Ausstellungsbesprechungen

Maria Lassnig. Im Möglichkeitsspiegel. Aquarelle und Zeichnungen von 1947 bis heute. Museum Ludwig in Köln

Wie kommt das Innere nach Außen? Die Österreicherin Maria Lassnig widmet sich seit gut sechzig Jahren der Frage, wie sie ihr Körpergefühl künstlerisch darstellen kann. Ihre Zeichnungen bieten ihr die schnellste Möglichkeit, diese Innenwelt in einer äußeren Anschauungsform zu bannen. Denn das Ereignis dieser einen Empfindung ist flüchtig, es verändert sich mitunter rapide. Unsere Rezensentin Anna Fricke hat die Ausstellung in Köln für PKG besucht, die noch bis zum 14. Juni zu sehen ist.

Was dem Betrachter in der äußeren Form ihrer Werke gegenübertritt, befindet sich auf der Grenze zwischen formaler Abstraktion und realer Figuration. Lassnig schloss ihr Studium an der Wiener Akademie der Künste 1954 bei Albert Paris Gütersloh ab. Sie lebte in Paris und New York, bevor sie 1980 an die Hochschule für angewandte Kunst in Wien berufen wurde. Stilistisch wird sie immer wieder mit Francis Bacon und Egon Schiele verglichen.

In der aktuellen Ausstellung zu Lassnigs 90. Geburtstag im Kölner Museum Ludwig stehen ihre Zeichnungen und Aquarelle im Zentrum, dazu sind einige von Lassnigs humorvollen Zeichentrickfilmen zu sehen, die vorwiegend aus den 70er Jahren stammen. Aufgrund der enormen Zeitspanne der Werkauswahl (1947-2008), lassen sich bei aller Kontinuität ihrer Fragestellung doch eindeutige Entwicklungen erkennen. Im Museum Moderne Kunst Stiftung Ludwig in Wien ist übrigens derzeit Lassnigs malerisches Spätwerk zu sehen.

In den 50er Jahren entstehen ihre eindrucksvollen „Unselbstständigkeit“, informelle Zeichnungen, die sie selber heute noch besonders schätzt. Es überlagern sich hier meist palimpsestartig mehrere Schichten vorwiegend runder Formen, verblasste graue im Hintergrund und deutliche schwarze im Vordergrund. Diese Werke stellen eine radikale Form ihrer Körpergefühlsausdrücke dar. Der Körper verschwindet hier als Ab-Bild gänzlich, aber er bleibt das bildgebende Element.

Oswald Wiener, einst Literat der Wiener Gruppe und Professor für Ästhetik an der Kunstakademie Düsseldorf, zeigte sich besonders beeindruckt von Lassnigs Bewusstseinsbildern, die er selber aus der Perspektive der Logik und der Sprachwissenschaft untersucht hat. In den späten 70er Jahren versucht Lassnig, unter strenger, fast wissenschaftlicher Selbstbeobachtung diejenigen Bilder auf Papier zu bannen, die sich vor unserem inneren Auge zeigen. Erneut findet also ein Transport des Inneren nach außen statt. Dies geht mit einer Transformation einher, die zwar jede künstlerische Umsetzung mit sich bringt, doch Lassnigs Arbeitsweise nimmt ihren Ausgangspunkt hier bei geistigen Bildern, die eine eigenständige, relativ unerforschte Entität besitzen. Elisabeth Bronfen spricht diesbezüglich von einer „Umschrift des Imaginären“. Diese Aquarelle zeigen abstrakte Strukturen, wie wir sie mit geschlossenen Augen sehen (je nach äußerer Lichteinwirkung), oder solche, die zeigen, was Lassnig sich in diesem Moment vorgestellt hat, beispielsweise Hunde.

Charakteristisch für Lassnigs Zeichnungen der letzen 20 Jahre sind farbige Hintergründe, die sie gern in einem strahlenden, warmen Gelb hält. Davor sind Figuren zu sehen, die mit wenigen Strichen skizziert sind und fragmentiert erscheinen. „Da habe ich zum Beispiel eine realistische Nase gemalt, dafür keinen Mund, weil ich keinen Mund gefühlt habe“, begründet Lassnig dies. Erstaunlich ist aber, dass man die dargestellten Personen, oft sie selbst, in ihren wesentlichen Zügen trotzdem erfassen kann, wie beispielsweise in „Selbstporträt im Möglichkeitsspiegel“ von 2001. Teilweise hat man als Betrachter tatsächlich den Eindruck, die Befindlichkeit der gezeigten Person erahnen zu können.
Dieser Eindruck stellt sich auch ein, wenn Lassnig Mensch und Gegenstand miteinander verschmelzen lässt, ein Stilmittel, welches sich wie ein roter Faden durch ihr Œuvre zieht. Diese Werke strotzen vor Humor und Ironie, sind aber zugleich in ihrem Ausdruck respektive ihrer Aussage bitterernst. Herausragend ist etwa ihre skurrile Inszenierung von Laufkrücken, die sie zu Teilen des Körpers werden lässt und die die Agilität des Körpers geradezu beflügeln. In drei Aquarellen von 2005, die Lassnig ohne Titel ließ, turnen und marschieren die dargestellten Körper mit ihren Krücken, auch für ein kleines Schläfchen bieten die Krücken das geeignete Gerüst. Der Lassnig eigene Humor kommt gleichsam potenziert in ihren Filmen zum Ausdruck: Stühle tanzen in „Chairs“ von 1971 menschengleich zur Musik, und ein fülliges Mädchen singt in „Palmistry“ von 1973 von ihrem Unwillen dünn zu werden, da dies doch nur dazu diene, den Männern zu gefallen, und schaufelt währenddessen unablässig Pralinen in sich hinein.
Lassnig gelingt es, für das innere \'Sehen\' ihrer Körpergefühle eine entsprechende Form auf dem Papier, der Leinwand, in der Skulptur oder in den Zeichnungen für ihre Animationsfilme zu finden.

Die beeindruckende innere Schlüssigkeit und Kontinuität ihres Œuvres kommt in der Kölner Ausstellung gut zum Tragen. Der Verzicht auf ihre Ölbilder und Skulpturen steht dem Verständnis ihrer künstlerischen Entwicklung dabei erstaunlich wenig im Wege.
 

Weitere Informationen

Zur Ausstellung ist im Hatje Cantz Verlag ein Katalog erschienen. Nähere Informationen sowie die Bestellmöglichkeit finden Sie unten im Buchtipp.

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