Ausstellungsbesprechungen

Maria Lassnig – Das neunte Jahrzehnt. MUMOK, Museum Moderner Kunst, Stiftung Ludwig, Wien, bis 17. Mai 2009

Es könnte nahezu jedes reife Jahrzehnt dieser vitalsten aller Künstler(innen) jenseits der 80 sein. Wo sind die betagten Herren, die jene fast jugendliche Frische aufweisen wie Louise Bourgeois (geb. 1911), Gertrud Tonne (geb. 1920), Gisèle Waterschoot van der Gracht (geb. 1912), um nur einige zu nennen? Menschliche Leiber erfüllen, mal kraftstrotzend, mal deformiert die Etagen der Sonderausstellung des Wiener MUMOK, und man mag kaum glauben, dass diese farbenprächtigen, dynamischen Bilder von einer Malerin stammen, die auf neun Jahrzehnte zurückblickt.

Das ist kein Spätwerk. Oder ist es womöglich so, dass dieses erstaunlich beständige Werk seine jungwilde Präsenz dem Umstand verdankt, dass die Schnittflächen zwischen figurativer und abstrakter Kunst ihre Schärfe verloren haben und sogar spielerisch gegen- und miteinander auf einer Leinwand thematisiert werden? Wie auch immer, im Interview gab sich die Lassnig besorgt, dass der Titel sie so alt machen könnte, wie sie ist, wie sie sich aber offenbar nicht fühlt.

Es sind schon zeitliche Dimensionen: In den 1940er Jahren begann Maria Lassnig, ihren Stil an den sogenannten »Körperbewusstseinsbildern« entlang zu schärfen, dem konservativen Bodensatz ihrer Akademiejahre war sie längst entwachsen. Geht man nun durch die Räume des MUMOK, das die Malerei der vergangenen zehn Jahre ins Zentrum stellt – in Köln waren jüngst die Zeichnungen und Aquarelle zu sehen –, könnte man reflexartig »gelb, orange« nennen, dann »Selbstfindung« und »Deformation«, wenn man denn zu spontanen Assoziationen animiert würde. Dabei scheint es fast so, dass einem die letztgenannten Begriffe in wechselnder Reihenfolge oder auch gleichzeitig in den Sinn kommen könnten. Die Drastik in der Selbstdarstellung geht bis zur Konfrontation mit der eigenen Person – dem Titel nach konstatiert sie mal zwei, mal drei »... Arten zu sein«, so dass man das Gemälde »Du oder Ich« doppeldeutig als Auseinandersetzung mit dem betrachtenden Gegenüber und mit sich selbst deuten könnte – die nackte Frau, natürlich ein Selbstbildnis, eine Pistole gegen sich und eine andere nach vorn haltend, lässt einen schon stramm stehen. Auch mitfühlen: Spannung durchzieht die Alter-Ego-Protagonist(inn)en bis an die Grenzen.

Fasziniert und gebannt lässt man sich hineinziehen in eine durch und durch phantastische Welt, die jene selbstzerstörerischen Kräfte ohne Larmoyanz oder übertriebenen Pathos oder gar Häme vor Augen führt. Im Gegenteil, mit einiger Ironie entwirft Lassnig einen Kosmos, in dem sogar Mensch und Tier in einem lustvollen Mit-, Gegen- und Durcheinander existieren – mit Bilderfindungen, die so frech und frisch, witzig und gewitzt auf uns überspringen, dass es eine Freude ist, sie zu sehen. Und sehenden Auges erkennen wir wohl, dass der Fisch – Herr über versunkene Städte –, der die Schwimmerin beißt, nur Unheil verkünden kann. Doch was soll man auch machen: In der phantastischen Kunstwelt deformiert sich alles zu einem Ganzen, dem man eben nicht entkommen kann und auch nicht entkommen muss. »Es ist sicher, ich male und zeichne nicht den "Gegenstand" Körper, sondern ich male Empfindungen vom Körper«, bekennt Maria Lassnig. Dass die einst mit Paul Celan befreundete und mit André Breton hadernde Malerin allerdings genau weiß, die Tiefen des Selbst – übrigens bekennend nicht aus nur feministischer Sicht – bis in den letzten Winkel auszuleuchten, kann man nach dem Besuch dieser großartigen Ausstellung nicht bezweifeln.

Schweigen wir von ihrem Alter und lassen den Glückwunsch zum runden Geburtstag ziffernlos im Raum stehen.

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