Buchrezensionen

Martina Bauer: Leopold Forstner (1878–1936): Ein Materialkünstler im Umkreis der Wiener Secession, Böhlau Verlag 2016

Grafiker, Designer, Mosaik- und Glaskünstler, Buchillustrator, Tischler, Kunstgewerbler. Leopold Forstner (1878–1936), seiner Zeit ein international geschätzter Meister auf dem Gebiet des Mosaiks, darf zweifellos als ein Universalgenie des Wiener Jugendstils gelten. Ausgefeilte Materialkenntnisse, handwerkliches Wissen und künstlerische Kreativität hat er in seinem Gesamtwerk zu stilistisch höchster Perfektion vereint. Dass jedoch erst die 2012 begonnene Forschungsarbeit zu seinem Nachlass nötig war, um ihn aus dem Schatten seiner prominenten Künstlerkollegen hervortreten zu lassen, verdeutlicht nun ein erstes umfangreiches Buch über sein Leben und Werk. Annkathrin Sonder hat das gelungene Werk unter die Lupe genommen.

Martina Bauer, Kunsthistorikerin und Gründungsmitglied der Leopold Forstner Gesellschaft, hat sich den Höhen und Tiefen dieser Künstlervita gewidmet. Daraus entstanden ist eine sorgfältig recherchierte Biografie, die zugleich fundierte Einblicke in den Künstlernachlass gibt. Gekonnt verknüpft die Autorin die unterschiedlichen Lebensstationen Forstners mit seiner künstlerischen Entwicklung und spannt den erzählerischen Bogen von den ersten Schaffensmomenten bis hin zur letzten Werkphase. Mit dem Band erfüllt sich nun endlich auch der ausdrückliche Wunsch des Enkels, erstmals »in einem wirklich umfassenden Buch die ganze künstlerische Bandbreite« (S. 11) seines Großvaters wiederzufinden. Ein großer Sprung in der Forschung zur Wiener Moderne und ihrer Secessionsbewegung ist damit außerdem vollbracht.

Geboren am 2. November 1878 in Leonfelden als einziges Kind eines Tischlers, entwickelte der Oberösterreicher bereits in Kindertagen einen feinen Sinn für handwerkliches Geschick. Gefördert von seinem Onkel, absolvierte er nach der Volks-, Bürger- und Staatshandwerksschule eine handwerkliche Ausbildung in der Tiroler Glasmalerei- und Mosaikwerkstatt Innsbruck. Nach einem ersten Studium an der Kunstgewerbeschule Wien, der Vorläuferin der heutigen Universität für angewandte Kunst, folgten 1902 und 1903 Studienjahre an der königlichen Akademie der Bildenden Künste bei Ludwig Herterich in München.

Aus frühen Begegnungen mit namhaften Kunstgrößen der Wiener Moderne entwuchsen schnell intensive Kooperationen, die Forstner erste Aufträge zusicherten und seine künstlerische Laufbahn voranbrachten. Bereits 1902 trat der Absolvent Kolo Mosers durch Holzschnitte im Flächenstil, die er bei der Ausstellung Wiener Kunst im Hause der Secession präsentierte, an die breitere Öffentlichkeit heran. Zeittypisch waren seine unterschiedlichen Lösungen im Umgang mit Linie und Fläche. Innovative Ideen, dekorative Elemente und die Suche nach dem eigenen künstlerischen Stil belegen seine ersten Aufträge als Buchillustrator, Zeichner und Werbegrafiker.

Prominent wurde Forstners Frühwerk durch die Programmzeitschrift »Ver Sacrum« der Vereinigung bildender Künstler Österreichs. Nach der Gründung seiner Wiener Mosaikwerkstätte 1908 präsentierte der junge Künstler noch in demselben Jahr kombinierte Mosaike auf der Wiener Kunstschau, einer von Gustav Klimt und Josef Hoffmann initiierten Ausstellung von erstklassigem Rang.

Die Wiener Kunstschauen von 1908 und 1909, bestimmt durch das Leitmotto »das zweckmäßig Schöne«, waren Plattformen für namhafte Künstler aller Kunstbereiche. Denn insbesondere Kunstschaffende des 19. und 20. Jahrhunderts waren sowohl finanziell als auch künstlerisch auf ihre Patrone, Mäzene und das gehobene Bürgertum angewiesen. Das Resultat von Forstners Bemühungen bestand in einem feingliedrigen Netzwerk an zuverlässigen Fürsprechern und Auftragsvermittlern.

Doch um in die Ewigkeit einzugehen, um mit den Worten Domenico Ghirlandaios (1449-1494) »pittura per l’eternità« zu sein, stellt das Mosaik technisch höchst diffizile Anforderungen. Das beweist beispielsweise ein von Klimt entworfener Fries für das Speisezimmer des Palais Stoclet in Brüssel, der das Motiv des Lebensbaumes in sieben Metern Länge ausspielt: Goldene, volutenförmige Verästelungen füllen die gesamte Bildfläche. Als eines der kostspieligsten Meisterwerke seiner Epoche und Paradebeispiel der Idee des »Gesamtkunstwerks« des Wiener Jugendstils ist es in die Kunstgeschichte eingegangen. Der Ruhm jedoch galt Gustav Klimt, Forstners konzeptionell beachtliche Leistung wurde hingegen kaum gewürdigt. Seine Mosaikwerkstätte sah man – wie so häufig – lediglich als pragmatisch ausführende Hand.

