Ausstellungsbesprechungen

Niederländische Moderne. Die Sammlung Veendorp aus Groningen. Museum Behnhaus Drägerhaus, bis 28. Februar 2016

An insgesamt vier deutschen Orten soll die Sammlung Veendorf aus Groningen gezeigt werden. Erste Station ist das Lübecker Behnhaus, dessen eigene Sammlung sehr schön mit den niederländischen Bildern harmoniert. Stefan Diebitz hat den Besuch genossen.

Es ist merkwürdig, aber sehr vertraut mit den großen Meistern unserer Nachbarstaaten sind wir nicht. Das gilt selbst für eine so bedeutende Malernation wie die Niederlande. Wer kennt Willem Bastiaan Tholen (1860 – 1931)? Ein großartiger Maler, von dem man dieser Tage im Behnhaus gleich dreizehn schöne Bilder bewundern kann. Ein anderer wenig geläufiger Name, dem man ebenfalls in Lübeck begegnet, ist Johan Barthold Jongking (1819 – 1891), den kein Geringerer als Claude Monet als seinen Lehrer bezeichnete und der in der Sammlung Veendorp reich vertreten ist. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, sind die Künstler dieser Ausstellung wenig populär, aber alle ausgestellten achtzig Arbeiten – darunter auch einige kleine Skulpturen – besitzen ein gleichmäßig hohes Niveau und sind einen Besuch wert. Ihr Sammler muss etwas von Kunst verstanden haben. Wer war er?

Reurt Jan Veendorp (1905 – 1983) war ein Architekt, der vielleicht auch dank einer schon zu seinen Jugendzeiten einsetzenden Schwerhörigkeit für visuelle Eindrücke besonders empfänglich war. Dazu kam, dass seine Ausbildung zum Architekten an der »Academia Minerva« in Groningen auch Kunsthandwerk und Zeichnen umfasste. Schon als ganz junger Mensch, in der zweiten Hälfte der Zwanziger Jahre, begann er zu sammeln, wobei er sich auf die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts und die ersten Jahrzehnte des 20. konzentrierte, also vor allem realistische und impressionistische Gemälde zusammentrug und dazu noch Werke der klassischen Moderne. Die wenigsten dieser Bilder sind großformatig, so dass die Räume des Museums – es handelt sich ja um ein klassizistisches Bürgerhaus vom Anfang des 19. Jahrhunderts – wie geschaffen sind für diese Kunst. Alles stimmt zusammen.

Offenbar besaß Veendorp einen eher konservativen Kunstgeschmack. Der abstrakten Kunst vermochte er wenig abzugewinnen, und dazu betont die Kuratorin Elise van Ditmars in ihrer biografischen Skizze seine Abneigung gegenüber jeder Form von ideologischer Kunst. »Mit dem Stichwort Natur«, schreibt sie, »lässt sich die Sammlung wohl am besten charakterisieren.« Wir begegnen deshalb kaum der romantischen Kunst, wenngleich ein paar stimmungsvolle Sonnenuntergänge schon dabei sind, und schon gar nicht noch einer wilden und großartigen, sondern es ist immer eine holländische, also eine kultivierte und bäuerlich gehegte Natur: flache offene Landschaften mit viel Wasser und Windmühlen, mit Poldern, Dalben und Kähnen. Die Farben sind gedämpft, das Licht ist weich, der Himmel fast immer sehr weit und hoch.

Das Schwergewicht liegt also auf der gebändigten Natur. Das erste große Kapitel der Ausstellung gehört der Schule von Haag, benannt nach der gleichnamigen Stadt, in der sich ab 1870 Maler trafen, die sich der Freilichtmalerei verschrieben hatten und sich an den großen Meistern des 17. Jahrhunderts orientierten: sie wollten die Natur malen und nur die Natur, und die abwechslungsreiche und interessante Landschaft in der Nähe Den Haags bot ihnen das richtige Gelände. Ab 1875 verstanden sie sich als Künstlervereinigung. Evelien de Visser schreibt in ihrem Aufsatz über Willem Roelofs, Paul Joseph Constantin Gabriël, Jan Hendrik Weissenbruch und andere Künstler, in deren Bildern es vor allem um Atmosphäre ging. Kritiker nannten die Haager Schule auch die »Graue Schule«, obwohl ich selbst die braunen Farbtöne noch auffälliger finde. Auf jeden Fall wirkt alles wirklich schon fast klischeehaft niederländisch.

