nach der Kunst als Therapie bzw. als Refugium in seiner neuen KunstGeschichte. Lesen Sie hier über einen Künstler und seiner Suche nach einem Platz in der Gesellschaft.

Als der Zwirnblade[1] festgenommen wurde, war er noch nicht einmal sechzehn Jahre alt.
Bezirksinspektor Gerold vom Funkwagen Cäsar 3 legte ihm die Hand auf die Schulter und der Zwirnblade war so erschrocken, dass er keinerlei Fluchtversuch unternahm. Er war gerade mit dem Oberkörper halb in einem aufgebrochenen Auto in der Nähe der Schnellbahnstation Rennweg und montierte das Radiogerät ab, das über einen CD Player verfügte und bestimmt einen Fünfziger bringen würde. Seinen Rucksack hatte er auch umgehängt, in dem sich einige weitere Rundfunkempfänger renommierter Marken, zwei Digitalkameras und drei GPS – Navigationsgeräte befanden, alles aus Fahrzeugen, die in der Ungargasse abgestellt waren und die er in den letzten neunzig Minuten geknackt hatte.


Revierinspektor Gerold hatte selber einen Sohn von fünfzehn Jahren. Als er in das erschrockene junge Gesicht des Autoeinbrechers sah, empfand er ein tiefes Bedauern für dessen Vater und handelte stellvertretend für diesen, indem er dem jugendlichen Einbrecher – außerdienstlich versteht sich – zunächst einmal eine umhängte[2].


Der Zwirnblade sagte nicht einmal „Au!“, offenbar erkannte er die pädagogische Angemessenheit der Maßnahme.
Außerdem verhielt sich der Zwirnblade ganz brav, als er ins Wachzimmer in der Juchgasse verfrachtet wurde, erstens, um nicht nochmals so ein „Ohrringel“ zu riskieren wie das vorhin erhaltene und zweitens, weil ihm der um drei Jahre ältere Michalek–Johnnie von dessen eigenen Erfahrungen mit der „Schmier[3]“ berichtet und Kooperation dringend empfohlen hatte.
Der Wachzimmerkommandant inspizierte die sichergestellte Beute und fragte: „Wie alt bist denn, du Früchterl?“
„Im November werd’ i sechzehn.“
„Sauber! Na, in Gerasdorf[4] werd’n s’ dir schon das Wilde aberama[5].“
Des Zwirnbladen Personalien wurden aufgenommen. Ausweis hatte er natürlich keinen.


Seinen eigenen Angaben zufolge hieß er Thomas Kaltenbrunner (seine Mutter würde ihn identifizieren). Vater hatte er angeblich keinen. Revierinspektor Gerold, der bei der Einvernahme zugegen war, ärgerte sich, dass er dem Burschen nicht gleich ein „Packel Haustetschen“ verabreicht hatte, statt der einzelnen, nicht allzu kräftigen „Fotzen“, um den fehlenden Papa wenigstens einigermaßen zu ersetzen.


Dann wurde der Zwirnblade vorläufig in der Zelle des Wachzimmers einquartiert, denn den Staatsanwalt konnte man erst ab acht Uhr erreichen. Dort saß er also und bedauerte sich selbst ganz intensiv, denn es schien, als ob er erstmals zu den Verlierern im Spiel des Lebens gehören würde.
Thomas Kaltenbrunner, von den anderen Halbstarken in Mustafas Kebab- und Pizzabude der Zwirnblade genannt, war alles andere als dumm. Dass er jetzt hier in der Juchgasse einsaß, war lediglich der vorläufige Endpunkt einer folgerichtigen Entwicklung, die mit der Intelligenz Thomas' nichts zu tun hatte.
Als Sohn einer sehr jungen Mutter, der unverehelichten Eva Kaltenbrunner, die konsequent ihre eigenen Interessen verfolgte, war er bereits sehr früh auf sich allein gestellt gewesen. Nicht, dass er eine schlechte Erziehung erhalten hätte! Nein, er war überhaupt nicht erzogen worden, wenn man von den wenigen, halbherzigen Bemühungen der Kindergartentante absah. Mutter Eva war im Gastgewerbe beschäftigt und sah überdies noch hervorragend aus, was dazu führte, dass sie abends sehr selten zu Hause war. Entweder sie musste arbeiten, oder sie war von irgendeinem Verehrer irgendwohin eingeladen worden - und solche Einladungen schlug sie grundsätzlich nicht aus. Man konnte ja nie wissen, ob nicht ein vermögender Junggeselle unter den G’schamsterern[6] war, den auch das Vorhandensein des kleinen Thomas nicht abschrecken würde. Mama Eva tat also auf ihre Art ihr Möglichstes für ihren Sohn! Na, und wenn sich der spendable Herr wieder einmal als verheiratet herausstellte, konnte man auch nichts machen. Angenehm und amüsant waren diese Einladungen allemal.


