Buchrezensionen

Marthe Kretzschmar: Herrscherbilder aus Wachs. Lebensgroße Porträts politischer Machthaber in der frühen Neuzeit, Reimer 2014

Lebensgroße keroplastische Porträtfiguren kennen wir heute vor allem aus Wachsfigurenkabinetten und als touristische Attraktion. Innerhalb der höfischen Residenzkultur der Frühen Neuzeit dagegen erfüllten sie auch politisch-repräsentative Funktionen. Die Studie widmet sich explizit dieser besonderen Porträtgattung und zeigt, wie das wächserne Körperdouble das Erscheinungsbild der Regenten inszenierte. Christian Welzbacher weiß mehr.

Seit Wachsfiguren in Panoptiken und Kuriositätenkabinetten bestaunt werden – seit dem 19. Jahrhundert also – ist es kaum mehr nachvollziehbar, dass sie einst als Kunst gehandelt wurden, die Zwecken höchster Repräsentation diente. So muss die Kunsthistorikerin Marthe Kretzschmar die moderne Wahrnehmung von »Herrscherbildern aus Wachs« schon in den ersten Seiten ihrer nun als Buch vorliegenden Dissertation durchbrechen, um die hohe Wertschätzung von Keroplastik zwischen 1500 und 1800 zu verdeutlichen. Zu dieser Zeit stand das »Bossieren in Wachs« in direkter Konkurrenz mit der Bildhauerei in Holz und Stein, ein wahrhafter Paragone um die Lebensechtheit der Figuren tobte, den das Wachs aufgrund seiner spezifischen materiellen Qualitäten gewann. Allein die Vielfalt und Wirkungsmacht des Einsatzes von Wachsfiguren, den Kretzschmar auffächert, offenbart die damalige Bedeutung: Votivgebrauch, Ahnenporträts, Funeralzeremoniell, magische Praktiken, Anatomiestudien, freie Bildplastik und politische Repräsentation.

Nun hat die Kunstgeschichte, besonders dank Julius von Schlosser, Kunstkammern und Wachsfiguren schon um 1900 als Gegenstand entdeckt, in den 1980er Jahren dann im Zuge der entstehenden Bildwissenschaft wiederentdeckt. Einiges an Wissen ist also bereits vorhanden, manches an Interpretation geleistet. Kretzschmar hat es sich daher zur Aufgabe gemacht, das bisher Erforschte akribisch zu bündeln und derart zu systematisieren, dass der Leser einen umfassenden Zugriff darauf hat. Diese Aufgabe ist durchaus gelungen, wenngleich der Text auch in der publizierten Form unverkennbar eine akademische Qualifikationsschrift geblieben ist, der Leser also ohne rhetorische Verve und essayistische Pointiertheit auskommen muss.

Interessant wird die Arbeit immer dort, wo die Autorin ihren kunstgeschichtlichen Gegenstand in den großen Kontext aus Kultur, Geschichte und Repräsentation einordnet. Instruktiv ist beispielsweise ein längerer Abschnitt der sich mit Antikenrezeption im frühneuzeitlichen Begräbniskultus befasst, die sich nicht nur auf Trauerkondukte oder Grabmonumente, sondern eben auch den Gebrauch wächserner Abbilder des Verstorbenen bezieht. Dass verblichene Könige zwischen Begräbnis und Inthronisation des Nachfolgers als »lebende« oder »tote« Wachsplastik weiter Regentschaft hielten (die auch außerhalb der Forschungskreise wohl bekannteste Verwendung von Keroplastik) – ein in Frankreich, Italien und England, auch in manch deutschem Fürstentümern gängiges Procedere – hat hier seinen Ursprung.

Die Wachsfigur trat also genau in jenem Moment auf den Plan, da sich ein Herrscher in einem imaginierten Zwischenstadium von Leben (Regentschaft) und Tod (Regentschaft des Nachfolgers) befand. Und das Wachs war es, das dieses »in between« wie kein anderes Material evozieren konnte. Lebensechtheit (Kretzschmar spricht von Verismus) bis zur Verblüffung der Besucher solcher Figuren: das allein ließ sich mit einem leicht formbaren, hautartig opaken Material darstellen, dessen Färbung Teint, Pickel, Bartstoppel und auch Falten imitieren konnte. Kretzschmar kommt daher ausführlich auf die merkwürdigen Schaurituale zu sprechen, in denen Wachsfiguren ihren Auftritt hatten. Man muss sich das wie eine stilisierte Theatervorführung vorstellen, bei der die Affekte der Zuschauer sich auf die Wachsfigur (den Star der Veranstaltung) konzentrierten: es ging um Re-Aktion, ja um Inter-Aktion der Lebenden mit dem Scheinleib, der den Herrscher, aber auch seine Macht, über den Tod hinaus vertrat und der auch in seiner wächsernen Form Unterwerfung verlangte.

Bereits im 18. Jahrhundert waren Wachsfiguren Teil von adligen Ahnengalerien. Sie fanden ihren festen Platz in der Einrichtung von Schlössern, wo sie stumm in der Ecke standen oder auf ihren Stühlen saßen und einstaubten. Wenngleich die dem Scheinleib ursprünglich zugeschriebene Aura der Macht auch zu dieser Zeit weiter virulent blieb, die Kraft der Vergangenheit durch das ausgestellte Bildnis des Ahnen gleichsam in die Gegenwart hinüberwehte, so begann doch bereits die Musealisierung, die geradewegs ins Panoptikum führen sollte. Im Zeitalter der Aufklärung entstand die Entfremdung zwischen Mensch und Scheinmensch. Jetzt störte an den Wachsfiguren jene Lebensechtheit, um die es in früheren Jahrhunderten gerade gegangen war. Anfang des 19. Jahrhunderts löste die Keroplastik Irritation, Angst, ja Horror aus (man denke an die Schauergeschichten E.T.A. Hoffmanns). Und als sich der englische Philosoph Jeremy Bentham nach seinem Tod 1832 ausstopfen ließ, um – einen lebensechten Wachskopf auf den Schultern – fortan (und bis heute!) über „sein“ Londoner University College zu regieren, dachten Kollegen, der Mann müsse bei der Testamentsverfügung wohl irre geworden sein. Zweihundert, selbst noch fünfzig Jahre vorher war dieser vermeintliche Irrsinn: Normalität.

Kretzschmars Studie zur Wachsbildhauerei lässt sich als Geschichte vom Aufstieg und Fall eines Mediums begreifen, dessen materielle Eigenschaften eng mit gesellschaftlichen und politischen Bedürfnissen nach Repräsentation verflochten sind und das folgerichtig das Ende dieser Bedürfnisse nicht überlebt. Das Allegorische mag die Autorin dabei nicht intendiert haben. Gleichwohl entwickelt die Studie auf dieser Ebene eine ganz eigene Kraft. Denn sie regt zum generellen Nachdenken über die politisch-soziale Gebundenheit der Medien an. Auch das hier vorliegende Buch mag daher längst weniger Träger eines Textes sein (der im Internet gut aufgehoben wäre). Es ist vielmehr Zeichen einer überkommenen akademischen Repräsentation, der zukünftigen Generationen merkwürdig vorkommen wird. Dann sind die Bibliotheken das, was seit dem 19. Jahrhundert die Kuriositätenkabinette sind.

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