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Live Arts in der Bundeskunsthalle mit Jerôme Bel – ein Rückblick

Ein Museum sollte wohl eigentlich in erster Linie Raum für bildende Kunst bieten. Folglich muss es vor allen Dingen ein Ort der Ruhe und Kontemplation sein. Die Bundeskunsthalle Bonn bricht dieses strenge Konzept jetzt auf. Regelmäßig werden auch Darbietungen aus anderen Künsten in das Programm aufgenommen, die nichts mit dem regulären Ausstellungsbetrieb zu tun haben. Zu den ersten Veranstaltungen aus der neuen Live Arts-Serie gehörte die Tanz-Performance »GALA« von Jerôme Bel. Susanne Braun hat ein begeistertes Publikum erlebt.

Die Ausstellung »Comics!, Mangas!, Graphic Novels!« der Bundeskunsthalle Bonn wirkt ein wenig wie eine Vorwegnahme. Nicht, weil sie im selben Zeitraum wie »GALA« von Jerôme Bel läuft, sondern vor allen Dingen inhaltlich. Auf den allermeisten Original-Comic-Zeichnungen sind zwar keine Tanzbewegungen dargestellt, dafür aber jede Menge angedeutete Bewegungen wie Gesten, Mimik oder Sprechblasen. Und obwohl die konkrete Ausführung der Handlungen von Superman über Prinz Eisenherz bis hin zu Mickey Mouse und Lucky Luke letztlich nur in der Phantasie des Betrachters statt finden kann, verweisen die Zeichnungen oft auch auf andere Kunstrichtungen. Das Medium Film scheint bereits in den frühesten Comics mitzuschwingen. Wichtigste Inspiration muss jedoch, neben dem »echten Leben« natürlich, das Theater gewesen sein.

»Die Inhalte werden unabhängig vom Ausstellungsbetrieb konzipiert«, erklärt die Programmkuratorin der Live Arts-Reihe, Miriam Barhoum. »Interessant sind vor allem Künstler und Kollektive, die Genre- und grenzüberschreitend arbeiten und sich zwischen bildender und darstellender Kunst bewegen. Mit der Entwicklung eines interdisziplinären Programms, soll die Vielfalt der deutschen, europäischen sowie internationalen Kulturlandschaft abgebildet werden – um experimentelle und innovative Kunst aus den Bereichen Tanz, Theater, Musik und Performance zum festen Bestandteil des Angebots zu machen«. Ob zufällig oder beabsichtigt, auch »GALA« von Jerôme Bel scheint über die Aufführung einer reinen Tanz-Performance hinaus zu weisen. Schon während des Intros werden Fotografien unterschiedlichster Aufführungsstätten an eine Leinwand projiziert. Zu sehen sind halb verfallene Amphitheater neben der Theaterarchitektur des 19. Jahrhunderts bis hin zu kleinsten Bühnen in Kneipen der Gegenwart. Ähnlich einer umfassend konzipierten Kunstausstellung ordnen die Fotografien die Veranstaltung in ihren historischen Kontext ein.

Dieser Charakter findet seine Fortsetzung auch im Stück selbst. »Für ›GALA‹ wird in jeder Stadt ein neuer Cast gefunden«, beschreibt Miriam Barhoum das Konzept des Stücks, »so bleibt die Produktion immer einzigartig, da dies einen besonderen Bezug zur Stadt und ihren Menschen herstellt«. In Bonn führen die Performer durch wesentliche Stationen der Tanz- und Musikgeschichte, indem sie unterschiedliche Tanzstile vorstellen. Zu Beginn jeder Einheit wenden sie das Papier eines hüfthohen Blocks, auf dem der jeweilige Stil handschriftlich zu lesen ist. Das wirkt zunächst lächerlich, später jedoch regelrecht notwendig. Denn nicht bei jedem Tänzer lässt sich auf Anhieb erkennen, was er gerade zu tanzen versucht. Die teilweise sehr clownesken Darbietungen scheinen den Darstellern Spaß zu machen und lösen auf Anhieb auch im Publikum Gelächter aus.

Gewechselt wird etwa zwischen tänzerisch sehr anspruchsvollen Ballett-Schritten, die nur den wenigsten in wirklich anmutiger Vollendung gelingen, über Walzer bis hin zu moderneren Tänzen wie dem »Moonwalk«. Das Publikum klatscht schon zu den ersten Klängen von Michael Jacksons »Billy Jean« begeistert mit und belohnt vor allen Dingen diejenigen, die immerhin ihr Bestes zu geben versuchen. Das tänzerische Können der Kompanie erweist sich als ganz unterschiedlich. Offensichtlich sind einige professionelle Tänzerinnen und Tänzer dabei, denen auch die kompliziertesten Bewegungen mit beeindruckender Präzision gelingen. Andererseits gibt es auch mehrere ältere Menschen, die zwar zu wissen scheinen, wie die Schritte ausgeführt werden müssen, denen sie aber nicht mehr so recht gelingen. Dazwischen gibt es viele Abstufungen. Mit zum Ensemble gehört auch eine Frau, die in einem elektrisch angetriebenen Rollstuhl sitzt und sich kaum bewegen kann. Ganz besonders eigenwillig gestaltet sind die Choreografien der beiden Kinder, die nach jedem Auftritt offensichtlich erleichtert hinter dem Vorhang verschwinden.

Doch der Eindruck, dass ein Großteil des Bonner Casts nicht richtig gut tanzen kann, ist verfehlt. Im Laufe der Performance stellt sich heraus, dass es bei den allermeisten Tänzern eine bestimmte Ausdrucksform gibt, die sie sogar besser als alle anderen beherrschen. So ist es beispielsweise bei einer Frau, die einen Stab oder Bâton virtuoser als alle anderen in ihrer Hand dreht. Als Einziger gelingt es ihr, den Stab nicht nur am höchsten zu werfen, sondern ihn auch aus luftigsten Höhen immer wieder souverän aufzufangen. Ihre Tanzschritte erinnern an die der Tanzmariechen im Rheinischen Karneval, die hier jeder kennt. In einer weiteren Phase der Performance tanzt jeweils ein Tänzer zu einem bestimmten Musikstück seine eigene Choreografie und alle anderen bemühen sich, dessen Schritten und Bewegungen zu folgen. Hier scheint das meiste ganz spontan zu entstehen. Zu »Happy« von Pharell Williams tanzt ein Mädchen im Grundschulalter eine so außergewöhnliche Schrittfolge, dass erstaunlicherweise gerade die geübtesten Tänzer kaum hinterherkommen. Das Publikum entschädigt sie mit begeistertem Applaus.

Insgesamt hat die Performance vielleicht etwas von einer Parabel auf die heutige gesellschaftliche Situation. Es treffen mehrere Menschen unterschiedlicher Herkunft, mit unterschiedlichen Vorkenntnissen und Interessen aufeinander und versuchen miteinander zu arbeiten. Das Ergebnis ist nur in manchen Momenten wirklich virtuos. Die meiste Zeit über ist die Darbietung nicht perfekt, macht aber ungemein Spaß. Die Mehrheit des Publikums hat »GALA« mit Standing-Ovations belohnt.

Die nächste Veranstaltung der Live Arts-Reihe findet am 9. Dezember statt. Dann ist Gob Squad mit dem Stück »Gob Squad’s Kitchen« in der Bundeskunsthalle Bonn zu Gast.

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