Der kleine Thomas saß indessen allein zu Haus und genoss es, im Fernsehen alles ansehen zu dürfen, ohne dass es ihm jemand verboten hätte.
So hatte er sich schon früh eine eigene Weltanschauung zugelegt, die allerdings stark von amerikanischen Fernsehserien geprägt war.
Ohne es formulieren zu können, hatte der kleine Zuseher bald instinktiv begriffen, nach welchem Schema die einzelnen Folgen so einer Serie abliefen: Der Protagonist will etwas – der Bösewicht will es verhindern. Der Held kämpft um sein Ziel und muss eine Niederlage nach der anderen einstecken, bis er beinahe ganz am Boden liegt. Dann aber rafft er sich nochmals auf und im dramatischen Showdown (in dem tunlichst mehrere Minuten lang geschossen wird und möglichst viel explodiert) besiegt der Held den Bösen in der allerletzten Sekunde. Fanfare! God bless America!


Da die Mama über einen Kabelanschluss verfügte sah der kleine Thomas den Plot (in unterschiedlichsten Variationen) täglich zwei bis drei Mal. Kein Wunder, dass er den Grundsatz verinnerlicht hatte: Wenn du was haben willst, musst du drum kämpfen, aber dann kriegst du’s auch!
Außerdem war ihm unterschwellig auch der Umkehrschluss dessen bewusst, nämlich dass, wenn der Gute immer Sieger blieb, der Loser automatisch der Böse sein musste.
Thomas wollte folglich kein Loser sein. Wenn er etwas haben wollte, nahm er es sich einfach und wenn ihm jemand diese Sache streitig machen wollte, kämpfte er drum. Und blieb gewöhnlich Sieger. God bless America!


Später, als er heranwuchs ging es nicht mehr nur um Gummibären und Kaubonbons und er kam dahinter, wie wichtig Geld war. Mama Eva verdiente nur so viel, dass sie und ihr Sohn eben noch über die Runden kamen, also sorgte Thomas selbst für das Einkommen, das für die Befriedigung seiner Bedürfnisse nötig war, indem er die Seitenscheiben abgestellter Autos einschlug. Die Bestohlenen waren eben Loser und solche musste es ja auch geben, auch wenn er alles daran setze, nicht selbst in diese Kategorie zu gehören.


Das Geschäft florierte. Luigi, ein Rumäne, der deshalb so genannt wurde, weil er kein Wort Deutsch sprach und sich nur mit ein paar Brocken Italienisch verständigen konnte, traf Thomas regelmäßig in der Pizzabude in Favoriten, nahm ihm seine Beute ab und belieferte damit den lukrativen Schwarzmarkt in seiner Heimat. Aber damit war jetzt einmal Schluss. Thomas beschloss in seiner Zelle, einen anderen Weg einzuschlagen. Aber welchen?
Um acht Uhr setzte sich der Wachzimmerkommandant telefonisch mit der Staatsanwaltschaft in Verbindung. Gute zehn Minuten lang diskutierte der Polizeibeamte mit dem Staatsanwalt, dann kam man zu dem Schluss, dass in Anbetracht des jugendlichen Alters des Delinquenten von einer Untersuchungshaft abzusehen wäre.
Also schickte der Wachzimmerkommandant nach Thomas' Mutter, die tatsächlich zu Hause angetroffen wurde. Zwar war sie ziemlich müde, weil sie gerade erst von einer Einladung zurückgekehrt war, kam aber unverzüglich mit dem Beamten mit, als sie erfuhr, worum es ging.
Eva Kaltenbrunner identifizierte ihren Sohn und heulte Rotz und Wasser, weil dieser zum Verbrecher geworden war, obwohl sie doch alles für ihn getan hatte!
Aber, trotz aller Enttäuschung, sie stand zu ihrem einzigen Kind! Sofort rief sie einen ihrer Bekannten an, den sie aus dem Restaurant, wo sie bediente, kannte und bei dem sie bereits einige Male privat in einem Hotel im Wienerwald zu Gast gewesen war. Dieser Herr Doktor Platzer, ein Ministerialbeamter, hatte mitunter auf Dienstreisen eine nächtliche Unterbrechung ganz in der Nähe Wiens eingeschoben, um es Thomas' Mutter zu ermöglichen, ihm bei diesen Unterbrechungen Gesellschaft zu leisten. Als ihn Eva Kaltenbrunner bat, etwas für ihren Sohn zu tun, fühlte sich Dr. Platzer zwar keineswegs dazu verpflichtet, aber als Eva die Möglichkeit andeutete, sich mit ihrer Bitte an Frau Platzer zu wenden, wurde Doktor Platzer doch aktiv, obwohl er fluchte wie ein Pirat und Thomas’ Mutter mit plastischen Worten zum Teufel wünschte.


So kam der Zwirnblade zu einem erstklassigen Anwalt, der bereits in der Vergangenheit mehrere Prominente vertreten und mit schöner Regelmäßigkeit aus peinlichen Schlamasseln herausgeholt hatte.
Der Anwalt leistete tatsächlich ganze Arbeit. Es gelang ihm, Thomas vor einer unbedingten Strafe zu bewahren und der Zwirnblade kam mit einigen Monaten bedingt davon, allerdings unter der Auflage, sich einer Verhaltenstherapie zu unterziehen.
Nun sah sich allerdings Doktor Platzer nach weiterem sanften Druck durch Thomas’ Mutter genötigt, auch noch für die psychologische Betreuung zu sorgen und deshalb mobilisierte er eine ihm bekannte Expertin in Sachen verhaltensauffällige Jugendliche: Frau Doktor Judith Starlinger. Thomas’ Mutter nahm dies dankbar zur Kenntnis und Frau Platzer erfuhr tatsächlich nie, dass die Dienstreisen ihres Mannes außerdienstliche Unterbrechungen in einem sehr nah gelegenen Hotel aufzuweisen hatten.


