Buchrezensionen

Norbert Schneider: Theorien moderner Kunst. Vom Klassizismus bis zur Concept Art, Böhlau Verlag 2014

Eigentlich sollte Norbert Schneiders Werk als Überblicksband in der Reihe der UTB-Taschenbücher erscheinen. Doch mit über fünfhundert Seiten fiel es dann doch zu umfangreich aus und ist stattdessen zum Handbuch für die Kunsttheorie der Moderne gewachsen. Und das hat sich durchaus gelohnt: Herausgekommen ist eine Gesamtdarstellung, an der weder Studenten noch Fachleute vorbeikommen, meint Christian Welzbacher.

Schneider, Theorien moderner Kunst © Cover Böhlau
Schneider, Theorien moderner Kunst © Cover Böhlau

Norbert Schneiders opulentes Werk war zunächst als Fortsetzung seiner vor wenigen Jahren erschienenen Überblicksdarstellung zur Kunsttheorie von der Antike zur frühen Neuzeit geplant. Doch das Manuskript wuchs derart an, dass der Band nicht mehr in der kompakten Reihe von Böhlaus UTB-Taschenbüchern erscheinen konnte. Die »Theorien moderner Kunst« erscheinen daher im repräsentativen Format eines Handbuchs und das ist durchaus angemessen. Als Einführung ist das Buch dennoch konzipiert und aufgrund der klaren Kapitelteilung, der ausführlichen Literaturhinweise und des Registers auch gut zu gebrauchen.

Zunächst: Die Moderne beginnt bei Schneider mit der Aufklärung. Diese bereits im Titel angelegte Grundthese durchzieht das gesamte Buch, denn die die im ersten Abschnitt dargestellten Theorien der (vor allem französischen) Akademie um 1780, dienen immer wieder als Referenz für spätere Auseinandersetzungen um das, was Kunst leisten kann und soll und auf welche Weise dies geschehen könnte. Diese Arbeitsweise wird besonders deutlich in den Kapiteln, die Schneider den Entwicklungen des Impressionismus widmet:

Der forderte ja explizit die Richtlinien der Akademie heraus und seinen Werken wurden denn auch demonstrativ die Salons verschlossen. Angewiesen waren die Künstler auf Gegenausstellungen wie die Salons des refusés in Paris oder die Secessionen in Deutschland. Der Bogen, den Schneider hier spannt, steht stellvertretend für den großen Horizont des vorliegenden Bandes als Ganzes: Nachdem das vorangegangene Romantikkapitel mit der Diskussion um Charles Baudelaires synästhetische Kunst- und Welterfahrung endet, setzt er nun mit einer Debatte um den »Realismus« ein und damit um die Frage, inwieweit sich die bildende Kunst den Themen des gesellschaftlichen Wandels im Zuge der Industrialisierung widmen kann. Damit scheint inhaltlich das Spektrum der akademischen Malerei bereits erweitert. Und wenn Schneider jetzt zu Courbet und Manet vordringt (dessen Verhältnis zu Emile Zola er eindringlich beleuchtet), dann drängen sich auch die Fragen der Darstellungsweisen immer mehr in den Vordergrund. Flächigkeit, Japonismus, die Farbe Schwarz, die aufkommende Fotografie – das alles sind Aspekte, die am Beispiel Manet ausgeleuchtet werden, bis hin zu dessen eigenwilliger Auseinandersetzung mit der Kunst der Vergangenheit und der Historienmalerei, die auf selbstbewusste Weise neben dem stand, was zeitgleich in der Akademie diskutiert wurde (in dem Sinne, dass die Akademie den überkommenen Status quo zu verteidigen trachtete). Von dort ist es nur noch ein kleiner Schritt bis zur ausgereiften Haltung der Impressionisten – denkt man. Doch Schneider zeigt auf, dass in der Kunsttheorie der Manet-Zeit bereits der Surrealismus angelegt ist: Indem er sich nämlich in einem zweiten Erzählstrang neben der Achse Manet-Impressionismus die Entwicklungen des Symbolismus ansieht und die um 1840 aufkommende Psychologie der Farben (M.E. Chevreul) mit den malerischen Visionen eines Moreau verknüpft.

Schneiders große Bögen, Resultat langjähriger Kenntnis und wissenschaftlicher Erfahrung, sind der große Gewinn dieser Darstellung. Durch sie werden faszinierende Querverbindungen deutlich, die dem kunsttheoretischen Laien nicht leicht offenkundig sind. Auf diese Weise verfährt Schneider auch bei seinem Weg durchs 20. Jahrhundert. Da steht Emil Nolde plötzlich direkt neben Vlaminck und den Fauves. Oder man erkennt, wie die Bildästhetiken der »Isten« (Kubisten, Orphisten, Futuristen, Suprematisten, Neoplastizisten) zusammenhängen, indem Schneider ihre unterschiedlichen Wege zu Abstraktion und Gegenstandslosigkeit referiert und dabei – bis hin zur Neoavantgarde, dem Abstrakten Expressionismus und der Konzeptkunst – Beziehungen aufzeigt. Zugleich beeinträchtigt diese Darstellungsweise den Handbuchcharakter des Buches keinesfalls, denn der Leser kann nichtsdestotrotz problemlos abschnittweise und ausschnitthaft auf seinen Inhalt zugreifen.

Material- und kenntnisreich ist der Band von der ersten bis zur letzten Seite. Nicht immer aber ist der Text interpretationsstark. Im Kapitel über Nolde etwa verliert sich Schneider in der neuerdings wieder hervorgekehrten (dabei altbekannten) Tatsache, dass der Maler Nazi und Antisemit war, statt den Vergleich seiner ästhetische Auffassung mit Vlaminck und den Fauves stärker auf kunsttheoretischer Ebene zu reflektieren. Hier wird der Text dann allzu deskriptiv, ja er entfernt sich gar von seiner zentralen Fragestellung nach der Theorie, indem er sich allein auf Kunstwerke und politische Haltung kapriziert, nicht aber die zugrunde liegende Konzeption hinterfragt.

Gleichwohl gelingt Schneider mit dem vorliegenden Band eine stringente Gesamtdarstellung der »Theorien Moderner Kunst«. Man mag einwenden, dass die Abschweifungen in andere Themenfelder nicht nur das breite Interesse des Autors spiegeln, sondern dem Leser aufzeigen, dass jede Form der Theorie im erweiterten Kontext der Praxis gesehen werden muss – und damit immer auch im Rahmen von Gesellschaft und Politik. Insofern ein äußerst anregender Band, den von nun an jeder konsultieren sollte, der sich mit einer der hier gestreiften Epochen befasst – und das gilt für Studenten genauso wie für Fachleute.

Diese Seite teilen

Besuchen Sie uns