Buchrezensionen

Olaf Hartung: Kleine deutsche Museumsgeschichte, Böhlau Verlag 2010

Wer sich bei dem Wort ›Museum‹ nur an das gelangweilte Herumschlurfen im Klassenverband durch vitrinengesättigte Flure, Hallen und Säle erinnert fühlt und sich diesem modrigen Bild der Vergangenheitskonservierung am liebsten gleich wieder entziehen möchte, dem sei Olaf Hartungs »Kleine deutsche Museumsgeschichte. Von der Aufklärung bis zum frühen 20. Jahrhundert« ans Herz gelegt: Ein Büchlein, das anschaulich die Dynamik und den ständigen Gegenwartsbezug des Phänomens ›Museum‹ in einem historischen Kurzaufriss darzustellen versteht. Zu diesem Schluss kommt zumindest unser Autor Lennart Petersen, der das Buch für PKG gelesen und rezensiert hat.

Hartungs 167 Seiten zur deutschen Museumsgeschichte erscheinen dabei erstmal unauffällig: Wie sich die Umschlaggestaltung in dezent durchbrochenem Schwarzweiß sehr reduziert und wesentlich darbietet und gleichsam die Textformatierung Dank Schriftgröße und angemessenem Zeilenabstand ein angenehmes Lesen ermöglicht, ist der Inhalt kompakt und nachvollziehbar gegliedert, die Sprache verständlich, die Sätze pointiert. Hartung führt sein Vorhaben, »die Anfänge des modernen Museumswesens« und die »dahinter liegenden Ursachen und Motive [zu] beleuchten« (Seite VII), konsequent und geradlinig durch. Das muss er auch tun, denn in seinem Buch entfällt ein Drittel des Umfanges auf ausführliche Apparate im Anhang, sodass seine Darstellung der deutschen Museumsgeschichte »von der Aufklärung bis zum frühen 20. Jahrhundert« auf nur 112 Seiten Platz finden muss.

Hartungs Überblick enthält eine Fülle von in angenehm verständlicher Wissenschaftlichkeit ausgeführten Informationen, die die Phänomene ›Museum‹ und ›Musealisierung‹ in ihrer Entstehung und in ihrem historischen Wandel multiperspektivisch und mithin kontrovers beleuchten. Auch versäumt er nicht, auf die vielen Wechselwirkungen der unterschiedlichen Prozesse innerhalb des Museumswesens aufmerksam zu machen.

Die »kleine Museumsgeschichte« beginnt nach kurzer Einführung mit einer allgemeinen Darstellung des Phänomens ›Museum‹, das entgegen des oft einseitig betrachteten Allgemeinverständnisses vom Museum als »[der Öffentlichkeit zugängliche] Sammlung von Altertümern, Kunstwerken o.ä.« (DUDEN) von Hartung in einer Art ›musealer Dimension‹ als »Architektur, Sammlung und Speicher, Ausstellung und manchmal Erzählung, [...] öffentlicher Raum, Orte der Kommunikation, der Betrachtung und Forschung, [...] Medium und Institution« (Seite 1) verstanden wird. Diese Ausführungen thematisieren neben der begrifflichen Annäherung die Trägerschaften der Museen, d.h. vornehmlich also ihre sozialen, politischen und somit gesamtgesellschaftlichen Ursprünge, sowie – und dies ist wohl mit das spannendste Kapitel dieses Buches – die geschichtskulturelle Dimension des Museums an sich. Die Tatsache also, dass es keine universale, wahre, dass es nicht die Geschichte gibt, sondern dass die (jeweilige) Geschichte immer aus dem Umgang der Menschen mit ihr resultiert. Dass also das Verstehen und die Interpretation von Geschichte immer ein menschliches Konstrukt ist und sich im Laufe der Zeit wandelt. Und so entstehen Museen nicht nur jeweils im Kontext eines zeitgenössischen Geschichtsbildes, sondern sie sind immer auch aktiver Teil desselben, festigen oder verändern, konstruieren oder dekonstruieren es. Was also wann von wem und zu welchem Zweck in einem Museum ausgestellt wird, in welcher Form etwas im Museum zur Besichtigung arrangiert wird und ob die Exponate mit erklärenden Texten versehen sind, einzeln für sich selbst sprechen sollen oder in erklärenden Ensembles zusammengestellt werden: all das kann Aufschluss über das zeitgenössische Geschichts-, Selbst- und Gegenwartsverständnis geben.