Die Psychologin Starlinger war noch nicht allzu lang in der Betreuung jugendlicher Straftäter aktiv und deshalb noch voller Enthusiasmus, was ihren Beruf anbelangte. Sie hatte noch Vertrauen in ihre Wissenschaft und war davon überzeugt, den jungen Leuten, die da auf die schiefe Bahn geraten waren, helfen zu können, wenn sie nur genügend Verständnis für die Kids aufbrachte.
Dazu gehörte auch, sich deren (Sub-)Kultur anzupassen und sie kleidete sich entsprechend: Zerschlissene Jeans, unförmiger und damit „cooler“ Pullover, Laufschuhe und Baseballmütze, die allerdings nicht ganz zu der Brille passte, auf die Frau Dr. Starlinger angewiesen war.


Als sie das erste Mal dem Thomas Kaltenbrunner gegenüber stand, war sie sofort beeindruckt von dessen verbissenem Gesichtsausdruck, der zwar irgendwie zu der extrem schlanken Gestalt des Burschen passte, aber auf eine gewisse Sturheit hinwies. Der Zwirnblade würde kein leichter Fall für sie werden.


Thomas seinerseits war von der seltsamen Erscheinung Dr. Starlingers überrascht. Die Frau war knapp über dreißig, also nicht viel jünger als seine Mutter und das „coole“ Outfit durchschaute Thomas sofort als das, was es war: Der untaugliche Versuch einer vertrauensbildenden Maßnahme. Das fand er zwar lächerlich, beschloss aber trotzdem, mitzuspielen. Ihm blieb wohl nichts anderes übrig, denn er war heilfroh, der Haft entgangen zu sein.


Dr. Starlinger begann, den Zwirnbladen mittels ausgeklügelter Fragen unter die Lupe zu nehmen und war positiv überrascht, als sie feststellte, dass der Bursche klug genug gewesen war, nach den ersten Erfahrungen mit Drogen sofort von dem Teufelszeug zu lassen. Das war immerhin schon etwas!
In der dritten Sitzung mit dem Zwirnbladen versuchte Dr. Starlinger, die Thomas mittlerweile „Judith“ nannte, eine auf dem Rohrschach – Test basierende, von ihr selbst entwickelte Methode aus. Thomas sollte mit Wasserfarben ein surrealistisches Bild malen und anschließend selbst interpretieren, was er dann auch mit einiger Belustigung tat, obwohl es der Psychologin anfänglich Überredungskunst kostete.
Dr. Starlinger hatte schon aus den vorangegangenen Gesprächen mit Thomas den Schluss gezogen, dass es für ihn unheimlich wichtig war, zu siegen – und zwar in jeder Hinsicht. Er hatte panische Angst davor, ein Verlierer zu sein und dazu gehörte es auch, sich lächerlich zu machen.


„Judith, malen kann i net!“, hatte er anfangs abgewehrt.
„Abstrakt malen kann a jeder! Du auch!“
„Stimmt doch net! Sonst müsst’ man’s net lernen. Da gibt’s doch sogar a Hochschul’ für Maler!“
„Ja, für die echten Maler! Aber, die modernen Künstler, die abstrakten und die Performancekünstler, die lernen doch nix! Die tun nur so.“
„Du meinst, die verarschen einen?“
„Na ja, irgendwie vielleicht schon. Hast schon was von Aktionskunst g’hört? Oder von Objektkunst?“
Hatte der Zwirnblade nicht. Klar, in US Fernsehserien ist das im Allgemeinen kein Thema. Judith erzählte ihm ein bisschen was darüber.


Die Theorie interessierte Thomas kaum. Mit einer Definition der Kunst, der Verbindung des Künstlers mit seinem Werk und ähnlichen Überlegungen hatte er nichts am Hut. Aufmerksam wurde er erst, als Judith von Hermann Nitsch und dessen blutigen Spektakeln erzählte und von den Verpackungsaktionen des bulgarischen Künstlers Christo. Schließlich, als er über Marina Abramovic erfuhr und dass diese bei der Biennale 1997 in Venedig über mehrere Tage hindurch jeweils stundenlang frische Rinderknochen gebürstet hätte, war er vollends fasziniert.
„Mit so was lasst sich a Marie[7] machen?“, fragte er ungläubig.
„Net, wenn’st net bekannt bist. Dann pfeift sich ka Hund um so was. Aber wenn’st an Namen hast, wie der Nitsch zum Beispiel, dann is so a Performance a Hammer.“
„Und wie macht man sich ein’ Namen?“
Nun, das wusste Judith auch nicht so recht. Auffallen musste man eben – und die richtigen Leute kennen. Glück brauchte man dazu und man musste kämpfen um die Anerkennung durch die Öffentlichkeit. Ein guter Einfall, eine spektakuläre Aktion konnte auch nicht schaden.
Das leuchtete Thomas ein, besonders das mit dem Kämpfen und fortan hatte er zum ersten Mal in seinem jungen Leben ein Ziel. Das war ja beinahe wie in den Fernsehserien! Er wollte Künstler werden, noch dazu prominent und im Fernsehen bei den „Seitenblicken[8]“ dabei sein - und er würde drum kämpfen!


