Ausstellungsbesprechungen

Old School. Anachronismus in der zeitgenössischen Kunst, Kunsthalle zu Kiel, bis 26. Januar 2014

Zwölf künstlerische Positionen zum Thema Anachronismus präsentiert in diesem Herbst die Kieler Kunsthalle. Stefan Diebitz hat sich die abwechslungsreiche und interessante Schau angesehen.

Was erwartet der Besucher, wenn er »Old School« hört? Dass ein konservativer Standpunkt alle Arbeiten bestimmt, dass die Bilder vielleicht gar einen altväterlichen Charakter besitzen? Schon ein flüchtiger Blick in die Räume zeigt, dass es sich um zeitgenössische Kunst handelt – verstaubt ist überhaupt nichts. Das Gemeinsame an der Arbeit aller zwölf Künstler ist das Interesse an alten Techniken und alten Materialien, mit denen sie sich den Themen unserer Zeit nähern. Aber damit scheinen die Gemeinsamkeiten auch bereits erschöpft, denn es handelt sich um eine farbige Ausstellung, in der die Künstler sehr verschiedene Wege gehen. Überragend sind dabei die Miniaturen von Anita Albus.

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Das Spektrum der präsentierten Kunst reicht von Wandobjekten Olaf Holzapfels über Videokunst bis zu den großformatigen Bildern Elger Essers. Essers Arbeiten, welche die Ausstellung eröffnen, nehmen ihren Ausgangspunkt von alten Fotos oder Ansichtskarten, die bis zu vierhundertfach vergrößert werden, so dass die aus der Nähe deutlich sichtbaren Bildpunkte zunächst an den Pointillismus erinnern. Steht man etwas weiter weg, denkt man nur noch an das Bildrauschen auf schlecht digitalisierten Fotos, und bei einer noch größeren Entfernung nehmen die Bilder einen ausgesprochenen malerischen und sehr stimmungsvollen Charakter an. Nah- und Fernsicht ergeben so vollkommen verschiedene Resultate; der Blick von weitem zeigt das realistische Bild einer längst vergangenen Szenerie, aber je mehr man sich nähert, desto abstrakter scheint das Bild.

Ganz anders die Wandobjekte Holzapfels, die aus in Schlesien gefertigten Heutauen gefertigt wurden und nun ziemlich massiv an der Wand hängen und sogar nach Heu duften. In diese Ausstellung passen sie, weil die Materialien von traditioneller bäuerlicher Technik zeugen. Und noch einmal ganz anders die Darstellungen des Kottbusser Tores in Berlin durch die Kanadierin Larissa Fassler, die es einmal in grauem Karton nachbaute, ein anderes Mal in zwei großformatigen und farbigen Aufrissen aufzeichnete und damit für ein intensives, vom Üblichen abweichendes Raumerleben sorgt. Ihre Arbeiten scheinen ein wenig pädagogisch ausgerichtet, indem sie sich gegen die Reduktion unseres Orientierungsvermögens durch die Technik, insbesondere durch die Navigationsgeräte stemmen.

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Von beträchtlicher Virtuosität sind die Arbeiten des Niederländers Marcel van Eeden, der unter dem Titel »The Photographer« Zeichnungen präsentiert, die auf den ersten Blick oder aus einer gewissen Entfernung Fotos vollkommen gleichen und die Atmosphäre des Film noir oder auch nur von halbvergessenen deutschen Krimiserien der späten Fünfziger heraufbeschwören. Eine sonst vergessene Technik dagegen benutzt Martin Assig, der seine Bilder in der Enkaustik-Technik herstellt, seine Farben also in Wachs tränkt und bügelt (so ungefähr seine eigenen Worte) – eine Technik, die eine große Leuchtkraft der Bilder zur Folge hat.

Der Höhepunkt der Schau sind zweifellos die meist kleinformatigen Tier- und Pflanzenbilder von Anita Albus, denen die Ausstellung einen ganzen Raum widmet. Die Miniaturen zeugen von wahrhaft altmeisterlicher filigraner Technik, und manche von ihnen wurden sogar mit einem Einhaarpinsel gemalt. Auch hat die Künstlerin die delikaten Farben selbst angerührt. Paradoxerweise kann man die Bilder von Albus daran erkennen, dass sie nicht signiert sind, als hätte die Künstlerin sie wirklich so aus der Natur genommen und als gehörte dieser die Autorschaft.

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Man muss vor der »Waldrappe in Weltlandschaft« gestanden und das schillernde Federkleid des (hierzulande leider ausgestorbenen) Vogels bewundert haben, um die Subtilität des Strichs und die Tiefe und Schönheit der Farben würdigen zu können – es ist ein ungemein poetisches Bild, eine liebe- und respektvolle Würdigung der Tierwelt, der sich Albus seit langem verpflichtet fühlt. Angesichts ihrer Meisterwerke denkt man unwillkürlich an Maria Sibylla Merian und fragt sich, wie es kommt, dass Maler und Zeichner die Natur so viel besser erfassen können als die hochwertigste Kamera in der Hand selbst eines guten Fotografen.

Anita Albus’ Arbeiten füllen einen ganzen Raum und sind bereits allein den Besuch der aber auch sonst sehenswerten, weil durchdachten, vielseitigen und anregenden Ausstellung wert.

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