Das wird anders in den Bildern der Amsterdamer Schule, die sich vom Landleben abwandte und das Großstadtleben thematisierte. Spektakulärstes Beispiel in dieser Präsentation ist das »Hutgeschäft Mars auf dem Nieuwendijk in Amsterdam«, das Isaac Israels 1893 malte, ein impressionistisches Feuerwerk. Während der Vordergrund schon abendlich verschattet ist, leuchtet das Innere des Geschäftes mit seinen gelben und roten Farben. Um dieses Bild malen zu können, hatte sich der Künstler gegenüber dem Geschäft sogar eine Wohnung gemietet! Aber die Szenerie wirkt trotzdem ganz zufällig und spontan.

Israels nimmt auch sonst eine Ausnahmestellung ein. Ungewöhnllch sind die 1894 gemalten »Zwei Mädchen an der Lijnbaansgracht in Amsterdam«, die das Motiv für das Plakat der Ausstellung abgeben. Für dieses Bild hatte der Maler die Erlaubnis erbitten müssen, mitten in Amsterdam auf der Straße malen zu dürfen. Bis dahin war das öffentliche Malen in der Stadt absolut unüblich oder sogar verboten, und so wurde seine Staffelei, wenn er sie auf einer der Brücken über die Grachten aufgestellt hatte, regelmäßig vom Publikum umlagert. Ähnlich wie das Bild des Hutgeschäftes wirkt das Gemälde der beiden Frauen ganz spontan und in seiner etwas willkürlichen Ausschnitthaftigkeit fast wie ein Schnappschuss – als hätte der Maler seine Eindrücke mit heftigen Pinselhieben und viel dick aufgetragener Farbe in wenigen Augenblicken festgehalten.

Es ist eine Ausstellung niederländischer Kunst, und so finden sich natürlich auch etliche, stilistisch sehr vielfältige Stillleben, insbesondere Blumenstillleben, aber interessanter noch sind die ins Monochromatische hinüberspielenden Landschaften von Dirk Nijland (1881 – 1955). Sechs seiner Bilder sind in dieser Ausstellung zu sehen: Man sieht, dass der Sammler seinen Künstlern treu blieb. Nijland war ein höchst akkurater und sachlicher Maler, an dessen Bildern die Katalogbeschreibungen die persönliche Verbundenheit des Künstlers mit seinen Motiven hervorhebt – das allerdings ist etwas, wovon wir vielleicht lesen, das wir aber keinesfalls selbst bei einer Betrachtung des Bildes erkennen können. Eigentlich sollte es uns deshalb egal sein, dass er »alltägliche Objekte [malte], die eine Bedeutung für ihn hatten.« Mir gefällt an seinen Bildern die große Ruhe, die sie ausstrahlen – das gilt für den Blick auf »Auflaufendes Wasser« wie für das Gemälde eines Hafens, in dessen unbewegtem Wasser zwei Duckdalben (Poller) auf Schiffe warten, die sich an ihnen vertäuen können. Tholen hatte fünfundzwanzig Jahre zuvor ein ganz ähnliches Motiv gemalt.

Es finden sich auch modernere Bilder, kalte Stillleben mit Flaschen von Jan Toorop, der auch noch pointillistische Landsachaftsbilder vorlegte, oder die feurig-prachtvollen Blumenbilder von Verster, der mit Vornamen auch noch Floris hieß (1861 – 1927). Aber drei Bilder seien noch besonders hervorgehoben. Eines ist ein spätes Werk von Odilon Redon, ein »Coquelicots« (Klatschmohn) betiteltes bescheidenes und kleinformatiges Blumenstillleben; ein anderes das nächtlich-blaue Bild einer Kirche, das wohl kaum jemand Paul Gauguin zusprechen würde – er malte es als Dreiundzwanzigjähriger –; und schließlich »Blick auf Château Dampierre« von Carel Willink (1900 – 1983), das man auf den ersten Blick für ein Bild des 18. Jahrhunderts halten könnte. Es zeigt eine schattige Allee mit ramponierten Steinmonumenten an der Seite, aber im Hintergrund liegt ein prachtvolles weißes Schloss im vollen Sonnenschein. Vielleicht ist es der klare blaue Himmel, der die Szenerie so unwirklich macht, vielleicht ist es die akkurate Malweise, die das Bild von eigentlich allen anderen Bildern in dieser Ausstellung unterscheidet, jedenfalls scheint es traumhaft und fremd und überhaupt außergewöhnlich schön.

Bei aller Einheitlichkeit, an der man die Vorlieben und Interessen ihres Stifters sehen kann, ist es eine höchst interessante unbedingt empfehlenswerte Ausstellung, in der man viel beobachten kann und immer wieder auf Überraschendes trifft.

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