Wie schon erwähnt, die Philosophie dahinter interessierte ihn nicht. Aber er dachte nach und kam aus eigenen Überlegungen zu einem ganz individuellen Zugang zur Aktionskunst, für die er sich sogar einen eigenen Namen zurechtlegte. Insgeheim nannte er diese Kunstform „Verarschungskunst“ und stellte erstaunlich logisch einen geistigen Zusammenhang mit den Aktionen und Sensationen der Schausteller auf Jahrmärkten her. Sozusagen vom Gaukler zum modernen Performancekünstler.
Folgerichtig begann er mit der Zauberei, weil er sich in der Epoche des Harry Potter zumindest in Kreisen Jugendlicher davon Aufmerksamkeit versprach. Und er hatte natürlich recht damit.


Frau Doktor Starlinger, die mittlerweile unerklärlicherweise an dem jungen Verbrecher „einen Narren gefressen hatte“, unterstützte ihn tatkräftig und stattete ihn auf eigene Kosten mit einem bescheidenen Grundkapital zur Anschaffung von Zaubertricks aus, wie sie in einigen Fachgeschäften Wiens zu haben sind. Sie freute sich, dass es ihr gelungen war, das tief in Thomas’ Psyche verankerte Bedürfnis, seine Mitbürger zu besiegen, zu betrügen und zu bescheißen in so harmlose Bahnen gelenkt zu haben.
Kartentricks waren für den Zwirnbladen weniger geeignet, da es ihm an Fleiß und Geduld mangelte, sich durch Übung die nötige Fingerfertigkeit anzueignen. Aber immerhin versuchte er es und nach einiger Zeit gelang ihm das Palmieren, das Verbergen von Spielkarten und anderen kleinen Gegenständen in der offenen Hand, ganz gut.


In Mustafas Kebab - Pizzeria führte er als erstes Kunststück das „Ringspiel“ vor, jenen Trick, bei dem Metallringe (von denen selbstverständlich einer nicht geschlossen ist) einander auf scheinbar magische Weise durchdringen. Aber den ersten durchschlagenden Erfolg hatte er mit seinem „Inflator“.
Es handelte sich dabei eigentlich mehr um ein Spielzeug, das er billig in einem der Zauberläden erstanden hatte: Ein Gerät aus Kunststoff, in das man einen weißen Zettel von der Größe einer Banknote steckte und unter einer von einer kleinen Handkurbel angetriebenen Walze durchlaufen ließ. Unterhalb der kleinen Plastikwalze wurde der weiße Zettel in ein geheimes Fach geschoben und anstelle des Zettels kam auf der anderen Seite der Walze eine echte Banknote heraus.


Das Vorratsfach der kleinen „Notenpresse“ fasste etwa zehn Banknoten und Thomas verblüffte die Gäste von Mustafa damit ungeheuer, aber mehr noch den Wirt Mustafa selber. Erst wollte dieser den „frisch gedruckten“ Zehner, mit dem Thomas die Pizza bezahlte, gar nicht akzeptieren und nahm ihn erst an, nachdem er ihn einer genauen Prüfung unterzogen hatte.


Ganz besonders fasziniert war eines der wenigen Mädchen im Lokal: Die etwa mit Thomas gleichaltrige Jennifer Marecek, ein hübsches, schlankes Ding, mit nicht gerade üppigen, trotzdem aber sehr bemerkenswerten Rundungen, die dem überaus dünnen Zwirnbladen äußerst angenehm ins Auge stachen.


