KunstGeschichten

KunstGeschichte: Provokation

Alfred Mostbauer, ein begnadeter Künstler, jedoch etwas knapp bei Kasse, stellt sich und seine Gemälde bei einer Galerie vor. Was er dann dort zu hören bekommt, ist nicht nur eine Überraschung, es ist eine Frechheit! Mehr dazu und welche Konsequenzen Alfred aus der Begegnung zieht, lesen Sie in der neuen KunstGeschichte von Erich Wurth.

Franziska Castelettis Nase war ein Prachtstück.
Andere Frauen hätten den Gesichtserker schon längst auf chirurgischem Weg einer Veränderung unterzogen. Hauptsächlich begradigen lassen, obwohl auch die Länge des Riechorgans ziemlich bemerkenswert war. Franziska schien sich nichts aus ihrem Schönheitsfehler zu machen. Im Gegenteil war sie sogar etwas stolz darauf, es mit ihrer reichlich schiefen und überlangen Nase in die „Gesellschaft“ Wiens gebracht zu haben. Sie betrieb eine Galerie innerhalb der Ringstraße und hatte sich mit der Entdeckung von momentan angesagten Kunstschaffenden einen Namen gemacht. Franziska gehörte eindeutig zur „Seitenblickegesellschaft“, wie man in Wien die mehr oder minder Prominenten nennt, die den Gegenstand der Fernsehsendung „Seitenblicke“ bilden.


Abgesehen von ihrer schiefen Nase sah Franziska mit ihren 39 Jahren übrigens recht gut aus. Sie hatte eine Durchschnittsfigur, war dafür aber recht schlank und beschäftigte dank des guten Geschäftsgangs ihrer exklusiven Kunsthandlung ausschließlich erstklassige Schneider. Von der Stange kaufte Frau Franziska Casteletti nie etwas! Nicht einmal Jeans! Eines Tages sprach Herr Alfred Mostbauer bei ihr vor.
Alfred war Maler. Und zwar ein ernsthafter, nicht so einer wie die, die irgendwelche Kleckse auf eine Leinwand praktizieren und hoffen, damit über Nacht berühmt zu werden. Alfred hatte natürlich die Kunstakademie absolviert, lebte sowohl von seiner Malerei als auch von einem Nebenjob in der städtischen Bibliothek und hatte bisher nicht viel Erfolg gehabt.


Dafür wurde es übrigens höchste Zeit! Alfred war kein Anfänger mehr und hatte die Vierzig schon überschritten! Er wohnte in seiner Geburtsstadt Zwettl und gerade dieser Bezirk im Waldviertel, etwa 120 km nordwestlich Wiens, ist statistisch gesehen der mit der geringsten Kaufkraft in Niederösterreich. Die Zahl der Reichen ist in Zwettl nicht überwältigend. Also in Zwettl gab es nicht viel Nachfrage nach Gemälden. Folglich war Herr Mostbauer etwas knapp bei Kasse. Und er wusste auch die beiden Gründe dafür: Erstens mangelndes Interesse der potentiellen Käufer und zweitens die Preise für seine Werke. Alfred war überzeugt davon, dass er seine Gemälde viel zu billig hergab. Aber was sollte er sonst bei geringer Nachfrage anderes tun?


Von einer Zusammenarbeit mit Frau Casteletti versprach er sich einigen Erfolg. Die Dame kannte immerhin Gott und die Welt, war mit den Theater- und Fernsehstars per „Du“ und wirkte überdies in den Klatschberichten sehr sympathisch. Dazu mochte ihre schiefe, lange Nase beitragen, weil der Zuseher immer etwas Mitleid empfand, dass diese ansonsten hübsche und elegante Frau so von der Natur benachteiligt worden war. Unangemeldet betrat Alfred Mostbauer also mit drei unverpackten Gemälden die Galerie in der Kärnterstraße. Frau Casteletti war gerade im Begriff, wieder einmal zum Friseur zu gehen und hatte die Galerie bereits ganz offiziell ihrer Mitarbeiterin Milena Fanta übergeben.
Milena sprach außer ihrer Muttersprache Tschechisch noch Slowakisch, Deutsch, Englisch und ein paar Brocken Russisch. Überdies entwickelte sie ein beachtliches Talent, ganz billige, surreale Aquarelle an Touristen zu verscherbeln. Außerdem konnte man Milena ohne Bedenken allein lassen, sie wusste mit Kundschaft umzugehen.


