Buchrezensionen

Kunsthalle Bielefeld, Aargauer Kunsthaus (Hrsg.): Sophie Taeuber-Arp – Heute ist Morgen, Scheidegger & Spiess 2014

Sophie Taeuber-Arps Werk wird nicht immer in seiner Gänze wahrgenommen; ihre Textilarbeiten werden gerne einmal vergessen, während Malerei und Plastik in der Betrachtung dominieren. Das wollte man mit dem Katalog zur großen Retrospektive 2014 ändern und zugleich neue Einblicke in das Wirken der Künstlerin, aber auch in ihre Rezeption geben. Spannend, findet Marco Hompes.

Als Sophie Taeuber-Arp 1943 mit nur 53 Jahren durch einen Unfall starb, hinterließ sie ein reiches, medial äußerst vielfältiges Werk. Was jedoch posthum mit ihren Arbeiten geschah, ist äußerst bezeichnend für den manchmal nachlässigen Umgang mit einem künstlerischen Vermächtnis. Denn Teile daraus verschwanden in der Versenkung, was nicht zuletzt auch erhebliche Auswirkungen auf die kunstgeschichtliche Rezeption hatte. Glücklicherweise konnten das Aargauer Kunsthaus und die Kunsthalle Bielefeld 2014/15 mit der Ausstellung »Sophie Taeuber-Arp - Heute ist Morgen« und mit der dazugehörigen Publikation dieses Manko in weiten Teilen beheben.

Die Textbeiträge des Katalogs beleuchten die verschiedenen Aspekte des Schaffens der Schweizer Malerin, Kunsthandwerkerin, Innenarchitektin und Tänzerin und illustrieren anschaulich ihre Vernetzung mit der zeitgenössischen Kunstszene. Besonders spannend wird es dann, wenn erläutert wird, wie es zu den kunstgeschichtlichen Versäumnissen um das Erbe der Künstlerin kam.

Denn diese waren eigentlich gut gemeint, erfährt man in einem informativen Text von Medea Hoch. Nach Taeuber-Arps Tod gaben nämlich Hans Arp und Hugo Weber ein Werkverzeichnis heraus. Dieses wurde allerdings »purifiziert«, wie man es etwas euphemistisch bezeichnen könnte. Konkret heißt dies, dass nur das malerische und das plastische Werk Erwähnung fanden, nicht aber die zahlreichen textilen Arbeiten oder die Entwürfe für Wandteppiche, Kissen und andere Einrichtungsgegenstände. Dabei war es, wie die Autorin richtig feststellt, damals üblich, die Interdisziplinarität im Gesamtwerk zu betonen. Die Krux bei der Sache ist aber, dass die Wertschätzung von Vielseitigkeit offensichtlich nur für Künstler legitim schien, nicht aber für Künstlerinnen. Während textile Arbeiten von Männern als progressive und avantgardistische Kunstschöpfungen umschrieben wurden, bezeichneten Kritiker die Stickereien, Webereien und Stoffentwürfe weiblicher Kunstschaffender schnell als reines Kunsthandwerk. Auch Brigitte Maier erläutert in ihrem Beitrag zum Katalog, dass Sophie Taeuber-Arp in der Schweiz kaum als Künstlerin angesehen wurde, dass ihr gar jeglicher Kunstsinn abgesprochen wurde, da Frauen hierzu schließlich nicht in der Lage seien. Und weil dem so war, eliminierte Hans Arp die kunsthandwerklichen Arbeiten aus dem Werkverzeichnis. Schließlich wollte er seine verstorbene Ehegattin als autonome Künstlerin in Erinnerung wissen. Eine Folge hiervon war, dass sich auch Kunsthistoriker kaum um diesen Teil des umfangreichen Œuvres scherten. Selbst die retrospektiv angelegten Ausstellungen in Ascona (1983) und Frankfurt am Main (2002) schlossen das textile Werk ohne Begründung aus. Die Künstlerin selbst unterschied zwar zwischen den Gattungen, empfand diese jedoch immer als gleichwertig.

Medea Hoch geht sogar noch einen Schritt weiter und erklärt, dass die frühe Auseinandersetzung mit dem Kunsthandwerk ein entscheidender Vorteil gewesen sei: »Sophie Taeuber-Arp erwies sich 1915 mit ihren Compositions verticales-horizontales als Pionierin konstruktiver Kunst. Es scheint, dass sie aufgrund ihrer handwerklichen Praxis selbstverständlicher und radikaler zu neuen abstrakten Formen fand als die meisten ihrer Künstlerkollegen«. Und in der Tat wird auch anhand der hochwertigen Abbildungen im Katalog deutlich, dass die Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Medien zu einer raschen und konsequenten Entwicklung der Motivik beitrug, der man durchaus ihre Herkunft aus dem Kunsthandwerk ansehen kann.

Doch damit nicht genug: Nicht nur führte Hans Arps Werkverzeichnis die Kunsthistoriker in die Irre, sondern auch dessen Briefe und Texte. »Heilige und Muse« übertitelte Rudolf Suter seinen Textbeitrag, in dem er nachspürt, inwieweit die Äußerungen des Künstlers einen Einfluss auf die Rezeption des Schaffens seiner Frau hatten. Denn in der Regel, so hält der Autor fest, wird vorausgesetzt, dass Taeuber-Arp die gleichen Vorstellungen von Kunst und dieselben Interessen wie ihr Mann hatte. Als Folge wurde in der Vergangenheit dann auch fleißig erläutert, dass die Künstlerin von Mandalas inspiriert gewesen sei, weil in Hans Arps Texten einmal eine solche Behauptung geäußert wurde. Dabei war zur Dada-Zeit diese Bildform noch überhaupt nicht bekannt. Der Künstler betonte zudem gerne die engelsgleiche Erscheinung seiner verstorbenen Frau sowie die harmonische Beziehung der beiden, was ebenfalls kritiklos von KunsthistorikerInnen übernommen wurde. Dabei war ihre Ehe nicht immer gänzlich idyllisch, wie Suter zu berichten weiß.

Erstaunlich sind auch die mannigfaltigen Netzwerke der Künstlerin, die sie mitunter zu einer Schaltstelle für den Austausch der internationalen Avantgarde-Künstler machten. Zu nennen wäre hier ihre Funktion als Herausgeberin der Zeitschrift »plastique«, die Maike Steinkamp in einem Text untersucht. In dem letzten Beitrag des Katalogs gewähren schließlich Sigrid Schade, Walburga Krupp und Medea Hoch Einblick in eine aktuelle Forschungsarbeit. Diese widmet sich 445 unveröffentlichten Briefen Sophie Taeuber-Arps, welche die Zentralbibliothek Zürich 2013 erworben hatte. Die Schreiben geben unter anderem Aufschluss über damalige Studieninhalte, über die Ansichten der Künstlerin zum Zürcher Dada, die mitunter sehr kritisch waren, oder auch über ihre Bemühungen um eine gute Reputation ihres Schaffens.

Die große Leistung der Publikation ist zum einen, dass das textile, kunsthandwerkliche Schaffen der Schweizerin selbstverständlich neben Malerei und Plastik gestellt und zu beidem in Relation gesetzt wird. Zum anderen wird Sophie Taeuber-Arp als intelligente Netzwerkerin, sehr durchdachte, unabhängige Künstlerin und selbstbewusste, moderne Frau porträtiert, und das völlig ohne dabei über mögliche Einflüsse durch ihren Ehemann zu spekulieren.

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