„Zwirnblader, warum heißt die Maschin’ Inflator?“, fragte sie ihn.
„Weil’st damit a Inflation auslösen kannst“, erklärte dieser. „Wenn z’viel Marie im Umlauf is’, is’ nix mehr wert. Und mit dem Inflator mach i mir Marie, so viel i will!“
„Geh! Zeig! Mach noch ein’ Zehner!“
Thomas machte einen. Und zwar bat er diesmal Jennifer um einen Zettel Papier, aber genau im Format eines Zehners. Jenny verfertigte diesen aus einem Werbefolder für eine Antibabypille, den sie ihrer Handtasche entnahm. Mit einem geborgten Taschenmesser schnitt sie, den Konturen eines Geldscheins folgend, das gewünschte Papier im richtigen Format zurecht und übergab es Thomas.
„Steht aber was drauf“, bekannte sie.
„Macht nix. Zauber’ i weg!“, behauptete der Zwirnblade und ließ das Papier durch seinen Inflator laufen.
Den resultierenden Zehner prüfte Jennifer genau. „Sogar die Kanten san glatt!“, stellte sie verblüfft fest. „Und der Text is weg!“, wobei sie die Anpreisungen des Pharmakonzerns meinte.
Der Zwirnblade hingegen schielte auf die Reste des Werbeprospekts für Antibabypillen und hob die verstümmelten Überbleibsel dann hoch. „Schluckt du’s?“, fragte er.
Jennifer nickte. „Hab i mir vom Doktor Kogler vorgestern verschreiben lassen. Da hast die Marie.“ Damit schob sie den Zehner Thomas über die Tischplatte zu.
„Behalt’s“, sagte der und schob ihn zu Jennifer zurück. „Für die Rezeptgebühr.“
Überrascht sah Jennifer den Zwirnbladen an, dann verzog sich ihr Mund zu einem breiten Lächeln. „Okay!“, sagte sie, steckte den Zehner in die Handtasche und rückte näher an Thomas heran.
So unromantisch kam der Zwirnblade zu seiner ständigen Freundin. O tempora, o mores….
Aber Jennifer Marecek wurde überdies zu seiner Partnerin und es stellte sich erst später heraus, welch großen Anteil sie an seiner Karriere noch haben würde.
Thomas' nächster Karriereschritt führte ihn zu den Hutschenschleuderern[9].


Seine Mutter war alles andere als angetan davon, dass ihr Sohn praktisch seine gesamte Zeit im Prater verbrachte. Hat doch dieser Vergnügungspark einen etwas zweifelhaften Ruf, seit er nach seiner vollständigen Zerstörung im Jahr 1945 nie mehr den Zauber und die Atmosphäre der Zeit vor 1938 zurückerhalten hatte. Der alte „Wurstelprater“ existiert nicht mehr, denn heute wird der Park von modernen Fahrgeschäften hauptsächlich italienischer Produktion und Automatenhallen dominiert, ist laut und schrill und Besucher können sich gar nicht vorstellen, dass es hier einstmals so etwas wie Romantik gegeben hat.


Allerdings hatte ein Gastwirt, dessen Lokal sich bereits etwas außerhalb des Vergnügungsparks in der Richtung auf die Donauauen zu befindet, die Idee, die Zeit der nach Karbolineum riechenden Bretterbuden zumindest teilweise wieder aufleben zu lassen. In diesen Etablissements konnte man die Dame ohne Unterleib antreffen und den Indianerhäuptling „Großer Büffel“, der die Fähigkeit hatte, mit seiner roten Haut eine elektrische Spannung von zehntausend Volt zu „erzittern“.
An bestimmten Tagen der Woche bot der Gastwirt also Attraktionen dieser Art und dort wurde Jennifer Marecek von Thomas Kaltenbrunner viermal pro Abend zersägt, was ihr höllischen Spaß machte, zumal es ihr ein hoch willkommenes Taschengeld eintrug.


Mit der Zeit wurde die Öffentlichkeit auf das blutjunge Illusionistenpärchen aufmerksam und in der Leopoldstädter[10] Ausgabe der Bezirkszeitung erschien ein Bericht über Thomas und Jennifer.
Thomas bereitete daraufhin den nächsten Schritt vor.


Jennifer hatte vor der geplanten Aktion ziemliche Angst. Aber Thomas gelang es, sie zu beruhigen und schließlich stimmte sie zu, wohl weil sie die Aussicht reizte, mit ihrer Aktion berühmt werden zu können.
Der Zwirnblade besorgte aus einem Baumarkt die nötigen Materialien und Jennifer übernahm die Textilarbeiten an ihrem Bikini, die erforderlich waren um die in Höschen und Oberteil eingezogenen, starken Drähte unsichtbar zu machen.


Die Aktion wurde in aller Heimlichkeit vorbereitet. Außer dem Michalek–Johnnie aus der Kebab – Pizzeria, der über einen alten Kombi verfügte und Thomas bei Transport und Aufbau der Hilfsmittel unterstützen sollte, wusste niemand von dem Plan. Auch Frau Doktor Starlinger war nicht eingeweiht.
Schließlich besorgte sich der Zwirnblade noch eine digitale Videokamera. Jetzt, nach den ersten Erfolgen als Illusionist konnte er sich das leisten und Johnnie würde die Aktion im Bild festhalten.
An einem Montagmorgen im Juni fand die Performance statt. An diesem Tag näherte sich gegen halb acht Uhr morgens ein LKW, der Kisten mit Bier geladen hatte, von der Südosttangente kommend auf dem Landstraßer Gürtel dem Südbahnhof. Die Verkehrsampel an der Kreuzung mit der Prinz Eugen Straße zeigte grün und der Fahrer hielt ein stetiges Tempo von etwa sechzig, als auf einmal kurz nach der Kreuzung mit der Jaquingasse ein Mädchen im Bikini in etwa vier bis fünf Metern Höhe durch die Luft über die breite Fahrbahn schwamm.


Dem LKW – Fahrer fiel die brennende Zigarette aus dem Mund und auf seine Hose, als der Laster unter dem Mädchen durchfuhr. Und dann krachte es schon. Der PKW vor dem Bierwagen hatte abgebremst und dessen Fahrer verrenkte sich den Hals, um das schwimmende Mädchen nicht aus den Augen zu verlieren, als der Laster auf den PKW auffuhr.


