KunstGeschichten

KunstGeschichte: Schokoladepopscherln

Mit seinen einmaligen Schokoladenprodukten verdient sich David Hobart nicht nur eine goldene Nase, sondern landet auch noch prompt in allen Wiener Zeitungen. Als dann aber ein Anwalt vor seiner Tür steht, scheint das Geschäft vor dem Aus. Lesen Sie in Erich Wurths neuer KunstGeschichte von findigen Ideen, weiblichem Verhandlungsgeschick und den Schokoladepopscherln der Politiker.

Das ist die Geschichte von David Hobart und seiner Frau Barbara, die ein völlig neues Produkt der Zuckerbäckerei entwickelt hatten – und sich damit einige Probleme einhandelten.
David entstammte einem Mechaniker, der 1837 aus Liverpool nach Wien gekommen war. Ururururgroßvater John Hobart wurde mit der Mannschaft der ersten Lokomotiven nach Wien geschickt, die auf der neuen Nordbahn eingesetzt wurden, und die noch George Stevenson in Großbritannien gebaut hatte. Auf dem Festland konnte man damals noch keine Lokomotiven bauen und Stevenson in Newcastle war die weltweit führende Fabrik.
John Hobart hatte beim Zusammenbau der Lokomotiven geholfen, und – wie es so manchem „Zugereisten“ erging – blieb in Wien hängen.

Auf diesen John Hobart ging auch die politische Überzeugung der Familie zurück: John war ein überzeugter Liberaler gewesen. Und diese Gesinnung gab er an seine Nachkommen weiter.
Nun verfügt die liberale Gesinnung in Österreich nicht über eine starke politische Partei. Die Politik in Österreich wird bestimmt von den konservativen und den sozialistischen Kräften, die bisher die Staatspolitik durch die Parteien ÖVP und SPÖ bestimmt haben und mehrfach in Form einer großen Koalition gemeinsam staatstragend aktiv geworden sind. Die „Freiheitliche Partei“, FPÖ ist durch Jörg Haider seinerzeit in eine „Nationalistische“ Bewegung umfunktioniert worden und dem kleinen „Liberalen Forum“ der Heide Schmidt war kein langes Leben bestimmt, da es schließlich unter den erforderlichen 5 Prozent für den Einzug ins Parlament blieb.

Momentan scheint sich die Angelegenheit mit dem liberalen BZÖ (Bund Zukunft Österreichs) zu wiederholen, denn auch dem BZÖ wird der Untergang prophezeit. Das BZÖ ist aus der FPÖ hervorgegangen, als Jörg Haider sich seiner liberalen Wurzeln wieder bewusst geworden war und die Nationalisten der FPÖ haben sich offenbar entschlossen, nach dem Tod Jörg Haiders wieder zu ihrer „Ausländer raus“-Bewegung zurückzukehren.

David Hobart fühlte sich also sehr unzureichend im Staat vertreten.
Das hinderte ihn aber nicht daran, seine Ausbildung sehr ernst zu nehmen. Er, der nicht über das technische Verständnis seiner Vorfahren verfügte, hatte sich für die Ausbildung zum Konditor entschieden und eine Lehrstelle beim renommierten Betrieb Heindl in der Willendorfergasse im dreiundzwanzigsten Bezirk erhalten.

Am Ende seiner Ausbildung hatte David die Aufsicht über eine ganze Anzahl von Maschinen, die Konfekt erzeugten. Und außerdem hatte er eine Menge von neuen Rezepten entwickelt. Nur sein Chef Walter Heindl konnte sich nicht dazu entschließen, die neuen Kreationen zu produzieren.
Dann lernte David seine Barbara kennen.
Barbara Heimeder nahm an der Wahl der „Miss Bonbon“ am Zuckerbäckerball in der Hofburg teil und belegte prompt den zweiten Platz.
David war sofort ein Fan des ausnehmend hübschen jungen Mädchens und nach der Wahl verbrachten Barbara und David den Rest des Abends miteinander in einer relativ stillen Ecke der Hofburg, und sprachen über ihre Zukunftspläne.