Alfred Mostbauer fragte nach dem Eintreten die Milena nach Frau Casteletti und erfuhr, dass diese einen dringenden Termin habe. Aber da erschien gerade Franziska aus ihrem im hinteren Teil des Verkaufslokals befindlichen Büro, sah die Bilder und stutzte. Das waren ja ausgezeichnete Arbeiten! Sie sah sich die Bilder an, den Mann der sie gebracht hatte und der ihr auf Anhieb sympathisch war, dann nochmals die Bilder. Ein besonderer grüner Farbton stach ihr ins Auge. Grün.
Himmel! Lohengrin! Die Premiere heute Abend, zu der sicher das Fernsehen ein Aufnahmeteam entsenden würde! Wenn sie zu spät zum Friseur kam, nahm man vielleicht eine andere Prominente vor ihr dran! Sie wartete also gar nicht, bis sich Alfred Mostbauer vorgestellt hatte. Sie sagte nur: „Milena, die üblichen Bedingungen!“ Und dann rauschte sie ab.

„Pro Gemälde fünfhundert Euro“, sagte Milena, als sie mit Alfred allein war.
„Das ist mir zu wenig“, behauptete Alfred.
„Nein! Sie haben falsch verstanden! Fünfhundert zahlen nicht wir, sondern Sie!“
Alfred, der an Milenas Akzent sofort die Tschechin erkannt hatte, war perplex. „Wofür denn?“
„Dafür, dass wir Ihre Bilder übernehmen. Wir vermieten Ihnen die Ausstellungsfläche. Fünfhundert Euro pro Gemälde und Woche. Dafür erhalten Sie den vollen Preis, den der Kunde zahlt“, erklärte Milena.
„Halten Sie mich für Bill Gates? Ich zahl doch nicht ein Vermögen dafür, dass ich meine Bilder bei Ihnen lassen darf! Da verkaufen Sie doch nicht! Da haben Sie ja ein Interesse dran, dass die Dinger möglichst lang da hängen!“
„Tut mir Leid, das ist nun einmal unsere Unternehmenspolitik! Und dass das eine sehr seriöse, sehr bekannte Galerie ist, dürfte Ihnen ja bekannt sein!“ Milena sah aber nicht so aus, als ob sie den Alfred bedauern würde.


Dieser griff nach seinen Gemälden. „Richten Sie bitte Ihrer Chefin einen schönen Gruß aus – und sie kann mich einmal!“ Alfred stampfte aus dem Lokal und schmiss die Tür etwas heftig zu.
Er ärgerte sich maßlos! Dieser Trampel Casteletti mit ihrer schiefen Nase! Die glaubte wohl, der stadtbekannte Frnak[1] erlaube ihr sämtliche Frechheiten! Geldgieriges Luder! Wenn sie sich eine Handelsspanne aufgeschlagen hätte, wäre es Alfred egal gewesen. Aber so unverblümt ein Honorar für's Ausstellen der Gemälde zu verlangen, das grenzte an Ausbeutung! Die Casteletti ließ sich doch tatsächlich für ihre Gunst, einen Maler der Öffentlichkeit zu präsentieren, fürstlich bezahlen! Die Dame handelte doch genau wie eine miserable Hure, für deren Wohlwollen man tief in die Tasche greifen muss!
Na, Alfred Mostbauer wusste schon, wie er sich rächen würde!


Drei Wochen später kündigte ein Schreiben des Malers Alfred Mostbauer aus Zwettl, das an alle Kulturredaktionen der Wiener Zeitungen und an alle Fernsehsender gerichtet war, eine künstlerische Aktion vor der Galerie Casteletti in der Kärntner Straße an. Am Sonntag um neun Uhr morgens sollte es los gehen. Dass nur ein paar Berichterstatter erschienen, hing wohl damit zusammen, dass ein Maler mit Namen Mostbauer außerhalb des Waldviertels noch immer relativ unbekannt war. Aber wenige Zuseher reichten Alfred auch. Hauptsache, sie hatten Kameras dabei, denn Alfred kam es nur darauf an, sein Gemälde der Öffentlichkeit zu präsentieren.