Weshalb der erstklassige Forstner bis heute vernachlässigt wird, wenn es um das Wiener Fin de Siècle geht, lässt sich auch anhand des Hochaltarmosaiks für die Otto-Wagner-Kirche am Steinhof nachvollziehen. Problematisch ist wie bei dem Stoclet-Fries auch hier die unklare Zuschreibung der Urheberschaft, die zu Forstners Unmut in einem Fall zugunsten Klimts und im anderen Fall zugunsten Remigius Geylings ausfiel. Der mit der Arbeit beauftragte Geyling stand jedoch ebenso ratlos wie Klimt vor der Herausforderung, das 84,8 m2 große und vier Tonnen schwere Altarmosaik selbständig umzusetzen. Alleiniger Ruhm gebührte ihm nach der Ausführung aber dennoch.

Umso bedauerlicher scheint diese Geringschätzung gegenüber Forstner, wenn man nicht nur die Bandbreite seines Werkes, sondern auch sein Verdienst für den Wiener Jugendstil beachtet. Denn entsprechend dem zeitgenössischen Kunstgeschmack initiierte er im großformatigen Mosaik und später im Plattenmosaik einen nie zuvor da gewesenen Dialog der Materialien. Wie kein anderer Künstler seiner Zeit trug er durch seine Experimentierfreude mit Marmor, Keramik, Email und Kupfer zur kombinierten Mosaiktechnik bei, die sich als ein Juwel des Jugendstils und zugleich künstlerische Signatur Forstners ins öffentliche Bewusstsein einschrieb.

Neben den kirchlichen Aufträgen, die zwischen 1910–1915 für seine beachtenswerte künstlerische Reputation sorgten, gründete der Mosaik-Künstler gemeinsam mit dem Architekten Cesar Poppovits und dem Maler Alfred Basel das Unternehmen »Wiener Friedhofskunst«. So sollte auch das Grabmal der Jahrhundertwende zu seinen individuellen, materialästhetisch hohen Wurzeln zurückfinden. Die Reflexion über den Stellenwert der Kunst im gesellschaftlichen Gedächtnis und der innovative Blick über den nationalen Tellerrand hinaus waren Punkte, die Forstner in seinen Notaten ausdrücklich vermerkte.

Den Klauen des ausbrechenden Ersten Weltkrieges entkam er mit einer enormen Portion Glück. Anstatt an die Front geschickt zu werden, wurde er 1915 als Sammeloffizier für Expansionen in die besetzten Balkangebiete einberufen, sammelte und dokumentierte Kulturgut als Belege des Alltags dortiger Bevölkerungen. Bis mit dem Kriegsende nicht nur das Ende der Monarchie, sondern auch das Ende des Jugendstils eintrat.

Ein neuer Zeitgeist stellte ebenso neue Anforderungen an die Kunst. Wiederaufbau und sozialer Wohnungsbau entwickelten sich in einem völlig dem Jugendstildekor entgegengesetzten Stil. »Übersichtlichkeit und Klarheit« (S. 195) galten nun als die höchsten Maximen. Und Forstner, der viele Neuanfänge gewagt, geschäftliche Niederlagen und finanzielle Engpässe überstanden hatte, passte sich diesem neuen Zeitgeist an. Er zog mit seiner Familie endgültig nach Stockerau, wo er 1919 mit der Erzeugung von Edelglas begann, aber wenig erfolgreich war. Es folgten die Gründung einer Werkstätte für Innendesign sowie eine Tischlerlehre in bereits fortgeschrittenem Alter. Neben seiner Anstellung als Zeichenlehrer am Gymnasium in Hollabrunn, die er bis zu seinem Tod am 5. November 1936 innehatte, betätigte er sich als Kurator und Journalist. Aus diesen eigentlich aus Geldsorgen angenommenen Tätigkeiten zum Broterwerb erwuchs schnell die Freude im Umgang mit seinen Schülern. Seine Notlage wusste Forstner mit seiner fortschrittlichen, flexiblen Lebensweise in eine Tugend zu verwandeln.

Künstlerisch vielschichtig und gefüllt von Neuanfängen war dieses Leben also. Die Waagschale des Erfolgs wog ebenso hoch wie jene der Schicksalsschläge, die diesen immer wieder jäh unterbrachen. Möchte man wie die Autorin zu Ende des Buchs fragen, wer dieser Mann eigentlich war, so genügt ein Blick auf die Bandbreite seines Œuvres. Denn seine weit über Österreich hinaus reichenden Kunstwerke sind Spiegelbilder nicht nur seines fortschrittlichen Denkens, sondern auch seiner bedingungslosen Hingabe an die Kunst. Wir dürfen gespannt sein, welche Forschungsarbeiten, Ausstellungen und Publikationen über diese spannende Künstlerpersönlichkeit noch folgen werden. Der Grundstein hierfür ist mit dem sorgfältig recherchierten, von Martina Bauer liebevoll verfassten und vom Böhlau-Verlag hochwertig gefertigten Buch gelegt.

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