David gestand, sich am liebsten selbständig machen zu wollen. Mit einer kleinen Fabrik für Konfekt und Zuckerwaren. Er habe da neue Rezepte, die sicher Erfolg haben würden. Allerdings benötige er Kapital.
Das wäre kein Problem, behauptete Barbara. Sie wäre die Tochter eines sehr wohlhabenden Paares, das mehrere Restaurants betreibe und könne vorläufig mit etwa 100.000 Euro rechnen. Und nachdem sie heute beinahe Miss Bonbon geworden wäre, hätte sie nichts gegen eine Beteiligung an einer Süßwarenfirma.

Daraufhin machte der David der Barbara sofort einen Heiratsantrag. Barbara lächelte still vor sich hin und sagte zumindest nicht gleich nein. Stattdessen erklärte sie dem David, dass sie sich mit dem Modellieren beschäftigt habe und sich zutraue, Formen für das Spritzen von Schokoladenfiguren herstellen zu können. Für Krampusse, Nikoläuse und Osterhasen zum Beispiel.
„Und wie schaut's aus mit Politikern?“, fragte David.
„Notfalls auch Politiker, wenn du an Wahlgeschenke denkst“, sagte Barbara. „Aber Krampusse und Weihnachtsmänner gehen sicher viel besser. Größerer Markt!“
„Um den Markt kümmer' ich mich schon“, meinte David. „Wirst sehen, die Politiker werden ein Renner!“
Und einige Küsse später waren David Hobart und die Vizemiss Bonbon Barbara Heimeder ein Herz und eine Seele!

David bemühte sich intensiv um ihre gemeinsame Zukunft. Er trieb ein billiges Grundstück auf, das einer pleite gegangenen Tischlerei als Quartier gedient hatte – und er machte draus einen Betrieb zur Herstellung von Schokolade und Süßwaren. Möglich machte dies ein Vertrag zwischen David und den Eltern der Barbara, der der neu gegründeten Firma „Hohei Bonbons“ (Hobart und Heimeder) GmbH einen ausreichenden Grundstock an Kapital zur Verfügung stellte.
David steckte große Sorgfalt in die Gestaltung seiner Produktionsräume. Unter anderem richtete er einen Nebenraum als geheime Rückzugsbasis für Barbara und ihn ein, das sich durch ein großzügiges Doppelbett auszeichnete.

David begann mit ganz einfachen Produkten: Schokoladenbananen, Weinbrandbohnen, Geleefrüchten und Tafeln von Schokolade mit speziellen Zutaten. Alles Produkte, deren Herstellung David seit langem kannte und deren Rezepte er teilweise behutsam verändert hatte. Geschmacklich traf er die Bedürfnisse seiner Kunden und langsam wurde die Firma Hohei bekannt.

Der Vizemiss Bonbon gelang ein Abschluss mit einer Supermarktkette – und die Hohei GmbH begann, Geld zu verdienen.
Das war der Zeitpunkt, zu dem David sein politisches Geheimprojekt startete.
An einem Nachmittag, nachdem es zu einer heißen Begegnung im Doppelbett gekommen war, bat David seine Barbara, doch die Karikaturen der Mitglieder der österreichischen Bundesregierung anzufertigen. Die Porträts der Minister rief David einfach im Internet auf.
Über zwei Stunden zeichnete Barbara, dann hatte sie durchaus brauchbare Karikaturen der gesamten Regierung zustande gebracht.
David sparte nicht mit Kritik. Er wollte die Zeichnungen so haben, dass man Reproduktionen der Bilder auf Stanniol drucken und Schokoladenfiguren darin einwickeln konnte.