Auch in der Gegenrichtung gab es einen Auffahrunfall, als ein Zustellfahrzeug der Post in einen Müllwagen krachte. Binnen weniger Sekunden stand der Verkehr auf der sechspurigen Straße still.
Das schwimmende Mädchen hatte mittlerweile die Straße überquert und war auf der Seite, wo sich Schweizergarten und Arsenal befinden, angekommen. Dort stand Thomas, der die Kurbel zur Fortbewegung der kleinen „Seilbahn“ bedient hatte. Er richtete eine stabile Doppelleiter auf, stieg daran hoch und half Jennifer, die Drähte, die an ihrem Bikini befestigt waren, auszuhaken. Als Jennifer wieder festen Boden unter den Füßen hatte, reichte ihr Thomas ein Badetuch und Jennifer trocknete sich umständlich ab, bevor sie in einen Bademantel schlüpfte.
Die ersten Autofahrer waren ausgestiegen und glotzten ungläubig, einer von ihnen fotografierte sogar mit einer kleinen Kamera.


Die vom Fahrer des PKW, dem der Bierlaster aufgefahren war, verständigte Polizei traf ein. Die beiden Beamten kümmerten sich erst einmal darum, den stockenden Verkehr wieder zum Fließen zu bringen und nahmen dann die beiden Unfälle auf, wobei sie natürlich von den beteiligten Fahrern auf deren Ursache, nämlich Thomas und Jennifer, aufmerksam gemacht wurden.
Jennifer posierte mittlerweile in Bikini und Bademantel auf dem Grünstreifen zwischen der Fahrbahn und dem Gleiskörper der Straßenbahnlinie 18 und wurde von Johnny dabei auf Video gebannt. Die beiden Polizisten erkundigten sich bei Thomas nach dem Grund für all die Aufregung und erfuhren, dass soeben die Kunstperformance „Morgenschwimmen über den Gürtel“ stattgefunden hätte.
Das wäre verboten, erklärte einer der Beamten und fragte Thomas nach seinen Personalien.
Ach so? Thomas tat äußerst verwundert. Er habe die Straßenverkehrsordnung genau studiert, aber nirgends eine Bestimmung gefunden, die es untersage, in fünf Metern Höhe über eine Straße zu schwimmen. Schwimmen am Morgen sei gesund, so etwas könne der Gesetzgeber einfach nicht verbieten! Ob die Herren Inspektoren wohl so nett sein würden, ihm beim Abbau des Tragseiles, das zwischen zwei Lichtmasten gespannt war, zu helfen?


Nein. So nett waren die Polizisten nicht. Das wäre Sache der zuständigen Magistratsabteilung. Aber ob Thomas und seine Luftschwimmerin so nett wären, ins Wachzimmer Juchgasse mitzukommen? Ein Protokoll müsse man auf alle Fälle aufnehmen.
Jennifer zog rasch Jeans und eine Bluse über ihren Bikini, dann wurden sie und Thomas ins Wachzimmer gebracht, wo ein Wiedersehen zwischen Thomas und Revierinspektor Gerold, der seinerzeit dem Zwirnbladen die liebevolle „Tetschen“ verabreicht hatte, stattfand. Der Beamte erkannte Thomas sofort wieder:
„Na, du Früchterl, jetzt räumst schon am helllichten Tag Autos aus? Gerasdorf is auch nimmer das, was’ einmal war.“
Thomas klärte den Irrtum auf. Erstens wäre er nur bedingt verurteilt worden und nie in Gerasdorf gesessen und zweitens hätte er daraus gelernt, wäre ehrlich geworden und sei gerade im Begriff, als Aktionskünstler berühmt zu werden. Auskünfte über ihn erteile gerne Frau Doktor Starlinger, die Verhaltenstherapeutin, die ihm zur Aktionskunst geraten hätte.
Inspektor Gerold sah zweifelnd drein. Aber da rief jemand im Hintergrund: „Horcht’s euch das an!“ und ein Radiogerät wurde lauter gestellt.


Für einen Wiener Lokalsender interviewte soeben ein Reporter den Herrn Johann Michalek, der die künstlerische Performance „Morgenschwimmen über den Gürtel“ auf Video aufgenommen hatte und der am Ort des Geschehens zurückgeblieben war. Soeben sagte der Michalek-Johnnie: „Also die Jenny is schon a cooles Madl. I hätt mi’ das net traut, nur am Bikini hängen und über all die Autos da drüber. Aber für’n Thomas tät die wahrscheinlich alles.“
„Stimmt“, sagte Jennifer leise, die bisher nicht viel gesprochen hatte.
Da ging der Zwirnblade auf sie zu, umarmte sie und küsste sie vor allen Polizisten in einer sehr zärtlichen Weise.
„Na also“, sagte einer der Beamten. „Is doch net Hopfen und Malz verlor’n, bei der heutigen Jugend.“
Abends strahlte das Fernsehen den Videoclip aus, den Johnnie gedreht hatte. Thomas hatte einer einmaligen Ausstrahlung zugestimmt, anschließend wäre dann die Videodatei bei ihm käuflich zu erwerben.


