Buchrezensionen

Marina Dmitrieva/Bálint Kovács (Hrsg.): Die Kunst der Armenier im östlichen Europa, Böhlau 2014

Uralte Kulturgebiete liegen zwischen Elbrus und Ararat, zwischen Schwarzem und Kaspischem Meer. Die Geschichte der Völker in diesem Gebiet an der Grenze zwischen Europa und Asien, zwischen Christentum und Islam war und ist bis in unsere Tage bewegt. Die von armenischen Künstlern geschaffenen Werke spiegeln ihre multiethnische und plurikonfessionelle Umgebung wider, ohne dabei ihre ursprünglichen Traditionen aus dem Mittleren Osten und Kleinasien zu verleugnen. Marco Hompes ist ihren Spuren gefolgt.

Am Anfang des Bands über »Die Kunst der Armenier im östlichen Europa« steht die Überlegung, was passiert, wenn eine Volksgruppe zur Migration gezwungen ist und sich in neuen geografischen, kulturellen und religiösen Kontexten wiederfindet. Inwiefern kann die Adoption lokaler Gegebenheiten bei gleichzeitiger Bewahrung der eigenen Identitätsmerkmale gelingen? Welche Kompromisse müssen hierbei eingegangen werden? Dass gerade die Armenier innerhalb dieser Fragestellungen ein spannendes Forschungsfeld darstellen, wird im Laufe der Lektüre eindrücklich deutlich. Die 16 Aufsätze, davon die Hälfte auf Englisch, sind in drei Überkapitel unterteilt und veranschaulichen geografische, geschichtliche und kulturhistorische Zusammenhänge der armenischen Bevölkerung in Ost- und Mitteleuropa.

Eine ganze Reihe der Textbeiträge beginnt jeweils mit einer kurzen historischen Zusammenfassung, weshalb sich die wichtigsten Randdaten im Buch häufig wiederholen. Die Präsenz der Armenier im östlichen Europa wird hierbei in der Regel durch zwei Bedingungen erklärt. Zum einen, so heißt es, seien sie bereits im Mittelalter als Händler nach Europa gekommen. Hier dominierten sie den Orienthandel, vor allem mit Luxusgütern. Zum anderen waren sie durch Invasionen, Naturkatastrophen und Kriege immer wieder zur Migration gezwungen. Die nahezu durchweg positiv gestimmten Darstellungen zeichnen ein Bild des Progresses, in dem die Armenier in der Diaspora durch ihr handwerkliches Können, ihre hohe Anpassungsfähigkeit und ihr Handelsgeschick zur Blüte der jeweiligen Orte und Regionen beitrugen. Mit den königlichen Privilegien, der armenisch-katholischen Kirchenunion (1639) und der Möglichkeit ab dem 17. Jahrhundert der Malerzunft beizutreten, setzten Assimilierungsprozesse ein, die zunehmend zum Verlust der armenischen Eigenheiten und sogar der Sprache führten. Daher wundert es nicht, dass die Frage nach der eigenen Identität Ende des 19. Jahrhunderts wichtig wurde und zur wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Geschichte führte. Dies resultierte beispielsweise in Gründung von Museen, wie es in Waldemar Delguas Beitrag über die armenische Kunst in Polen, Irina Hajuks Text über das armenische Museum in L’viv (Ukraine) und in Bálint Kovács Darstellung des Museums in Gherla (auch Armenierstadt genannt) deutlich wird. Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs endeten derartige Bestrebungen in weiten Teilen. Genau an dieser Stelle knüpfen die Autorinnen und Autoren dieses Bands wieder an. So schließen damit eine wissenschaftliche Lücke, dieses noch lange nicht zur Gänze erforschten Bereichs.

Deutlich wird in der Publikation beispielsweise, welches die wichtigsten armenischen Siedlungen waren. Hier zu nennen ist vor allem das ukrainische L’viv, im Textband meist mit dem deutschen Namen Lemberg bezeichnet. Seit 1364 war die Stadt Sitz eines armenischen Bischofs. Vermutlich in diesem Zusammenhang entstand auch die armenische Mariä-Entschlafungskathedrale, die auch heute noch beeindruckt. Ihre Historie, die von ihrer Errichtung im 14. Jahrhundert bis zur Restitution an die armenisch-katholische Gemeinde 2003 reicht, wurde von Irina Hajuk kenntnisreich beschrieben. Vier der insgesamt 27 Farbtafeln des Buchs gelten dem Bau. Darunter befinden sich auch drei Aufnahme mit dem beeindruckenden Innenraum, der vor allem durch Jan Henryk Rosens magische Fresken (1925-1929) besticht. Neben der westukrainischen Stadt erhält wohl das siebenbürgische Armenierstadt die meiste Aufmerksamkeit im Band. Komplementiert wird der bereits erwähnte Text zu dem dortigen Museum durch zwei Beiträge über die Architekturgeschichte des Ortes, einer von Virgil Pop, ein weiterer von Máté Tamáska. Des Weiteren analysiert Emese Pál die dortigen Heiligendarstellungen und rundet dadurch das Bild der armenischen Kultur in Siebenbürgen ab. Auch die polnische Stadt Zamość gehört zu den historischen Zentren, wie es Piotr Kondraciuk anhand dortiger Bauwerke verdeutlicht. 1580 wurde die Stadt gegründet und folgte in ihrer städtebaulichen Konzeption den italienischen Vorstellungen und Theorien einer renaissancistischen Idealstadt. Die dort ansässigen Armenier bauten im frühen 17. Jahrhundert Wohnhäuser, die im Wesentlichen den gegebenen architektonischen Wünschen entsprachen. Genuin ist hierbei jedoch das Dekor im Inneren und an den Fassaden. Diese sind gemäß dem Autor eine Kombination aus italienischer Renaissance, niederländischem Barock und orientalischer Tradition. Den künstlerischen und kunsthandwerklichen Einfluss der Armenier erarbeiteten Irina N. Skvortsova am Beispiel der Seidenweberei in Weißrussland und Levon Chookaszian im Zusammenhang illuminierter Handschriften auf der Krim.

Am Ende der durchaus lehrreichen Zusammenstellung gewinnt man den Eindruck, dass die Armenier im östlichen Europa durchaus die Kultur der jeweils beschriebenen Region beeinflusst haben. Ihr Beitrag blieb jedoch in der Regel diskret, stark angepasst an bereits vorherrschende Stile und Entwicklungen und dadurch äußerst subtil.

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