Ausstellungsbesprechungen

Max Pechstein – ein Expressionist aus Leidenschaft, Kunsthalle zu Kiel, bis 9. Januar 2011

Max Pechstein (1881-1955) ist - neben Erich Heckel, Ernst Ludwig Kirchner und Carl Schmidt-Rottluff - ein Pionier des Expressionismus und der klassischen Moderne. Die Bedeutung seines Schaffens reicht jedoch weit über die Jahre der gemeinsamen Brückezeit hinaus. Neben Werken der modernen Klassik werden selten oder nie öffentlich gezeigte Arbeiten aus sechs Jahrzehnten vorgestellt. Günther Baumann hat sich die Ausstellung für uns angeschaut.

Es ist generell ein kühnes Vorhaben, das komplette Werk eines Künstlers exemplarisch vorzustellen. Von Monet, Picasso oder Beckmann abgesehen, stößt man zwangsläufig auf Schwachstellen, die zuweilen negativ auf den Gesamtblick wirken. Vor Enttäuschungen sind nicht einmal die ganz großen Wegbereiter der Moderne gefeit, man denke an Degas, Tolouse-Lautrec, den Zöllner Rousseau, sogar Van Gogh, oder an die Expressionisten, die oft genug nach 1920 an Kraft nachließen (wenn sie dieses Jahrzehnt überhaupt erreichten). Manchmal wünscht man sich sogar, weniger wäre mehr gewesen. Vielfach ist es erhellender, ein ausgearbeitetes Thema vorzufinden, wenn es um die Würdigung eines Künstlers geht. Max Pechstein nimmt da eine Position zwischendrin ein: Zum einen ist sein Werk weniger bekannt als das seiner Altersgenossen Heckel, Kirchner oder Schmidt-Rottluff (dem das Saarbücker Museum zur Zeit eine grandiose Schau ausgerichtet hat), dass man erfreut durch alle Lebensphasen schreitet und halbwegs berauscht die satten Farben, die leidenschaftliche Pinselführung in sich aufnimmt. Denn einen solchen Überblick gab es wohl noch nie. Und zum anderen mag man zwar mit einigem Recht die Bilder des Heranwachsenden übergehen, doch kann man sich den gekonnten Studienkopien und den bereits ausdrucksstarken Bildfindungen des jungen Malers nicht entziehen, und man darf die Augen vor dem beharrlich aufrichtigen, gemäßigt-expressiven Stil zu Zeiten des Nationalsozialismus nicht verschließen, als sich der wackere »Zu-Haus-Gebliebene« zunehmend allein vorkam und am Existenzminimum entlangmalte. Wer mag es ihm zudem verdenken, dass der betagte Künstler in den 1950er Jahren nicht mehr zu neuen Ufern aufzubrechen imstande gewesen war.

Einige Entdeckungen kann die Retrospektive außerdem präsentieren, die man im Hinblick auf das späte Schaffen sehen muss, andere tauchten erst in jüngster Zeit bei näherer Untersuchung unter dem Rückseitenfirnis oder unter jüngeren Malschichten auf. Nicht zuletzt blieb Max Pechstein sich in jeder Phase so treu, dass er wie andere Künstler auch zwar Werke schuf, die weniger gut sind, die allerdings nie so abwegig waren, dass sie sich schlecht auf das Gesamtoeuvre hätten auswirken können. Fast symbolisch kann man die brav gemalte, den Berghang hinauf strebende Geierwally des 12-/13-Jährigen und das etwas orientierungslose Strandbild des Mittfünfzigers betrachten, das er ein Jahr vor seinem Tod 1955 schuf. Besonders das späte Werk haben die Ausstellungsmacher mit Bedacht integriert. »Wie endet eigentlich «, so der Kieler Kunsthallen-Chef Peter Thurmann, »dieses Lebenswerk (…), was (…) passiert mit diesem späten Max Pechstein, der auch darauf aus ist, nach dem Zweiten Weltkrieg im Grunde ein bisschen von dem zu rekonstruieren, was er verloren hat«?

Das alles steht in einer Breite und Fülle vor uns, die selten ist: Mit der Entscheidung zum großen Ganzen eröffnen sich auch Seitenblicke auf das plastische und kunsthandwerkliche Tun sowie auf Mosaiken und Glasfensteraufträge, Briefe und andere Dokumente zum Leben Pechsteins. Indirekt wird auch sein Verhalten in der Zeit des Nationalsozialismus beleuchtet: Anders als Emil Nolde biederte er sich nicht an, bekannte sich aber demonstrativ – durch sein Verharren im Land – zu Deutschland; dafür nahm er in Kauf, dass manche der wenigen Ausstellung zwischen 1933 und 1945 von anderen diktiert wurde; für seinen Rückzug ins Landschaftlich-Unverfängliche bedurfte es keiner so großer Stilbrüche wie bei Otto Dix, dem anderen großen »Inneren« Emigranten. Auch in der späteren DDR konnte Pechstein seinen Stil fortführen, ohne wirklich anzuecken, allerdings zog er es vor, in den Westen überzuwechseln. Aya Soika, die zur Zeit am Werkverzeichnis Pechsteins arbeitet, stand der großen Pechstein-Schau tatkräftig zur Seite und ist auch als Mitherausgeberin des umfassenden Katalogs beteiligt. Rund 20 Museen und – was der Ausstellung eine besondere Note gibt – nicht weniger als 30 Privatsammler stehen hinter den 100 Ölgemälden und über 40 Zeichnungen und Grafiken, die einen schönen Querschnitt durch das künstlerische Schaffen des Malers Max Pechstein gewähren.

Weitere Informationen:

Zu sehen weiterhin im Kunstforum Ostdeutsche Galerie in Regensburg (6.März - 26.Juni 2011) und im Kunstmuseum Ahlen (10.Juli - 30. Oktober 2011).

Diese Seite teilen

Besuchen Sie uns