Ausstellungsbesprechungen

Neue Abstraktion, Galerie Fahnemann, Berlin, bis 22. Oktober 2011

Häufig wird Kunst in starre Gerüste gepresst, die Gattungen auf die eine oder andere Weise festlegen. Auch die abstrakte Kunst blieb davon nicht verschont, obwohl man hier anderes vermuten könnte – und inzwischen löst sie sich tatsächlich und wird immer freier. Für die daraus folgende Vielgestaltigkeit steht die Ausstellung »Neue Abstraktion«, deren teils komplett gegensätzliche Werke Günter Baumann in Augenschein genommen hat.

Ruhigen Gewissens kann man heute eine Ausstellung mit dem Titel »Neue Abstraktion« ankündigen, um die Aufmerksamkeit in Nullkommanichts in Wallung zu bringen. Das war nicht immer so in den vergangenen Jahren. Kurioserweise hat das ausgerechnet die Konkurrenz von der Figuration geschafft: Der Höhenflug, der seit der Neubelebung der Leipziger Schule über etliche wunderbare Einzelpositionen über das ganze Land ging, beflügelte offenbar mit etwas Verzögerung auch die ungegenständliche Malerei – kaum im öffentlichen Bewusstsein angekommen, füllen die Jungstars der Abstraktion die Kunstmagazine und Galerienankündigungen. Die signifikanten Merkmale sind eine erfrischende Farbigkeit, der respektlos-freie Umgang mit der abstrakten Tradition und erfreulich wenig Berührungsängste im Umgang mit der gegenständlichen Kunst. Man kann zur Zeit sogar eine Straße in Berlin herauspicken, wo man auf spektakuläre Weise fündig wird: In der Fasanenstraße zeigt die Galerie von Egbert Baqué gerade die explosiv-bunte Farbsinfonik des jungen Yago Hortal und in der Galerie Fahnemann feiert man die »Neue Abstraktion« mit einer Gruppenausstellung, die alle Winkel dieser erfrischenden Abstraktkultur auslotet. Klarer Fall: Kandinskys Erben sind ganz gegenwärtig, und man kann zur Zeit an ihnen nicht vorbeigehen, wenn man über die Vielfalt der zeitgenössischen Malerei sprechen will. Selbstverständlich wäre es vermessen, die Ausstellungstätigkeit zweier Galerien hochzurechnen; doch muss man sich nicht allein in Berlin umschauen – ein Blick in die Ulmer Ausstellung »Abstract Confusion« (in der man einige der Fahnemann-Künstler wiederentdecken kann) genügt, um zu sehen, dass es sich hier um einen veritablen Trend handelt.

Christian Awe, der über die figurative Schule (Baselitz, Daniel Richter) und bezeichnenderweise über den Graffiti-Underground zur Abstraktion kam, schichtet und demontiert seine acryl- und sprühlackbearbeiteten Leinwände, bis er durch vordergründige Farb- und schattenhafte Einsprengsel vor buntschillernden Hintergründen surreal-kosmische Räume schafft. Gegenüber diesem »Sommernachtsflimmern«, so einer der poetischen Titel, wirken die prismatisch strahlenden Gemälde Katja Brinkmanns eher distanziert-kühl und berechnet (»Es existiert keine Form an sich ohne die Farbe oder ohne die Struktur« lautet eine Maxime); dabei platziert sie die in runden Begrenzungslinien gebremsten Farbstrahlen durchaus emotional – in betont schrägen Kontrasten – im Leinwandgeviert. Fasziniert erinnert man sich an ihre Bodenarbeiten im süddeutschen (Spät-)Barockambiente von Schloss Monrepos bei Ludwigsburg. An Bewegung, die ihr wichtig ist, wird sie übertroffen von Sean Dawson, der ein hinreißendes Farbinferno auf der Leinwand hinterlässt, das man sich Zentimeter für Zentimeter erschließen möchte. Geordnet dagegen, fast zu greifbaren Räumen neigende Klarheit sucht Tanja Rochelmeyer, wohl wissend, dass die verlockendste Perspektive nicht darüber hinwegtäuscht, dass die Leinwand eine plane Fläche darstellt. Diese Illusion lässt Hans-Peter Thomas gleich fahren – seine nahezu monochromen Farbspiele lassen den Betrachter einer gestischen Pinselspur folgen, die Raum und Fläche ineins bindet. Am meisten in landschaftliche Assoziationen verführt Daniela Trixl, die bewusst von Alltagsmotiven ausgeht, um sie in einem Akt des geistigen »Flanierens«, wie sie meint, abstrakt nachzuerleben. Ganz frei zwischen gestischer und geometrisch-linearer Abstraktion bewegt sich Martina Steckholzer.

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