Um 18 Uhr war David zufrieden und es folgte eine weitere kleine Orgie im Doppelbett. Barbara bot daraufhin an, weitere Politiker zu zeichnen. Etwa den niederösterreichischen Landeshauptmann Erwin Pröll und den Wiener Bürgermeister Michael Häupl. David stimmte zu, verschob die Aktion aber auf einen der nächsten Tage. Jetzt war es zunächst wichtiger, die Formen für die Schokoladenfiguren vorzubereiten.
Damit war Barbara nochmals beinahe zwei Stunden beschäftigt.
Und zwei Wochen später lief die Produktion an.
Jeweils eine männliche und eine weibliche Schokoladenfigur wurden mit einem von David neu entwickelten, halbflüssigem Schaum gefüllt und mit den Karikaturfolien umwickelt.
Als die gesamte Regierungsmannschaft dann auf Davids Schreibtisch stand, öffnete David eine Flasche Sekt und stieß mit Barbara und den wichtigsten Mitarbeitern an. Und dann wurden die Damen und Herren Minister und Staatssekretäre zur Geschmacksprobe verspeist.

Barbara machte dem Außenminister und Vizekanzler, Herrn Michael Spindelegger den Garaus, David dem Bundeskanzler Werner Faymann und die Mitarbeiter nahmen sich die Finanzministerin Maria Fekter, den Verteidigungsminister Norbert Darabos und den Sozialminister Rudolf Hundstorfer vor. Lediglich der kleine Moritz Braunleitner, der die Verpackungsmaschine bediente, konnte sich nicht zwischen den Ministerinnen für Justiz und Verkehr entscheiden. Dann nahm er doch die Justizministerin Beatrix Karl, die er als hübscheste von allen empfand.
Der halbflüssige Schaum in den Figuren wurde von allen sehr geschätzt, beruhte er doch auf einer Basis von Eierlikör mit diversen zusätzlichen Aromen.

Bereits acht Tage später gab es die ersten Schokominister im Supermarkt. Und vier Tage später erschien ein Leitartikel in einer der führenden Tageszeitungen.
So lobenswert es wohl sei, die Regierungsmitglieder in süßer Form anzubieten, so wenig durchdacht wäre diese Aktion, schrieb der Chefredakteur. Erstens wären die Figuren halbflüssig gefüllt und die Füllung reiche nicht aus, auch in die Köpfe der Figuren zu dringen. Wenn man also den Kopf eines Ministers abbeiße, wäre dieser hohl. Das könne es doch wohl nicht sein!
(David amüsierte sich königlich und dachte: 'Oh doch! Genau das ist beabsichtigt!')

Dann war einige Tage Ruhe, bis ein sozialistisches Blatt schrieb: „Alle Regierungsmitglieder der SPÖ aus Schokolade verfügen über eine alkoholische Füllung. Der Eigentümer von Hohei Bonbons macht damit die stimmenstärkste Partei lächerlich!“
Worauf das konservative „Volksblatt“ konterte: „Auch die Minister der kleineren Regierungspartei sind mit Alkohol gefüllt. Außerdem schmeckt das ja gut.“ Und das unter der Schlagzeile: „Mit Schokoladenfiguren lässt sich kein politisches Kleingeld machen!“
Daraufhin brachte David die Landeshauptleute, dazu noch Heinz Christian Strache und Frank Stronach als Schokofiguren heraus und beobachtete weiterhin die österreichische Presse.

Eine der FPÖ nahe stehende Tageszeitung brachte daraufhin eine kleine Notiz: „Endlich hat die Hohei Bonbons GmbH die Zeichen der Zeit erkannt und den nächsten Bundeskanzler H.C.Strache als gefüllte Schokofigur heraus gebracht. Wir wünschen guten Appetit!“
Und die Salzburger Landeshauptfrau Gabi Burgstaller, die soeben in eine Spekulationsaffaire verstrickt war, meldete sich mit einem Leserbrief und beteuerte, von allem nichts gewusst zu haben, aber bei der Bevölkerung weiterhin beliebt zu sein, wie die Schokofigur beweise.
Frank Stronach hielt klugerweise die Schnauze.