Alfred erschien mit einer Staffelei und einem verpackten Gemälde, etwa achtzig Zentimeter breit und gut eineinhalb Meter hoch. Genau vor dem Schaufenster der Galerie Casteletti stellte er die Staffelei auf, die das verhüllte Bild trug. Und um Punkt neun Uhr enthüllte Alfred sein Werk.
Ganz entgegen seinem üblichen Malstil war es das sehr naturalistische Gemälde einer Dame, die auf einer nächtlichen Straße stand. Und zwar einer bekannten Dame! Die exakt gearbeitete, lange und schiefe Nase gehörte eindeutig der prominenten Galeristin Franziska Casteletti, vor deren Ausstellungsraum man sich befand. Und Frau Castelettis Kleidung war auf dem Gemälde ebenfalls ganz eindeutig. Sie trug nur ein knappes, knallrotes Oberteil mit gewagtem Dekolletee, einen extrem kurzen schwarzen Rock, Stiefel mit überaus hohen Absätzen, die bis zum Oberschenkel reichten – und außerdem schien sie ihr Handtäschchen neckisch zu schwingen.


Einige der anwesenden Reporter kicherten und natürlich wurde der Maler gefragt, was denn die Sache überhaupt solle. Frau Casteletti würde sich die Gunst, einen Maler auszustellen, fürstlich bezahlen lassen, erklärte Alfred. Deshalb werde er der Dame ihr Porträt zum Geschenk machen, aber nicht ohne die Öffentlichkeit darüber zu informieren. Vielleicht würde das bewirken, dass Frau Casteletti über ihre Geschäftsmethoden einmal nachdachte! Das Gemälde wurde von zwei der Zeitungsleute etwas zögernd fotografiert, dann zerstreute sich die kleine Gruppe der Beobachter und Alfred Mostbauer blieb mit seinem Bild allein zurück. Am Sonntag um neun Uhr früh sind nicht viele Touristen in der Innenstadt unterwegs. Diejenigen, die schon durch die Kärntnerstraße schlenderten, beachteten Alfred und sein Gemälde nicht sonderlich. Klar! Wer von den Touristen kannte schon Franziska Casteletti?
Der ärgerte sich wieder einmal maßlos, packte sein Bild ein und brachte es zu seinem Wagen, der in der Tiefgarage bei der Oper parkte.

Dann setzte er sich in ein Kaffeehaus und spülte seinen Ärger mit einem großen Mokka hinunter.
Gleich am nächsten Tag fuhr Alfred nochmals über die gut ausgebaute B37 und die S5 nach Wien und stellte seinen alten Kombi wieder in der Operngarage ab. Jetzt waren ihm die Spritkosten und Parkgebühren ziemlich egal. Er wollte nur mehr die überhebliche Casteletti ärgern, koste es, was es wolle.


Milena Fanta empfing ihn recht höflich, trotz des kleinen Zusammenstoßes bei ihrer letzten Unterredung und Alfred wünschte die Prinzipalin zu sprechen. Er, Alfred Mostbauer, habe ein Geschenk für sie.
Obwohl Alfred nicht besonders freundlich war, setzte sich Milena sofort in Bewegung.
Franziska kam auch gleich aus ihrem kleinen Büroverschlag im Hintergrund des Ausstellungsraums und sie grinste belustigt. Offenbar war sie von der gestrigen Präsentation des verhöhnenden Bildes vor ihrer Galerie bereits informiert worden.


