Buchrezensionen

Michael Schmitz: Pietro Cavallini in Santa Cecilia in Trastevere. Ein Beitrag zur römischen Malerei des Due- und Trecento, Hirmer 2013

Cavallini gehört neben Giotto zu den Wegbereitern der Renaissancemalerei und ist der wichtigste Protagonist der römischen Schule, die zwischen 1275 und1305 eine überregional folgenreiche Kunstproduktion hervorgebracht hat. Zu seinen Meisterwerken zählen die um 1300 geschaffenen Fresken in Santa Cecilia in Trastevere, die Schmitz erstmals wissenschaftlich fundiert untersucht. Walter Kayser hat sich in das Buch vertieft.

Die Kirche Santa Cecilia in Trastevere liegt nicht mitten im Zentrum jener Flaniermeile rund um die zentral gelegene Piazza von S. Maria, die aus dem Viertel „jenseits des Tibers“ in den letzten Jahren Abend für Abend ein einziges Straßenrestaurant gemacht hat. Sie ist auch nicht eine der großen Hauptkirchen, die ein Pilger seit alters her möglichst innerhalb eines einzigen Tages zu absolvieren hatte, um des Ablasses an Indulgenzien teilhaftig zu werden, welche die Kirche den Frommen vom Himmel versprach.

Dennoch, sie markiert eine der ältesten christlichen Kultstätten der Heiligen Stadt. Und wer immer auf dem Seeweg nach Rom kam, traf, vom Stadthafen Ripa Grande kommend, hier zu allererst auf die Begräbnisstätte der Heiligen Cäcilie. Deshalb besaß sie als Stations-, Pilger- und Titelkirche, die von Kardinalspriestern seelsorgerisch betreut wurde, eine herausgehobene Bedeutung.

Kunsthistorisch verbindet man mit dieser Kirche wohl in erster Linie jene so anmutig, ja fast lasziv daliegende Marmorskulptur des Stefano Maderno. Sie zeigt die junge Märtyrerin, welche, wie die Legende zu erzählen weiß, auch in dekapitiertem Zustand noch drei Tage lang Almosen an die Armen verteilte und nach mehr als 600 Jahren unverwest bestattet werden konnte.

Im Grunde gilt auch für diese Kirche, was Horst Bredekamp vor einigen Jahren für St. Peter reklamierte und eigentlich auf ganz Rom zutrifft: das Prinzip der permanenten produktiven Zerstörung und Überbauung. Immer wieder wurde die Kirche verändert und umgestaltet, und die heutige Gestalt des Innenraumes spricht die Sprache des 18. Jahrhunderts.

Das hier zur Diskussion stehende Buch versucht mit archäologischer Akribie Schicht um Schicht jenes Zustandes wieder freizulegen, wie ihn die Kirche um 1300 zeigte. Der großformatige und gewichtige Band ist aus einer an der Universität Münster betreuten Dissertation erwachsen. Ihre Ergebnisse und die umfassenden Forschungen, die Michael Schmitz bis heute vor Ort an der Bibliotheca Hertziana zu Tage fördert, sind ebenfalls so gewichtig, dass sie wohl noch mehrere andere Veröffentlichungen im Umfeld nach sich ziehen wird.

Schmitz zielt auf einen kleinen Paradigmenwechsel in der Einschätzung der frühen italienischen Kunstgeschichte. Es geht ihm um eine Neubewertung der Epochenschwelle vom Duocento zum Trecento, – vergröbert gesagt um die Frage, wer als Stammvater der italienischen Malerei anzusehen sei. Zumindest opponiert Schmitz gegen eine einseitige Überschätzung von Giotto als der einsamen Leuchtfigur der italienischen Protorenaissance. Giotto di Bondone und vielleicht noch sein Lehrer Cimabue sind ja der Inbegriff jener Neuerungen, die nicht nur der italienischen Malerei den Weg wiesen und die grob mit den Schlagwörtern „Räumlichkeit“, „Monumentalität“, „Plastizität des menschlichen Körpers“, „Wirklichkeitsnähe“, die Vorherrschaft des „disegno“ und „Psychologisierung“ zu umreißen sind.

In klischeehafter Gegenüberstellung blieb diese Einschätzung unhinterfragt und undifferenziert in den Köpfen hängen: Hie Florenz, das ausgemachte Zentrum der „ars nuova“, dort, in Siena, Venedig, Pisa und eben auch Rom, dagegen die konservative „maniera greca“, jener rückwärtsgewandte, sich in Konventionen fortschreitende Byzantinismus.