Aber ein paar Tage später erhielt David Hobart einen Anruf von einer auflagenstarken Tageszeitung mit der Bitte um ein Interview. Da er sich einen großen Spaß davon erhoffte, stimmte er zu und schon bald tauchte eine gewisse Marga Kainzbauer bei ihm auf.
David hatte die Barbara eingeladen, beim Interview dabei zu sein und bevor die Frau Kainzbauer ihre Fragen stellte, machte David mit ihr eine Besichtigung der Produktionsanlagen.
Erstaunt war Frau Kainzbauer darüber, dass nur eine männliche und eine weibliche Schokofigur produziert wurde. Die einzelnen Personen und ihre charakteristischen Eigenheiten wurden nur durch die Stanniolfolie der Verpackung dargestellt.
„Die Figuren werden liegend ausgeliefert“, erklärte David. „Dadurch sammeln sich die festen Teilchen des halbflüssigen Füllschaums in den Pobacken der Figuren, was diesen einen besonderen Geschmack verleiht.“
„Also sind das eigentlich 'Schokoärsche', meinte Frau Kainzbauer. „Warum machen Sie das eigentlich?“
„Aus politischen Gründen“, sagte David – und dann gingen sie in sein Büro und David gab sich als Liberaler zu erkennen.

Marga Kainzbauer war im Grunde ihres Herzens Kommunistin. Und der Kommunismus hat in Österreich nie eine größere Rolle gespielt, mit Ausnahme der steirischen Landeshauptstadt Graz, wo die Kommunalpolitik stark kommunistisch geprägt ist. Aber das hat sicher nichts mit Ideologie zu tun, sondern mit den Politikern selber!
Deshalb fand Frau Kainzbauer die cremegefüllten Schokoärsche höchst interessant. Sie bekrittelte nur, dass die Käufer der Figuren wahrscheinlich glauben würden, die Politiker wären eine Huldbezeigung an die derzeitige Regierung.
„Glauben heißt nix wissen“, sagte David dazu und lachte.
„Na, da sollten Sie schon einen Text dazu veröffentlichen. Das können gerne wir drucken“, sagte Frau Kainzbauer. „Wenn ein Minister was idiotisches sagt, zum Beispiel. Dann drucken wir einen Text dazu: Minister XY sagt Blödsinn, aber sein Arsch ist sehr schmackhaft!“
Barbara nickte dazu demonstrativ. „Da hat sie aber recht“, meinte sie.
„Und mir verrechnen Sie was dafür!“, wehrte David ab. „Das wäre doch Werbung!“
„Nein“, protestierte die Kainzbauer. „Wenn Sie den Text uns überlassen, machen wir das gratis! Das mach ich unserm Chef schon klar.“

David stimmte schließlich zu und eine Zeit lang funktionierte die Abmachung recht gut. Die Zeitung hielt sich, was die Formulierungen betraf, sehr zurück und die Umsätze bei Ministerfiguren stiegen erfreulich an.
Um diese Zeit war die Votivkirche von Asylwerbern besetzt, die bessere Bedingungen forderten. Die Innenministerin Johanna Mikl-Leitner lehnte etliche Forderungen ab, etwa das sofortige Recht auf Arbeitsplätze. Die Zeitung kommentierte: „Asylwerber dürfen nicht arbeiten, aber den Arsch der Innenministerin dürfen sie essen, was sie sehr freuen wird.“
Aber dann traf Barbara eine Entscheidung, die der Firma Hohei noch manche Schwierigkeit einbrachte.

Ein gewisser Gabriel hatte begonnen, sich als Rapper zu etablieren und benutze Texte, die an Frechheit kaum zu überbieten waren und die sich – wenigstens manchmal – sogar reimten. Barbara fand manche dieser Raps großartig und bekundete damit, dass sie von Musik nicht die leiseste Ahnung hatte. Aber sie ging dem David so sehr um den Bart, dass dieser schließlich zustimmte, eine Schokofigur des Lärmmachers zu produzieren, obwohl das mit Politik nicht das Geringste zu tun hatte.

Die Rapperfiguren waren gerade erst drei Tage im Supermarkt, da ging ein Brief eines Anwalts namens Dr. Doppler bei David ein. Rapper Gabriel forderte 50% der Einnahmen aus dem Verkauf „seiner“ Figuren, andernfalls er Klage beim Handelsgericht einbringen würde. Denn die Hohei GmbH nütze die Popularität des Künstlers zu eigenen, kommerziellen Zwecken aus.
David schäumte vor Wut. Kein Minister hatte etwas unternommen, um an den Figuren mitzuverdienen, nur dieser rotzfreche Rapper!

