Ausstellungsbesprechungen

Lyonel Feininger: Lübeck – Lüneburg, Behnhaus, Lübeck, bis 16. Februar 2014

Die Ausstellung von Gemälden, Aquarellen und Zeichnungen Lyonel Feiningers im Lübecker Behnhaus besitzt Lokalkolorit. Die Blätter zeigen die Hansestädte Lübeck und Lüneburg sowie die Ostseeküste und thematisieren besonders die Backsteingotik, die den Künstler bei seinen Besuchen nachhaltig beeindrucken konnte. Stefan Diebitz hat es sich angeschaut.

Eigentlich kreist die Lübecker Schau um ein einziges Bild, das seit 1986 als Dauerleihgabe zum Bestand des Behnhauses gehört und von dem lange Zeit nicht klar war, ob es nun eine Lübecker oder eine Lüneburger Straße zeigt. Erst hieß das Gemälde einfach nur »Lübeck«, dann kam die Idee auf, es zeige eine an Lübeck erinnernde Straße im niedersächsischen Lüneburg, aber jetzt ist endlich klar, dass es sich um die Lübecker Schmiedestraße handelt, die Palmarum 1942 in einer Bombennacht unterging und heute keinerlei Ähnlichkeit mehr mit der ursprünglichen Straße besitzt. Es bedurfte deshalb einer einjährigen Forschungsarbeit, in der die Daten und Umstände der Reise Feiningers in den deutschen Ostseeraum recherchiert wurden, und schließlich brachte die Abbildung des Gemäldes in der Lokalzeitung Klarheit, denn immerhin drei Leser konnten die Schmiedestraße identifizieren.

Nun sagt es über den künstlerischen Wert eines Bildes wohl wenig bis überhaupt nichts aus, welche Straße es abbildet, aber dank der Recherchen von Silke Radke-Weber wissen wir jetzt etwas mehr über die Verfahrensweisen und Arbeitstechniken des Künstlers, der auf einem nur zweitägigen, von sommerlicher Hitze beeinträchtigten Lübeck-Besuch 1921 zahlreiche Skizzen anfertigte, die er zwar für ein gutes Jahrzehnt liegen ließ, aber offensichtlich nicht vergaß – nicht einmal dreißig Jahre später in Amerika und schon gar nicht am Ende der Weimarer Republik. Als er mit einer Auftragsarbeit in Halle beschäftigt war – auch in ihr ging es um die Abbildung von Architektur –, arbeitete er parallel an dem Lübeck-Bild. Das Bild der Hallenser »Marktkirche bei Nacht« von 1931 ist ähnlich eindrucksvoll wie das Bild der Schmiedestraße, und im Behnhaus sind die beiden schönen Gemälde wieder vereint.

Es überrascht den Betrachter, wie viele Details Feininger in beiden Fällen übernommen hat. Für das Bild der Kirche nutzte er offenbar eine Nachtaufnahme, für das Lübeck-Bild eine Bleistiftskizze, und in beiden Fällen findet man eine Reihe von Einzelheiten wieder, im Falle der Straße etwa ihre scharfe Biegung sowie den Wechsel der Traufenhöhen. In vielen Lübecker Straßen kann man an ihrem Beginn nicht bis zu deren Ende sehen, aber die Schmiedestraße ist besonders stark gebogen – das ist so etwas wie ein Alleinstellungsmerkmal. Allerdings wissen wir aus einem Brief, dass dem Künstler die Farbgebung wichtiger war, denn er schrieb von dem Gemälde, dass es »sehr farbig und fantastisch wird, ein Inbegriff alter norddeutscher Backsteingiebel und Klamotten«.

In ihrem Katalogbeitrag erzählt Silke Radke-Weber, was ihre Recherchen zu der Reise des Künstlers ergeben haben. Rückblickend schrieb Feiningers Frau Julia 1954, dass es ihrem Mann besonders um den Rhythmus der Fassaden ging: »Feininger fühlte sich durch die Architektur dieser Städte angeregt – trotz einer zuweilen ungewöhnlichen Kombination von Gotik und Barock; durch die rhythmische Aufteilung dieser wunderschönen Fassaden alter Giebelhäuser […] war es eine Offenbarung für jemanden so sensibles wie Feininger, empfänglich für die Stimmungen jenseits dessen, was das bloße Auge sah.« Er ging durch die Stadt, zeichnete unentwegt und nannte diese Blätter dann »Naturnotizen«.