„Herr Mostbauer! Na, lassen Sie einmal sehen!“
Alfred stellte das Gemälde neben sich auf den Boden und entfernte die Verpackung.
Franziska stand Alfred gegenüber und betrachtete das Bild.
Und Alfred betrachtete Franziska, wobei ihm der zarte, dezente Duft ihres Parfums in die Nase stieg. Diesen Duft kannte Alfred nicht, aber er empfand ihn als sehr angenehm.
Ebenfalls als sehr angenehm empfand er die Erscheinung der vor ihm stehenden Frau. Sie trug ein hellgraues Geschäftskostüm mit halblangem, engen Rock und die schiefe, lange Nase störte ihre ansprechende Erscheinung nicht im Geringsten. Das war zwar nicht das Gesicht eines Models, aber das einer ernst zu nehmenden Geschäftsfrau. Mit leichtem Unwillen stellte Alfred fest, dass ihm die Dame eigentlich sehr sympathisch war.
„Und das wollen Sie mir schenken? Jedenfalls behauptet das Milena und so steht's ja auch in der Zeitung“, fragte Franziska. „Warum eigentlich?“
„Weil Sie für Ihre Gunst, in Ihrer Galerie ein Bild aufhängen zu lassen, ganz unverschämt abkassieren“, erklärte Alfred. „Und wie man eine Dame bezeichnet, die sich ihre Gunst honorieren lässt, werden Sie ja wissen.“
„Ich fasse das anders auf“, wandte Franziska ein. „Ich empfinde das als Kompliment! Das Gemälde zeigt eindeutig, dass Sie mir zutrauen, trotz meiner großen, schiefen Nase auch in diesem Beruf Chancen zu haben!“ Sie deutete auf ihr Porträt in „Arbeitskleidung“.
Alfred war perplex! An eine solche Interpretation hatte er nie gedacht! „Ähm, hmm... Na ja, warum nicht“, stotterte er.


„Sie sind süß, Herr Mostbauer! Recht schönen Dank dafür!“
„Bitte, gern g'scheh'n. Darf ich jetzt bei Ihnen ein paar Bilder ausstellen?“
„Na ja, wenn Sie die fünfhundert Euro Gebühr bezahlen, warum nicht?“
Zum zweiten Mal innerhalb weniger Sekunden war Alfred völlig perplex. Hatte dieses Luder denn gar keinen Anstand? Ein Gemälde von Alfred Mostbauer als Geschenk übernehmen und nicht die kleinste Gegenleistung dafür bieten! Beinahe wäre Alfred explodiert! Dann bezähmte er seine Wut doch noch und sagte nur: „Das will ich eigentlich nicht. Dann leben Sie wohl, Frau Casteletti.“
Aber als Alfred schon halb aus der Tür war, rief sie ihm nach: „Aber ich könnte mir in Ihrem Atelier einige von Ihren Arbeiten anschauen. Vielleicht gefallen mir ein paar so gut, dass ich sie kaufe – zum Weiterverkauf natürlich.“
Alfred kam zurück. Er sah die Casteletti an und wurde nicht schlau aus ihr. Was wollte die eigentlich?
„Sie würden nach Zwettl kommen?“, fragte Alfred und konnte nicht verhindern, dass in seiner Stimme eine gewisse Hoffnung mit schwang.
Franziska nickte. „Jederzeit. Sagen Sie nur, wann es Ihnen passt.“
„Gleich morgen“, hätte Alfred am liebsten gesagt, verkniff es sich aber noch rechtzeitig. „Wäre Ihnen Freitag recht? Sagen wir, vierzehn Uhr?“
„Abgemacht!“
Alfred gab Frau Casteletti seine Visitenkarte. „Finden Sie denn ohne Probleme nach Zwettl?“
„Na hören Sie! Ich war mehrmals im Stift! Zum Beispiel damals mit eurem Landeshauptmann, nach der Renovierung.“
„Zu der Sie natürlich beigetragen haben“, entfuhr es Alfred.
„Na klar“, lächelte Franziska. „Wenn man mit Künstlern seine Brötchen verdient, muss man doch für ein so altes Kulturgut was spenden...“
„Versteh ich“, meinte Alfred. „Zumal man dann neben dem Pröll[2] vom Bildschirm grinsen kann!“ Er war schon wieder aufgebracht gegen diese so selbstsichere Dame mit der schiefen Nase.
Franziska lachte nur. „Ist doch gut für's Geschäft, oder?“
Alfred gab es auf, sich mit dieser Frau zu streiten. „Dann bis Freitag“, sagte er nur und verließ die Galerie.