David rief seinen eigenen Anwalt an. Der erzählte ihm, dass der Rapper gute Chancen hätte, mit seiner Klage durch zu kommen. David hätte vorher mit dem Gabriel reden müssen und er solle das jetzt möglichst rasch nachholen. Aber irgendwie wäre der Rapper zu beteiligen! Zwar wäre die Rechtssprechung im Falle des „Rechts am eigenen Bild“ keineswegs einheitlich, aber jedenfalls riskiere David eine größere Zahlung, wenn er sich nicht mit dem Rapper einige.
David rief also bei dem Anwalt Doppler an, von dem der Brief gekommen war.
Der war ebenso frech wie es der Gabriel wohl sein musste und forderte die vollen 50 Prozent. Ausnahmen von der Rechtssprechung bezüglich dem „Recht am eigenen Bild“ gäbe es nur, wenn es sich um die Verwendung für ein Kunstwerk handle. Und dass seine Schokofigur ein Kunstwerk wäre, das wolle doch David wohl nicht behaupten!
Doch! Das wäre Eat-Art, widersprach David.
Na schön, dann werde er, der Anwalt eben tatsächlich klagen und David solle sehen, wie er das Gericht davon überzeuge. Damit war dass Gespräch zu Ende.
Erbost rief David die Barbara an und berichtete.

Und Barbara bot sofort an, persönlich mit dem Anwalt sprechen zu wollen – und eventuell auch mit Gabriel.
„Na, dann versuch's“, sagte David. „Aber wehe, du machst einem von denen schöne Augen!“
„Doch – wenn's notwendig sein sollte, mach ich das“, sagte Barbara.
„Untersteh dich!“, drohte David, war aber doch recht froh, dass Barbara die Sache übernahm.
Barbara „warf sich in Schale“. Sie zog ein weißes Kostüm mit sehr kurzem Rock an und nahm dazu die weißen Stöckelschuhe mit den höchsten Absätzen – und so betrat sie dann die Anwaltskanzlei im ersten Bezirk auf dem Fleischmarkt. Gabriel war schon da.

Der Rapper sah noch wilder aus, als seine Fotos ihn normalerweise zeigten. Einzelne, lange Haarbüschel auf seinem sonst kahl geschorenen Kopf, eine verbogene Nase und umfangreiche Piercings in den Ohren und auf der Unterlippe.
Trotzdem begrüßte er Barbara beinahe höflich. Der Anwalt Dr. Doppler war die Liebenswürdigkeit in Person. Ihr Aufzug in strahlendem Weiß machte sich offenbar bezahlt.
Zunächst sprach Dr. Doppler. Er führte die wichtigsten Grundsätze des „Rechtes auf das eigene Bild“ aus. Diese Grundsätze wären umso wichtiger, je prominenter ein Dargestellter wäre, was ja bei Gabriel auf jeden Fall zutreffe. Dass Gabriel bereit wäre, sein Bild gegen eine Beteiligung von 50 Prozent zur Verfügung zu stellen, wäre ein großes Zuvorkommen.

Gabriel saß am Verhandlungstisch des Anwalts und brabbelte leise eine Zeile aus einem seiner „songs“: „Wenn du was willst, dann nimm es dir, denn Nehmen ist doch schön – die andern die's auch haben wollen sollen scheißen geh'n!“
Kein Zweifel, das reimte sich! Barbara war beeindruckt.
Aber jetzt legte sie einmal los: Die Hohei GmbH habe mit der Serie von Schokofiguren der Regierungsmitglieder eine künstlerische Aktion gestartet. So etwas habe es noch nie zuvor gegeben. Die Reaktionen der Presse wären ja auch überaus positiv. Jetzt habe sie, jawohl, sie selber, die Idee gehabt, einen anderen Prominenten in die Aktion einzubeziehen und zu diesem Zweck habe sie eine Karikatur des Gabriel angefertigt. Und dass Karikaturen als Kunstwerke gelten, das war wohl klar. Die Hohei GmbH werde die gesamten Schokoladenfiguren auch dem Karikaturenmuseum in Krems zur Verfügung stellen.