Die Reaktionen des Fernsehpublikums waren recht gespalten. Unzählige E-Mails und Anrufe gingen bei dem Sender ein, viele davon äußerst negativ, aber es war auch ein Angebot einer Modellagentur für Jennifer dabei, die ja unzweifelhaft in ihrem Bikini eine ausgezeichnete Figur gemacht hatte.
Einige Tage später traf der Zwirnblade wieder einmal Frau Doktor Starlinger in deren Ordination.
„Thomas, du und deine Freundin, ihr macht’s euch! Jetzt hab i eigentlich keine Sorgen mehr um dich.“
„Das ‚Morgenschwimmen’ war a Blödsinn“, gestand Thomas. „Viel z’wenig Beschiss dabei. Die Jenny hat nämlich Angst g’habt, wie s’ am Seil g’hängt is. Hätt’ ja doch was passieren können, also war’s zu ehrlich.“
„War aber a echte Performance! Und net einmal a schlechte!“
„Na ja, geht sicher noch besser“, grinste der Zwirnblade, verriet aber nicht das Geringste über seine weiteren Pläne. Was jetzt kommen sollte, müsste ja der Höhepunkt sein.


Etwa drei Wochen später an einem Freitag – es regnete in Strömen – fuhr der Angestellte eines privaten Sicherheitsdienstes, der gebürtige Serbe Ivo Kastelic, mit seinem gepanzerten Transporter die Leberstraße entlang. Ivo hatte das, was man in Wien „Haarweh“ nennt, nämlich einen veritablen Kater vom Sliwowitz des Vorabends und war dementsprechend miserabler Laune. Außerdem ist die Gegend, durch die er im Regen fuhr, nicht dazu angetan, schlechte Laune zu bekämpfen. Die Straße führt nämlich entlang der Bahnlinie zum Flughafen durch ein Gebiet, das man weder als zur Stadt noch zum Umland gehörig bezeichnen kann. Ein paar heruntergekommene Industriebetriebe gibt es da, eine Menge freier, verwilderter Flächen, die man in Wien als „G’stätten“ bezeichnet, ein paar Friedhofsgärtnereien und ansonsten eine gehörige Portion Trostlosigkeit. Die Grundstücke sind wegen der Nähe des Zentralverschiebebahnhofes mit seinem ständigen Geräuschpegel für Wohnbauzwecke denkbar ungeeignet und überdies führt der Endanflug auf Piste 11 des Flughafens Schwechat genau über dieses Gebiet, das die anfliegenden Maschinen mit bereits ausgefahrenem Fahrwerk und erhöhtem Schub in sehr geringer Höhe passieren.


Noch bevor Ivo den Zentralfriedhof erreichte, bog er rechts von der Straße auf einen schlecht geschotterten Feldweg ab, der eine Abkürzung zum Zentralverschiebebahnhof darstellte. Durch Zufall, als auf der Leberstraße nach einem Unfall einmal ein Stau entstanden war, hatte Ivo diesen Weg entdeckt und benutze ihn seither regelmäßig, wenn er etwas auf dem Bahngelände anzuliefern hatte, denn dieser einsame Weg wies eine willkommene Besonderheit auf: Einen idealen, im Gebüsch versteckten Platz zum Pinkeln.
Auch diesmal stellte Ivo den Transporter am Wegrand ab und stieg trotz des Regens aus. Sein Beifahrer, der junge Ukrainer Boris, genauso verkatert wie Ivo (allerdings vom Wodka), hatte vor sich hin gedöst und hob müde den Kopf, als der Wagen hielt.
„Pinkelpause“, sagte Ivo und öffnete die Fahrertür. Boris gähnte und stieg ebenfalls aus.
Ein unnatürlicher, unangenehmer, hoher Pfeifton lag in der Luft und Ivo schaute zum Himmel, ob etwa ein ungewöhnliches Flugzeug im Landeanflug zu sehen wäre. Nichts. Der Pfeifton blieb unverändert hörbar.


Plötzlich standen die beiden Sicherheitsleute zwei Außerirdischen gegenüber.
Die beiden mittelgroßen Gestalten waren in hellgraue, fast weiße Overalls gehüllt und in ihren starren Gesichtern waren sehr schräg gestellte, große, schwarze Augen erkennbar. Sie trugen seltsame, längliche Gegenstände in den Armen – zweifellos Waffen.
Die unheimlichen Erscheinungen sprachen kein Wort, sondern bedeuteten mit ihren Waffen den beiden Securityleuten, sich von ihrem Fahrzeug zu entfernen.
Aus dem Augenwinkel sah Ivo einen dritten Alien etwa fünfzehn Meter entfernt, der so etwas wie eine Kamera bediente und den Vorgang zu filmen schien. Verängstigt stellten sich Ivo und Boris an einen dünnen Baumstamm und hielten die Arme in die Höhe.
Einer der beiden Außerirdischen ging zum Transporter, öffnete die Beifahrertür und nahm eine Kunststofftasche aus dem Fußraum vor dem Beifahrersitz. In ihrer Verblüffung und Angst nahmen Ivo und Boris diese Tatsache gar nicht so recht wahr.


