Ausstellungsbesprechungen

Norbert Weber. „Reale Bildklänge“

Mit der Ausstellung „Reale Bildklänge“ präsentiert das Martin-Niemöller-Haus im saarländischen Frankenholz bis 31. Mai 2009 16 großformatige Photoarbeiten Norbert Webers. Auf der Suche nach filigranen Liniengeflechten und geometrischen Formationen in Ausschnitten des Alltag entdeckt der Photograph eine hinter der Wirklichkeit schlummernde Welt, die den Betrachter sowohl mit ästhetisch hochwertigen, entrückten und verträumten Bildgefügen als auch gesellschaftlich relevanten, wirklichkeitsnahen und scharfsinnigen Aufnahmen gefangen nimmt.

Mit „Realen Bildklängen“, die einer jeden Photographie Norbert Webers eingeschrieben sind, wird der Prozess des Sehens reflektiert und zugleich gezeigt, wie manipulierbar unsere Wirklichkeit sein kann. Auf der Suche nach filigranen Liniengeflechten und geometrischen Formationen – die simultan im Bild zusammenwirken – entdeckt der Photograph eine hinter der Realität schlummernde Welt, die rhythmisiert, strukturiert und lebendig unser Blickfeld weitet.

Bereits zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts fragte sich der Schriftsteller Robert Walser, ob „denn nicht von jeher alle beste Kunst von den Einfachheiten und Alltäglichkeiten“ herkäme. Eine Frage, auf die Weber künstlerisch reagiert, indem er sich behutsam und mit viel Geduld unserer Alltagswelt annähert. Dabei fokussiert er die oft stiefmütterlich behandelten Objekte und löst sie aus ihrem tristen Kontext, wie zerfallenen Gemäuern oder verrosteten Maschinenteilen, heraus. Hierin artikuliert sich das künstlerische Bestreben, dem Alltäglichen, Banalen, wie Weber es formuliert, „Bilder abzuringen […], deren Schönheit, deren Klang überzeugen.“

Allerdings begegnen uns häufig Wirklichkeiten, die nicht in eine räumliche Tiefe weisen, sondern als Fläche mit der Kamera festgehalten werden. Das Reale wird in diesem Augenblick in die Eindimensionalität des Bildes überführt, was in Ansätzen Erinnerungen an ein mit Pinsel hervorgebrachtes, photorealistisches Gemälde evoziert. Die gewählten Ausschnitte zeigen ein harmonisches Zusammenspiel von Farbe, Form und materieller Textur, wobei sie den Betrachter vergessen lassen, dass er Bestandteile der Wirklichkeit, wie Steine, verrostete Metallstücke oder sich ablösende Farbe vor Augen hat – Elemente also, an denen wir Tag für Tag unachtsam vorbeigehen.

Ganz besonders gilt dies für die beiden Pigmentdrucke im Zentrum der Ausstellung. Das Spiel mit der Realität weitet sich in den auf Sperrholzplatten aufgezogenen großformatigen Arbeiten und wir knüpfen Assoziationen an eine hyperrealistische, überscharf konturierte Malerei, die zur haptischen Erkundung zu locken scheint. Das mit „Kontrast in Farbe und Form“ betitelte Werk etwa zeigt im Hochformat ein kreisartiges Gebilde, das über einem Quadrat schwebt. Umrandet von einem sich zerfasernden zarten Gelb, rufen diese rostfarbenen Formteile ein Spannungsmoment zwischen rund und kantig, weich und hart hervor, integrieren sich aber schließlich harmonisch in das Gesamtgefüge. Die Ausgewogenheit der Formen und Farben sowie die starke Vergrößerung des realen Details lassen an der photographischen Machart zweifeln, wobei genau diese Schwebesituation den ungemeinen Reiz des Werkes ausmacht.

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Eine gesteigerte bildliche Rhythmisierung können wir in der benachbarten Photographie beobachten: Eine im Bildzentrum erwachsende Formation gibt den Blick auf fünf Nieten frei, die von rostigen, runden Flächen umgeben sind. Ein besonderer Stellenwert erhält die weiße Linie, die das Gebilde rechts und links vom grauen Grund abtrennt, der durch Risse und eine poröse Struktur Eigendynamik entwickelt. Dieses sich vertikal dahinschlängelnde Lineament, das bei genauer Betrachtung als eine sich vom Metall lösende Farbschicht identifiziert werden kann, ist Spannungs- und Ruhepol, subtiles Verwirrspiel und Leitfaden zugleich.