Gegen Karikaturen habe er nichts einzuwenden, sagte Gabriel. Aber die Schokofiguren wären eben keine Karikaturen, sondern was zu essen!
„Richtig. Eat-Art“, sagte Barbara. „Wie sie Daniel Spoerri erfunden hat! Nur sind unsere Werke halt tatsächlich essbar, was bei Spoerri nicht immer der Fall war. Aber bei Dieter Roth war das meistens so! Da wurden hauptsächlich künstlerische Kuchen gebacken! Sie sehen, es gibt genug Vorbilder!“
Doktor Doppler wurde unruhig und wetzte auf seinem Sessel hin und her. Das alles war ihm völlig neu. Mit Kunst und insbesondere mit dem Nouveaux Réalisme hatte er sich nie beschäftigt.
„Das hat Hand und Fuß“, sagte er zu Gabriel. „Wir sollten uns die Sache überlegen, Herr Radovic.“ Erstmals hörte Barbara den bürgerlichen Namen des Rappers.
„Das ist doch Blödsinn!“, polterte Gabriel. „Was hat denn Fressen mit Kunst zu tun? Kunst ist das, was wir machen – Gabriel und die Zombies!“
„Wenn Sie das als Kunst bezeichnen, wird’s wohl so sein“, sagte Barbara. „Und ich habe Ihre Kunst mit der Bildenden Kunst verbunden. Da könnte ich eigentlich von Ihnen eine Beteiligung fordern!“
„Das ist doch eine bodenlose Gemeinheit!“, legte Gabriel los. „Die Frau ist doch nur geldgierig! Macht mit meinem Bild einen Haufen Marie und will nix davon abgeben! Klagen Sie, Herr Doktor!“
„Wollen Sie das wirklich?“
„Natürlich! Ich lass mich doch nicht von Zuckerbäckern verscheißern!“
„Na schön“, sagte der Anwalt. „Gibt für Sie zumindest Publicity“
„Moment“, schaltete sich Barbara ein. „Ein Kompromissvorschlag. Wir können Ihnen gratis ein paar Figuren zur Verfügung stellen. Eignen sich zum Beispiel als Unterlage für Autogramme. Was halten Sie davon?“
„Aha, sie kriegt schon Angst!“, frohlockte Gabriel.
„Na, dann lassen Sie's bleiben“, sagte Barbara und bemühte sich, möglichst gleichgültig zu wirken. „Wir sehen uns dann vor Gericht!“
Barbara stand auf und streckte dem Anwalt die Hand entgegen. Der ergriff sie und sah dabei gleichzeitig etwas skeptisch zu seinem Mandanten Gabriel. „Wiedersehen, Frau Heimeder“, sagte er.

Barbara lief zu ihrem Wagen und rief dort sofort David an: „David, wir werden doch vor Gericht müssen. Aber laut dem Anwalt Doppler haben wir sehr gute Chancen. Und vielleicht ruft der noch einmal an und wir kommen doch damit weg, dass wir dem Rapper ein paar von den Figuren überlassen. Ich leg jetzt einmal auf, damit der Doppler anrufen kann.“
„Wunderbar“, meinte David und Barbara fuhr aus der Tiefgarage auf dem Schwedenplatz.
Sie war gerade auf dem Ring in Höhe des Museums für Angewandte Kunst, da klingelte ihr Handy. Barbara war es diesmal egal, ob man sie beim Telefonieren sah. Sie griff nach dem Telefon und nahm ab.

