Ausstellungsbesprechungen

Mucha – Manga – Mystery. Alphonse Muchas wegweisende Grafik, Museum Bellerive, Zürich, bis 14. Juli 2013

Jugendstil und Manga? Wie beides zusammengeht, beleuchtet das Zürcher Museum in seiner Ausstellung über den tschechischen Grafiker Alphonse Mucha (1860-1939). Rowena Fuß hat sich das angeschaut.

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Zwei Mädchen inmitten eines Blütenwirbels, die Haare flattern, ein Rock bauscht sich. Das ist die erste Erinnerung, die in meinem Gedächtnis haften bleibt. Es ist eine Szene aus dem japanischen Anime »The Adolescence of Utena« (1999). Vielleicht liegt es an der unbeschwerten Leichtigkeit des Moments, vielleicht aber auch an den beiden reizenden Geschöpfen. Mit ein wenig Fantasie erkennt man den Künstler, der hier Pate stand: Alphonse Mucha.

Bereits in den letzten Jahren vor der Jahrhundertwende war der tschechische Illustrator und Gestalter von Büchern und Magazinen (1860–1939) in Paris ein Star. Seinen herausragenden Platz in der Kunstgeschichte und im Bildgedächtnis späterer Generationen verdankt er seiner großformatigen Druckgrafik: Ornamentale Theaterplakate und anmutige Produktwerbungen mit sinnlichen Frauenfiguren.

Ausgehend von der Strahlkraft seines Schaffens begibt sich die Ausstellung auf Spurensuche in späteren Zeitabschnitten, was zu vielfältigen Begegnungen, v.a. im Grafikdesign, führt. Übrigens legte Mucha selbst den Grundstein für seine Rezeption: 1902 fertigte er ein Vorlagenbuch an, die »Documents décoratifs«.

Den mit Abstand abstraktesten Bezug zum tschechischen Jugendstilkünstler repräsentiert in der Japanecke wohl der Anime »Ghost in the Shell« (1995). Hier liegt die Verbindung zu Mucha im Verb „fließen“. Die Hauptprotagonistin des Anime, ein Cyborg, entsteht in einer Nährlösung und pflegt auch im weiteren Filmverlauf eine Affinität zum Wasser: Tauchgänge dienen ihr beispielsweise als Fluchtmöglichkeit vor ihrem Job als Polizistin. Oft sieht der Betrachter daher Szenen, in denen die jeweilige Flüssigkeit von ihr abperlt. Hinzu kommt die symbolische und mystische Bedeutung von Wasser als Urgrund und Medium des Übergangs (z.B. in der Taufe). Bemerkenswert ist, dass das, was Alphonse Mucha einst aus der japanischen Kunst in sein Werk einfließen ließ, nun in den zeitgenössischen Mangas wieder auf Japan zurückstrahlt.

Doch nicht nur die japanischen Zeichentrickfilme und Comics, sondern auch Konzertplakate der 1960er/70er verweisen auf Mucha als Inspirationsquelle für die Popkultur. Insbesondere seine verschlungenen folkloristischen Ornamente und die blumengeschmückten weiblichen Hauptprotagonisten hatten es den Gestaltern angetan. Sie passten auch nur zu gut in die Hippie-Ära. »Don't you want somebody to love « tönt es dazu leise aus einem Kopfhörer, der unter einem Plattencover von Jimi Hendrix liegt.

Alphonse Mucha wäre jedoch nie so erfolgreich gewesen, hätte ihn nicht auch eine leibhaftige Frau unterstützt: Sarah Bernhardt.  Sie sicherte ihm anfangs Aufträge und propagierte seine Entwürfe. Auf einem Plakat zu ihrem Stück »Gismonda« machte er die französische Schauspielerin und Operndiva zur Kultfigur, ja zur Muse der Belle Époque. Das schmale, fast lebensgroße Hochformat, das er von japanischen Rollbildern übernahm, erregte Anfang Januar 1895 reichlich Aufmerksamkeit in den Pariser Straßen. Als Motiv hatte er die Prozessionsszene aus dem letzten Akt des Stücks gewählt, die die Diva in einem reich verzierten, wallenden Priestergewand mit Palmwedel in der Hand vor einem mosaikgleichen Hintergrund zeigt.

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Göttergleiche weibliche Hauptfiguren wurden in weiteren Plakataufträgen zu »Botschafterinnen des Konsums«: Nachdenklich-verträumt preist etwa eine Brünette den Genuss von Zigaretten der Marke JOB an. Mütterliche Fürsorglichkeit repräsentiert hingegen die Blondine auf einem Maggi-Poster.

Anfang und Schluss der Schau bildet jeweils ein Einblick ins „Labor“: Muchas Atelier. Dieser Raum ist in der ersten Aufnahme ein wildes Sammelsurium an Gegenständen: Antike Skulpturen, orientalische Palmen, Kissen, Papiere und ein Bärenpelz sind nur einige Dinge, die sich bei näherer Betrachtung zeigen.

In der zweiten Fotografie wird das Atelier als Treffpunkt und Arbeitsplatz beschrieben. Die zur Diashow aneinander gereihten Bilder zeigen hier tanzende oder posierende Modelle – etwa in einem Lehnstuhl – sowie Paul Gauguin, auf Muchas Harmonium spielend.

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Es ist natürlich genial, den Ort der künstlerischen Produktion so in die Ausstellung einzubinden. Ohnehin überzeugt das Konzept der Zürcher Schau völlig: Exponate und Präsentationsformen ergeben ein harmonisches Zusammenspiel. Ein synoptisches Video zu Leben und Werk Muchas im Erdgeschoss ist der ideale Einstieg. Die verschiedenen Themenräume fächern im Anschluss die Einzelheiten seines Schaffens auf und erklären Motive sowie Rezeptionsstränge. In der Manga-Sektion kann der Besucher sogar selbst kreativ werden – dort existiert eine Malwerkstatt. Die Ausstellungsarchitektur ist dabei schlicht. Eine meist graue Wandfarbe bildet jedoch den adäquaten Rahmen für bunte Schallplattencover und Druckgrafiken. Hie und da blitzt ein roter Farbklecks auf: Vitrinen, Sockel und Sitzbänke. Alles in allem kann ich den lehrreichen und dabei überhaupt nicht langweiligen Rundgang nur wärmstens empfehlen!

Weitere Informationen

Die Ausstellung wandert im Anschluss an Zürich nach Berlin, wo sie von Dezember 2013 bis März 2014 im Bröhan-Museum zu sehen ist.

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