Auf der Heimfahrt ins Waldviertel dachte Alfred intensiv nach. Der Groll, den er zuletzt gegen die Casteletti gehegt hatte, war mittlerweile verflogen. Wenn sie ihm tatsächlich ein paar Bilder abnahm, wären seine momentanen finanziellen Probleme einigermaßen bereinigt. Und vor allem: Wenn die Casteletti seine Gemälde verscheuern konnte, wäre das auf alle Fälle sehr positiv für sein Renommee!
Alfred beschloss, sein Atelier aufzuräumen und die Dame entsprechend zu empfangen.

Die nächsten beiden Tage handhabte der Maler Alfred Mostbauer anstelle seiner Pinsel ausgiebig den Staubsauger. Sogar die Fensterscheiben putze er und die auffälligsten Farbflecken auf dem Fußboden seines Ateliers wurden von ihm so gut es ging entfernt. Und dabei fragte er sich, wozu er sich dieser Mühe überhaupt unterzog, denn eine so aufregende Frau wäre die Casteletti nun doch nicht.
Schließlich entschied er sich für die Erklärung, dass ein paar von der Galerie Casteletti verkauften Bilder wohl seine Karriere etwas voran bringen mussten. Das rechtfertigte die Anstrengungen.
Am Freitag war Frau Casteletti nicht pünktlich. Sie hatte sich zum Wohnhaus des Malers Mostbauer erst durchfragen müssen. Alfred wohnte etwas außerhalb der Kleinstadt, in Richtung des Ottenschlager Stausees.


Als Franziskas silberfarbener Mercedes Kombi vor Alfreds Atelier hielt, lief dieser ins Freie, um seine Besucherin zu begrüßen. Alle Achtung! Die Casteletti hatte sich heraus geputzt! Wenn Alfred nicht gewusst hätte, dass sie eben keine besonders schöne Frau war, hier hätte er sich leicht täuschen lassen! Sie trug einen schwarzen, auf Taille geschnittenen Hosenanzug und ihre raffinierte Frisur lenkte den Blick von ihrer schiefen, großen Nase ab. Alfred war gegen seinen Willen beeindruckt.
Natürlich wusste Alfred, was sich gehört und bot Frau Casteletti zuerst in seinem Wohnzimmer Kaffee an, zu dem er sogar von der Konditorei im Ort einiges an Gebäck besorgt hatte. Bald war er mit seiner Besucherin in einem angeregten Gespräch. Es war seltsamerweise gar nicht die Kunst, über die sich die beiden unterhielten, sondern – die Landwirtschaft.


Franziska interessierte sich vor allem für den Werdegang Alfreds, der ja den elterlichen Hof hätte übernehmen sollen. Im Endeffekt hatte er das ja auch, aber sämtliche Äcker waren verpachtet und um die Kartoffeln kümmerte sich ein Nachbar. Ackern und Milchwirtschaft boten eben keinerlei Reiz für Alfred, der dann seinen Traum von Kunstakademie gegen den Widerstand seines Vaters doch noch verwirklicht hatte.


Alfred hätte stundenlang weiter erzählen können und die Anwesenheit der Franziska Casteletti empfand er zwar als anregend, er empfand aber auch eine wohltuende Beruhigung. Und je länger er die elegante Dame ansah, desto vertrauter wurde ihm deren lange Nase. Das war gar kein Schönheitsfehler, zuckte es ihm plötzlich durchs Gehirn. Diese etwas aus der Form geratene Nase gehörte einfach zu der Frau! Ohne diesen Zinken hätte die ansprechende Erscheinung vor ihm viel von ihrem Reiz verloren!
Als dann eine kleine Pause in Alfreds Erzählung eintrat, fragte Franziska, ob sie jetzt vielleicht ein paar Bilder sehen könnte und Alfred bat sie in sein Atelier.