„Frau Heimeder, hier Doppler. Der Herr Radovic – ich meine, Herr Gabriel – hat sich's überlegt. Können Sie nochmals kurz herkommen?“
„Wird ein bisserl dauern“, antwortete Barbara. „Ich fahre grade über den Ring. Aber ich beeil' mich.“

Als Barbara neben dem Stadtpark nach rechts abbog, hatte sie schon wieder das Handy am Ohr und sprach mit David. Doppler hätte angerufen, sie wäre schon unterwegs zurück – und wie viele der Rapperfiguren sie dem Gabriel anbieten könne.
David gab ihr keine Maximalanzahl, sonder meinte, das könne sie selber entscheiden. Einige hundert Stück könnten es wohl schon werden.
Beruhigt parkte Barbara wieder in der Tiefgarage und ging die kurze Strecke zum Fleischmarkt zurück.

Gabriel war nicht mehr da. Nur Doktor Doppler begrüßte sie und bat sie in den Besprechungsraum.
„Er hat doch Zweifel gekriegt“, erklärte der Anwalt, als sich Barbara gesetzt hatte. „Wie viele Figuren könnten Sie meinem Mandanten überlassen?“
„Soviel er will – wenn er's bezahlt“, sagte Barbara.
„Sie haben vorhin doch etwas von gratis gesprochen!“
„In begrenztem Umfang!“
„Schön. Wie viele?“
„Na, so etwa fünfzig.“
„Herr Gabriel hatte da an so etwa dreihundert gedacht!“

Barbara hätte sofort zustimmen können. Sie wollte aber heraus finden, wie weit sie die Verhandlung treiben konnte. Sie sagte: „Die Dinger sind kompliziert herzustellen. Das sind Kunstwerke! Die kosten viel Geld!“
„Also wollen Sie's doch auf eine Verhandlung ankommen lassen?“
„Warum nicht? Herr Gabriel hätte da ja überhaupt keine Chance!“
Der Anwalt setzte sich zu Barbara. „So sicher ist das nicht! Es kommt darauf an, ob der Richter anerkennt, dass das tatsächlich Kunst ist. Darüber kann man ja streiten!“
„Wohl kaum“, sagte Barbara. „Bei Wikipedia können Sie's nachlesen.“
„Trotzdem gibt es keine rechtliche Definition, was Kunst ist“, wandte der Anwalt ein. „Ich würde es nicht drauf ankommen lassen. Und außerdem ist das ja auch Werbung für Sie, wenn der Gabriel ihre Figuren verteilt.“
„Stimmt“, sagte Barbara. „Ich hab auch schon dran gedacht. Gut, soll der Gabriel seine dreihundert haben. Sind Sie jetzt zufrieden?“
„Vollständig“, sagte Doppler. „Sie werden das sicher nicht bereuen!“

David und Barbara haben diese Entscheidung auch nicht bereut. Erst einmal erfolgte die Hochzeit der beiden, dann erschien eine neue Schokoladenfigur, die eine neue Schlagersängerin darstellte. Diese, eine gewisse „Marcella“, war ganz begeistert von der Schokofigur und bezog (allerdings gegen Bezahlung) eine Unmenge von diesen gefüllten kleinen Plastiken für ihre Auftritte.
Und die Politikerfiguren führten noch eine Zeit lang ein Schattendasein. Niemand fragte mehr nach den Ministern und Ministerinnen. Einige Zeit beherrschte der „Benjamin“ unter den Regierungsmitgliedern, der junge Staatssekretär Sebastian Kurz, die Verkaufsstatistik, dann schlief die Sache ganz ein.

David hat sich von einem überzeugten Liberalen weg und mehr zum konservativen Unternehmer hin entwickelt und er hat kein Interesse mehr daran, die politische Landschaft in Österreich verändern zu wollen.
Die „Hobart Süßwaren G.m.b.H“ macht ihren Hauptumsatz zwar weiterhin mit gefüllten Schokoladenfiguren, aber es sind jetzt „Künstler“ wie Gabriel oder Marcella, die für ein brummendes Geschäft sorgen.
Barbara und David haben es geschafft. Sie sind rundum zufrieden – und der Erbe des Unternehmens ist auch schon unterwegs. Und Barbara hat mitunter so seltsame Anwandlungen: Manchmal Heißhunger auf gefüllte Schokofiguren – und manchmal auf saure Gurken.

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