Buchrezensionen

NIKE / BAK / ICOSMOS (Hrsg.): Kulturgut in Bewegung. Über Ortsgebundenheit und Ortswechsel, Schwabe Verlag 2013

Der Umgang mit beweglichen Kulturgütern wird in der Denkmalschutzdebatte zumeist nur am Rande gestreift. Was jedoch nicht bedeutet, dass die Angelegenheit deshalb marginal wäre. Die Debatte ist vielmehr ausgesprochen komplex, oft mit einer Reihe von ungelösten Fragen verbunden. Der vorliegende Sammelband hat es sich aus diesem Grunde zur Aufgabe gemacht, die umfangreiche Thematik einem breiten Publikum zugänglich zu machen. Ulrike Schuster hat ihn gelesen.

Die Basis dieser Publikation bildete ein zweitägiges Kolloquium, das im Jahr 2012 in Lausanne stattfand. Das Gastgeberland stellte dabei die Mehrheit der Beiträge, wodurch sich nebenbei äußerst reizvolle Einblicke in die reiche Kulturlandschaft der Schweizer Nachbarn eröffnen. Schlaglichter auf die denkmalpflegerische Praxis in Deutschland und Frankreich ergänzen das Bild. Die Problematik als solche ist freilich universell. Denkmäler werden gemeinhin als ortsgebunden aufgefasst. Doch bereits der Blick auf die Ausstattung von historischen Bauten zeigt, dass die Grenzen zwischen immobilem und mobilem Kulturgut fließend sind. Bewegliche Denkmäler werden in den gegenwärtigen Gesetzgebungen jedoch oftmals gar nicht erwähnt, sind teilweise sogar davon ausgeschlossen.

Die Definition von beweglichen Kulturgütern wird in der Debatte bewusst sehr weit gefasst: Sie umfasst die Erhaltung von Mobiliar und authentischen Interieurs ebenso wie Fragen nach dem Schutz des Ambientes, ja sogar von Gartenanlagen. Zuweilen können auch geschlossene Kollektionen einen Wert für sich beanspruchen, wie Philipp Abegg am Beispiel der industriegeschichtlich bedeutsamen Schuhsammlung der Firma Bally darlegt. Der Schutz des mobilen Kulturerbes ist ein schwieriger Kampf, der häufig mit den Bedürfnissen der modernen Gesellschaft kollidiert. Oft scheint eine Translozierung von historischen Objekten auf den ersten Blick einen Ausweg aus dem Dilemma zu schaffen. Doch ist damit zumeist ein gravierender Eingriff in den ortsgebundenen Zusammenhang gegeben.

Markus Harzenetter verdeutlicht die mitunter komplexen Beziehungen zwischen einem Kunstwerk und seinem Standort am Beispiel eines Straßendenkmals: Die sogenannte Mautpyramide bei Gnodstadt wurde im 18. Jahrhundert als Schlusspunkt einer großen Chaussee errichtet und diente als Grenzmarke zum damaligen Großherzogtum Würzburg. Das Monument wurde im Zuge eines Verkehrsunfalls beinahe zerstört, anschließend wieder restauriert und von der Straßenmitte an den Rand versetzt. In ihrer äußeren Gestalt ist die Pyramide wieder intakt. Ihre geschichtliche Bedeutung als Grenzmarke und die ästhetische Funktion eines barocken point de vue ging jedoch verloren.

Eine andere, ewig schwärende Wunde im Diskurs der Denkmalpflege ist die Abnahme von Fresken. Wiewohl die Versetzung von Wandgemälden über eine lange Geschichte verfügt, die bis in das 16. Jahrhundert zurückreicht, sind Eingriffe dieser Art immer mit einem großen Risiko verbunden. Aus dem ursprünglichen Kontext der Architektur herausgelöst, büßen die Wandmalereien fast immer einen großen Teil ihrer Bedeutung ein. Nicht einfacher gestaltet sich der Umgang mit archäologischen Funden, wo aus praktischen Gründen die Erhaltung in situ nicht mehr (beziehungsweise nur mehr in eingeschränkter Form) möglich ist.

Die spektakulärste Form der Translozierung betrifft natürlich die Versetzung von ganzen Häusern. Diesem Thema widmen sich Katharina Baumann und Daniel Glauser aus verschiedenen Blickwinkeln und wissen durchaus Überraschendes zu berichten. Man würde ja landläufig meinen, dass dermaßen gravierende Eingriffe erst mit dem Siegeszug der modernen Technik möglich waren. Doch dem ist ganz und gar nicht so: Hausversetzungen waren im Mittelalter und in der Neuzeit weit verbreitet. Dies ging so weit, dass Gebäude nicht zu den Immobilien zählten, sondern zum beweglichen Inventar, der sogenannten „Fahrhabe“. Ihre Umsetzung geschah in der Vergangenheit meist aus wirtschaftlichen Gründen, weil es zum Beispiel aufgrund von Holzmangel günstiger war, ein bestehendes Haus zu versetzten, als ein neues zu bauen. Kleinere Wirtschaftsgebäude wie Kornspeicher wurden nicht selten von vorneherein so konstruiert, dass man sie auf einfache Weise zerlegen und an einem anderen Standort neu aufbauen konnte. Das Prinzip der flexiblen Bauweise gilt übrigens auch für zahlreiche Bauten des frühen Industriezeitalters.

Schließlich wird der Diskurs noch um eine weitere Facette bereichert, wenn es um den Erhalt von Verkehrs- und Transportmitteln – den Zeugen der Mobilitätgeschichte – geht. Einmal mehr erweisen sich die Schwierigkeiten im Detail als komplexer, als man es auf den ersten Blick vermuten würde: Wie handhabt man beispielsweise den Betrieb eines historischen Personenlifts, wie hält man eine Standseilbahn aus der vorletzten Jahrhundertwende auf ihrem Standort? In diesen Themenbereichen nehmen die Eidgenossen übrigens eine Vorreiterrolle ein, beherbergt die Schweiz doch den ersten und immer noch einzigen Lehrstuhl für Technikgeschichte an der ETH Zürich.

Die große Bandbreite der in diesem Buch vorgestellten Beispiele zeigt jedoch vor allem eines: Das bewegliche Kulturgut ist außerhalb von Museen und öffentlichen Sammlungen einer besonderen Gefährdung ausgesetzt und bedarf der verstärkten Aufmerksamkeit. Was nicht einfach ist, in Zeiten wie diesen. Doch mit der vorliegenden Publikation ist das Anliegen zumindest einmal beim Namen genannt.

Diese Seite teilen

Besuchen Sie uns