Bei dem Bild handelt sich um eine für Feininger typische Komposition aus Linien und Flächen, die im ersten Augenblick fast abstrakt anmutet. Im Zentrum dominieren warme Farben wie Braun und Ocker, an den Rändern herrscht ein kaltes Grünblau. Das nächtliche Kirchenbild erhält seine besondere Atmosphäre durch die hell erleuchteten Fenster im Hintergrund, wogegen von der Kirche nur die massige und dunkle, grob gegliederte Silhouette sichtbar ist. Wahrscheinlich ist in beiden Fällen auch die Transparenz der Farben für die dichte Atmosphäre verantwortlich, der man sich kaum entziehen kann.

Den Maler faszinierte die Backsteingotik, und wirklich ist es ja so, dass eine Straße mit modernen Häusern niemals dieselbe Wirkung hervorrufen könnte wie die Schmiedestraße des Jahres 1921, denn die eintönigen horizontalen Fensterbänder, die sich an ihr heute entlangziehen, lassen keinen Rhythmus entstehen. Auch fehlt heutigen Straßen die Bedeutung der Vertikalen, die besonders bei dem Lübeck-Bild auffällt, wogegen beide Gemälde durch eine erstaunliche räumliche Tiefe ausgezeichnet sind – eine Tiefe, die wohl auf die Aneinanderreihung der Gebäude, aber auch auf die durchdachte Farbgebung zurückzuführen ist.

Seine Lübecker Skizzen konnten Feininger noch inspirieren, als er sich längst wieder in den USA eingelebt hatte. Sie mussten es sogar, denn die amerikanische Landschaft sagte ihm nicht zu, und so griff er auf seine alten Notizen wie auf seine Erinnerungen zurück und schuf eine Kohlezeichnung, »Old World Architecture« betitelt, ein »Lübeck« genanntes, sehr schönes Aquarell und, 1953 und damit nicht lange vor seinem Tod, das ebenfalls im Behnhaus ausgestellte Ölbild »Shadow of Dissolution«, das die Schmiedestraße zeigt – allerdings in einem, wie es der Titel verspricht, fortgeschrittenen Zustand der Auflösung. Weil der Künstler selbst die Farbe an einigen Stellen abkratzte, sind die typischen Giebelformen kaum noch zu erkennen. Dieses Bild wirkt längst nicht so dicht und geschlossen, so durchgearbeitet und konzentriert wie das ältere Gemälde.

Von den sieben erhaltenen Bleistiftskizzen, die Feininger in Lübeck anfertigte, sind nur zwei Teil der Ausstellung, aber alle werden im Katalog abgebildet. Gezeigt werden auch die Fotos, die Feiningers Sohn Laurence einige Jahre später in Lübeck aufnahm – eventuell sogar für seinen Vater oder in Absprache mit diesem. Diese Bilder, die sich alle auch im Katalog finden, besitzen aber wohl eher dokumentarischen Charakter und nur eine eingeschränkte Bedeutung.

Ein ganzer Raum ist den Zeichnungen Feiningers aus Lüneburg gewidmet, wo er sich länger aufgehalten hat als in Lübeck, aus dem ihn die sommerliche Hitze schon bald an den Strand vertrieb. Sonst werden noch zahlreiche Skizzen und einige schöne Aquarelle aus der Lübecker Bucht und von Fehmarn gezeigt, von denen manche von fern an Caspar David Friedrich erinnern: Der Horizont ist tief, vorne bewegt sich eine kleine Figur, und alles wirkt sehr ruhig. Zwei Jahre später verbrachte Feininger einen Sommer in der Gesellschaft von Freunden (dazu zählte auch Kandinsky) in Timmendorfer Strand, also in unmittelbarer Nähe Lübecks, aber offenbar ohne die Stadt noch einmal zu besuchen. Auch in dieser Zeit entstanden viele schöne Blätter.

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