Nach diesen allgemeinen Überlegungen, die Hartung aber, wie überall in seinem Buch, anhand von konkreten Beispielen aus der deutschen Museumsgeschichte anschaulich zu erklären weiß (einige werden hier alte Bekannte der deutschen Museumslandschaft wiederfinden), widmet er sich einer genaueren Betrachtung ausgewählter Museumstypen samt ihrer Gründer: den Kunstmuseen, den Gewerbemuseen, den Kulturhistorischen Museen, den Heimatmuseen, den Volks- und Völkerkundlichen Museen, den Naturwissenschaftlichen und Technischen Museen sowie den Sozial- und Wirtschaftsmuseen. Der zeitliche Fokus liegt dabei auf dem »langen 19. Jahrhundert« (1789-1914), wobei sich Hartung besonders auf die zweite Hälfte desselben konzentriert, was unter anderem darin begründet ist, dass viele Museumsarten entweder erst in dieser Zeit entstanden oder dort erstmals eine größere Ausbreitung fanden.

Hartung weist selbst darauf hin, dass es keine völlig trennscharfe Typologie von Museen geben kann, da die reale Museumslandschaft sehr komplex ist, und er nennt seine Auswahl eine »idealtypische Reduktion« (Seite 8), die er leider zu begründen versäumt. Glücklich erscheint seine Typologie deshalb, weil sie die wohl bekanntesten Formen von Museen abdeckt. Man könnte sogar argumentieren, dass Hartung dadurch, dass er es schafft, die Eigenheiten, Entwicklungen und Bedeutung jedes von ihm angeführten Museumstyps anschaulich zu analysieren, seine Auswahl rückwirkend legitimiert.
Die Ausführungen Hartungs enden in einem vierseitigen Schlusskapitel, das gleichsam Zusammenfassung und Ausblick sein will und deshalb gern einige Sätze ausführlicher hätte sein können: einerseits bei der zusammenführenden Übersicht der bis dahin ausgebreiteten Einzelkapitel, andererseits bei den ausblickenden Gedanken zum Museum in der Weimarer Republik, der NS-Zeit und, vor allem, im Deutschland der Nachkriegszeit und Gegenwart – eine schlaglichthafte gegenwartsbezogene Aktualisierung des historischen Aufrisses, vielleicht ja nur einige problematisierende Sätze als Denkanstoß, sich die dargestellte Dynamik musealer Prozesse auch für die Gegenwart vor Augen zu führen: dies wäre wünschenswert gewesen.

In ihrer Gesamtheit hinterlässt Olaf Hartungs »Kleine deutsche Museumsgeschichte« letztlich einen guten Eindruck. Sie bietet einen kompakten, aber nicht oberflächlichen Überblick über das Phänomen ›Museum‹ vom Ende des 18. bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts und besteht aus einer angenehm lesbaren Kombination wissenschaftlicher Deskription und Analyse. Die Lektüre verhilft dabei nicht nur zu einer Auseinandersetzung mit dem ›historischen Museum‹, sondern schafft auch eine gute Grundlage zur Reflexion des persönlichen Umganges mit dem ›gegenwärtigen Museum‹. Somit ist das Buch nicht nur für interessierte Historiker oder historisch interessierte Laien einen Blick wert, sondern für jeden, der die Dimension ›Museum‹ differenziert und kritisch betrachten möchte.

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