Schmitz kann und will natürlich diese These nicht umkehren, aber doch etwas an ihr kratzen. (1. Teil unverständlich) Wasser auf seine Mühlen ist die These Bruno Zanardis, der 10 Jahre lang in Assisi die Restaurierungsarbeiten leitete und bezweifelte, dass der dortige Freskenzyklus von Giotto stamme. Er brachte Pietro Cavallini ins Spiel. Schmitz behauptet nun nicht ganz zu Unrecht, dass jene hartnäckigen Stereotype von der Rückständigkeit der römischen Malerei – konkret die Mythisierung Giottos durch Vasari – auf die Mitte des 16. Jahrhunderts zurückgehe. Alles Weitere, vor allem die verbindenden Einflüsse und Wechselwirkungen zwischen Rom und Umbrien um 1300, sind nur mit größter Sorgfalt und behutsam herauszuarbeiten. Immerhin strebt erdanach, die römische Maltradition ins rechte Licht zu rücken.

Die beherrschende Gegenfigur zu Giotto war der am Anfang des 14. Jahrhunderts in Rom und Neapel tätige Pietro Cavallini. Die Fresken in S. Cecilia in Trastevere spielen in dieser Rehabilitierungskampagne eine entscheidende Schlüsselrolle. Ihre Restaurierung vor gut 10 Jahren war nur der Auftakt, denn auch in anderen römischen Kirchen, zumal in den beiden großen Apostelkirchen von Alt-St.Peter in Vaticano und San Paolo fuori le mura, ähnliche Bildprogramme vorhanden waren. Die mühsame Rekonstruktionsarbeit führt noch viele weitere Kirchen mit ihren Bildprogrammen wie Puzzleteile zusammen, die den Eindruck erhärten, man habe die römischen Maler zu Unrecht als provinziell abgetan. Vielmehr habe Cavallini neben Giotto und Duccio ein höchst eigenes Idiom entwickelt, in dem verschiedene Quellen synthetisiert wurden. Dabei geht die Beweisführung mit kriminalistischer Sorgfalt und Umsicht vor. Immerhin sind auch in S.Cecilia in Trastevere 90% der erst um 1900 wieder freigelegten Fresken von Cavallinis Werkstatt ein für alle Mal der Nachwelt verloren. Knapp 800 qm groß war das umfangreiche Bildprogramm auf den Seitenwänden des Mittelschiffs. Es umfasste neben dem Weltgericht und den Registern der thronenden Apostel als Beisitzer Szenen aus der Genesis aber auch dem Neuen Testament.

Das Bestechende an Michael Schmitz’ Publikation ist ihre Vielseitigkeit. Die Zeiten, in denen die Wissenschaft der Kunstgeschichte in die Lager der stilgeschichtlich oder ikonologisch Arbeitenden einzuteilen war, sind endgültig vorbei. Schmitz geht umfassend und systematisch zu Werke und verknüpft beispielhaft unterschiedliche methodische Ansätze. Sein Buch beginnt mit einer gründlichen historiografischen und quellenbezogenen Betrachtung und endet mit einer ebensolchen Aufarbeitung der Rezeption. Gattungsübergreifend werden die Bilder auf die Architektur bezogen oder die Auftraggeber unter die Lupe genommen. Neben stilgeschichtlicher Händescheidung und genauem Studium der Maltechnik der Cavallini-Werkstatt stehen sozialgeschichtliche Einblicke in die Organisation und Funktionsweise einer mittelalterlichen Bottega. Hierbei konnte sich Schmitz auf die Arbeit der Restauratoren stützen, welche auch die Tagwerke der Freskanten sichtbar werden ließen. Neue Bauaufnahmen gelangen mit technisch modernster, computergestützter Apparatur, einem tachymetrischen Vermessungsinstrument, das den Vertikal- und Horizontalwinkel mittels Laser aufnehmen und Verzerrungen ausgleichen konnte. So gelang die glaubwürdige Rekonstruktion des damals schon 500 Jahre bestehenden karolingischen Architekturrahmens.

Vom Verfasser sind sicherlich weitere Arbeiten zu diesem Thema zu erwarten. Die Wechselwirkungen zwischen den verschiedenen italienischen Kunstzentren scheinen noch längst nicht geklärt, Neubewertungen zeichnen sich ab, - nicht nur was die Entwicklung der römischen Malerei nach Cavallinis Übersiedlung nach Neapel im Jahre 1308 und dem Verlust des römischen Pontifikat nach Avignon angeht.

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