Mit der Arbeit „Simultaner Bildplan“ eröffnet sich dem Betrachter erstmals ein Licht durchfluteter, atmosphärischer Raum, in dem drei – jedoch nur angerissene – Tische und Stühle stehen. Die Simultaneität, d.h. das gleichzeitige Wirken bildlicher Ordnungsprinzipien, bewirkt eine ausgeglichene Bewegung in der farblich reduzierten Aufnahme: Der schwarzen Stuhllehne im linken Bildfeld begegnen zwei weitere Stühle auf der gegenüberliegenden Seite; die Tische sind am unteren Bildrand in drei verschieden große Teile gefächert und die sanften, diagonal von links unten nach rechts oben verlaufenden Licht- und Schattenbahnen auf der Wand lösen das Spiel im oberen Bereich auf.

Gleichfalls zu dem architektonischen Themenkreis gehört die „Rechteckkomposition“. Die Hausfassade entgleitet aber erneut der Zweidimensionalität und begegnet dem Betrachter als Fläche mit malerischen Anleihen. Eine von links unten ins Bild hineinragende graue Mauer bildet den Auftakt der nach oben strebenden Formkomposition. Weitergeführt wird der Formrhythmus mit dem roten Tür- beziehungsweise Fensterrahmen, der aus der Mauer erwächst und unseren Blick auf drei horizontal aus der Hauswand ragende Holzbalken leitet. In der rechten oberen Bildpartie beschließt eine braune Holztür sowie ein kleines eisernes Gestell die Aufwärtsbewegung. Neben den Formen greifen die Farben die vertikale Dynamik auf, u.a. in den rostfarbenen Bahnen, die die helle Fassade hinablaufen.

Bei der Arbeit „Blaue Figur“, die ihren Platz rechts von der "Rechteckkomposition gefunden hat, wird unsere Wahrnehmung geschärft, indem wir aufgefordert sind, neben der inneren Ordnung der Photographie zugleich die Realitätspartikel zu entschlüsseln. Dergestalt können die Gegenstände, wie Holzbalken, Mörtel und Relikte eines Verputzes, von ihrer Banalität befreit und der ihnen innewohnende Kunstcharakter, der sich in Farbe und Form äußert, ergründet werden.

Beim Weitergehen durch den charismatischen Ausstellungsraum gelangen wir schließlich zu einer von Gelb-, Braun- und Rosttönen geprägten Arbeit, die besonders durch ihre unterschiedliche Wirkung bei Nah- und Fernsicht überrascht. Während die Distanz uns möglicherweise aufgeklebte Ahornblätter vorgaukelt, werden wir bei näherer Betrachtung einer rostigen Fläche gewahr. Auf diesem metallenen Grund befindet sich eine zartgelbe und braune Farbschicht, die an den Rändern gewellt ist und Schatten wirft. Dieses bizarre, expressive Motiv verdeutlicht erneut, wie vielfältig und ästhetisch auch ein Zerfallsprozess sein kann. Man muss nur – und Norbert Weber tut dies in seinen photographischen Arbeiten immer wieder – genau hinsehen.

Das Aufspüren von Linien und klar umrissenen Formgebilden aus unserer unmittelbaren Umgebung kann – und vielleicht ganz besonders in einem verzerrten, visuell überlasteten Alltag – als Suche nach einem Halt gedeutet werden. Mit diesem Ansatz weisen Norbert Webers photographische Arbeiten über autonomieästhetische Ambitionen hinaus, schaffen vielmehr einen Balanceakt zwischen der Eigengesetzlichkeit einer von Normen befreiten Kunst und ihrer Funktion für unsere Gesellschaft. Daher haben wir es sowohl mit ästhetisch hochwertigen, entrückten und verträumten Bildgefügen als auch gesellschaftlich relevanten, wirklichkeitsnahen und scharfsinnigen Aufnahmen zu tun, die die Spuren des Alltags vorsichtig aufdecken.

Fazit: Norbert Webers Photographien sind unpathetische, klarsichtige, perspektivschärfende und wunderbar schwebende Wirklichkeitsminiaturen mit einem unglaublichen Gespür für Zwischentöne!

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