Plötzlich waren die beiden bedrohlichen Aliens verschwunden. Mit einigen raschen Schritten waren sie ins Gebüsch eingedrungen. Auch der dritte Außerirdische, der gefilmt hatte, war weg. Der hohe Pfeifton verstummte schlagartig und Ivo kam langsam wieder halbwegs zur Besinnung.
„Scheiß Sliwowitz!“, sagte er und griff nach seinem Kopf. Boris lief auf den Transporter zu und sah hinein.
„Tasche mit Geld weg!“, rief er plötzlich in Panik.
„Was?“ Ivo stolperte langsam auf das Fahrzeug zu. Tatsächlich! Die Tasche war weg.
Bevor Ivo die Polizei verständigte, gab es noch eine lautstarke Auseinandersetzung zwischen den beiden Sicherheitsleuten. Einer beschuldigte den anderen, die Tasche mit dem Geld nicht in den Tresorraum des Transporters gestellt zu haben.


Aber es kam zu keinen Handgreiflichkeiten, dazu taten den beiden die Köpfe zu sehr weh.
Etwa dreihundert Meter vom Geldtransporter entfernt nahmen die drei Außerirdischen die Masken ab und zogen die Overalls aus. Sie setzten sich in den alten, rostigen Kombi Johnnies um nicht noch mehr nass zu werden, legten das Tonbandgerät, das den Pfeifton produziert hatte, auf die Ladefläche und unterzogen die erbeutete Tasche einer Inspektion. Eine Metallkassette war drin mit einem relativ einfachen Schloss.


„Bisserl kurz is’ das Video“, maulte Johnnie. „A Überfall vom andern Stern sollt’ eigentlich länger dauern.“
„Wenn alles drauf is’, dann passt’s“, beruhigte Thomas. „Die zwei Deppen hab’n super mitg’spielt. Sehr realistische Action.“
„I hab dir ja g’sagt, die zwei Trotteln san ideal dafür! Die kommen alle vierzehn Tag und bleiben immer da steh’n zum Pinkeln“, sagte Johnnie, dessen Vater am Verschiebebahnhof beschäftigt war und ihm den Tipp gegeben hatte.
„Wollt’s net das Zeug z’rückbringen?“, fragte Jennifer und wies auf die Kassette aus der Tasche.
„Hab no ka Polizei g’hört. Schaut’s einmal rein, was drin is“, schlug Thomas vor.
Johnnie nahm sich des Schlosses an und brauchte etwa fünf Minuten, um es zu knacken.
Keiner der drei sagte ein Wort, als sie das Geld sahen. Beinahe andächtig nahm es Johnnie aus der Kassette und zählte es.
Es waren nicht ganz achtzigtausend Euro.
Aus der Ferne war jetzt endlich das Folgetonhorn eines Einsatzfahrzeuges zu hören.
„Fast schad’, wenn wir’s z’rückbringen“, meinte Jennifer zaghaft.
„Spuren kann’s eigentlich keine geben“, stellte Johnnie fest. „Es waschelt[11] so stark, da find’ man net einmal Fußabdrücke.“
„Und Handschuh’ hamma auch ang’habt“, ergänzte Thomas.
Noch gute zehn Minuten saßen sie in Johnnies altem, nach Zigarettenrauch stinkenden Kombi ohne miteinander zu sprechen. Aber ihre Gedanken liefen auf Hochtouren.
Dann räusperte sich der Zwirnblade. „Herrschaften, die Performance ‚Überfall der Außerirdischen’ hat nie stattg’funden. Teil’s auf, Johnnie.“


Von den Außerirdischen, die die Bundesbahn so geschädigt hatten, wurde nie eine Spur entdeckt. Thomas Kaltenbrunner und seine Partnerin Jennifer wurden, nicht zuletzt wegen des unvermutet erworbenen Startkapitals, ein angesehenes Künstlerpaar und Johann (Johnny) Michalek blieb den beiden, auch als sie dann verheiratet waren und er selbst eine gut gehende Tankstelle betrieb, ein verlässlicher Freund, der gern bei Kunstperformances auszuhelfen bereit war.
Thomas hat übrigens mit den Lohngeldern der Bahn sein Bedürfnis, Leute zu bescheißen, so gründlich befriedigt, dass er seither nie wieder mit dem Gesetz in Konflikt geraten ist.


Anmerkungen

[1] der Dünne, jemand der so blad (gebläht) ist, wie ein Zwirn
[2] jemandem eine umhängen = Ohrfeige verabreichen
[3] Polizei
[4] Jugendstrafanstalt an der Wiener Stadtgrenze
[5] herunter räumen, austreiben
[6]Verehrer – „Gehorsamster“
[7] Geld
[8] Beliebte Klatschsendung des österreichischen Fernsehens
[9] Abfällige Bezeichnung für Praterunternehmer
[10] Leopoldstadt = 2. Wiener Gemeindebezirk
[11] regnet

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