Ausstellungsbesprechungen

Orientalismus in Europa - Von Delacroix bis Kandinsky, Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung München, bis 1. Mai 2011

Die Ausstellung zeigt mit rund 150 Gemälden und Skulpturen die vielfältigen Auseinandersetzungen von fast 100 westeuropäischen Künstlern mit dem islamischen Orient, Nordafrika und dem Nahen Osten. Ulrike Krenzlin hat sich dem Phänomen der Ägyptomanie im Europa des 19. Jahrhunderts gewidmet.

Duplizität der Ereignisse. Zu Jahresbeginn, als München die große Schau »Orientalismus in Europa« eröffnete, geriet die arabische Welt in Bewegung, zuerst in Ägypten, anschließend in Libyen. Unversehens rückte mit den politischen Aufbrüchen die Kunst dieser Länder ins Zentrum des Interesses. Die Münchner Ausstellung geht in dieser Frage neue Wege. In Frage gestellt wird in Kunst und Literatur eine in Europa jahrhundertelang gepflegte Vorstellung vom Islam, die so gut wie nichts mit seinem Wesen zu tun hat.

Darstellungen vom Leben der Sultane im Serail, vom Harem als dessen geheimnisvollem Innenbezirk mit den weißen Sklavinnen – Odalisken - und Eunuchen sind Fantasien von Künstlern entsprungen, die diese Orte nie betreten, sie aber von Ferne mit glühender Fantasie ausgemalt haben. Diese Bilder sitzen bis heute fest in unseren Köpfen. Eine Revision, auch in der Kunstgeschichte, ist erforderlich.

Den Belagerungen von Wien durch das Osmanische Weltreich in den Jahren 1529 und 1683, die Europa in Panik versetzt haben, folgen Phasen, in denen orientalische Moden, die Kaffeekultur und orientalische Lebensweisen das Leben in Europa bereicherten. Auslöser für die Orientforschung und die nachfolgende Ägyptomanie war die „Expedition nach Ägypten“, zu der Napoleon am 1. Juli 1798 aufbrach. Ihm folgen 160 Fachleute, darunter Orientalisten, Geografen, Zoologen und Künstler unter Leitung des Kunstkenners Vivant Denon. Später entzifferte Champollion am Stein von Rossillon die Hieroglyphen. In der Folge entstehen vielbändige Hauptwerke über ägyptische Kunst. Zur Revision der europäischen Sicht auf den Orient fordert zeitgleich die Bonner Ausstellung »Napoleon und Europa – Traum und Trauma« auf Atemberaubend ist die Neubeurteilung Napoleon Bonapartes. Sie überzeugt darin, dass Napoleon im Widerspruch zwischen Faszination und Abscheu vor Augen geführt wird. Die französische Konzeption vertritt in Bonn die These, dass die „Ägypten - Expedition“ Ausgangspunkt der Neuordnung Europas war, in dem wir heute leben

Mit dem Riesengemälde »Tod des Sardanapal« von 1828 (Louvre) trieb Eugène Delacroix die Auseinandersetzungen zum Thema Sultane und Serails auf die Spitze. Das spektakuläre Thema ist eine reine Erfindung. König Sardanapal hatte einen Überfall der Griechen auf Babylon abgewehrt. Jedoch folgte dem Sieg eine Überschwemmung der Königsstadt durch den Euphrat und alle mussten sterben. Der König legte den Ablauf seiner Todesstunde fest als ein Massaker am Personenkreis des Inneren Palastbezirks, dem Harem. Hauptfrauen und Lieblingspferde werden von Eunuchen vor den Augen des Herrschers getötet. Ein furioses Bild, das im Pariser Salon zu einem Skandal führte. Die französische Öffentlichkeit erkannte in dem Großmassaker eine Diffamierung asiatischer Herrschertraditionen. Sie boykotierte es. Niemand kaufte mehr Bilder von Delacroix. Erst die »Freiheit auf den Barrikaden« macht Delacroix wieder salonfähig. In der Kunstgeschichte spielte dieser feurige Punkt bis heute keine Rolle. Delacroix’ »Tod des Sardanapal« wurde als eine originelle Geschichte wie aus Tausendundeiner Nacht verstanden.

Die kühnsten Fantasien ranken sich jedoch um den Harem (arab. haram). Es ist der von Eunuchen bewachte Innenbezirk eines Serails wie er vom 16. bis 19. Jahrhundert in Blüte stand. Bestimmt ist der Harem ausschließlich für angehörige Frauen und unmündige Kinder eines Sultans oder muslimischer Würdenträger. Er diente dem Erhalt dynastischer Erbfolge, war damit notwendiges Instrument Osmanischer Reichspolitik. Polygamie gehörte zur festen Tradition muslimischer Oberschichten. In der europäischen Kunst wird der Harem, den Unbefugte niemals betreten haben, als ein Ort fantastischer Männerträume geschildert, an dem der Sultan und sein Personal tagein tagaus d der Liebe mit beliebig vielen Frauen frei und ungehemmt pflegen konnten. Diese Deutungen sind bis heute lebendig geblieben.

Die Odalisken, die Bediensteten der Haremsfrauen, haben Maler und Dichter zu den schönsten Träumen angestachelt. Sie unterstanden der Sultansmutter (Valide), wurden aber als Konkubinen auch dem Sultan zugeführt. Für Odalisken bevorzugte man Sklavinnen aus Georgien. Sofern die Wahl des Sultans auf eine ausgebildete Sklavin fiel, stand ihr eine große Karriere bevor. Jean-Auguste Ingres, Frankreichs größter romantischer Klassizist, gehört zu denjenigen, die weder Ägypten, noch andere Regionen des Osmanischen Reichs bereist haben. Doch angeregt durch die immense Ausbeute, die Napoleons Ägypten-Feldzug 1798 mit sich brachte, öffnet er eines seiner Lieblinsthemen, den weiblichen Akt, bereits 1808 mit »Der Großen Badenden von Valpincon« (Louvre) der arabischen Erotik. Mit »Der Großen Odaliske« von 1814 begründet er seinen Ruhm. Fortan variierte Ingres seine Badenden im Türkischen Bad (Hammam) über viele Jahrzehnte. Das »Türkische Bad« von 1863 im Louvre ist in der Malerei des 19. Jahrhunderts in Bezug auf erotische Überreizung nicht mehr überboten worden.

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