Das war im ehemaligen Kuhstall des alten Bauernhauses untergebracht, durch dessen kleine Fenster kaum Licht drang. Alfred hatte deshalb für eine mehr als ausreichende künstliche Beleuchtung gesorgt. Seine besten Arbeiten wurden von Spots angestrahlt, die Alfred beim Betreten des Raumes einschaltete.
Franziska sah sich in aller Ruhe die Arbeiten an. Mehrmals nickte sie anerkennend. Nach etwa zehn Minuten deutete sie dann auf zwei Gemälde, die beide ziemlich unwirklich anmutende, fantastische, aber ansprechende Gebirge mit vielen Felsen darzustellen schienen. „Was wollen Sie für die zwei haben?“
„Jeweils achthundert wären schön“, sagte Alfred.
Franziska schüttelte den Kopf. „Viel zu billig!“
Alfred glaubte schon wieder einmal, nicht recht zu hören. Da hatte diese Casteletti zuerst für das Ausstellen in ihrer Galerie Geld verlangt, und jetzt war sie bereit, freiwillig mehr zu zahlen?

„Das heißt, wenn Sie auf meinen Vorschlag eingehen“, schränkte Franziska ein.
„Und der wäre?“
„Sie malen mir noch zwei Porträts von leichten Damen“, sagte Franziska. „Aber mit den Gesichtern von zwei Damen der Gesellschaft. Eine Abgeordnete und eine Generaldirektorin. Die zwei waren richtig neidisch, wie sie mich auf der Leinwand gesehen haben als... na, sie wissen schon. Und die würden für ein ähnliches Bild von ihnen ganz schön berappen. Ich gebe Ihnen Fotos von den beiden. Und dazu haben sich die zwei bereit erklärt, noch jeweils eines der Gemälde zu nehmen, die ich Ihnen heute abkaufen werde. Denn ihr Porträt in der Kleidung einer Prostituierten könnten die Damen ja nur im allerengsten Freundeskreis präsentieren. Da brauchen sie also noch eines Ihrer üblichen Motive. Für ihre beiden fertigen Bilder und die beiden bestellten zahle ich Ihnen insgesamt viertausend. Aber das muss unbedingt ein ganz strenges Geheimnis bleiben!“


„Wozu denn das alles?“ Alfred kam da nicht ganz mit.
„Na ja, verstehen Sie nicht? Das ist doch auch eine Aufgabe der Kunst, oder? Die Darstellung von ganz persönlichen Wünschen und Fantasien! Meine Kundinnen sind in ihren Positionen auch keine Teenager mehr. Wenn man sie jetzt noch so darstellen kann, als ob sie immer noch ihre Chancen bei Männern hätten, schmeichelt das ihrer Weiblichkeit. Das können Sie, Herr Mostbauer! Frauen begehrenswert darstellen! Bei mir haben Sie's ja auch gemacht.“
„Bei Ihnen war das aber keine Schwierigkeit“, sagte Alfred. „Sie sind nämlich tatsächlich begehrenswert!“
„Bei meiner Nase? Machen Sie sich nicht lächerlich! Ich weiß zwar nicht, wie Sie das gemacht haben, aber da haben Sie ein echtes Kunstwerk geschaffen, mit dem Bild! Das hat mich wirklich sehr glücklich gemacht.“
Alfred schien es, als ob Franziskas Augen etwas feucht wurden. Diese so selbstsichere, erfolgreiche Unternehmerin litt offenbar mehr unter ihrem Schönheitsfehler, als sie zugeben wollte. Alfred empfand Mitleid mit ihr, gleichzeitig aber brach auch sein Begehren nach dieser Schönheit, die eigentlich gar keine war, durch.
„Wollen Sie tatsächlich wissen, was ich von Ihrer Nase halte?“, fragte Alfred.
Franziska war soeben im Begriff, in ihrer Handtasche nach Taschentüchern zu suchen und nickte deshalb nur.


Da nahm Alfred ihr Gesicht zwischen seine beiden flachen Hände und biss sie ganz sanft und zärtlich in die lange, schiefe Nase.
Franziska war erst ganz erstarrt, aber dann fiel sie Alfred einfach um den Hals.
Und dann folgte ein langer und intensiver Kuss, bei dem Alfred feststellte, dass die schiefe, lange Nase nicht im Geringsten im Wege war...

Anmerkungen:

[1] Tschechisch: Zinken, große Nase

[2] Landeshauptmann von Niederösterreich, entspricht in Deutschland einem Ministerpräsidenten

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