Ausstellungsbesprechungen

Linde Wallner - Wanderung. Keramische Objekte, Plastiken und Reliefs, Galerie der Stadt Herrenberg, bis 12. März 2013

Linde Wallners Arbeit gleicht der eines Archäologen, es ist ein Vordringen in stets tiefere Schichten. In ihren Objekten treffen rauhe, oft widerspenstig grobe Strukturen auf helle, polierte Oberflächen, Flächen, die mit feinen Zeichen und Linien überzogen sind. Günter Baumann hat die Ausstellung zu Ehren ihres 70. Geburtstages besucht.

Das Wandern ist nicht nur des Müllers Lust. Wenn Linde Wallner ihre Ausstellung mit »Wanderung« übertitelt, ist sie sogar weit davon entfernt, allein heimatliches Flair, Feld-, Wald- und Wiesen-Feeling zu verbreiten. Ihre Keramiken sprechen da eine andere Sprache, so dass man ihnen regelrecht abzulauschen glaubt, es ginge um tiefergehende Wanderspuren: Schon das Material legt zum einen eine archaische Aura über das Werk, das die Fährte auf menschheitsgeschichtliche Vorgänge legt. Zum anderen verweisen die skripturalen Zeichen im Ton auf Lebenswege, die ihre Spuren symbolhaft eingebrannt haben. Die Galerie der Stadt Herrenberg ehrt Linde Wallner zu ihrem 70. Geburtstag mit einer umfassenden Schau über ihr aktuelles Werk. Über 30 Objekte, Plastiken und Reliefs zeugen von einer fulminanten Schaffenskraft und einer handwerklichen Fertigkeit, die dem keramischen Material alles abverlangt.

Das Thema der Wanderung greift Wallner in mehreren Arbeiten auf, im weitesten Sinn: So erinnern die zwei Titel »Über die Dörfer« (I und II) assoziativ an frühere Passagen übers Land – geblieben ist offenbar die vage Erinnerung etwa an abgewinkelte Straßen (wenn man denn überhaupt die abstrakte Lineatur und Flächengestaltung konkret benennen will) bzw. an räumliche Perspektiven, die einmal auf einer hohen gebogenen Stele, das andere Mal auf einem wegzeichenhaften Objekt angedeutet ist. »Wegzeichen« sind auch zwei Arbeiten betitelt, die jedoch noch deutlicher auf den Chiffrencharakter verweisen. Nägel sind in die mehrgliedrigen Skulpturen eingelassen, die zwar von Menschenhand gesetzte Spuren evozieren, aber deutlicher als Lebens-, denn als reine Wanderzeichen zu lesen sind.

Linde Wallner verschließt sich jedoch nicht dem romantischen Zauber, der dem Motiv innewohnt. Indirekt nimmt sie Bezug darauf in der skulpturalen Gruppe »Hörst du nicht die Quellen gehen«, die die Eingangszeile von Joseph von Eichendorffs Gedicht »Nachtzauber« zitiert. Es ist ein melancholisches Lied von Einsamkeit und Liebesnot, Vergangenheit und Todessehnsucht – alles nicht darauf ausgerichtet, die Natur genüsslich zu erkunden, sondern angesichts der Tiefe des romantischen Naturerlebnisses den Verlust eines urtümlichen Einklangs mit dieser Natur zu beklagen. Richtig verstanden, hat uns die Romantik in ihren absolut modernen Zügen durchaus heute noch etwas zu sagen: Die Arbeiten Linde Wallners weisen allemal den Weg in unsere Gegenwart. Das ist auch in Reliefs wie »Einkehr« zu erkennen. Einkehr meint zwar an sich die gemütliche kulinarische, zumindest feuchtfröhliche Zwischenstation während einer Wanderung. Bei Wallner reduziert sich das Motiv auf ein in die Keramik geritztes Glaspaar, durch einen langen Linienspalt voneinander getrennt. Die souveräne Skizzenhaftigkeit und der kühne ›Schmiss‹ der Ent-Zweiung zeugen eher von fragilen Verhältnissen als von inniger Zweisamkeit.

Immer wieder taucht im Werk der Bildhauerin das moderne Gefühl des existenziellen Daseinskampfes auf. Auch das sind Lebensspuren.Die Wanderung wird hier rasch zum Gedankenparcours über die Anverwandlung der Dingwelt an die eigene, individuelle Existenz. Nicht von ungefähr präsentiert Wallner reliefierte Objektkästen speziell zu den späten Gedichten des französischen Schriftstellers Eugène Guillevic - »Von der Stille« - mit dem Ansinnen, hier in der plastischen Sprache wie dort in der Lyrik den Lärm der Welt fernzuhalten.

Von hier aus begreift man Arbeiten wie »Wächter«, »Brunnenwächter«, »Balance« o.ä. besser als hochaktuelle Chiffren der Abkehr, die nichts mit Weltflucht zu tun hat. Dass insbesondere die Keramik eine materialpoetische Sprache zulässt, die über die meist so lapidar genannten »Gefäße« oder eine traditionelle Symbolik (Schiff, Fisch, Vogel) an archaische Zeiten gemahnen, fügt sich dieser Erkenntnis an. Und dass es Linde Wallner immer auch um den Menschen geht, zeigen nicht zuletzt die Reliefs, auf denen er selbst in figurativen Umrissen vergegenwärtigt ist.

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